Nervenregeneration: Dauer, Mechanismen und therapeutische Möglichkeiten

Der menschliche Körper ist von einem komplexen Netzwerk aus Nerven durchzogen, die für die Übertragung von Informationen unerlässlich sind. Diese Nerven ermöglichen die Steuerung von Muskeln, die Wahrnehmung von Sinneseindrücken und die Aufrechterhaltung lebenswichtiger Körperfunktionen. Periphere Nerven, die sich außerhalb des Gehirns und des Rückenmarks befinden, sind besonders anfällig für Verletzungen, die oft durch Unfälle verursacht werden. Obwohl Schäden an diesen Nerven zu einem Verlust der Muskelkraft und sensorischen Beeinträchtigungen führen können, besitzen periphere Nerven ein bemerkenswertes Regenerationspotenzial.

Die Grundlagen der Nervenregeneration

Wenn ein Nerv gequetscht oder durchtrennt wird, sterben die betroffenen Nervenfasern zunächst ab. Allerdings besitzen sie die Fähigkeit, erneut auszuwachsen und sich vollständig zu regenerieren. Dieser Prozess hängt von den Schwann-Zellen ab, die die Nervenfasern umgeben. Diese Zellen überleben die Verletzung und spielen eine entscheidende Rolle bei der Koordination des Abbaus und des erneuten Auswachsens der Nervenfasern zu ihren ursprünglichen Zielgebieten.

Die Rolle von Fettzellen und Leptin bei der Nervenreparatur

Jüngste Forschungsergebnisse der Universitätsmedizin Leipzig haben gezeigt, dass Fettgewebe, das die Nerven umgibt, eine wichtige Rolle bei der Nervenreparatur spielt. Insbesondere das von Fettzellen produzierte Hormon Leptin, das bisher vor allem für seine appetitzügelnde Wirkung bekannt war, scheint eine entscheidende Rolle zu spielen.

Die Studie ergab, dass Leptin den Energiestoffwechsel von Schwann-Zellen anregt, indem es deren Mitochondrien stimuliert. Interessanterweise nutzen die Mitochondrien der Schwann-Zellen auch Bestandteile des geschädigten Nervengewebes als Energiesubstrat, um die Regeneration zu fördern. Diese Entdeckung eröffnet möglicherweise neue therapeutische Optionen, die den Stoffwechsel der Reparaturzellen bei Nervenschädigungen positiv beeinflussen könnten.

Fehlverschaltungen und neuropathische Schmerzen

Selbst nach der Ausheilung von Nervenverletzungen leiden viele Betroffene unter chronischen Schmerzen und Überempfindlichkeit gegenüber Berührungen. Wissenschaftler der Medizinischen Fakultät Heidelberg (MFHD) haben im Tierversuch gezeigt, dass fehlerhafte "Verschaltungen" von Schmerzrezeptoren (Nozizeptoren) zu einer bisher wenig untersuchten Form neuropathischer Schmerzen führen können. Diese Schmerzen treten erst im Zuge der Regeneration von Nervenverbindungen auf.

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Die Forscher fanden heraus, dass nach traumatischen Verletzungen, bei denen nicht alle Nervenfasern eines Nervs geschädigt sind, die schmerzleitenden Fasern schneller regenerieren als die taktilen Nervenfasern, die Berührungsreize weiterleiten. Infolgedessen nehmen die schmerzleitenden Fasern den Platz der gekappten Berührungssensoren in der Haut ein. Dies führt dazu, dass jeder taktile Reiz als Schmerzreiz wahrgenommen wird.

Diese Erkenntnisse beantworten die Frage, wie es zu komplexen neuropathischen Schmerzen nach Nervenquetschungen kommt, und zeigen die Bedeutung neuronaler Fehlentwicklungen während des Heilungsprozesses auf. Derzeit gibt es keine Behandlungsmöglichkeit, diese Form von chronischen Schmerzen gezielt zu lindern oder zu verhindern. Zukünftige Forschung wird sich darauf konzentrieren, wie die Regeneration der verletzten taktilen Fasern angeregt werden kann, um das Gleichgewicht zwischen Berührungs- und schmerzhaften Empfindungen wiederherzustellen.

Nervenzellen und ihre Funktionsweise

Um die Nervenregeneration besser zu verstehen, ist es wichtig zu wissen, wie Nervenzellen funktionieren und was bei Schädigungen passiert. Nervenzellen ermöglichen es dem Körper, Reize zu empfangen, in Form von elektrischen Impulsen weiterzuleiten und so Signale an das Gehirn zu übermitteln.

Jede Nervenzelle besitzt in der Regel ein Axon, einen langen, schlauchartigen Zellfortsatz, der in Verbindung mit den Dendriten einer weiteren Nervenzelle steht. Manche Axone sind von Myelin umgeben, einer Art elektrischen Isolierschicht, die auch einen gewissen mechanischen Schutz bietet. Das Myelin wird von den Schwann-Zellen gebildet. Viele gebündelte Nervenfasern wiederum bilden einen Nerv.

Das zellferne Ende des Axons ist über eine Synapse indirekt mit der Nachbarnervenzelle verbunden. Gelangt der Reiz vom Zellkörper schließlich ans zellferne Ende des Axons, werden chemische Botenstoffe (Neurotransmitter) ausgeschüttet.

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Der Ablauf der Nervenregeneration

Axone können durch Erkrankungen oder Verletzungen Schaden nehmen. Als Folge kann es zu Schmerzen oder Sensibilitätsstörungen kommen. Ob eine Regeneration möglich ist, hängt von der Art der Axonschädigung ab und davon, ob der Zellkörper der Nervenzelle unbeschädigt ist.

Im Durchschnitt beginnen die Nervenzellen etwa zwei bis drei Tage nach der Schädigung damit, sich zu regenerieren, und das Axon wächst nach - circa 0,5 bis 3 Millimeter pro Tag. Die Nervenregeneration beginnt dabei jeweils an der Stelle, an der das Axon durchtrennt oder beschädigt wurde.

Um den Defekt nach einer Axonschädigung zu reparieren, beginnt die Nervenzelle in hohem Maße neue Eiweiße herzustellen, die als Ersatz für das verlorene Zellmaterial dienen sollen. Von der Kontaktstelle, mit der das Axon der Nervenzelle früher verbunden war, bilden die verbliebenen Schwann-Zellen eine Art Leitschiene und geben zusammen mit anderen Zellen Eiweiße ab, die als Wachstumsfaktor fungieren. Sobald das Axon die frühere Kontaktstelle erreicht, bilden sich wieder Synapsen aus und die Schwann-Zellen umhüllen die nachgewachsenen Axonabschnitte mit Myelin.

Axonales Wachstum und Regeneration im zentralen Nervensystem

Im Gegensatz zu peripheren Nerven wachsen durchtrennte Nervenfasern im Gehirn oder Rückenmark nicht nach. Jüngste Forschungen haben jedoch gezeigt, dass die Stabilisierung zellinterner Protein-Röhrchen (Mikrotubuli) eine wichtige Bedeutung beim Wachstum dieser Zellen zukommt. Diese Ergebnisse könnten langfristig zu neuen Therapieansätzen führen.

Wird ein Axon im peripheren Nervensystem durchgeschnitten, so bildet sich an seiner Spitze ein Wachstumskegel, und das Axon wächst erneut aus. Auch im zentralen Nervensystem bildet sich an der verletzten Axonspitze eine Verdickung, die sogenannte Verkürzungsknolle. Anders als beim Wachstumskegel im peripheren Bereich zeigt diese jedoch keinerlei Bestreben zum Weiterwachsen.

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Die Rolle der Mikrotubuli bei der Regeneration

Die Verkürzungsknolle ist ein wichtiger Ansatzpunkt, um die Wachstumsbremse im zentralen Nervensystem zu verstehen. Mithilfe des grün-fluoreszierenden Proteins (GFP) konnten Forscher die Vorgänge in den Verkürzungsknollen genauer untersuchen.

Es zeigte sich, dass eine Verkürzungsknolle bereits knapp eine Stunde nach einer Verletzung zu erkennen ist. Während das Ende des verletzten Axons somit in den folgenden Stunden langsam anschwillt, sammeln sich im Inneren der Verkürzungsknolle Mitochondrien.

Normalerweise sind Mikrotubuli sehr regelmäßig und parallel angeordnet. Wird jedoch ein Wirkstoff eingesetzt, der die Mikrotubuli destabilisiert (Nocodazole), so entsteht aus einem Wachstumskegel eine Verkürzungsknolle, und das Axon stellt sein Wachstum ein. Das Durcheinanderbringen der Mikrotubuli in der Verkürzungsknolle ist eine der Hauptursachen für den Wachstumsstopp des Axons.

Wird hingegen ein Mittel eingesetzt, das die Mikrotubuli stabilisiert (Paclitaxel), so zeigen sich recht ermutigende Effekte.

Vielversprechende Stabilisierung der Mikrotubuli

Durch Zugabe von Paclitaxel gelang es den Wissenschaftlern, einer jungen Zelle die Entscheidung abzunehmen, welcher ihrer Fortsätze zum Axon wird. Mithilfe des Wirkstoffs konnten die Mikrotubuli jedes beliebigen Fortsatzes stabilisiert werden, wodurch dieser Fortsatz zum Axon auswuchs. Wurde das Mittel im lebenden Organismus nach einer Verletzung direkt in die Axonspitze injiziert, so wurde die Ausbildung der Verkürzungsknolle unterdrückt.

In Versuchen mit Zellkulturen konnten verletzte Nervenzellen des zentralen Nervensystems mithilfe von Paclitaxel selbst dann wieder auswachsen, wenn zur Umgebung der Nervenzelle wachstumshemmende Substanzen aus dem zentralen Nervensystem zugegeben wurden.

Auch ausgereifte Dendriten konnten in der Zellkultur dazu gebracht werden, ihre Identität zu ändern und zu Axonen zu werden. Nach nur fünf Tagen gaben die neu gewachsenen Dendriten-Axone bereits Informationen an andere Nervenzellen weiter.

Neue Therapieansätze zur Nervenregeneration

Verletzungs- oder krankheitsbedingte Nervenschädigungen führen häufig zu dauerhaften Störungen der Motorik, Sensibilität oder chronischen Schmerzen. Ein Kölner Forschungsteam hat nun einen möglichen Wirkstoff zur Nervenregeneration untersucht.

Die Forscher untersuchten Proteine, sogenannte Vasohibine, die den Zustand des Skelets der axonalen Wachstumsspitzen (Mikrotubuli) beeinflussen. Sie stellten fest, dass sich das Gleichgewicht zwischen detyrosinierten und tyrosinierten Mikrotubuli zwischen erwachsenen Tieren und neugeborenen unterscheidet. Da das axonale Wachstum bei Neugeborenen durch optimal tyrosinierte Mikrotubuli fast doppelt so hoch ist wie bei Erwachsenen, ist dies von Relevanz.

Mithilfe eines definierten Inhaltsstoffes aus dem Mutterkraut (Tanacetum Parthenium) wurden die Vasohibine so stark gehemmt, dass sich das Gleichgewicht zwischen detyrosinierten und tyrosinierten Mikrotubuli bei Nervenzellen von adulten Tieren dem von neugeborenen Tieren annäherte. Dies führte bei adulten Nervenzellen zu einer deutlichen Beschleunigung der axonalen Regeneration.

Bemerkenswert ist, dass die Forscher auch im lebenden Tier zeigen konnten, dass Parthenolid nach täglicher intravenöser Gabe den Heilungsprozess von geschädigten Nerven deutlich beschleunigt, sodass die Tiere nach einer Behandlung deutlich früher wieder ihre Zehen bewegen und Reize spüren konnten. Eine modifizierte Form von Parthenolid, die auch oral verabreicht werden kann, zeigte hierbei ähnliche Effekte.

Versuche an menschlichen Nervenzellen haben bereits eine regenerationsfördernde Wirkung gezeigt. Bis der Wirkstoff allerdings in der Therapie Verwendung finden kann, sind noch weitere Untersuchungen in klinischen Studien notwendig.

Unterstützende Maßnahmen zur Nervenregeneration

Wird die Ursache der Nervenschädigung behoben, können sich Nerven regenerieren. Dabei ist die Gabe einer Nährstoffkombination aus Uridinmonophosphat (UMP), Vitamin B12 und Folsäure eine geeignete unterstützende Behandlungsoption.

Schädigungen des peripheren Nervensystems können sich unterschiedlich äußern. Abhängig von den betroffenen Nervenfasern treten starke Schmerzen, sensorische, motorische und vegetative sowie trophische Störungen auf, welche die Betroffenen im Alltag einschränken und ihre Lebensqualität mindern können.

Eine umfassende, multimodale Patientenversorgung kann neben einer sorgfältigen Differenzialdiagnose, eine Symptombekämpfung mittels Membranstabilisatoren, Analgetika und/oder Antidepressiva sowie gezieltes Bewegungstraining und entlastende orthopädische Hilfsmittel beinhalten. Ebenfalls einbezogen werden sollte die Möglichkeit, gleichzeitig kausal vorzugehen, und die Regeneration der peripheren Nerven zu unterstützen.

Die Bedeutung von Uridinmonophosphat (UMP)

Bei einer peripheren Nervenschädigung sind meist die Myelin produzierenden Schwann-Zellen der peripheren Nerven betroffen, sodass ein wesentlicher Aspekt der Behandlung in der Regeneration und dem Schutz der Myelinscheide besteht. In klinischen Modellen zu Myelinscheiden- Schädigungen hat sich die Gabe von Nukleotiden wie Uridinmonophosphat (UMP) als sinnvoller Ansatz erwiesen.

UMP fördert die Biosynthese von Strukturproteinen und Enzymen und trägt zur Unterstützung der physiologischen Reparaturmechanismen nach Nervenläsionen bei.

UMP ist sowohl in tierischen als auch in pflanzlichen Lebensmitteln enthalten. Um aber die benötigte Menge zu sich zu nehmen, können Nahrungsergänzungsmittel mit entsprechend hoher UMP-Konzentration in die Therapie zur Unterstützung der Nervenregeneration einbezogen werden. Diese sollten regelmäßig und über einen längeren Zeitraum von mindestens 60 Tagen eingenommen werden, da die Regeneration zerstörter Nervenfasern Zeit benötigt.

Nukleotide wie UMP werden bereits seit rund vier Jahrzehnten erfolgreich eingesetzt. Studien haben gezeigt, dass die Kombination von Uridinmonophosphat, Vitamin B12 und Folsäure positive Ergebnisse bei Patienten mit Nervenschädigungen erzielt.

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