Viele denken, eine Gehirnerschütterung sei nicht so schlimm. Oft machen Sportler nach einem Schlag auf den Kopf einfach weiter. Doch eine Gehirnerschütterung ist nicht immer harmlos, wie Prof. Dr. betont. Dieser Artikel beleuchtet, was bei einer Gehirnerschütterung im Gehirn passiert, wie man sie erkennt, welche Folgen sie haben kann und wie man sich am besten schützt.
Was passiert bei einer Gehirnerschütterung im Gehirn?
Am Anfang steht ein mechanisches Trauma. Das Gehirn, das im knöchernen Schädel in einer Flüssigkeit schwimmt, gerät in Bewegung. Dabei wird die Hirnmasse gedehnt und gestaucht und kann anreißen. Mikrorisse können die Folge sein. Die Axone zwischen den Nervenzellen werden durch Scherkräfte verformt.
„Das leichte Schädel-Hirn-Trauma kann mit strukturellen Veränderungen im Gehirn wie zum Beispiel Blutungen oder Quetschungen einhergehen, muss es aber nicht“, sagt der Neurochirurg Andreas Unterberg, Direktor der Neurochirurgischen Klinik am Universitätsklinikum Heidelberg. Solche Veränderungen werden typischerweise mit einer Computertomografie des Schädels ausgeschlossen. Noch genauer lassen sich Veränderungen im Gehirn nach einem leichten Schädel-Hirn-Trauma mit einer Magnetresonanztomografie nachweisen.
Wie bei einem Dominospiel kann der Schlag gegen den Schädel eine Kettenreaktion in Gang setzen. „Durch das Überdehnen ist die äußere Zellschicht plötzlich durchlässiger und dadurch strömen Ionen ein“, sagt die Neurowissenschaftlerin Inga Koerte von der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München. „Damit wird das fein abstimmte Gleichgewicht zwischen dem Inneren der Zellen und der Umgebung gestört, und es kommt zu einer Fehlfunktion des Gehirns.“ In der Folge kann der Betroffene bewusstlos werden, oder Erinnerungslücken oder Sehstörungen erfahren.
Der Neurologe Alan Faden von der University of Maryland School of Medicine in Baltimore, USA, geht davon aus, dass ein Schädel-Hirn-Trauma chronische Entzündungen im Gehirn in Gang setzt. Im Falle des Schädel-Hirn-Traumas werden die Mikroglia aktiviert, um den primären Schaden einzudämmen, indem sie angegriffenes Gewebe entsorgen und die Reparaturarbeiten unterstützen. Doch wenn das Gehirn wiederholt erschüttert wird oder das Trauma ausreichend schwer ist, werden die Mikroglia dauerhaft auf „aktiv“ gestellt. In einem solchen chronischen Stadium laufen die an sich sinnvollen Entzündungsreaktionen aus dem Ruder. Es überwiegen Varianten von Mikrogliazellen, die die Entzündungen immer weiter antreiben und dabei auch gesundes Nervengewebe angreifen.
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Forscher vermuten, dass eine Schädigung des Corpus callosum, ein dickes Nervenbündel, das die beiden Gehirnhälften miteinander verbindet, zu einigen häufigen Nebenwirkungen von Gehirnerschütterungen wie Schwindel oder Sehstörungen führen könnte.
Wie erkenne ich eine Gehirnerschütterung?
Um als Laie eine Gehirnerschütterung zu erkennen, kann man sich an einer systematischen Checkliste orientieren, wie etwa dem Concussion Recognition Tool 5 (CRT5). Sie ersetzt jedoch keine Diagnose. Typische Symptome einer Gehirnerschütterung sind Kopfschmerzen, Schwindel, kurzzeitige Desorientierung und manchmal auch Übelkeit sowie Seh- und Gleichgewichtsstörungen.
Es wird die Verwendung des Pocket Recognition Tools empfohlen, das ausschließlich die Symptomatik und die Maddocks-Fragen beinhaltet. Eine orientierende Einschätzung kann auch durch Laien erfolgen. Eine sofortige ärztliche Evaluation eines Patienten ist notwendig bei Vorliegen der nachfolgenden „red-flag“-Symptome:
- Jugendliches Alter
- Verwirrtheit > 30 min
- Bewusstseins-Verlust > 5 min
- Fokal-neurologisches Defizit
- Pupillendifferenz und
- Verschlechterung einer Symptomatik oder der Bewusstseinslage.
Der Sportler sollte nicht allein gelassen werden, eine regelmäßige Überwachung innerhalb der nächsten Stunden muss gewährleistet sein. Im Zweifel gilt: „Auswechseln“!
Welche Folgen kann eine Gehirnerschütterung haben?
Die Folgen für das Gehirn können sich noch nach Jahren bemerkbar machen. Laut einer Literaturübersicht, die Daten von fast 90.000 Kindern und Jugendlichen berücksichtigt, entwickelte ein Drittel nach einer Gehirnerschütterung psychische Probleme, die noch mehrere Jahre nach der Verletzung bestehen konnten. Im Vergleich zu Kindern ohne eine Gehirnerschütterung hatten betroffene Kinder signifikant mehr mit Problemen wie Angst, Depression, posttraumatischem Stress, Aggression, Aufmerksamkeitsproblemen und Hyperaktivität zu kämpfen.
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Universitätssportler mit einer Gehirnerschütterung in der Vergangenheit wiesen im Vergleich zu einer Kontrollgruppe Monate und sogar Jahre nach der Verletzung Veränderungen in ihrem Gehirngewebe auf. Bei betroffenen Athleten ist das Volumen der Hirnrinde gegenüber nicht Geschädigten geringer - vor allem in Regionen, die aufgrund der Lage bei einem Stoß anfällig für Verletzungen sind, darunter der frontalen Cortex, der hinter der Stirn liegt. Zudem waren bestimmte Hirnregionen, vor allem der Frontallappen, weniger durchblutet.
Wie gefährlich eine zweite Gehirnerschütterung nach einer ersten ist, zeigt das Second-Impact-Syndrom. Dabei schwillt das Gehirn nach einer zweiten Gehirnerschütterung schnell und in katastrophaler Weise an - noch bevor die Symptome der ersten Gehirnerschütterung abgeklungen sind. Dieser zweite Schlag kann Minuten, Tage oder Wochen nach einer ersten Gehirnerschütterung auftreten. Das Second-Impact-Syndrom ist eine seltene, aber schwere Komplikation der Gehirnerschütterung, die im schlimmsten Fall zum Tod führen kann.
Bei Boxkämpfen starben seit 1890 pro Jahr im Durchschnitt zehn Boxer. Zehn bis 20 Prozent der Profiboxer:innen leiden ihr Leben lang unter anhaltenden neuropsychiatrischen Erkrankungen. Ihre motorischen Fähigkeiten lassen nach und sie haben ein erhöhtes Risiko, am Parkinson-Syndrom sowie an Alzheimer zu erkranken. Bei American-Football-Spieler:innen wurde dieser Zusammenhang ebenfalls nachgewiesen.
Therapie und Rehabilitation
Eine leichte Gehirnerschütterung muss nicht unbedingt behandelt werden. Gegen Kopfschmerzen helfen Schmerzmittel, wie Paracetamol oder Ibuprofen. In manchen Fällen verschreibt der Arzt ein Mittel gegen Übelkeit. In jedem Fall ist es ratsam, für einige Tage Bettruhe zu halten. Menschen mit Verdacht auf Gehirnerschütterung sollten möglichst in einem abgedunkelten Raum liegen, den Kopf leicht erhöht. Kühlende Kompressen am Kopf und im Nacken können helfen. Besser nicht essen und nur wenig trinken.
Um sich längerfristig leichter und schneller zu erholen, kann aber offenbar auch etwas Bewegung helfen. Das legt eine Studie bei jungen Athleten mit einer Gehirnerschütterung nahe, die ein leichtes Training von 20 Minuten pro Tag auf einem Fahrrad oder einem Laufband absolviert hatten.
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Bei Anzeichen auf eine Gehirnerschütterung sollten sich Betroffene in einer Rettungsstelle vorstellen. Dort wird entschieden, ob weitere Untersuchungen und eine anschließende Behandlung notwendig sind.
Nach einem Schädel-Hirn-Trauma kann es zum Beispiel zeitversetzt zu einer Blutung zwischen der harten Hirnhaut und dem Schädelknochen (epidurales Hämatom) oder zwischen der harten Hirnhaut und dem Gehirn (subdurales Hämatom) kommen. Bei Blutungen ist es wichtig, das Gehirn von dem erhöhten Druck zu entlasten, die Blutung schnell zu entfernen, da diese auf das empfindliche Gehirn drückt und die Situation schnell lebensbedrohlich wird.
Je nach Schweregrad der Schädelverletzung erfolgt nach der akuten Behandlung ein intensives Reha-Programm. Bei schweren Hirnverletzungen sind bleibende Schäden wahrscheinlich. Sie können von leichten Störungen der Persönlichkeit und Merkfähigkeit bis zu schweren Ausfällen wie einem Wachkoma (Apallisches Syndrom) reichen.
Prävention und Schutz
In England und den USA dürfen Kinder unter zehn Jahren zum Schutz vor Hirnschäden keine Kopfbälle trainieren. Vorstellbar findet der Neurochirurg Andreas Unterberg dagegen ein Kopfballverbot für Jugendliche bis 14, 15 Jahren. Ansonsten sollte es Erwachsenen letztlich selbst überlassen sein, mögliche Folgen ihres Handelns zu tragen. Sportler über diese Zusammenhänge zu informieren und bei Verletzungen rasch und konsequent zu reagieren, sei deshalb umso wichtiger.
Bei Kopfballduellen im Fußball sind es meist nicht die Ballkontakte, die zu einer Gehirnerschütterung führen, sondern eher Zusammenstöße mit anderen Spielern oder dem Boden. Im Jugendsport können kleine und leichtere Bälle eingesetzt werden, man kann Flanken aus kürzerer Distanz und weniger scharf schießen und vor allem Kopfbälle nur sehr dosiert trainieren, also nicht zu viele auf einmal und mit ausreichenden Pausen dazwischen. Auch hier gilt: Die Dosis macht's.