Mirtazapin: Wirkung, Anwendung und was im Gehirn passiert

Mirtazapin ist ein verschreibungspflichtiges Medikament, das zur Behandlung von Depressionen eingesetzt wird. Es wirkt auf verschiedene Nervenzellen im Gehirn und kann dadurch unterschiedliche Effekte auslösen, wie Stimmungsaufhellung, Angstlinderung und Müdigkeit. Der folgende Artikel beleuchtet die Wirkungsweise von Mirtazapin im Gehirn, seine Anwendungsgebiete, Nebenwirkungen und Wechselwirkungen.

Wie Mirtazapin im Gehirn wirkt

Um Reize im Gehirn weiterzuleiten, werden Botenstoffe von einer Nervenzelle ausgeschüttet. Diese Botenstoffe, auch Neurotransmitter genannt, überwinden den Spalt zwischen den Nervenzellen und docken an Bindungsstellen der nächsten Nervenzelle an, wodurch sie Reize weitergeben. Es wird vermutet, dass ein Zusammenhang zwischen diesen Botenstoffen und Depressionen besteht.

Mirtazapin greift in diesen Prozess ein, indem es dafür sorgt, dass mehr Botenstoffe ausgeschüttet werden. Diese übertragen im Spalt zwischen den Nervenzellen Reize stärker, was im Körper Prozesse auslöst, die die Stimmung verbessern können.

Konkret blockiert Mirtazapin bestimmte Rezeptoren im zentralen Nervensystem, was dazu führt, dass mehr von den Botenstoffen Serotonin und Noradrenalin verfügbar sind. Noradrenalin steigert die Leistung und den Stoffwechsel. Die antidepressive Wirkung wird vor allem auf die vermehrte Freisetzung von Noradrenalin zurückgeführt.

Zusätzlich hemmt Mirtazapin Histamin-Rezeptoren, was eine beruhigende Wirkung hat und manchmal bei Schlafstörungen genutzt wird. Der dämpfende Effekt kommt vor allem über eine gesteigerte Wirkung von Serotonin an spezifischen Rezeptoren (5-HT1-Rezeptoren) zustande. Im Vergleich zu anderen Antidepressiva verursacht Mirtazapin weniger Übelkeit.

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Beteiligung der Neurotransmittersysteme

An der Entstehung einer Depression sind im Gehirn drei Neurotransmittersysteme beteiligt: Noradrenalin, Serotonin und Dopamin. Alle drei Neurotransmitter regulieren überlappend viele Hirnregionen, beeinflussen sich dabei gegenseitig und sind miteinander verschaltet. Für den antidepressiven Effekt kommt es daher auf den primären Wirkmechanismus nicht an, wohl aber für die Wahrscheinlichkeit bestimmter Nebenwirkungen.

Der aktivierende Effekt von Noradrenalin

Noradrenalin wirkt aktivierend im sogenannten sympathischen Nervensystem. Die Folgen sind eine generelle Leistungssteigerung und ein erhöhter Stoffwechsel.

Hemmung von Histamin-Rezeptoren

Eine weitere Eigenschaft von Mirtazapin ist die Hemmung von Histamin-Rezeptoren, den sogenannten H1-Rezeptoren. Dies hat eine sedative, also beruhigende Wirkung, weil der durch Histamin gesteuerte Schlaf-Wach-Rhythmus beeinflusst wird. Mirtazapin blockiert im Gehirn besonders gerne und schnell die Möglichkeit des Botenstoffs Histamin, an bestimmte Nervenzellen zu binden. Histamin ist eine Art Wachmacher.

Einfluss auf Übelkeit

Die Hemmung der Histamin-Rezeptoren hat nicht nur einen beruhigenden Effekt, sondern kann auch gegen Erbrechen und Übelkeit helfen, weshalb Mirtazapin im Vergleich mit anderen Antidepressiva deutlich seltener zu Übelkeit oder Erbrechen führt.

Black Box

Wie die Wirkung genau zustande kommt, ist nach wie vor unklar. Der Einfluss auf das oder die jeweilige(n) Neurotransmitter-System(e) ist sehr schnell zu messen. Doch zwischen diesem Effekt und dem Einsetzen der Wirkung liegt eine Black Box. Eine Erhöhung der Neuroplastizität des Gehirns wird als die derzeit plausibelste Begründung angesehen.

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Anwendung von Mirtazapin

Mirtazapin ist in Deutschland und der Schweiz ausschließlich zugelassen zur Behandlung von depressiven Erkrankungen (akute unipolare depressive Episode). Es kann sowohl zur Akutbehandlung als auch in Form einer Erhaltungstherapie über einen längeren Zeitraum eingenommen werden. Außerhalb des zugelassenen Anwendungsgebiets findet Mirtazapin zudem Einsatz bei Schlaf, Angst- und Panikstörungen.

Art der Anwendung und Dosierung

Mirtazapin wird oral verabreicht, entweder in Form von Filmtabletten oder als Lösung. Aufgrund der langen Halbwertszeit von 20 bis 40 Stunden genügt eine einzelne Tagesdosis, die vor dem Schlafengehen eingenommen wird. Es ist jedoch auch eine Aufteilung der Tagesdosis möglich, bei der morgens eine geringere Dosis und abends die höhere Dosis verabreicht wird. Die Einnahme erfolgt unabhängig von den Mahlzeiten.

Die Dosierung richtet sich nach den Fachinformationen. In der Regel wird mit einer niedrigen Dosis begonnen, die über Tage hinweg gesteigert wird. Die stimmungsaufhellende Wirkung setzt erst nach etwa zwei Wochen ein. Wie erfolgreich die Therapie ist, kann man deshalb erst nach zwei bis vier Wochen beurteilen.

Nach ungefähr sechs Monaten ohne Beschwerden ist ein langsames Absetzen von Mirtazapin häufig möglich, sollte jedoch nur in Absprache mit dem Arzt erfolgen. Obwohl Mirtazapin nicht abhängig macht, kommt es bei einem plötzlichen Absetzen mitunter zu Absetzsymptomen wie Unruhe, Übelkeit, Schlafstörungen oder Kopfschmerzen.

Was ist bei der Einnahme von Mirtazapin zu beachten?

Mirtazapin darf nicht eingenommen werden bei:

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  • Überempfindlichkeit gegenüber dem Wirkstoff oder einem der anderen Bestandteile des Medikaments
  • gleichzeitiger Einnahme von Antidepressiva aus der Gruppe der Monoaminooxidase-Hemmern (MAO-Hemmer)

Neben diesen absoluten Kontraindikationen gibt es noch relative Kontraindikationen, also Situationen, in denen das Antidepressivum nur bei zwingender Notwendigkeit und nach sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abwägung verordnet werden sollte. Zu diesen relativen Kontraindikationen gehören:

  • schwere Leber- und Nierenfunktionsstörungen
  • erhöhte Krampfbereitschaft
  • gleichzeitige Einnahme von Linezolid (Antibiotikum)

Nebenwirkungen von Mirtazapin

Zu den häufigsten Nebenwirkungen, die im Zusammenhang mit der Einnahme von Mirtazapin beobachtet werden konnten, zählen insbesondere Müdigkeit, Sedierung, trockener Mund, Appetitsteigerung, Schwindel und Erschöpfung. Da sich manche Nebenwirkungen mit den Symptomen depressiver Episoden überschneiden, sind diese nicht immer eindeutig zuzuordnen.

  • Müdigkeit: Müdigkeit ist eigentlich eine Nebenwirkung von Mirtazapin. Sie wird häufig genutzt, um Schlafstörungen zu behandeln. Auch bei Menschen ohne Depressionen; dafür gibt es aber keine offizielle Zulassung. Die schlaffördernde Wirkung tritt schneller ein als die stimmungsaufhellende.
  • Gewichtszunahme: Aufgrund der appetitanregenden Wirkung als Folge der Wirkung auf die Histamin-Rezeptoren lässt sich sehr häufig eine Gewichtszunahme beobachten.
  • Rest-Legs-Syndrom (RLS): Wie andere Antidepressiva auch, wird Mirtazapin sehr häufig mit dem Rest-Legs-Syndrom (RLS) in Verbindung gebracht. So zeigen Studien, dass rund ein Viertel der Patienten nach der Mirtazapineinnahme ein RLS entwickeln.
  • Weitere Nebenwirkungen: Weitere Nebenwirkungen können etwa ein trockener Mund, Verstopfung, höheres Sturzrisiko, mehr Appetit und Erschöpfung sein. In seltenen Fällen wurde über reversible Knochenmarkdepression berichtet.

Treten solche Beschwerden auf, sollte man mit dem Arzt sprechen.

Wechselwirkungen von Mirtazapin

Mirtazapin kann mit anderen Arzneien wechselwirken, auch mit rezeptfreien. Wichtig ist, dass der Arzt über alle Mittel Bescheid weiß. Zusätzlich bieten viele Apotheken eine erweiterte Medikationsberatung an.

  • Alkohol und Beruhigungsmittel: Wird während der Behandlung mit Mirtazapin Alkohol konsumiert, verstärkt sich die beruhigende Wirkung des Antidepressivums. Dies gilt auch bei der Kombination mit anderen Beruhigungsmitteln (vor allem mit Benzodiazepinen) oder zentral wirksamen Arzneimitteln (wie ältere Antiallergika, Opioide). Sie verstärken die müde machende Wirkung. Ähnliches gilt für Alkohol.
  • Blutdrucksenkende Medikamente: Die Wirkung von blutdrucksenkenden Medikamenten (Antihypertensiva) kann durch Mirtazapin verstärkt werden, sodass es zu starken Blutdruckabfällen kommen kann.
  • Lithium: In Kombination mit Lithium (bei psychischen Erkrankungen) können sich die Wirkungen und Nebenwirkungen verstärken.
  • Antiepileptika: Bei gleichzeitiger Anwendung von Carbamazepin, Phenytoin und Phenobarbital (bei Epilepsie) ist mit einem beschleunigten Abbau des Antidepressivums zu rechnen, was eventuell eine Dosiserhöhung notwendig machen kann.
  • Vitamin-K-Antagonisten: Mirtazapin kann die gerinnungshemmende Wirkung von Vitamin-K-Antagonisten (wie Warfarin, Phenprocoumon) verstärken.
  • QT-Intervall-Verlängerung: Außerdem ist Mirtazpin in der Lage das sogenannte QT-Intervall im Herzen zu verlängern, besonders wenn gleichzeitig Arzneimittel mit bekannter QT-verlängernder Wirkung eingenommen werden (wie einige Antipsychotika und Antibiotika).
  • Serotogene Wirkstoffe: Eine verstärkende Wirkung hat Mirtazapin auf serotogene Wirkstoffe wie Tramadol, Linezolid oder Lithium, ebenso wie auf Benzodiazepine und andere Sedativa.
  • MAO-Hemmer: Mirtazapin darf nicht angewendet werden bei einer Therapie mit MAO-Hemmern (Hemmer der Monoaminoxidase). Eine Kombination mit dem Antidepressivum kann einen Serotonin-Überschuss verursachen und zu lebensbedrohlichen Störungen der Körperfunktionen führen.

Weitere wichtige Hinweise

  • Fahrtüchtigkeit und Bedienen von Maschinen: Während der Behandlung mit Mirtazapin sollten Patienten nur dann Fahrzeuge lenken und schwere Maschinen bedienen, nachdem sichergestellt wurde, dass ihre Konzentrationsfähigkeit nicht beeinträchtigt ist.
  • Altersbeschränkung: Die Wirksamkeit von Mirtazapin konnte bei Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahren bisher nicht nachgewiesen werden. Von der Anwendung in dieser Altersgruppe wird deshalb abgeraten.
  • Schwangerschaft und Stillzeit: Die Behandlung mit Mirtazapin während der Schwangerschaft und Stillzeit ist noch nicht ausreichend mit Daten belegt. Das Antidepressivum kann in der Schwangerschaft verordnet werden, wenn besser untersuchte Alternativen nicht ausreichend wirken. Wird eine Frau, die stabil auf Mirtazapin eingestellt ist, schwanger, kann die Behandlung fortgeführt werden. Tierexperimentelle Studien und begrenzte Daten am Menschen haben gezeigt, dass Mirtazapin kaum in die Muttermilch übertritt. Stillen ist daher akzeptabel, wenn der Wirkstoff als Monotherapie gegeben wird (also nicht in Verbindung mit anderen Antidepressiva) und man den gestillten Säugling gut beobachtet.
  • Medikationsanalyse: Mirtazapin kann mit anderen Arzneien wechselwirken, auch mit rezeptfreien. Wichtig ist, dass die verordnende Ärztin oder der Arzt über alle Mittel Bescheid weiß. Zusätzlich bieten viele Apotheken eine erweiterte Medikationsberatung an.

Placebo-Effekt

Medienberichte über den ausgeprägten Placebo-Effekt von Antidepressiva, die deren Wirksamkeit insbesondere bei leichten Depressionen generell infrage stellten, bezeichnete Müller als unverantwortlich und falsch. Bei milderen depressiven Episoden sei zwar der Wirksamkeits-Unterschied zwischen Placebo- und Verum-Arm geringer als bei schwerer erkrankten Patienten. Zum einen gelte das aber nicht nur für die medikamentöse, sondern auch für die Verhaltenstherapie. Zum anderen sei Placebo in Langzeittherapien, bei denen es um die Verhinderung von Rezidiven und Rückfällen gehe, «dramatisch weniger wirksam». Außerdem müsse man sich vor Augen halten, dass die Gabe eines Placebos in einer klinischen Studie mit depressiven Patienten nicht Nichtstun bedeutet, «sondern ein hochwirksames Antidepressivum auf klinischer, neurophysiologischer und neuropsychologischer Ebene» darstelle.

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