Klassische Musik, oft als Balsam für die Seele bezeichnet, übt eine faszinierende Wirkung auf unser Gehirn aus. Neurowissenschaftliche Erkenntnisse belegen, dass das Musikhören weit mehr ist als die bloße Wahrnehmung eines akustischen Signals. Vielmehr werden weite Bereiche des Gehirns aktiviert, wenn sanfte Harmonien oder wilde Rhythmen erklingen. Die moderne Wissenschaft hat begonnen, die komplexen Mechanismen zu entschlüsseln, die dieser tiefgreifenden Wirkung zugrunde liegen.
Bildgebende Verfahren: Ein Blick ins Gehirn beim Musikhören
Bildgebende Verfahren wie die funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT) ermöglichen es, die Aktivitäten im Gehirn während des Musikhörens sichtbar zu machen. Diese Technologie hat es Forschern ermöglicht, zu erkennen, dass beim Musizieren zahlreiche Hirnareale gleichzeitig aktiviert werden.
Die Verarbeitung von Musik im Gehirn
Wenn ein Mensch Musik hört, werden die Strukturen zuerst im Hirnstamm verarbeitet, noch bevor die Musik ins Bewusstsein dringt. Erst wenn die Reize das Hörzentrum, den sogenannten Hörkortex, erreichen, wird die Musik bewusst wahrgenommen.
Hirnaktivitätsmuster und Musikgenres
Die Muster unserer Hirnaktivität verraten, welche Musik wir hören. Ein Forscherteam um Vinoo Alluri von der Universität von Iyväskylä in Finnland untersuchte 2013, ob sich diese Muster auch zwischen verschiedenen Musikgenres unterscheiden. Sie spielten Probanden Musikstücke unterschiedlicher Genres vor, darunter Vivaldi, Jazz von Miles Davis, Blues, Tango und die Beatles, und zeichneten ihre Hirnaktivität mittels fMRT auf.
Es zeigte sich, dass bestimmte Areale, wie Bereiche in der Hörrinde, im limbischen System (zuständig für Emotionen) und im motorischen Kortex, von allen Musikarten aktiviert wurden. Allerdings gab es auch Unterschiede: Besonders komplexe Musikstücke führten zu einer höheren Aktivität im rechten Schläfenlappen.
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Die neuronalen Grundlagen musikalischer Fähigkeiten
Das absolute Gehör
Das absolute Gehör, die Fähigkeit, Tonhöhen ohne Referenzton korrekt zu benennen, ist ein faszinierendes Phänomen. Die Ursachen dafür sind noch nicht vollständig geklärt. Es gibt verschiedene Hypothesen, die genetische Veranlagung, Prägung durch frühe musikalische Übung oder den Verlust einer angeborenen Fähigkeit im Laufe der Entwicklung in Betracht ziehen.
Unterschiede im Musikergehirn
Forscher der Universität Jena und der Harvard Medical School fanden heraus, dass sich die Gehirne von Berufsmusikern auffällig von denen der Nichtmusiker unterscheiden. Bereiche, die für das Hören, das räumliche Sehen und die Umsetzung von Bewegung zuständig sind, waren bei Musikern deutlich vergrößert. Zudem ist bei Musikern das Corpus callosum, die Verbindung zwischen den beiden Gehirnhälften, kräftiger ausgebildet.
Die emotionale Wirkung von Musik
Musik hat die Macht, Emotionen hervorzurufen und zu verstärken. Neurowissenschaftler haben herausgefunden, dass beim Musizieren und Musikhören Endorphine ausgeschüttet werden, körpereigene Glückshormone, die auch bei anderen angenehmen Aktivitäten wie Essen, Sport oder Sex freigesetzt werden.
Anhedonie: Wenn Musik keine Freude bereitet
Neurowissenschaftler um Josep Marco-Pallarés von der Universität Barcelona entdeckten 2014, dass einige Menschen immun gegen die emotionale Wirkung von Musik sind. Dieses Phänomen wird als Anhedonie bezeichnet, die Unfähigkeit, Freude zu empfinden. Betroffene erkennen zwar, ob Musik fröhlich oder traurig ist, lassen sich aber von den Gefühlen nicht anstecken. Vermutlich arbeitet ihr Belohnungssystem im Gehirn anders.
Musik als vorsprachliche Kommunikation
Musik wurzelt möglicherweise in einer Art vorsprachlicher Kommunikation. Wir messen Klängen nicht nur eine Bedeutung bei, wie hohl, spitz oder rau, sondern verarbeiten Melodien auch nach einer musikalischen Syntax, einer Art Satzbau. Der Emotionsforscher Jaak Panksepp vermutet, dass frühe Hominiden melodische Rufe nutzten, um miteinander in Kontakt zu bleiben.
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Musik und das Gehirn: Ein komplexes Zusammenspiel
Es gibt nicht das eine Musikzentrum im Gehirn. Vielmehr aktiviert Musik die unterschiedlichsten Hirnregionen gleichzeitig. Musik zu machen beansprucht ein kompliziertes Zusammenspiel sehr verschiedener Fähigkeiten: den Hörsinn, den Sehsinn, den Tastsinn und die Feinmotorik. Neuere Untersuchungen haben sogar gezeigt, dass das Broca-Areal, eines der beiden Sprachzentren, an der Verarbeitung von Musik beteiligt ist.
Die Rolle der Hirnhälften
Bei der Verarbeitung von Musik sind beide Hirnhälften aktiv, jedoch mit unterschiedlichen Aufgaben. Während die rechte Hirnhälfte die Grobstruktur herausarbeitet, übernimmt die linke Hemisphäre die Feinanalyse.
Musik und Gedächtnis
Musik hat einen starken Einfluss auf das Gedächtnis. Im Gehirn wird fast immer das limbische System aktiviert, wenn Menschen Musik hören. Dort findet ein Abgleich statt, ob man das Stück schon einmal gehört hat und ob es mit einer spezifischen Situation oder Lebensphase verknüpft ist. Dieser als "Casablanca-Effekt" bekannte Mechanismus ermöglicht es, dass uns ein Musikstück sofort in eine vergangene Stimmung versetzt.
Der "Mozart-Effekt" und seine Bedeutung
1993 kam erstmals die Vermutung auf, dass das Anhören der Sonate in D-Dur für zwei Klaviere (KV 448) von Wolfgang Amadeus Mozart für eine bessere visuell-räumliche Verarbeitung sorgt und somit auch einen positiven Einfluss auf unseren IQ hat. Diese These, bekannt als "Mozart-Effekt", löste eine intensive wissenschaftliche Debatte aus.
Die ursprüngliche Studie und ihre Ergebnisse
Die Psychologin Frances Rauscher von der University of California in Irvine ließ Studenten einen Intelligenztest absolvieren, bei dem Aufgaben zum räumlichen Denken zu lösen waren. Ein Teil der Probanden hörte davor eine Mozart-Sonate, ein Teil Entspannungsmusik und die dritte Gruppe verbrachte die Vorbereitungszeit in Stille. Die Mozart-Hörer erreichten im Durchschnitt 8 bis 9 IQ-Punkte mehr im Intelligenztest.
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Kritik und Relativierung des "Mozart-Effekts"
Heutige Forschungsergebnisse relativieren die ursprünglichen Annahmen. Eckart Altenmüller, Professor für Musikphysiologie und Musikermedizin an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover, betont, dass es sich eher um einen Präferenzeffekt handelt, der das Wohlbefinden steigert und die Aufmerksamkeit erhöht. Studien haben gezeigt, dass auch Rockmusik die Konzentrationsfähigkeit steigern kann, vorausgesetzt, es handelt sich um den bevorzugten Musikstil der Probanden.
Musik als individuelles Erlebnis
Musik macht also nicht generell schlau, auch nicht klassische. Aber sie regt das Gehirn in vielfältiger Weise an. Wie das genau aussieht, hängt von der persönlichen Biografie ab, ist also individuell verschieden. Wenn jemand beispielsweise Klavierunterricht hatte und dann einem Klavierkonzert von Beethoven lauscht, werden die Areale im motorischen Cortex aktiv, die die Hand- und Fingerbewegung repräsentieren.
Klassische Musik als Therapie
Klassische Musik kann eine wichtige Rolle im Gesundheitswesen spielen. Sie wird in Operationssälen, Kinderwunschkliniken und in der Schmerztherapie eingesetzt. Studien haben gezeigt, dass klassische Musik den Herzschlag verlangsamen, den Blutdruck senken und Stresshormone reduzieren kann.
Musiktherapie bei verschiedenen Erkrankungen
Die Universitätsklinik Herne hat untersucht, welche Musikstücke besonders effektiv bei bestimmten Krankheiten helfen. Bei Konzentrationsproblemen und Depressionen wird beispielsweise Mozarts Zauberflöte empfohlen. Auch bei Beethovens 4. Klavierkonzert konnte eine deutliche Verbesserung des Gesundheitszustands nachgewiesen werden.
Musik zur Förderung des Wohlbefindens
Klassische Musik wirkt sich positiv auf unser Wohlbefinden aus. Sie schüttet Glückshormone aus und das Stresshormon Cortisol sinkt nachweislich. Eine Studie während der Corona-Pandemie hat gezeigt, dass klassische Orchestermusik in Zeiten von Sorgen und Stress positiv auf unsere Stimmung wirkt.
Die Wahl der Musik: Individuelle Präferenzen und ihre Auswirkungen
Die Wirkung von Musik ist stark von individuellen Vorlieben und Erfahrungen geprägt. Was für den einen entspannend und anregend wirkt, kann für den anderen unangenehm sein. Daher ist es wichtig, die Musik zu wählen, die einem persönlich am besten gefällt.
Musik und Persönlichkeit
Es gibt Hinweise darauf, dass bestimmte Persönlichkeitsmerkmale mit bestimmten Musikpräferenzen zusammenhängen können. Allerdings ist es wichtig, vorsichtig zu sein und keine voreiligen Schlüsse zu ziehen. Musikgeschmack ist ein komplexes Phänomen, das von vielen Faktoren beeinflusst wird.
Musik im Alltag
Musik kann uns im Alltag auf vielfältige Weise unterstützen. Sie kann uns beim Entspannen helfen, unsere Stimmung verbessern, unsere Konzentration fördern und uns beim Sport motivieren. Es lohnt sich, bewusst auf die Musik zu achten, die wir hören, und sie gezielt einzusetzen, um unser Wohlbefinden zu steigern.