Gehirnvolumen im Alter: Ein umfassender Überblick über Veränderungen und Resilienz

Das Altern des Gehirns ist ein komplexer Prozess, der viele Fragen aufwirft. Prof. Dr. Dorothea Hämmerer vom Fachbereich für Entwicklungspsychologie der Universität Innsbruck und dem Institut für Kognitive Neurologie und Demenzforschung der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg betont, dass es überraschend viele unbekannte Aspekte gibt, da die meisten Gehirnuntersuchungen bisher post mortem durchgeführt wurden. Dank neuer Technologien können Forschende nun jedoch Gehirne während des Alterungsprozesses untersuchen.

Beginn der Gehirnalterung und unterschiedliche Abbaugeschwindigkeiten

Allgemein wird angenommen, dass das Altern des Gehirns bereits in der dritten Lebensdekade beginnt. Nach dem biologischen Höhepunkt in der zweiten Lebensdekade gehen verschiedene Funktionen unterschiedlich schnell verloren. Die graue Gehirnsubstanz, die die neuronalen Zellkörper enthält, scheint früher zu schrumpfen als die weiße Substanz, die die Verbindungen zwischen den Zellen darstellt. Mit zunehmendem Alter beschleunigt sich dieser Schrumpfungsprozess.

Es ist wichtig zu beachten, dass Volumenverluste nicht zwangsläufig mit auffälligen Einbußen bei den kognitiven Funktionen einhergehen müssen. Ein älterer Mensch wird im Normalfall nicht das gleiche kognitive Niveau wie eine Person in den Zwanzigern haben, aber 80-Jährige mit einem für ihr Alter normalen kognitiven Niveau können bereits viel Hirnmasse verloren haben. Die interindividuellen Unterschiede im Umfang des Verlusts sind jedoch groß.

Kompensationsmechanismen des Gehirns

Der Umfang des Volumenverlusts hängt auch damit zusammen, dass unser Gehirn veränderbar ist und sich anpasst. Es verfügt über Kompensationsmechanismen, die es uns ermöglichen, uns beispielsweise mehr zu konzentrieren, wenn die Aufmerksamkeit nachlässt, oder mehr nachzudenken, wenn der Gedächtnisabruf schwieriger wird.

Heterogener Abbau in verschiedenen Gehirnregionen

Ein interessanter Aspekt der Gehirnalterung ist, dass nicht alle Gehirnregionen gleichermaßen schrumpfen. Im Alter lässt insbesondere das Gedächtnis nach. Auch die Exekutivfunktionen, wie Konzentrationsfähigkeit, Denkgeschwindigkeit, Flexibilität beim Themenwechsel und die Fähigkeit, mehrere Dinge gleichzeitig zu erledigen, leiden.

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Magnetresonanztomographie (MRT)-Untersuchungen haben bestätigt, dass Regionen, die die Gedächtnis- und Exekutivfunktionen unterstützen - wie der präfrontale Kortex und temporale Bereiche wie der Hippocampus - früher schrumpfen als Gehirnregionen, die auditorische, visuelle oder motorische Informationen verarbeiten.

Die Gründe für diesen heterogenen Abbau sind noch nicht vollständig verstanden, aber es gibt interessante Erklärungsansätze. Vergleiche mit den Gehirnen unserer nächsten Verwandten zeigen, dass die Bereiche, die bei Homo sapiens größer oder reicher an Neuronen sind, vor allem diejenigen sind, die wir im Alter schneller verlieren. Auch die Hirnbereiche, die im Erwachsenenalter länger für die Ausreifung brauchen, überlappen sich deutlich mit den Bereichen, die im Alter schneller verlorengehen. Dies könnte daran liegen, dass Menschen visuelle, auditorische oder motorische Informationen früh in ihrer Entwicklung verarbeiten können, lange bevor sie zu höheren kognitiven Leistungen fähig sind.

Die Hypothese "Last in - First out" besagt, dass sich die Gehirnbereiche, die sich später entwickeln, im Alter früher abbauen. Diese Hypothese lässt sich jedoch nicht für alle Regionen im Gehirn bestätigen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es Gehirnbereiche gibt, die stärker veränderbar sind als andere. Dies gilt in der Evolution, in der persönlichen Entwicklung zum Erwachsenenalter und auch im Altern.

Vaskularisierung und Mikro-Läsionen

Ein weiterer Aspekt der Gehirnalterung, der aktuell in den Fokus der Forschung rückt, ist die Vaskularisierung, also die Versorgung mit Blutgefäßen. Mithilfe verbesserter bildgebender Verfahren können Forschende nun den Einfluss der Durchblutung auf das Altern untersuchen.

Während große vaskuläre Ereignisse wie Schlaganfälle schon lange durch diese Verfahren dargestellt werden können, erlaubt die immer höhere Auflösung der MRT-Geräte mittlerweile auch die Darstellung und Analyse mikrovaskulärer Strukturen. Das Gefäßsystem des Gehirns ähnelt einem immer feiner werdenden Wurzelnetz eines Baums.

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Im Millimeterbereich können Forschende Mini-Schlaganfälle erkennen, die zu Mikro-Läsionen führen, also winzigen geschädigten Bereichen. Dieses Phänomen ist weit verbreitet und betrifft mehr als die Hälfte der über 60-jährigen Menschen. Mini-Schlaganfälle können ausschlaggebend für einen darauffolgenden Volumenverlust sein, da die Nährstoffzufuhr dadurch abgeschnitten wird. Es gibt die Hypothese, dass Alterserscheinungen wie Schwierigkeiten mit der Balance oder Konzentration mit diesen mikrovaskulären Verletzungen zusammenhängen.

Veränderungen in den Schichten der Hirnrinde

Vergesslichkeit, schlechtere Wahrnehmung und nachlassende Konzentrationsfähigkeit werden häufig mit dem Alterungsprozess in Verbindung gebracht. Der Grund dafür ist, dass die Hirnrinde dünner wird - ein charakteristisches Merkmal des menschlichen Alterns. Tübinger Forschenden ist es erstmals gelungen, mittels innovativer Bildgebungs- und Berechnungsmethoden die verschiedenen Schichten der Hirnrinde separat voneinander zu untersuchen und die Veränderungen der Hirnrindenschichten im Laufe des Alters zu messen.

Die Hirnrinde, auch Neokortex genannt, ist für höhere kognitive Funktionen wie Denken, Planen und Entscheidungsfindung verantwortlich und enthält hauptsächlich die grauen Nervenzellen. Die sechs Schichten der Hirnrinde bauen im Alterungsprozess unterschiedlich stark ab.

Häufig wird in der Alterungsforschung jedoch außer Acht gelassen, dass die Hirnrinde selbst aus sechs verschiedenen Schichten besteht, die jeweils eigene Funktionalitäten und eine eigene Anatomie aufweisen. Hereinkommende Signale werden zunächst in den mittleren Schichten verarbeitet und zur Weiterleitung dann in die oberen Schichten integriert. Die tieferen Schichten spielen insbesondere für die Filterung von Informationen eine Rolle, die bei Konzentration oder Multitasking notwendig ist.

Die Tübinger Forschenden konnten zeigen, dass nur die tieferen Schichten der Hirnrinde mit dem Altern abnehmen, nicht aber die mittleren und oberflächlichen Schichten. Dies erklärt möglicherweise die oft bemerkenswerten Fähigkeiten älterer Menschen, die Umgebung präzise wahrzunehmen und komplexe kognitive Aufgaben zu lösen. Weil die tieferen Hirnschichten, die für Signalverarbeitung und Filterfunktionen zuständig sind, im Alter dünner werden, fällt es älteren Menschen hingegen oft schwerer, störende Umgebungsgeräusche auszublenden oder sich auf mehrere Dinge gleichzeitig zu konzentrieren.

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Die Daten deuten auch darauf hin, dass das Gehirn die Teile der Hirnrinde vor dem Verfall bewahrt, die es auch häufig nutzt. So zeigten die mittleren Schichten, wo hereinkommende Signale verarbeitet werden, bei einer Person, die nur mit einem Arm geboren wurde, Anzeichen einer nutzungsabhängigen Plastizität des Gehirns. Also der Fähigkeit, sich strukturell zu verändern, wenn das bestimmte Gehirnareal kontinuierlich genutzt wird.

Die Forschenden untersuchten zwei Kohorten von Probanden, die jeweils in zwei Gruppen eingeteilt wurden: Die erste Kohorte bestand aus insgesamt 40 Probanden, davon jeweils 20 Jüngere (Altersschnitt 28 Jahre) und 20 Ältere (Altersschnitt 68 Jahre), genau wie die zweite Kohorte. Unter Einsatz von Tiermodellen an Mäusen konnten die Befunde ebenfalls reproduziert und so die zu Grunde liegenden Mechanismen aufgezeigt werden.

Die Rolle von Bildung und Lebensstil

Eine Studie des europäischen Forscherverbands "Lifebrain" widerlegte die gängige wissenschaftliche Meinung, dass Bildung beeinflusst, wie unser Gehirn altert. Die Anzahl an Bildungsjahren konnte den Alterungsprozess des Gehirns weder verlangsamen noch stoppen. Die Forschenden sahen sich in MRT-Aufnahmen die Gehirne von über 2.000 Studienteilnehmern an und fanden keinen Zusammenhang zwischen früherer Bildung und der Alterung des Gehirns.

Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass dies nicht bedeutet, dass Bildung und ein aktiver Lebensstil keinen Einfluss auf die Alterung des Gehirns haben. Es gibt klare Belege dafür, dass Bewegung, Ernährung, ein großes soziales Netzwerk und eine intellektuell stimulierende Umgebung durchaus einen Einfluss haben. Menschen mit höherer Bildung haben oft ein etwas größeres Gehirn und mehr kognitive Fähigkeiten, die sogenannte "kognitive Reserve".

Resilienz im Alter

In einer immer älter werdenden Gesellschaft ist die Frage, wie wir gesund und vital bis ins hohe Lebensalter bleiben, von zentraler Bedeutung. Gesundes Altern, das heißt tatsächlich bis ins hohe Alter den üblichen gesundheitlichen Alterseinschränkungen wie beispielsweise einer Abnahme kognitiver Fähigkeiten zu entgehen, gelingt in der Regel nur einem kleineren Teil alternder Menschen.

Die Forschung konzentriert sich zunehmend auf die Frage, welche biologischen Mechanismen gesund alternde Menschen schützen. Diese Mechanismen zu verstehen, ist ein wesentliches Ziel des Leibniz-Instituts für Resilienzforschung (LIR) und der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz.

Professor Dr. Oliver Tüscher betont, dass es ein sehr komplexes Zusammenspiel von Faktoren gibt, die dazu führen, dass die Mehrzahl der Menschen im Alter Funktionsverluste erleiden. Seine Forschung konzentriert sich auf die Frage, welche Schutzsysteme diese Funktionsverluste vermeiden oder verlangsamen.

Erste Ergebnisse zeigen, dass die Gehirne von kognitiv gesunden, resilienten älteren Menschen besser intern vernetzt sind als die Gehirne von älteren Menschen mit Funktionsverlusten. Auch körperliche Aktivität, eine mediterrane Diät und soziale Interaktion spielen eine wichtige Rolle für die Gehirngesundheit im Alter.

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