Zöliakie ist mehr als nur eine Nahrungsmittelunverträglichkeit; es ist eine chronische Autoimmunerkrankung, die verschiedene Organsysteme betreffen kann. Die Erkrankung kann in jedem Alter auftreten und wird durch eine lebenslange Reaktion des Immunsystems auf Gluten, insbesondere Gliadin, ausgelöst. Gluten findet sich in verschiedenen Getreidearten wie Weizen, Dinkel, Roggen und Gerste sowie in alten Weizensorten wie Einkorn, Emmer und Kamut®.
Entstehung und Ursachen der Zöliakie
Die Zöliakie tritt nur bei Menschen mit einer entsprechenden genetischen Veranlagung auf. Im Rahmen der Erkrankung kommt es zur Bildung von Antikörpern und Veränderungen der Schleimhaut im Zwölffingerdarm. Die genauen genetischen Merkmale, die Antikörper und die Ausprägung der Schleimhautveränderungen können von Person zu Person unterschiedlich sein. Es handelt sich nicht um eine Allergie oder Unverträglichkeit im herkömmlichen Sinne, sondern um eine Autoimmunreaktion, die durch eine glutenfreie Ernährung zum Abklingen gebracht werden kann.
Die Rolle von Gluten und der Darmschleimhaut
Bei gesunden Menschen wird die aufgenommene Nahrung im Dünndarm in ihre Bestandteile zerlegt und über die Schleimhaut in den Körper aufgenommen. Der Dünndarm ist mit vielen Falten, den sogenannten Zotten, ausgekleidet, um eine möglichst große Oberfläche zur Nährstoffaufnahme zu erhalten. Bei Menschen mit Zöliakie führt die Aufnahme von Gluten zu einer Entzündung der Darmschleimhaut, was zur Folge hat, dass sich die Zotten zurückbilden. Dadurch verringert sich die Oberfläche des Dünndarms, und es können nicht mehr genügend Nährstoffe aufgenommen werden. Dies führt im Laufe der Erkrankung zu Nährstoffdefiziten, die verschiedene Beschwerden auslösen können. Einige Symptome entstehen jedoch vermutlich auch durch entzündliche Prozesse an Organen und Strukturen außerhalb des Darms, unabhängig von Nährstoffdefiziten.
Genetische und Umweltfaktoren
Erbliche Faktoren spielen eine wichtige Rolle bei der Zöliakie und bilden die Grundlage für die Erkrankung. Eine weitere Voraussetzung ist der Verzehr von glutenhaltigen Lebensmitteln. Aber auch das Immunsystem, Infektionen, die übrige Ernährung und andere Umweltfaktoren scheinen die Entwicklung der Krankheit zu beeinflussen.
Epidemiologie und Manifestation der Zöliakie
Früher ging man davon aus, dass etwa einer von 1000 bis 2000 Menschen in Deutschland von Zöliakie betroffen ist. Aktuellere Schätzungen gehen davon aus, dass ungefähr ein Prozent der Bevölkerung betroffen ist. Allerdings liegt nur bei einem kleinen Teil der Betroffenen das klassische Vollbild der Zöliakie vor. Die Erkrankung kann grundsätzlich in jedem Lebensalter ausbrechen, wobei die meisten Fälle sich bereits im Kindesalter manifestieren, oft ohne Symptome zu verursachen. Daher kann die Zöliakie über viele Jahre oder Jahrzehnte unentdeckt bleiben, wenn sie keine oder nur geringe Symptome verursacht.
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Zöliakie im Kindesalter
Eine Zöliakie kann sich frühestens dann entwickeln, wenn Gluten in die Beikost aufgenommen wurde, etwa 3 bis 6 Monate nach Einführung glutenhaltiger Nahrung. Bei sehr jungen Patienten zeigen sich oft klassische Symptome wie Gedeihstörungen, Appetitlosigkeit, Erbrechen und Durchfälle. Allerdings können auch normaler Stuhlgang oder Verstopfung vorliegen. Ein aufgeblähter Bauch ist typisch für viele Kinder. Auch Wesensveränderungen wie Weinerlichkeit, Missmutigkeit und mangelndes Interesse am Spielen werden beobachtet. Je älter die Kinder bei Erkrankungsbeginn sind, desto häufiger treten untypische Verläufe ohne das klassische Bild der Zöliakie auf. Die Erkrankung kann sich auch nur durch ein einzelnes Symptom bemerkbar machen, was oft zu einer verzögerten Diagnose führt. Ausgeprägter Eisenmangel, eine verspätete Pubertätsentwicklung oder zögerliches Wachstum sollten an eine Zöliakie denken lassen. Erhöhte Leberwerte unklarer Ursache oder Zahnschmelzdefekte an den bleibenden Zähnen sollten ebenfalls abgeklärt werden. Eine Biopsie zur Diagnosestellung ist in vielen Fällen notwendig, kann aber unter bestimmten Bedingungen vermieden werden. Die Entscheidung sollte in Absprache mit einem Kindergastroenterologen getroffen werden.
Zöliakie im Erwachsenenalter
Die Zöliakie des Erwachsenen ist das gleiche Krankheitsbild wie bei Kindern. Früher wurde sie auch als Sprue bezeichnet, dieser Begriff sollte aber heute nicht mehr verwendet werden. Viele Patienten sind zwischen 30 und 40 Jahre alt, wenn die Zöliakie erstmals entdeckt wird, sie kann jedoch auch jenseits des 60. Lebensjahres auftreten. Trotz verbesserter Diagnostik wird die Diagnose häufig erst Jahre nach dem Auftreten der ersten Krankheitszeichen gestellt, da selten das Vollbild mit massivem Gewichtsverlust und Durchfall vorliegt. Es überwiegen Verläufe, bei denen nur wenige oder einzelne Symptome auftreten, was als symptomatische oder subklinische Zöliakie bezeichnet wird. Ein ungeklärter Eisenmangel ist oft das einzige Symptom. Oftmals klagen die Betroffenen auch über unspezifische Beschwerden wie Müdigkeit, Appetitlosigkeit, Heißhunger, Blähungen oder Bauchbeschwerden. Das Spektrum der Symptome ist extrem breit und variabel.
Neurologische Symptome der Zöliakie
Bei vielen Personen äußert sich die Zöliakie durch Mängel an bestimmten Vitaminen oder Mineralstoffen wie Eisen, Folsäure, Vitamin B12 oder Zink. Bei anderen treten Beschwerden und Krankheitszeichen an Organen außerhalb des Magen-Darm-Trakts auf, sogenannte extraintestinale Symptome. Hier ist es eine besondere Herausforderung, eine Zöliakie festzustellen. Grundsätzlich kann praktisch jedes Organ betroffen sein, wobei Leber, Knochen, Haut, gynäkologische und neurologische Symptome am häufigsten vorkommen. Hierzu zählen z.B. Zyklusstörungen, Unfruchtbarkeit, Depressionen, Migräneanfälle oder Leberwerterhöhungen unbekannter Ursache.
Risikogruppen
Es gibt bestimmte Risikogruppen, bei denen eine höhere Wahrscheinlichkeit besteht, eine Zöliakie zu entwickeln. Besonders häufig betroffen sind Familienangehörige ersten Grades von Zöliakie-Patienten, die in 10-15% der Fälle erkranken. Daher sollten Eltern, Geschwister und Kinder von Betroffenen untersucht werden. Eine Blutuntersuchung auf zöliakietypische Antikörper ist in den meisten Fällen ausreichend. Eine weitere Gruppe sind Personen mit bestimmten chromosomalen Veränderungen wie dem Down-Syndrom, dem Turner-Syndrom und dem Williams-Beuren-Syndrom.
Glutenunverträglichkeit und ihre vielfältigen Erscheinungsformen
Die Glutenunverträglichkeit umfasst alle Erkrankungen, die im Zusammenhang mit der Aufnahme glutenhaltiger Nahrung stehen. Dazu zählen die Zöliakie, die Weizenallergie und die Glutensensitivität. Da Gluten über die Nahrung aufgenommen wird, werden meist gastroenterologische Symptome erwartet. Es ist jedoch mittlerweile klar, dass sich die Glutenunverträglichkeit auch an weiteren Organen manifestieren kann, z.B. in der Haut (Dermatitis herpetiformis Duhring) oder im Gehirn (z.B. Gluten-Ataxie).
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Diagnostik neurologischer Manifestationen
Bei neurologischen Erkrankungen ist die Möglichkeit der Biopsie ausgeschlossen. Die serologische Testung auf Antikörper gegen humane neuronale Transglutaminase 6 (TG6) eröffnet die Möglichkeit der Identifikation von Patienten mit einem erhöhten Risiko für neurologische Manifestationen einer Glutenunverträglichkeit.
Die Rolle von Transglutaminase 6 (TG6)
Die Pathogenese der Gluten-induzierten neurologischen Krankheitsbilder ist noch nicht gänzlich geklärt. Die Patienten haben häufig eine abnorme MR-Spektroskopie des Kleinhirns und weisen Läsionen der weißen Substanz bzw. zerebelläre Atrophien auf. Transglutaminase 6 (TG6) ist eng verwandt mit Gewebstransglutaminase 2 (TG2, dem Autoantigen bei Zöliakie) und epidermaler Transglutaminase 3 (TG3, dem Autoantigen bei Dermatitis herpetiformis). Es wird angenommen, dass TG6 als Autoantigen bei glutenbedingten neurologischen Erkrankungen fungiert. Ablagerung von gegen TG6 gerichtetem IgA wurden in Gefäßen aus Kleinhirngewebe von Gluten-Ataxie Patienten beobachtet. TG6 wird im zerebellären Kortex (in Purkinje-Zellen), aber auch im Thalamus (motorischer Kontrollpunkt) exprimiert. Die bei den Patienten beobachtete signifikante Thalamusatrophie und Tendenz zur zerebellären Atrophie stehen daher im Einklang mit dem Verlust von TG6-Neuronen, die möglicherweise zu einer Beeinträchtigung der GABA-ergen inhibitorischen Bahnen führen.
TG6 in der Diagnostik gluten-assoziierter Erkrankungen
Rund 1/4 der erwachsenen Zöliakiepatienten weisen neurologische Symptome auf. Anti-TG6 konnte bei bis zu 85 % der Zöliakiepatienten mit neurologischer Beteiligung nachgewiesen werden. Einerseits kann dies durch eine Kreuzreaktivität der TG2-Autoantikörper mit TG6 erklärt werden, andererseits entstehen auch direkt Autoantikörper gegen andere Mitglieder der Transglutaminase-Familie, insbesondere gegen TG6. Besonders Patienten, die sich nicht strikt glutenfrei ernähren, bilden vermehrt Antikörper gegen TG6. Durch diese Nicht-Einhaltung der glutenfreien Diät (GFD) erhöht sich das Risiko für eine neurologische Manifestation der Glutenunverträglichkeit. Dabei steigt das Risiko mit der Dauer der Exposition gegenüber Gluten an. Die Untersuchung der TG6-Autoantikörper eignet sich, um Zöliakiepatienten mit einem Risiko für neurologische Erkrankungen zu identifizieren und sie so zu einer sehr strikten GFD zu motivieren, um möglichen neurologischen Begleiterkrankungen vorzubeugen.
TG6-Autoantikörper bei Glutensensitivität (NCGS)
Etwa ein Drittel der symptomatischen Patienten, die negativ auf TG2 getestet wurden, haben jedoch isoliert Autoantikörper gegen andere Transglutaminasen gebildet. Die Prävalenz positiver TG6-Autoantikörper ist bei Patienten mit diagnostizierter Zöliakie oder NCGS vergleichbar. Auch ähneln sich in diesem Fall die dokumentierten neurologischen Symptome, die auch mit vergleichbarer Häufigkeit auftreten. Die Bestimmung von Autoantikörpern gegen TG6 liefert NCGS-Patienten eine klare Diagnose, die Möglichkeit einer gezielten Behandlung durch eine strikt glutenfreie Diät und verringert das Risiko für neurologische Erkrankungen.
Gluten-Ataxie (GA)
Die Gluten-Ataxie (GA) macht 15 % aller Ataxien aus, betrifft insbesondere Patienten > 50 Jahre und ist gekennzeichnet durch ein allmähliches Auftreten von Gangataxie, verbunden mit peripherer Neuropathie. Gelegentlich kann sie schnell fortschreitend sein, ähnlich wie bei der paraneoplastischen zerebellären Degeneration. Bei entsprechendem Verdacht ist der Nachweis von Auto-Antikörpern gegen TG6 spezifisch für eine GA. Entsprechend wird diese Untersuchung auch von der Leitlinie für die Diagnostik und Behandlung progressiver Ataxien als sensitiver Marker für eine Gluten-induzierte Ataxie empfohlen. Bei positivem Testergebnis sollte auch bei fehlender Enteropathie eine strikt glutenfreie Diät erfolgen.
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Gluten-Neuropathie
Neben der Gluten-Ataxie kann auch eine Gluten-Neuropathie auftreten, die sich in einer Schwäche der Extremitäten, Taubheitsgefühl oder Kribbeln bis hin zu neuropathischen Schmerzen in Händen und Füßen äußert. Auto-Antikörper gegen TG6 dienen in diesem Fall der Diagnose der Gluteninduzierten Neuropathie. Auch in diesem Fall ist eine strikt glutenfreie Diät indiziert.
Prävalenz von TG6-Autoantikörpern bei ausgewählten Erkrankungen
- Gluten-Ataxie: 73 %
- Zöliakie-Patienten: 40 %
- Zöliakie-Patienten mit nachgewiesener neurologischer Beteiligung: 85 %
- NCGS-Patienten mit neurologischen Symptomen: 60 %
- Zerebralparesen: 15 %
- Schizophrenie (Zöliakie-AAk negativ): 13 %
- Gesunde: < 4 %
Differentialdiagnosen behandelbarer Ataxien
Neben der Gluten-Ataxie gibt es weitere Ataxien, die behandelbar sind, daher ist die Diagnose dieser Erkrankungen ebenfalls wichtig und sollte differentialdiagnostisch berücksichtigt werden.
| Ataxie-Auslöser | Diagnostik |
|---|---|
| Gluten | Transglutaminase 6-AAk im Serum |
| Vitamin B12-Mangel/ Autoimmungastritis | Gesamt-Vitamin B12, HoloTC, MMA, Parietalzell-/IntrinsicFaktor-AAk im Serum, Homocystein im Citrat-Plasma |
| Vitamin B1 Mangel/ Alkoholismus | B-Vitaminstatus bioaktiv |
| Vitamin E-Mangel/ Abetalipoproteinämie | Vitamin E im Serum (24H) LDL und VLDL im Serum |
| Zerebrotendinöse Xanthomatose | Cholestanol im Serum, CYP27A1-Mutation |
| Morbus Niemann-Pick Typ C | Untersuchung des Cholesterol-Stoffwechsels, Neurogenetische Diagnostik auf NPC1 und NPC2 Gen |
| Vergiftung | Medikamentenspiegel, B-Vitaminstatus bioaktiv, Toxische Metalle im EDTA-Blut |
| Infektionen | Syphilis, Herpes Zoster, Eppstein-Barr-Virus, HIV, Borreliose |
| Paraneoplatische Syndrome | Internistische Diagnostik |
Fallbeispiel: Zöliakie als Ursache psychiatrischer und neurologischer Symptome
Ein Fallbericht schildert einen 38-jährigen Mann, der aufgrund von Angstzuständen und aggressivem Verhalten in eine psychiatrische Klinik eingewiesen wurde. Nach einer Odyssee von Fehldiagnosen und erfolglosen Behandlungen wurde schließlich eine Zöliakie diagnostiziert. Durch eine strikte glutenfreie Diät verschwanden die neurologischen Symptome, und der Patient konnte ein normales Leben führen.
Weitere Symptome und Beschwerden bei Zöliakie
Eine Zöliakie kann sich durch vielfältige Beschwerden äußern, darunter Magen-Darm-Beschwerden, Appetitlosigkeit, Müdigkeit, Stimmungsveränderungen und Hautprobleme. Manchmal macht sie sich aber auch gar nicht bemerkbar. Bei einer Zöliakie reagiert das Immunsystem überempfindlich auf Gluten, was zu einer Entzündung der Schleimhaut des Dünndarms führt. Auch hinter Schwindel und Bewegungsstörungen (Ataxie) kann eine Zöliakie stecken. Bei Erwachsenen kann sich die Zöliakie zudem über die Haut äußern (Dermatitis herpetiformis Duhring). Unabhängig von spürbaren Symptomen führt die Zöliakie zu einer Entzündung im Dünndarm, die zu einem Nährstoffmangel führen kann.
Nicht-Zöliakie-Glutensensitivität (NCGS)
Neben der Zöliakie gibt es die Nicht-Zöliakie-Glutensensitivität (NCGS), bei der Patienten ähnliche Symptome wie bei Zöliakie zeigen, obwohl keine Zöliakie oder Weizenallergie vorliegt. Die Pathophysiologie dieser Störung ist noch nicht eindeutig geklärt, aber vermutlich sind neben Gluten auch andere Getreidebestandteile wie Amylase-Trypsin-Inhibitoren (ATI) und FODMAP für die Symptome verantwortlich. Eine glutenfreie Diät kann bei gesicherter Diagnose auch langfristig Beschwerden lindern.
Therapie der Zöliakie und NCGS
Die Therapie der Zöliakie und NCGS besteht in erster Linie in einer glutenfreien Diät. Bei Zöliakie ist eine lebenslange, strikte Diät erforderlich, um die Entzündung im Dünndarm zu verhindern und Nährstoffmängel zu vermeiden. Bei NCGS ist die Diät eine rein symptomatische Behandlung, und es ist möglicherweise keine lebenslange, strikte Diät erforderlich. Nach einer Karenzphase mit glutenfreier Diät kann eine graduelle Reexposition von Glutenprodukten ausprobiert werden, um eine individuelle Toleranzgrenze zu ermitteln.
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