Aaron Hernandez: Die Tragödie eines Footballstars und die erschreckenden Folgen von CTE

Aaron Hernandez war ein fröhlicher und gesunder Junge aus einer Kleinstadt in Connecticut. Sein sportliches Talent zeigte sich früh, erst in der Highschool-Basketballmannschaft, später als Tight End an der University of Florida. 2010 gelang ihm mit den New England Patriots der Durchbruch in der NFL als jüngster Spieler. Eine erfolgreiche Karriere schien ihm bevorzustehen. Doch hinter der Fassade des gefeierten Footballstars verbarg sich ein Leben im Abgrund. Hernandez steckte tief im Drogensumpf und führte ein Doppelleben zwischen schillernder TV-Persönlichkeit und aggressivem Gangmitglied.

Nur drei Jahre nach seinem NFL-Debüt wurde die Leiche von Odin Lloyd gefunden, auf den Hernandez nach einem Streit mehrfach geschossen hatte. Der Mittzwanziger wurde unter Mordverdacht festgenommen und zu lebenslanger Haft verurteilt. Einige Tage nach einem zweiten Gerichtsprozess, in dem ihm zwei weitere Morde zur Last gelegt wurden, fand man ihn erhängt in seiner Zelle. Es gab keine Zweifel: Hernandez hatte Selbstmord begangen.

Was war geschehen? Wie konnte es so weit kommen? Die Antwort liegt in einer erschreckenden Diagnose: Aaron Hernandez litt an Chronisch Traumatischen Enzephalopathie (CTE), einer neurodegenerativen Hirnerkrankung.

Was ist CTE?

CTE ist ein Krankheitsbild, das durch häufige Kopfverletzungen und daraus resultierende Nervenschädigungen im Gehirn entsteht. Betroffen sind typischerweise Kontaktsportler wie Eishockeyspieler, Boxer oder Footballspieler, die im Laufe ihrer Karriere wiederholt Schläge oder Stürze auf den Kopf erleiden. Interessanterweise können Schäden im Gehirn auch ohne offensichtliche Symptome wie Gehirnerschütterungen langfristige Beeinträchtigungen verursachen.

Der Mechanismus der Hirnschädigung

Die Neuronen unseres Gehirns bestehen aus Zellkörpern und langen, dünnen Fortsätzen, die die Signalweiterleitung über weite Strecken ermöglichen. Diese mikroskopisch dünnen Fortsätze werden durch röhrenförmige Eiweißkomplexe stabilisiert, die wiederum mit Hilfe von Tau-Proteinen in der Wand verankert sind. Nervenzellen sind so angeordnet, dass die Zellkörper die äußere, graue Substanz des Gehirns bilden, während die langen Fortsätze in die innere, weiße Substanz ragen.

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Bei einem traumatischen Stoß oder Schlag auf den Kopf gerät das Gehirn ruckartig in Bewegung und prallt von innen gegen den Schädelknochen. Die langen Fortsätze der Neurone werden gedehnt oder gestaucht. Durch diesen starken, ruckartigen Impuls lösen sich die essenziellen Tau-Proteine, und der Proteinkomplex verliert an Stabilität. Solche Vorgänge können für die Nervenzelle tödlich sein.

Die freigesetzten Tau-Proteine können weitere Probleme verursachen, selbst bei weniger schweren Nervenschädigungen durch leichtere Kopfverletzungen. Anstatt abgebaut zu werden, sammeln sie sich zu Klumpen an, die weitere, noch nicht gelöste Tau-Proteine aus ihrer Verbindung entfernen und mitreißen. Dies führt zu einem Dominoeffekt, der über einen langen Zeitraum zum Absterben zahlreicher Zellen führen kann.

Langzeitfolgen von CTE

Durch den beschriebenen langsamen Zerfall treten viele Symptome erst Jahre nach Beginn der Sportkarriere auf. Bei einigen Betroffenen manifestiert sich das Syndrom erst im hohen Alter, lange nach Beendigung der sportlichen Aktivität. Ähnlich wie Aaron Hernandez, wenn auch meist weniger stark ausgeprägt, leiden die Betroffenen unter Verhaltensauffälligkeiten wie Impulsivität, Aggressionen und Gewalttätigkeit. Auch Stimmungsstörungen wie Depressionen und Hoffnungslosigkeit gehören zur Symptomatik. In späten Stadien der Erkrankung entwickelt sich in allen Fällen eine Demenz, oft in Kombination mit massiven optischen und motorischen Einschränkungen.

Aaron Hernandez: Ein tragischer Einzelfall?

Der Fall von Aaron Hernandez ist besonders tragisch, da er im Alter von nur 27 Jahren bereits schwere CTE-Symptome aufwies. Die Forscher des Boston University CTE Center stellten bei der Untersuchung seines Gehirns fest, dass die Schäden denen eines 46-jährigen oder älteren Menschen entsprachen. Bereiche des Gehirns, die für Gedächtnis, Verhalten und Impulskontrolle zuständig sind, waren stark beeinträchtigt.

Die Diagnose CTE wirft ein neues Licht auf die Verbrechen von Hernandez. Es stellt sich die Frage, inwieweit die Erkrankung seine Handlungen beeinflusst hat. Seine Anwälte führten CTE in früheren Verfahren als Grund dafür an, dass Hernandez "ein chaotisches und furchtbares Dasein geführt" habe.

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Die Witwe von Aaron Hernandez verklagte die NFL und die New England Patriots. Sie wirft der Liga und dem Verein vor, die Gefahren des Footballsports verschwiegen zu haben und für die Hirnschädigungen ihres Mannes verantwortlich zu sein.

CTE im American Football: Ein systemisches Problem?

Der Fall von Aaron Hernandez ist kein Einzelfall. Studien haben gezeigt, dass CTE bei ehemaligen Footballspielern weit verbreitet ist. Eine Studie der Boston University und des VA Boston Healthcare System fand CTE in 110 von 111 untersuchten Gehirnen ehemaliger Footballspieler.

Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass CTE ein systemisches Problem im American Football ist. Die wiederholten Schläge auf den Kopf, die die Spieler während ihrer Karriere erleiden, können zu schweren Hirnschäden führen.

Die NFL hat in den letzten Jahren Maßnahmen ergriffen, um die Sicherheit der Spieler zu verbessern. Es wurden Regeln geändert, um harte Tacklings und Kopfstöße zu reduzieren. Die Liga investiert auch in die CTE-Forschung.

Allerdings sind diese Maßnahmen möglicherweise nicht ausreichend, um das Problem zu lösen. CTE kann auch durch weniger starke Kollisionen über einen längeren Zeitraum verursacht werden. Da diese im Footballsport grundsätzlich nicht zu vermeiden sind, stellt sich die Frage, ob Football überhaupt ein langfristig sicherer und gesunder Sport sein kann.

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CTE in anderen Sportarten und im Alltag

CTE ist nicht nur ein Problem des American Football. Auch in anderen Kontaktsportarten wie Boxen, Eishockey und Fußball besteht ein erhöhtes Risiko für CTE. Darüber hinaus können auch Soldaten, die Explosionstraumata erleiden, und Opfer häuslicher Gewalt an CTE erkranken.

Eine Studie des Albert Einstein College of Medicine (Bronx) ergab, dass Fußballspielerinnen nach Kopfbällen mehr neuronale Schäden davontragen als ihre männlichen Kollegen. Dies deutet darauf hin, dass auch im Fußball ein Bewusstsein für die Risiken von Kopfverletzungen geschaffen werden muss.

Was kann man tun?

Eine spezifische Therapie für CTE gibt es derzeit nicht. Ähnlich wie bei anderen Demenzformen versucht man, die Degeneration durch unterstützende Maßnahmen zu verlangsamen. Eine helle und freundliche Umgebung mit Hilfsmitteln zur Orientierung kann hilfreich sein.

Da CTE bislang nur postmortem im histologischen Hirnpräparat diagnostiziert werden kann, ist nicht klar, wie viele Sportler und andere Risikogruppen wirklich an der Erkrankung leiden. Eine gründliche CTE-Vorsorge wäre nur systemisch über Sportorganisationen oder äquivalente Institutionen möglich, was jedoch unrealistisch erscheint.

Prävention als Schlüssel

Die beste Möglichkeit, CTE zu bekämpfen, ist die Prävention. Kinder und Jugendliche sollten vor den Risiken von Kopfverletzungen im Sport aufgeklärt werden. Es sollten Maßnahmen ergriffen werden, um die Anzahl und Schwere von Kopfverletzungen zu reduzieren. Dazu gehören Regeländerungen, bessere Schutzausrüstung und eine verbesserte medizinische Versorgung.

Auch im Alltag sollten Kopfverletzungen vermieden werden. Das Tragen eines Helms beim Fahrradfahren oder Skateboarden kann das Risiko von Hirnschäden deutlich reduzieren.

Die Zukunft des Football und anderer Risikosportarten

Die Zukunft des American Football und anderer Kontaktsportarten ist ungewiss. Seit sich die NFL öffentlich zu den Hirnschädigungen äußerte und vermehrte Kontrollen einführte, scheint das Bewusstsein für mögliche Folgen in der Bevölkerung angekommen zu sein. Immer weniger Eltern melden ihre Kinder beim Footballtraining an, immer mehr Highschool- und Uniteams suchen verzweifelt nach Nachwuchs. Noch erfreut sich zumindest der Profisport ungebremst hoher Popularität. Doch die langfristigen Folgen von CTE könnten dazu führen, dass diese Sportarten in Zukunft weniger populär werden.

Es ist wichtig, dass Sportorganisationen, Trainer, Athleten und Eltern sich der Risiken von CTE bewusst sind. Nur so können wir die notwendigen Maßnahmen ergreifen, um die Gesundheit und Sicherheit der Sportler zu schützen.

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