Neue Studien geben Aufschluss darüber, wie unser Gehirn altert. Viele Menschen glauben, dass der geistige Abbau erst im hohen Alter beginnt, doch die Realität sieht anders aus. Neurophysiologe Gerd Wirtz erklärt, dass unser Gehirn bereits viel früher an Leistung verliert. Dieser Artikel beleuchtet, ab wann der Abbau des Gehirns beginnt, welche Prozesse dabei ablaufen, welche Faktoren ihn beeinflussen und was man dagegen tun kann.
Die Reifung und der beginnende Abbau
Bis zum Alter von 25 Jahren reift das Gehirn beständig, wird größer und entwickelt sich. Danach beginnt es langsam abzubauen. Dieser Abbauprozess ist schleichend und zunächst kaum merkbar. Deutlicher werden die Anzeichen meist ab etwa dem Alter von 50 Jahren.
Vergleich mit Schimpansen
Auch Schimpansen merken, dass sie älter werden. Sie sind nicht mehr so beweglich und brauchen länger, um Nahrung zu finden. Was uns von Schimpansen unterscheidet, sind unsere Fähigkeiten, zu sprechen oder komplizierte rationale Entscheidungen zu treffen. Interessanterweise altern ähnliche Bereiche bei Menschen und Schimpansen, aber beim Menschen sind die größten Alterungseffekte genau in den Bereichen zu finden, die sich am meisten verändert haben.
Das Prinzip "Last in, first out"
Die letzten entscheidenden Entwicklungen zum Menschen haben ihren Preis. Die Erkenntnisse stützen das Prinzip "Last in, first out". Die Hirnareale, die sich als letztes entwickeln, bauen sich auch als erstes wieder ab. Dazu gehört vor allem die Region des präfrontalen Kortex.
Der präfrontale Kortex
Der präfrontale Kortex ist ein Spätzünder und lässt sich mit der Entwicklung noch bis Mitte 20 Zeit. Eine anerkannte Hypothese besagt, dass genau die Hirnregionen als erste von der normalen Alterung betroffen sind, die sich als letzte entwickeln. Die exekutiven Funktionen - beispielsweise die Fähigkeit, seine Aufmerksamkeit zu steuern - sind durch fortschreitendes Alter am meisten beeinträchtigt. Und genau diese Fertigkeiten hängen sehr stark von der Aktivität im Stirnhirn ab.
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Die "Gehirn-Uhr" und das biologische Alter
Ein Forschungsteam aus Chile versuchte mittels einer "Gehirn-Uhr" vorherzusagen, ob das menschliche Gehirn schneller altert, als sein chronologisches Alter vermuten lässt. Dafür untersuchten sie, wie gut die einzelnen Hirnregionen miteinander agieren. Eine Hirnalterslücke von zehn Jahren bei einer 50-jährigen Person bedeutet, dass ihre eigentliche Gehirnleistung der einer 60-jährigen Person entspricht. Somit ist ihr Gehirn älter, als es für ihr eigentliches chronologisches Alter vorgesehen wäre.
Faktoren, die das Altern beeinflussen
Das Altern des Gehirns wird auch durch unsere Lebensweise bedingt. Umweltverschmutzung, Kultur, sozioökonomische Bedingungen und Ernährung können unser Altern beschleunigen oder hinauszögern. Zum normalen Alterungsprozess kommen neurodegenerative Krankheiten wie Parkinson hinzu, die das Altern beschleunigen. Dabei ist der Unterschied zum normalen Altern nicht so groß.
Veränderungen im Gehirn im Laufe des Lebens
Forschende am Max-Planck-Institut für Psychiatrie kamen zum Ergebnis, dass sich die Genaktivität in verschiedenen Zelltypen des Gehirns im Laufe des Lebens verändert. Diese kann dann nicht mehr so schnell ablaufen wie früher. Damit ist zu erklären, dass wir im Alter vergesslicher werden.
Die Rolle der Genetik und des Lebensstils
Die genetischen Grundvoraussetzungen, die uns anfälliger fürs Altern machen, können wir nicht beeinflussen. Doch laut Hoffstaedter können wir das Altern etwas hinauszögern. Bisher war die gängige wissenschaftliche Meinung: Bildung beeinflusst, wie unser Gehirn altert. Mehr Bildung, langsamere Alterung. Doch genau diesen Zusammenhang widerlegten nun Forschende von "Lifebrain", einem großen europäischen Forscherverband.
Bildung und Gehirnalterung: Eine Neubewertung
Professor Ulman Lindenberger, Direktor des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung, ist einer der Autoren der Studie. Mit "Schrumpfen" ist die Abnahme der grauen Substanz im Gehirn gemeint, das Absterben von Nervenzellen. Ob nun also Jurastudium oder Schreinerlehre: Die Anzahl an Bildungsjahren könne diesen Alterungsprozess weder verlangsamen noch stoppen.
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Kritik an der Neubewertung
Professor Lutz Jäncke, Leiter des Psychologischen Instituts an der Uni Zürich, kritisiert diese verkürzte Darstellung von Bildung. Entscheidend ist vor allen Dingen, was die Menschen nach der Schulzeit, nach der Ausbildung bis zum Pensionsalter machen, ob sie eine anspruchsvolle berufliche Tätigkeit machten, sich weiterbilden. Unser Gehirn ist wie ein Muskel aufzufassen, der durch Übung und Training stimuliert wird.
Was passiert im Gehirn während des Abbauprozesses?
Im Laufe der Zeit schrumpfen unsere Nervenzellen, was einen natürlichen Teil des Alterungsprozesses darstellt. Dabei kommt es zu einem Verlust von Synapsen, den Verbindungen zwischen den Nervenzellen. Weniger Synapsen bedeuten, dass die Kommunikation zwischen den Neuronen abnimmt, was unser Gedächtnis, unsere Aufmerksamkeit und unsere Reaktionsgeschwindigkeit beeinträchtigt.
Veränderungen im Stoffwechsel und der Kommunikation
Der Stoffwechsel im Gehirn verändert sich ebenfalls. Dieser biochemische Prozess, der für die Energieversorgung der Nervenzellen verantwortlich ist, wird weniger effizient. Mit weniger Energie können die Nervenzellen nicht mehr so gut arbeiten, was zu einer allgemeinen Verringerung der kognitiven Leistungsfähigkeit führt. Auch die Kommunikation zwischen den Zellen verschlechtert sich, da die Produktion von Neurotransmittern nachlässt.
Die Rolle der Neurotransmitter
Neurotransmitter sind chemische Botenstoffe, die Signale zwischen den Nervenzellen übertragen. Bekannte Neurotransmitter wie Dopamin, Serotonin und Acetylcholin sind besonders betroffen. Dopamin spielt eine wichtige Rolle bei der Steuerung von Bewegungen und der Motivation, Serotonin beeinflusst unsere Stimmung und unser Wohlbefinden, und Acetylcholin ist entscheidend für Gedächtnis und Lernen. Mit dem Rückgang dieser Botenstoffe wird die neuronale Kommunikation gestört.
Proteinablagerungen und Entzündungen
Zusätzlich können sich im Gehirn mit der Zeit abnormale Proteinablagerungen ansammeln. Diese Ablagerungen sind charakteristisch für neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer und beeinträchtigen die Funktion der Neuronen weiter, indem sie Entzündungen und Zellschäden verursachen. Entzündungsprozesse im Gehirn nehmen ebenfalls zu, was die Nervenzellen zusätzlich schädigen kann.
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Fluide vs. kristalline Intelligenz
Unsere Intelligenz besteht aus verschiedenen Komponenten, von denen die fluide und die kristalline Intelligenz besonders wichtig sind. Fluide Intelligenz ist die Fähigkeit, logisch zu denken, Probleme zu lösen und sich an neue Situationen anzupassen. Sie ermöglicht es uns, neue Informationen zu verarbeiten und kreative Lösungen zu finden. Doch leider nimmt diese Fähigkeit mit dem Alter ab.
Der Einfluss des Gehirnabbaus auf die fluide Intelligenz
Fluide Intelligenz ist stark von der aktuellen Funktionalität unseres Gehirns abhängig, und diese wird durch den altersbedingten Abbau der grauen Substanz, den Verlust von Synapsen und die Verringerung der neuronalen Kommunikation beeinträchtigt. Kristalline Intelligenz hingegen basiert auf dem Wissen und den Fähigkeiten, die wir im Laufe unseres Lebens durch Bildung, Erfahrung und Lernen erworben haben.
Die Stabilität der kristallinen Intelligenz
Interessanterweise bleibt diese Form der Intelligenz im Alter oft stabil oder nimmt sogar zu. Der Grund: Sie beruht auf robusten, lang etablierten neuronalen Netzwerken, die weniger anfällig für den altersbedingten Abbau sind. Deshalb können Sie noch den Text eines alten Lieblingsliedes auswendig mitsingen, auch wenn Sie vergessen haben, warum Sie gerade in die Küche gegangen sind.
Individuelle Unterschiede beim Gehirnabbau
Der Abbau im Gehirn lässt sich nicht pauschal vorhersagen, da es erhebliche individuelle Unterschiede gibt. Genetische Veranlagungen, Lebensstil, Gesundheitszustand und Umwelteinflüsse spielen eine große Rolle dabei, wie schnell und stark diese Abbauprozesse ablaufen. Manche Menschen zeigen schon früh Anzeichen eines kognitiven Rückgangs, während andere bis ins hohe Alter geistig fit und agil bleiben.
Die Bedeutung der "Kondition"
Ein entscheidender Faktor ist die „Kondition“, mit der man in den Alterungsprozess startet. Unser Wissen und unsere Fähigkeiten basieren auf den Verbindungen im Gehirn. Je mehr wir im Leben gelernt haben, desto mehr dieser neuronalen Verbindungen haben wir. Wenn wir also mit einem gut trainierten Gehirn und vielen Reserven in den Abbauprozess starten, wird ein kritisches Niveau an Zellabbau erst später erreicht.
Lebensstil und Gehirngesundheit
Ein gesunder Lebensstil mit regelmäßiger körperlicher Aktivität, gesunder Ernährung, ausreichend Schlaf und sozialen Kontakten kann den Gehirnabbau verlangsamen. Rauchen, übermäßiger Alkoholkonsum und ein bewegungsarmer Lebensstil beschleunigen hingegen den Abbauprozess. Auch der allgemeine Gesundheitszustand spielt eine Rolle. Chronische Erkrankungen wie Diabetes, Bluthochdruck oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen können die Gehirngesundheit beeinträchtigen und den Abbau beschleunigen.
Methoden und Strategien zur Vorbeugung
Es gibt zahlreiche Studien, die belegen, dass eine gesunde Lebensweise auch auf das Gehirn wirkt. Sportlich aktive Menschen verlieren weniger Nervenzellen. Menschen mit vielen sozialen Kontakten haben ein besser erhaltenes Gehirn. Ausreichend und qualitativ guter Schlaf ist essenziell für die Gehirngesundheit. Eine ausgewogene Ernährung versorgt das Gehirn mit den nötigen Nährstoffen.
Geistige Aktivität und soziale Interaktion
Lesen, Puzzles lösen oder das Erlernen neuer Fähigkeiten hält das Gehirn auf Trab. Lachen Sie mehr! Lachen ist nicht nur gut für die Stimmung, sondern auch für das Gehirn. Es aktiviert verschiedene Bereiche des Gehirns, fördert die Durchblutung und setzt Endorphine frei, die für ein Wohlgefühl sorgen.
Die Rolle von Dopamin im Alter
Mit steigendem Alter geht es mit dem Botenstoff Dopamin drastisch bergab. Er spielt eine wichtige Rolle bei Bewegungskontrolle, Motivation und Lernen. Studien haben unter anderem herausgefunden, dass die Dopamin-Synthese im Striatum im Alter abnimmt. Der Verlust an Dopamin könnte für viele neurologische Symptome verantwortlich sein, die sich mit zunehmenden Alter bemerkbar machen: die zunehmende Steifheit der Bewegungen, aber auch Einbußen bei der geistigen Flexibilität.
Veränderungen in der grauen und weißen Hirnsubstanz
Die graue Hirnsubstanz nimmt etwa bis zum 12. Lebensjahr zu, bevor sie sich allmählich wieder ausdünnt. Betroffen von dem Verlust sind vor allem der präfrontale Cortex und der Hippocampus, die für exekutive Funktionen und das Langzeitgedächtnis unerlässlich sind. Die weiße Hirnsubstanz gewinnt etwa bis zum Alter von etwa 40 bis 50 Jahren an Volumen. Dann schrumpft auch sie wieder. Unter dem Substanzverlust leidet möglicherweise die mentale Verarbeitungsgeschwindigkeit.
Ursachen für den Schwund
Ursachen für den Schwund sind vermutlich die Veränderung von Nervenzellen, die Schrumpfung von Nervenfortsätzen sowie der Verlust von synaptischen Verbindungen. Mit zunehmendem Alter finden sich auch vermehrt Ansammlungen von Tau-Proteinen. Sie sind möglicherweise für das Absterben von Nervenzellen verantwortlich.
Kompensationsstrategien des Gehirns
Das reife Gehirn ist aber in der Lage, gewisse Defizite zu kompensieren. Zwar lässt die mentale Verarbeitungsgeschwindigkeit im Laufe des Lebens nach, doch die Produktivität von Menschen im Arbeitsleben hinkt nicht unbedingt der von jüngeren Menschen hinterher. Wie Studien gezeigt haben, kommen ihnen Erfahrung und über Jahrzehnte hinweg erworbenes Wissen zugute - Wissen, das oft bis ins hohe Alter vergleichsweise gut erhalten bleibt.
Aktivierung zusätzlicher Hirnareale
Bei älteren Menschen werden bei komplexeren Aufgaben im Vergleich zu jüngeren Freiwilligen zusätzliche Hirnareale aktiviert. So können die Senioren trotz neuronaler Defizite schwierige Aufgaben erfolgreich meistern.
Frühe Anzeichen des Abbaus
Bereits ab dem 18. Lebensjahr beginnt der Alterungsprozess des menschlichen Gehirns. Ein Rückgang des Gehirnvolumens tritt demnach unmittelbar nach Abschluss der Pubertät ein, wie eine Studie am Universitätsklinikum in Aachen ergab. Veränderungen wurden vor allem im Kleinhirn, im Thalamus sowie in der sensorischen und motorischen Hirnrinde sichtbar.
Kognitive Veränderungen ab Mitte 40
Selbst bei den jüngsten Teilnehmern beobachteten die Forscher, dass Denkvermögen, Gedächtnis und Sprachkompetenz während des zehnjährigen Untersuchungszeitraums abgenommen haben. Bei den älteren Probanden schwanden die Fähigkeiten allerdings stärker als bei den jüngeren.
Die Bedeutung für die Demenzforschung
Die Erkenntnis, dass der geistige Verfall bereits in der Lebensmitte beginnt, kann die These stützen, dass Demenz das Ende eines langen Prozesses darstellt, der mindestens 20 bis 30 Jahre andauert. Des Weiteren eröffnet sich die Möglichkeit, Menschen mit höherem Demenzrisiko früher zu erkennen als bisher.
Lebensstilfaktoren und Demenzrisiko
Einige Studien zeigen bereits, dass sich die Denkleistung von Betroffenen mehrere Jahre vor dem Ausbruch von Alzheimer merkbar verändert. Die Whitehall-Ergebnisse könnten darauf deuten, dass ein besonders starker Abfall der kognitiven Leistung im vierten oder fünften Lebensjahrzehnt ebenfalls auf ein hohes Demenz-Risiko deutet.
Veränderungen in der Genaktivität
Wenn wir altern, altert auch unser Gehirn. Jede einzelne Zelle unterliegt diesem Prozess, der unter anderem mit Veränderungen in der Genaktivität einhergeht. Forschende vom Max-Planck-Institut für Psychiatrie haben herausgefunden, dass sich dabei die Aktivität von Genen in verschiedenen Zelltypen des Gehirns verändert. Ein bestimmter Typ von Nervenzellen ist besonders betroffen.
Vergleich mit Alzheimer
Da das Alter der größte Risikofaktor für neurodegenerative Erkrankungen wie eine Alzheimer-Demenz ist, verglichen die Forschenden die altersbedingten Veränderungen in der Genexpression mit Veränderungen bei der Alzheimer-Erkrankung. Sie fanden weitreichende Überlappungen in bestimmten Zelltypen.