Ein Schlaganfall kann nicht nur körperliche Einschränkungen verursachen, sondern auch zu erheblichen Persönlichkeitsveränderungen führen. Diese Veränderungen können sich in Form von Aggressivität, Reizbarkeit oder auch Teilnahmslosigkeit äußern und stellen sowohl für die Betroffenen als auch für ihre Angehörigen eine große Herausforderung dar. Dieser Artikel beleuchtet die Ursachen für aggressives Verhalten nach einem Schlaganfall und zeigt Therapieansätze auf, die den Umgang mit diesen Veränderungen erleichtern können.
Persönlichkeitsveränderungen nach Schlaganfall: Ein Überblick
Nach einem Schlaganfall können sich Persönlichkeitsveränderungen auf vielfältige Weise äußern. Angehörige bemerken oft als Erste, dass der Betroffene "nicht mehr er selbst" ist. Diese Veränderungen können das gesamte soziale Umfeld beeinflussen und Beziehungen belasten.
Wie erkennt man Persönlichkeitsveränderungen?
Emotionale Veränderungen wirken sich auf das Verhalten und somit auf die Persönlichkeit aus. Angehörige erkennen oft schnell Veränderungen, die so weit gehen können, dass der Betroffene kaum wiederzuerkennen ist. Die Wahrnehmung und das Leiden unter dem Wandel sind jedoch individuell unterschiedlich.
Welche Arten von Persönlichkeitsveränderungen gibt es?
Grundsätzlich lassen sich zwei Richtungen unterscheiden:
- Minus-Syndrom: Antriebsarmut, Apathie, Desinteresse, wenige Emotionen, emotionslose Sprechweise oder Mimik.
- Plus-Syndrom: Impulsivität, Aufbrausen, Aggressivität, zum Teil paranoide Verdächtigungen.
Einige Beispiele für konkrete Veränderungen sind:
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- Ehemals ausgeglichene Menschen werden aggressiv.
- Ehemals rationale Denker treffen unnachvollziehbare Entscheidungen.
- Ehemals herzliche Menschen werden passiv und emotionslos.
- Ehemals ruhige Persönlichkeiten haben ihre Emotionen kaum unter Kontrolle.
- Ehemals aktive Menschen werden antriebslos.
- Ehemals mutige Menschen bekommen Angstzustände und Panikattacken.
Bis zu 40% der Schlaganfallbetroffenen zeigen im Verlauf Persönlichkeitsstörungen.
Ursachen für aggressives Verhalten nach Schlaganfall
Die Gründe für Verhaltensauffälligkeiten nach einem Schlaganfall sind vielfältig. Oft wirken mehrere Faktoren zusammen, darunter die Schwere der neurologischen Ausfälle, die Persönlichkeitsstruktur vor dem Schlaganfall, hirnorganische Ursachen und psychische Belastungen.
Hirnorganische Ursachen:
- Schädigung von Frontal- und Temporallappen: Wesensveränderungen treten besonders häufig auf, wenn die Schädigung im Bereich des Frontal- und Temporallappens des Gehirns liegt. Betreffen die Schädigungen den rechten und linken Frontallappen, so begünstigt dies ein Plus-Syndrom, Schädigungen der Temporallappen können eher zu einem Minus-Syndrom führen.
- Schädigung des Gefühlszentrums: Stimmungsschwankungen können von einer Schädigung des Gefühlszentrums des Gehirns herrühren, was zu einem Zustand führt, der als emotionale Labilität oder pseudobulbäre Affektstörung bezeichnet wird. Der Betroffene hat dann unkontrollierbare emotionale Ausbrüche wie Lachen oder Weinen, selbst wenn die Situation nicht lustig oder traurig ist.
- Anosognosie: Das Nichterkennen der Krankheit, die einen selbst betrifft. Patienten mit Anosognosie verhalten sich so, als ob sie von den eingetretenen Ausfällen nichts wüssten. Es scheint, als ob ihnen das Bewusstsein für ihre Erkrankung fehlt.
- Apathie: Eine Teilnahmslosigkeit, Gleichgültigkeit sowie Leidenschaftslosigkeit gegenüber Ereignissen, Personen und der Umwelt. Eine Apathie kann Ausdruck einer Depression sein, aber auch eine kurzfristige psychische Verstimmung aufgrund der Verzweiflung.
- Schädigung des Frontalhirns: Kann oft impulsives und unangemessenes Verhalten auslösen. Im Frontalhirn wird die Reaktion auf Außenreize durch unsere Persönlichkeit gehemmt.
- Schädigung des rechten supramarginalen Gyrus: Eine Großhirnfurche am Übergang von Scheitel-, Schläfen- und Hinterhauptlappen, kann eine egoistische Persönlichkeitsstörung auslösen.
- Vorhandene Demenz: Patienten haben oft bereits vor einem Schlaganfall erste Anzeichen einer Demenz wie Vergesslichkeit oder Persönlichkeitsstörungen. Ein rascher Ortswechsel und der Schlaganfall selber rauben viele mentale Reserven, sodass das Gedächtnis wie ein Kartenhaus plötzlich zusammenfällt.
- Delirium: Eine plötzliche, aber rückbildungsfähige Bewusstseinsstörung, die durch zeitliche und räumliche Desorientiertheit, Verwirrtheit und Halluzinationen gekennzeichnet ist.
Psychische Belastungen:
- Psychischer Stress: Erhöht das Risiko, nach einem Schlaganfall depressiv, ängstlich oder aggressiv zu werden.
- Post-Schlaganfall-Depression: Ein Drittel der Schlaganfallpatienten leidet daran. Die Depression nach einem Schlaganfall kann bei fehlender Diagnose die Erholung stark beeinträchtigen und erfordert eine erhöhte Achtsamkeit aller Beteiligten von medizinischem Personal bis Familie.
- Krankheitsverarbeitung: Gedrückte Stimmung, Niedergeschlagenheit, ängstliches und zurückgenommenes Verhalten können Ausdruck der Krankheitsverarbeitung sein.
- Ohnmachtserfahrung: Der Schlaganfall stellt eine abrupte Ohnmachtserfahrung dar, bei der die körperliche und geistige Unversehrtheit bedroht oder teilweise verloren ist.
Weitere Faktoren:
- Überstimulation durch Medikamente: Eine Persönlichkeitsstörung kann auch durch Überstimulation durch Medikamente (z.B. Psychopharmaka) verursacht werden.
- Zunehmende Aggressivität: Auch nach 2 Jahren kann es nicht sein, dass man alles entschuldigt. Er scheint soweit ok zu sein, dass er wieder fast voll einsatzfähig ist und dazu gehört dann auch sein Verhalten. Was man dagegen tun kann? Ich glaube auch nicht, dass es mit Reden aus der Welt zu schaffen ist.
Diagnostik von Persönlichkeitsveränderungen
Es gibt keine strukturierten Tests, um eine Persönlichkeitsstörung nach einem Schlaganfall zu diagnostizieren. Psychiater und Psychologen können anhand von Beobachtungen und Gesprächen Persönlichkeitsstörungen erörtern und klassifizieren. Eine neuropsychologische Untersuchung kann helfen, neuropsychologische Folgen eines neurologischen Ereignisses zu erkennen.
Therapieansätze bei aggressivem Verhalten nach Schlaganfall
Die Behandlung von aggressivem Verhalten nach einem Schlaganfall erfordert einen multidisziplinären Ansatz, der sowohl medizinische als auch psychologische und soziale Aspekte berücksichtigt.
Medikamentöse Behandlung:
- Antidepressiva und Psychotherapeutika: Es gibt Antidepressiva und Psychotherapeutika, die die Persönlichkeit hemmen oder etwas beeinflussen können.
- Medikamentöse Einstellung überprüfen: Eine Persönlichkeitsstörung kann auch durch Überstimulation durch Medikamente (z.B. Psychopharmaka) verursacht werden.
Psychotherapie:
- Psychotherapie: Ist ein wichtiger Bestandteil der Behandlung. Sie kann helfen, die psychischen Belastungen zu verarbeiten, Strategien zum Umgang mit den Veränderungen zu entwickeln und soziale Kompetenzen zu verbessern.
- Gespräche: Ein vertrauensvolles Gespräch, in dem verwirrende Gedanken, Sorgen oder Gefühle von Ratlosigkeit ausgesprochen werden, kann stets zur spontanen Entlastung beitragen. Dabei muss das Gegenüber nicht psychotherapeutisch ausgebildet sein. Ein Austausch im Kreise der Familie oder mit guten Freunden, kann gleichermaßen ein tröstendes Gefühl vermitteln, nicht alleine zu sein.
Neuropsychologische Behandlung:
- Neuropsychologische Untersuchung: Bei einer Entwicklung, bei der Erkrankte nach einem Schlaganfall weder von Antidepressiva noch von einer Psychotherapie ausreichend profitieren, kann eine ergänzende Abklärung durch eine neuropsychologische Untersuchung geboten sein. Von psychotherapeutischer und ärztlicher Seite kann dann eine sogenannte Differenzialdiagnostik eingeleitet werden.
Weitere Maßnahmen:
- Thematisierung der Situation: Wichtig ist, die Situation zu thematisieren und Fachleute (Neurologen, Neuropsychologen, Psychologen, Psychotherapeuten etc.) zu Rate zu ziehen, um individuelle Therapien zu entwickeln, die langfristig sowohl den Betroffenen als auch den Angehörigen den Umgang mit den Veränderungen erleichtern.
- Umgang mit Demenz: Einige Verhaltensregeln im Umgang mit erkrankten alten Menschen erleichtern den Alltag: Sprechen Sie in einfachen, möglichst kurzen und deutlichen Sätzen. Wiederholen Sie wichtige Informationen bei Bedarf. Bleiben Sie nach Möglichkeit geduldig und lassen Sie Ihren Angehörigen Zeit, Sie zu verstehen und zu reagieren. Nehmen Sie aggressives und misstrauisches Verhalten nicht persönlich. Manchmal hilft es, die Person abzulenken, um herausforderndes Verhalten zu beenden. Stärken Sie das Selbstvertrauen der älteren Person, indem Sie sie so viel wie möglich selbstständig tun lassen, ohne sie zu überfordern. Hilfreich sind feste Gewohnheiten und ein strukturierter Tagesablauf mit Orientierungspunkten wie Essens- und Ruhezeiten. Schaffen Sie eine vertraute, übersichtliche und gut ausgeleuchtete Wohnumgebung, die sich möglichst wenig ändert.
- Unterstützung für Angehörige: Wenn Sie eine ältere Person pflegen, achten Sie darauf, dass auch Sie selbst nicht zu kurz kommen: Tun Sie Dinge, die Sie entspannen und die Ihnen Spaß machen, und pflegen Sie auch Ihre eigenen sozialen Kontakte. Scheuen Sie sich nicht, nach Hilfe zu fragen, wenn Sie sich überfordert fühlen.
- Information und Beratung: Wichtig sind fundierte Informationen, konkrete Rückmeldungen und alltagstaugliche Anpassungen. Angehörige wagten es von sich aus oft nicht, die Problematik anzusprechen. Insgesamt ist die Versorgungslandschaft für Menschen nach Schlaganfall oder einem Schädelhirntrauma bundesweit höchst unterschiedlich.
Prognose von Persönlichkeitsveränderungen
Mit Persönlichkeitsveränderungen verhält es sich so, wie mit vielen Schlaganfall-Folgen. Manche Folgen entwickeln sich wieder zurück, andere nicht. Wichtig ist, die Situation zu thematisieren und Fachleute zu Rate zu ziehen.
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