Epilepsie und aggressives Verhalten: Ursachen und Zusammenhänge

Epilepsie ist eine neurologische Erkrankung, die durch wiederholte Krampfanfälle gekennzeichnet ist. Diese Anfälle entstehen durch eine abnorme, übermäßige oder asynchrone Aktivität von Nervenzellen im Gehirn. Die Phänomenologie der Anfälle variiert erheblich, abhängig von der Lokalisation und Ausprägung der neuronalen Entladung. In den meisten Fällen folgt auf einen Anfall eine postiktale Phase, die Stunden andauern kann und Symptome wie Sprachstörungen, Vigilanzminderungen, Lähmungen, Gedächtnisstörungen und in einigen Fällen auch psychische Störungen bis hin zu aggressivem Verhalten hervorrufen kann.

Was ist Epilepsie?

Epilepsie ist eine Erkrankung, bei der beide Gehirnhälften oder einzelne Bereiche vorübergehend übermäßig oder fehlerhaft aktiv sind und zu viele Signale abgeben. Dadurch kommt es zu einem sogenannten epileptischen Anfall. Wie sich dieser genau äußert, hängt davon ab, welche Nervenzellgruppen im Gehirn betroffen sind und welche Funktionen diese haben. Manchmal zucken nur einzelne Muskeln, es kann aber auch der gesamte Körper krampfen, was zur Bewusstlosigkeit führen kann. Somit können bei Erkrankten neben motorischen auch sensorische, vegetative und psychische Symptome bei einem epileptischen Anfall auftreten.

Definition und Häufigkeit

Epilepsie wird laut der Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) dadurch definiert, dass mindestens 2 epileptische Anfälle ohne erkennbare Auslöser im Abstand von mehr als 24 Stunden stattgefunden haben oder ein Anfall, bei dem es Hinweise für eine Neigung zu weiteren Anfällen gibt. Rund 0,5 bis 0,9 % Prozent der deutschen Bevölkerung leidet laut der DGN an einer Form von Epilepsie. Am häufigsten tritt die Erkrankung in Kindheit und Jugend sowie in höheren Lebensalter auf.

Anfallsformen

Grundsätzlich kann man zwischen fokalen und generalisierten epileptischen Anfällen unterscheiden. Diese können wenige Sekunden bis mehrere Minuten andauern. Hält ein epileptischer Anfall länger als 5 Minuten an, spricht man von einem „Status epilepticus“. In der Regel haben Menschen mit Epilepsie zwischen den Anfällen keine körperlichen Beschwerden.

  • Aura: Manche Patienten berichten vor dem sichtbaren Anfall über eine sogenannte Aura, einem „Vorgefühl“ vor dem Anfall. Das können z. B. ein bestimmtes Gefühl, ein Geruch, Geschmack oder auch Lichtblitze sein.
  • Fokale Anfälle: Diese entstehen in einem bestimmten Bereich des Gehirns. Je nachdem, wofür der Hirnbereich zuständig ist, kommt es zum Beispiel zum Zucken eines Arms (motorischer Anfall), einer Gefühlsstörung (sensorischer Anfall) oder einer Veränderung des Sehens (visueller Anfall). Fokale Anfälle können mit Zuckungen oder Krämpfen einhergehen und sich in einigen Fällen auf das gesamte Hirn ausbreiten. Dann wird der zunächst fokale Anfall zu einem generalisierten Anfall. Manchmal können fokale Anfälle das Bewusstsein einschränken.
  • Generalisierte Anfälle: Diese Anfälle erfassen beide Gehirnhälften. Sie sind nicht unbedingt schwerer als fokale Anfälle, es kommt jedoch häufiger zu Bewusstlosigkeit und Krämpfen im ganzen Körper. Zu den motorischen generalisierten Anfällen zählen u. a.:
    • Tonisch-klonische Anfälle (Grand-Mal-Anfälle): Zunächst meist Sturz zu Boden, evtl. mit einem Schrei und Bewusstlosigkeit, danach oft tonische Phase mit steif gestreckten Gliedmaßen, Atemstillstand (Patient wird blau) und weiten, lichtstarren Pupillen, anschließend klonische Phase mit Zuckungen am ganzen Körper, evtl. Zungen- oder Wangenbiss (Schaum vor dem Mund) und Urin- oder Stuhlabgang. Aufhören der Zuckungen in aller Regel nach wenigen Minuten, nach dem Anfall Schlaf- und Orientierungsphase, später oft Amnesie (Patient erinnert sich nicht).
    • Klonische Anfälle: Rhythmische Muskelzuckungen, oft langsamer werdend.
    • Tonische Anfälle: Muskelverkrampfungen (Streckung der Extremitäten), teilweise über Minuten.
    • Atonische Anfälle: Sturz durch Tonusverlust der Muskulatur.
  • Status epilepticus: Selten hält ein epileptischer Anfall lange an. Wenn er länger als 5 Minuten dauert oder eine Serie von Anfällen auftritt, spricht man von einem „Status epilepticus“. Dies ist ein lebensbedrohlicher Notfall, der schnell mit Medikamenten behandelt werden muss.
  • Absencen: Diese generalisierten Anfälle sind charakterisiert durch eine Bewusstseinspause, meist ein kurzes Innehalten.

Diagnose und Behandlung

Um die Diagnose Epilepsie zu stellen, ist vor allem die Krankengeschichte wichtig: Wann und unter welchen Umständen ist der Anfall aufgetreten? Wie hat er sich geäußert? Hier ist es hilfreich, dass eine Person mit zum Arzttermin kommt, die den Anfall miterlebt hat und ihn beschreiben kann. Auch wird bei einem Epilepsie-Verdacht eine körperliche und neurologische Untersuchung durchgeführt und ein Elektroenzephalogramm (EEG) gemacht, das auf eine erhöhte Anfallsneigung hindeuten kann. Ein EEG allein reicht aber für die Diagnose Epilepsie nicht aus. Daher gehört eine Magnetresonanztomografie (MRT) grundsätzlich zur Absicherung einer Epilepsie-Diagnose. Dabei können Veränderungen im Gehirn entdeckt werden, die die Anfälle auslösen könnten.

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In der Regel ist nach dem zweiten Anfall eine medikamentöse Behandlung mit Antiepileptika erforderlich, bei hohem Risiko auch schon nach dem ersten. Die Therapie muss über mindestens 2 Jahre durchgeführt werden, oft sogar lebenslang. Die Therapie erfolgt mit Antiepileptika (Arzneimittel, die epileptische Anfälle unterdrücken). Es sollte zunächst versucht werden, mit nur einem Antiepileptikum auszukommen (Monotherapie). Erst wenn die Dosis wegen starker Nebenwirkungen nicht mehr erhöht werden kann und die Person immer noch nicht anfallsfrei ist, sollte das Arzneimittel gewechselt oder eine Kombination unterschiedlicher Medikamente versucht werden. Das Ansetzen, Umstellen oder Absetzen der Antiepileptika erfolgt in der Regel schrittweise („Ein-, Ausschleichen“). Um die richtige Dosis zu finden, wird der Arzneimittelspiegel regelmäßig kontrolliert.

Ursachen von Epilepsie

Die Ursachen der Epilepsie sind noch nicht vollständig geklärt. In vielen Fällen ist eine Form der Epilepsie schon früher in der Familie aufgetreten, was für eine erbliche Veranlagung spricht. In einigen Fällen kann man Veränderungen im Erbmaterial (Genmutation) erkennen. Manche Anfälle können sich in Folge von Unfällen (posttraumatisch) oder als Reflexantwort ereignen. Bei anderen Anfällen können Veränderungen in der Gehirnstruktur (z. B. eine fokale kortikale Dysplasie) ursächlich sein.

Auslöser (Trigger) von epileptischen Anfällen

Epileptische Anfälle können aus heiterem Himmel auftreten. In vielen Fällen sind aber auch bestimmte Trigger eines Anfalls bekannt. Die Auslöser können sich im individuellen Fall unterscheiden. Zu den häufigsten Triggern von epileptischen Anfällen gehören unter anderem:

  • Schlafmangel
  • unregelmäßiger Schlaf-Wach-Rhythmus
  • starke körperliche oder seelische Belastung (Stress)
  • hohes Fieber
  • Alkohol und Alkoholentzug
  • Drogen oder Schlafmittelentzug
  • eher selten flackerndes Licht (Computerspiele, Stroboskopbeleuchtung in Clubs)

Aggressives Verhalten im Zusammenhang mit Epilepsie

Aggressives Verhalten kann in verschiedenen Phasen eines epileptischen Anfalls auftreten:

  • Iktal: Während des Anfalls selbst, insbesondere bei komplex-fokalen Anfällen, kann es zu unkontrollierten Verhaltensweisen kommen, die als Aggression interpretiert werden könnten. Patienten springen plötzlich auf und werfen Stühle um oder rennen unkontrolliert umher, woran sie sich später nicht erinnern können.
  • Postiktal: In der Nachphase eines Anfalls (postiktale Phase) können Symptome wie Verwirrtheit, Desorientierung und Reizbarkeit auftreten, die zu aggressivem Verhalten führen können. In dieser Phase kann es zu psychischen Störungen bis hin zu aggressivem Verhalten kommen.
  • Interiktal: Zwischen den Anfällen können einige Menschen mit Epilepsie Veränderungen in ihrer Persönlichkeit und ihrem Verhalten aufweisen, die sich in erhöhter Reizbarkeit oder Aggressivität äußern.

Mögliche Ursachen für aggressives Verhalten

  • Direkte Auswirkungen der neuronalen Entladung: Die abnorme elektrische Aktivität im Gehirn kann direkt Bereiche beeinflussen, die für die Emotionsregulation und Impulskontrolle zuständig sind.
  • Hirnschädigung: Epilepsie, insbesondere wenn sie mit strukturellen Veränderungen im Gehirn einhergeht, kann zu dauerhaften Beeinträchtigungen der Hirnfunktionen führen, die sich in Verhaltensauffälligkeiten äußern können.
  • Psychologische Faktoren: Die chronische Erkrankung, die Angst vor Anfällen und die sozialen Stigmata, die mit Epilepsie verbunden sein können, können zu Stress, Frustration und Depressionen führen, die wiederum das Risiko für aggressives Verhalten erhöhen können.
  • Medikamentöse Behandlung: Einige Antiepileptika können als Nebenwirkung Verhaltensänderungen, einschließlich Aggressivität, verursachen.

Differentialdiagnose

Es ist wichtig zu beachten, dass aggressives Verhalten bei Menschen mit Epilepsie auch andere Ursachen haben kann, die nicht direkt mit der Epilepsie zusammenhängen. Dazu gehören:

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  • Psychische Erkrankungen: Depressionen, Angststörungen, bipolare Störungen oder Schizophrenie können ebenfalls zu aggressivem Verhalten führen.
  • Substanzmissbrauch: Alkohol- oder Drogenmissbrauch kann die Impulskontrolle beeinträchtigen und das Risiko für Aggression erhöhen.
  • Andere neurologische Erkrankungen: Demenz, Hirnverletzungen oder andere neurologische Erkrankungen können ebenfalls Verhaltensauffälligkeiten verursachen.

Umgang mit aggressivem Verhalten bei Epilepsie

Der Umgang mit aggressivem Verhalten bei Menschen mit Epilepsie erfordert einen multidisziplinären Ansatz, der sowohl die neurologischen als auch die psychologischen Aspekte der Erkrankung berücksichtigt.

Diagnostik

Eine sorgfältige Anamnese und neurologische Untersuchung sind wichtig, um die Art und Häufigkeit der Anfälle zu erfassen und mögliche strukturelle Veränderungen im Gehirn zu identifizieren. Eine psychiatrische Untersuchung kann helfen, psychische Erkrankungen oder andere Faktoren zu identifizieren, die zum aggressiven Verhalten beitragen.

Therapie

  • Anfallskontrolle: Eine effektive Anfallskontrolle durch Medikamente oder andere Therapien kann dazu beitragen, das Risiko für iktale und postiktale Aggression zu reduzieren.
  • Psychotherapie: Kognitive Verhaltenstherapie oder andere psychotherapeutische Ansätze können helfen, Stress, Angst und Frustration zu bewältigen und alternative Verhaltensstrategien zu entwickeln.
  • Medikamentöse Behandlung: In einigen Fällen kann eine medikamentöse Behandlung mit Antidepressiva, Stimmungsstabilisatoren oder Antipsychotika erforderlich sein, um psychische Erkrankungen oder Verhaltensauffälligkeiten zu behandeln.
  • Verhaltensmanagement: Strategien des Verhaltensmanagements, wie z. B. die Vermeidung von Triggern, die Förderung von Entspannungstechniken und die Entwicklung von Konfliktlösungsstrategien, können helfen, aggressives Verhalten zu reduzieren.

Pflegerische Maßnahmen während eines Anfalls

Während eines Krampfanfalls gilt es, den Betroffenen vor weiteren Gefahren zu schützen. Das umfasst:

  • Atemwege sichern
  • Gegenstände aus dem Weg räumen
  • Betroffene zur Sturzprävention auf den Boden gleiten lassen
  • Den Kopf abpolstern, um ihn vor Verletzungen zu schützen.

Keinesfalls sollten die Betroffenen festgehalten werden oder ihnen ein Beißkeil in den Mund geschoben werden, weil dadurch Lippen, Zähne und Gaumen verletzt werden können. Auch sollten ihnen wegen der Aspirationsgefahr keine Flüssigkeiten oder Arzneimittel oral eingeflößt werden. Pflegekräfte sollten während des Krampfanfalls unbedingt die Ruhe bewahren und beruhigend auf den Patienten einwirken. Sie sollten ihn nicht allein lassen und bei unklarer Diagnose sofort einen Arzt benachrichtigen. Auch sollten sie den Betroffenen gut beobachten, damit sie die Dauer, Uhrzeit, den Ablauf und die Besonderheiten des Krampfanfalls später genau dokumentieren können. Nach dem Anfall sollten die Pflegenden die Betroffenen in die stabile Seitenlage bringen, bis sie ihr Bewusstsein vollständig wiedererlangt haben (Aspirationsprophylaxe) und ggf. Erbrochenes entfernen. Bei Bedarf: Mund- und Körperpflege durchführen, Wäsche nach unkontrolliertem Urinabgang wechseln, Mundraum auf Zungen- oder Wangenbiss kontrollieren, für Ruhe sorgen sowie Bewusstsein und Vitalzeichen engmaschig überwachen.

Was tun beim Status epilepticus?

Ein Status epilepticus (Anfall ≥ 5 Min. oder Serie von Anfällen ohne zwischenzeitliche Erholung) ist lebensbedrohlich und muss immer medikamentös unterbrochen werden. Ein Status epilepticus kann dazu führen, dass das Gehirn nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt wird, sodass Herz und Lunge versagen.

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Prävention und Gesundheitsberatung

Ein wichtiger Aspekt in der Betreuung von Menschen mit Epilepsie ist die Prävention. Betroffene sollten einen regelmäßigen Tagesablauf einhalten und anfallsauslösende Faktoren meiden, z. B. Schlafentzug, Flackerlicht (Diskothek, Videospiele) oder Alkohol in größeren Mengen. Wird ein regelmäßiger Anfallskalender geführt, ist es möglich, Auslöser und Medikamentenwirkungen nachvollziehen zu können. Zudem sollten Betroffene immer einen Notfallausweis mit Erste-Hilfe-Maßnahmen mitführen und Kollegen bzw. Lehrer informieren.

Wichtig ist auch, die Betroffenen im Umgang mit Antiepileptika zu schulen: Diese dürfen nicht eigenmächtig umgestellt oder abgesetzt werden. Oft gibt es Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten, z. B. gegen Schmerzen oder Fieber. Hier sollte der behandelnde Arzt gefragt werden, welche zusätzlichen Medikamente eingenommen werden können. Auch sollten die Betroffenen Kenntnis über mögliche Nebenwirkungen haben. Alle behandelnden Ärzte sollten über die Epilepsie informiert sein. Sinnvoll sind auch spezielle Schulungsprogramme.

Lebensstil und Berufswahl

Anzustreben ist ein selbstbestimmtes, weitgehend „normales“ Leben mit Epilepsie. Dennoch sollten die Betroffenen:

  • sich mit Alkohol zurückhalten,
  • keinen Beruf mit erhöhter Selbst- oder Fremdgefährdung (z. B. Kraftfahrer) oder unregelmäßiger Lebensführung (Schichtarbeit) wählen,
  • keinen Sport mit erhöhter Selbst- oder Fremdgefährdung treiben.

Das Führen eines (Privat-)Fahrzeugs ist nur erlaubt, wenn Anfallsfreiheit von wenigen Monaten bis 2 Jahren (je nach Erkrankungsform) und ein unauffälliges EEG vorliegen. Schwangerschaften sind in aller Regel möglich. Frauen sollten vorher Rücksprache mit dem Arzt halten, um ggf.

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