Tiergestützte Therapie bei Demenz: Ein umfassender Überblick über Studien und Anwendungen

Die nicht-medikamentöse Behandlung von Demenz umfasst eine Vielzahl von Therapien, die darauf abzielen, das Wohlbefinden der Betroffenen zu stärken und ihre Selbstständigkeit so lange wie möglich zu erhalten. Im Mittelpunkt steht dabei, den Erkrankten die Teilhabe am Alltag und am sozialen Leben zu ermöglichen. Diese Ansätze können auch dazu beitragen, herausfordernde Verhaltensweisen zu mildern und für mehr Ausgeglichenheit zu sorgen. Eine dieser Therapieformen ist die tiergestützte Therapie (TGT), die in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen hat.

Einleitung

Demenz betrifft weltweit Millionen von Menschen und stellt eine enorme Herausforderung sowohl für die Betroffenen als auch ihre Familien dar. Neben medizinischen Behandlungen gewinnen unterstützende Therapieformen wie die tiergestützte Therapie zunehmend an Bedeutung. Diese Therapieform bietet innovative Ansätze, um die Lebensqualität von Menschen mit Demenz deutlich zu verbessern. Dieser Artikel beleuchtet, wie sowohl echte Tiere als auch speziell entwickelte interaktive Plüschtiere einen positiven Unterschied im Alltag von Demenzkranken machen können.

Was ist tiergestützte Therapie?

Nach der European Society for Animal Assisted Therapie (ESAAT) umfasst die tiergestützte Therapie (TGT) bewusst geplante pädagogische, psychologische und sozialintegrative Angebote mit Tieren. Die Zielgruppen hierfür sind weit gefasst und richten sich an Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Auch immer mehr ältere Menschen mit kognitiven, sozial-emotionalen und motorischen Einschränkungen erfahren hierdurch Hilfe. Diese Therapieform wird zudem als gesundheitsfördernde, präventive und rehabilitative Maßnahme eingesetzt. Der allgemein verwendete Oberbegriff für die verschiedenen tiergestützten Tätigkeiten lautet tiergestützte Intervention (TGI). Neben der TGT zählen dazu tiergestützte Aktivitäten (TGA), wie zielorientierte Interaktionen und Besuche von Mensch-Tier-Teams. Die Zielsetzungen bei TGA beziehen sich primär auf erzieherisch/bildende und/oder entspannungs- und erholungsfördernde Elemente.

Tiergestützte Interventionen haben das Ziel, durch den gezielten Einsatz von Tieren positive Auswirkungen im Verhalten und Erleben von Menschen zu beeinflussen. Körperliche und seelische Erkrankungen können wirksam therapiert werden, wobei Tier und Mensch als Team zusammenarbeiten. Bei den tierischen Helfern handelt es sich nicht nur um Hunde und Katzen, sondern je nach Einrichtung und Zielsetzung kommen auch Pferde, Kaninchen, Alpakas und Hühner zum Einsatz.

Studienlage zur tiergestützten Therapie bei Demenz

Studien zeigen, dass die Anwesenheit von Tieren eine beruhigende Wirkung auf Menschen mit Demenz haben kann. Die non-verbale Kommunikation kann hilfreich sein, vor allem dann, wenn eine verbale Kommunikation nicht mehr möglich ist. Eine systematische Übersichtsstudie ermittelte, wie sich Tiertherapien zur Unterstützung bei Demenzerkrankungen auswirken. Insgesamt konnten nach Durchsicht der Studienlage 32 Untersuchungen zusammenfassend analysiert werden. Ein Großteil der Untersuchungen setzte Hunde zur Therapie ein.

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Ergebnisse der Studien

  • Unruhe und Aggression: In 15 Studien wurden Unruhe (Agitation) und Aggression als Symptome der Demenzerkrankung untersucht. In neun von 15 Studien verbesserten sich diese Symptome durch den Einsatz von Therapietieren.
  • Soziale Interaktion: Zwölf Untersuchungen betrachteten die soziale Seite der Patienten. In elf dieser Studien waren die Menschen mit Demenzerkrankung sozial interaktiver, wenn sie an Interventionen mit einem Tier teilnahmen.
  • Lebensqualität, körperliche Aktivität und Nahrungsaufnahme: Positive Effekte der tierischen Unterstützung wurden auch in Bezug auf die Lebensqualität (3 von 4 Studien), körperliche Aktivität (2 positive Studien) und Nahrungsaufnahme bzw. Appetit (2 positive Studien) gesehen.
  • Stimmung: Die Stimmung der Patienten wurde unterschiedlich durch die Treffen mit Therapietieren beeinflusst (insgesamt neun Studien).

Zusammenfassend zeigte die Analyse der bisherigen Studienlage deutlich positive Effekte der tierischen Unterstützung: Besonders das Verhalten und psychische Symptome, aber auch die soziale Interaktion der Betroffenen wurden mithilfe der Tierinterventionen verbessert. Nur wenige Studien betrachteten wichtige Faktoren wie Lebensqualität und Ernährung, fanden aber auch hierbei vielversprechende Ergebnisse.

Eine weitere Studie untersuchte die Veränderungen von psychosozialem Wohlbefinden und Gesundheit sowie der Alltagskompetenzen demenzieller Patientinnen durch ein Programm intensiver tiergestützter Gruppenintervention in einer randomisierten-kontrollierten Studie. Obwohl kein signifikanter Effekt der angewandten tiergestützten Intervention auf die klinischen Erkrankungssymptome nachgewiesen werden konnte, konnte belegt werden, dass tiergestützte Interventionen das psychosoziale Wohlbefinden von demenzerkrankten Bewohnerinnen stationärer Einrichtungen der Altenhilfe im Hinblick auf das Verhalten während der Hundebesuche fördern können.

Roboter-Tiere als Alternative

Der Einsatz von tierähnlichen Robotern vermeidet einige der Probleme, welche die tiergestützte Therapie mit lebendigen Tieren in Pflegeeinrichtungen mit sich bringt, wie z. B. Bedenken hinsichtlich Hygiene, Allergien und Tierschutz. Eine systematische Übersichtsarbeit hat sowohl quantitative als auch qualitative Erkenntnisse über die Auswirkungen von Tier-Robotern auf ältere Menschen (einschließlich Menschen mit Demenz) in Pflegeheimen zusammengetragen. Die Roboter-Robbe PARO wurde in 15 der 19 Studien verwendet. Die Art und Weise, wie sie eingesetzt wurden, variierte stark von Studie zu Studie: Forscher oder Therapeuten leiteten entweder Einzel- oder Gruppensitzungen, oder die Bewohner beschäftigten sich mit den Robotertieren, wie sie es wünschten.

Die Einschränkungen der quantitativen Evidenz, einschließlich der kurzen Dauer und geringen Größe der Studien sowie der fehlenden Nachbeobachtung der Studienteilnehmenden, bedeuten, dass viele Unsicherheiten bezüglich der Wirksamkeit der tiergestützten Therapie bestehen bleiben.

Wie sieht eine tiergestützte Therapie in der Praxis aus?

Tiere werden vielfältig eingesetzt - je nach Zielsetzung und Erkrankung. Bei einer Demenzerkrankung können tiergestützte Interventionen helfen, die Biografiearbeit zu unterstützen. Hierbei werden biografische Erfahrungen mit Tieren im Rahmen von Beschäftigungsangeboten wieder in Erinnerung gerufen. Die Tiere helfen aber auch bei der Sterbebegleitung und der Angehörigenarbeit. Sie unterstützen in der Pflege selbst: Durch die Anwesenheit der Tiere wird bei aggressiven Bewohnern und Patienten beobachtet, dass sich diese beruhigen und positiv beeinflussen lassen. Somit ist es für Pflegefachpersonen leichter und für die zu pflegenden Menschen angenehmer, Tätigkeiten wie die Körperpflege vorzunehmen.

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Beispiele für den Einsatz von Tieren in der Therapie

  • Hunde: Therapiehunde können in die Welt der Patienten vordringen und positive Reaktionen hervorrufen, selbst wenn verbale Kommunikation schwierig ist.
  • Katzen: Katzen können eine beruhigende Wirkung haben und zur Entspannung beitragen.
  • Pferde: Pferde reagieren sensibel auf die Körpersprache und können so helfen, verborgene Emotionen und Ressourcen wiederzuentdecken.
  • Kaninchen und Hühner: Diese Tiere können in therapeutischen Tiergehegen eingesetzt werden, um den Kontakt zur Natur zu fördern und die Interaktion mit Tieren auf "Augenhöhe" zu ermöglichen.
  • Fische: Sogar der Blick auf Fische in einem Aquarium kann helfen, Beschwerden zu vergessen, Verstimmungen zu verbessern und den Gemütszustand aufzuhellen.

Fallbeispiel

Herr L. (*1948) war dement, aber körperlich fit. Gesprochen hat er fast nie, obwohl er sprachfähig war. In der Zeit von November 2019 bis Oktober 2020 gab es 57 aggressive Vorfälle, die von Herrn L. ausgingen. Er hatte zusätzlich zu seiner Festmedikation von November 2019 bis zum 09. Oktober 2020 insgesamt 197x Bedarfsgaben gegen Unruhe oder nach Tätlichkeiten erhalten. Laut seiner Biografie mochte Herr L. Tiere und hatte eine Katze. Er zeigte durch Mimik und Gestik viel Interesse an den Tieren des Hauses. Besonders Therapiehündin Nora konnte in seine Welt vordringen. Nach dem Start der TGT mit Hund wurden in der Zeit vom 24.03.20 bis zum 09.10.2020 lediglich 38 Bedarfsgaben verabreicht.

Voraussetzungen für eine erfolgreiche tiergestützte Therapie

Um die tiergestützte Therapie professionell einzusetzen, braucht es eine spezielle Ausbildung für Mensch und Tier. Nicht alle Tiere können bzw. sollen ausgebildet werden. Es gibt verschiedene Weiterbildungen, die Mitarbeiter der Einrichtungen in Anspruch nehmen können, zum Beispiel am Institut für Soziales Lernen mit Tieren. Entsprechende Ausbildungen sind unter anderem: „Fachkraft für TGI“ und „Therapiebegleithundeteam“. Der Einsatz von TGI ist mit diversen Richtlinien und Vorgaben verbunden, somit bestehen spezielle Hygienemaßnahmen für die Arbeit mit Tieren in Pflegeeinrichtungen.

Tiergestützte Intervention im Haus Billetal

Im Haus Billetal werden TGA vom Beschäftigungsteam angeboten, während TGT ausschließlich von der Betreuungsleitung/Fachkraft für TGI und dem Psychologen ausgeübt wird. Wenn es Hinweise aus der Biografie oder vom Pflege- oder Beschäftigungsteam gibt, dass ein tiergestütztes Angebot sinnvoll sein könnte, werden je nach Bedarf individuelle Planungen mit speziellen Förderzielen für diese Bewohner erstellt. Auch für Notfälle (z.B. akute aggressive, depressive Stimmungslagen) gibt es mittlerweile geplante Vorgehensweisen.

Herausforderungen und Kritik an der tiergestützten Therapie

Kritisch ist die tiergestützte Therapie insofern zu sehen, dass die Ausbildungen im Bereich tiergestützter Interventionen bislang nicht gesetzlich geregelt sind. Aufgrund mangelnder Langzeitforschungen sehen sich Pflegekassen und Sozialhilfeträger noch nicht in der Verantwortung, diese Form der Therapie zu refinanzieren. Somit müssen Pflegeeinrichtungen, die TGI anbieten wollen, die Kosten selbst tragen. Weiterhin besteht ein Kritikpunkt darin, dass es keine „Therapietiere“ gibt, sondern immer ein geschulter Therapeut im Fokus steht, der gezielt Tiere einsetzt.

Tipps für Angehörige und Pflegekräfte

  • Individuelle Bedürfnisse berücksichtigen: Nicht jede Art der tiergestützten Therapie ist für jeden Demenzkranken geeignet. Beachten Sie die individuelle Geschichte und eventuelle Allergien.
  • Sicherheit gewährleisten: Stellen Sie sicher, dass sowohl das Haustier als auch der Demenzkranke geschützt sind. Für beide geht es um den Aufbau einer Beziehung.

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