Wenn der Geist langsam schwindet, spricht man von Demenz. Viele geistige Funktionen wie Denken, Erinnern, Orientieren und Verknüpfungen zwischen Erlebtem herstellen, sind beeinträchtigt. Demenz führt dazu, dass man alltägliche Handlungen nicht mehr eigenständig durchführen kann. Glücklicherweise gibt es innovative Therapieansätze, die darauf abzielen, die Lebensqualität von Menschen mit Demenz zu verbessern. Einer dieser Ansätze ist die tiergestützte Therapie. In diesem Artikel werden wir die vielfältigen Aspekte der tiergestützten Therapie bei Demenz beleuchten, von den wissenschaftlichen Grundlagen bis hin zu praktischen Anwendungsmöglichkeiten und ethischen Überlegungen.
Was ist Demenz?
Demenz betrifft weltweit Millionen von Menschen und stellt eine enorme Herausforderung sowohl für die Betroffenen als auch ihre Familien dar. Es handelt sich um einen fortschreitenden Verlust kognitiver Fähigkeiten, der über das normale Maß der altersbedingten Veränderungen hinausgeht. Betroffene leiden unter Gedächtnisverlust, Schwierigkeiten bei der Sprache, Problemlösung und anderen Denkprozessen.
Die Grundlagen der tiergestützten Therapie
Schon seit 1961 wird intensiv daran geforscht, wie Tiere Menschen auf positive Weise beeinflussen können. Tiere haben eine einzigartige Fähigkeit, einem Menschen ein starkes Gefühl des Wohlbefindens zu schenken und eine emotionale Verbindung herzustellen. Die tiergestützte Therapie ist ein faszinierendes und viel diskutiertes Thema im Bereich der Demenzpflege. Zahlreiche wissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass der Kontakt zu Tieren positive Auswirkungen auf das Wohlbefinden und die Lebensqualität betroffener Menschen haben kann.
Wie Tiere wirken
Carola Otterstedt beschreibt in ihrem Buch “Menschen brauchen Tiere”, dass die Anwesenheit von Hunden, Katzen, Vögeln und sogar kleinen Tieren, wie Kaninchen oder Meerschweinchen, zu einer Reduktion von Stress, Angst und Depressionen führen kann. Die einfache Berührung eines weichen Fells oder das Streicheln eines Haustieres kann ein Gefühl der Entspannung und des inneren Friedens hervorrufen.
Vorteile der tiergestützten Therapie bei Demenz
Die tiergestützte Therapie bietet eine wertvolle Ergänzung zu traditionellen Behandlungsformen bei Demenz. Sie beeinflusst das Wohlbefinden positiv, unterstützt die emotionale und kognitive Funktion, stärken soziale Bindungen und sogar die Nahrungsaufnahme profitiert davon.
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Emotionale und psychische Vorteile
Tiere können eine beruhigende und tröstliche Wirkung auf Menschen haben. Tiere als Medium in der Therapie sind kein Novum: Bisherige Erkenntnisse aus der Forschung auf dem Gebiet der tiergestützten Therapieverfahren unterstützen dieses in der Praxis vermehrt angewandte Behandlungskonzept. Insbesondere trägt die Arbeit mit Therapie-Tieren am Patienten unter Anleitung ausgebildeter Fachkräfte zur Linderung psychischer und neurologischer Erkrankungen sowie krankheitsbedingter Verhaltensauffälligkeiten bei, wie vergangene Analysen vorhandener Forschung auf diesem Gebiet bestätigen.
- Reduktion von Stress und Angst: Der Kontakt mit Tieren kann dazu beitragen, Stress und Angst zu reduzieren.
- Verbesserung der Stimmung: Der Kontakt mit Tieren kann zu einer Verbesserung der Stimmung führen.
- Linderung von Verhaltensauffälligkeiten: Der Kontakt mit ausgebildeten Therapiehunden, aber auch Tieren wie Katzen, Pferde und sogar Fische im Aquarium, kann Verhaltensauffälligkeiten und psychische Symptome demenzkranker Patienten in Pflegeeinrichtungen verbessern, wie eine systematische Übersichtsarbeit nun zeigt.
- Positive emotionale Reaktionen: Tiergestützte Therapie bei Demenz kann dazu beitragen, das Wohlbefinden von Menschen mit Demenz zu verbessern, indem sie positive emotionale Reaktionen auslösen.
- Erinnerungen wecken: Die Präsenz von Tieren kann Erinnerungen und positive Emotionen wecken. Beispielsweise haben das Füttern oder Streicheln besagte Effekte hervorgerufen.
- Neuen Lebensmut finden: Herr Müller (Name geändert), ein 76-jähriger Demenzpatient, fand neuen Lebensmut durch den Besuch eines Therapiehundes. Seine Tochter berichtet, wie die Augen ihres Vaters jedes Mal leuchten, wenn der Hund wöchentlich eine Stunde vorbeikommt.
Kognitive Vorteile
Erkrankte zeigten während der Interaktion mit Tieren oft eine gesteigerte Konzentration, verbesserte Sprachfähigkeit und eine erhöhte soziale Interaktion.
- Verbesserung kognitiver Fähigkeiten: Tiergestützte Therapie kann kognitive Fähigkeiten wie Erinnerung und Aufmerksamkeit verbessern.
- Re-Orientierung: Man nimmt an, dass der demenzielle Mensch eine Re-Orientierung hinsichtlich des zeitlichen und räumlichen Empfindens durch den Umgang mit Therapietieren erfährt.
- Struktur im Alltag: Das Leben mit Tieren schafft oft eine Struktur im Alltag, die wiederum dem Gedächtnis und der Orientierung dienlich ist.
Soziale Vorteile
Die soziale Interaktion kann durch die tiergestützte Therapie positiv beeinflusst werden.
- Förderung der sozialen Interaktion: Der Kontakt mit Tieren kann dazu beitragen, dass sich Menschen mit Demenz sozialer verhalten und ihre zwischenmenschlichen Fähigkeiten verbessern. Tiere schaffen oft eine entspannte und ungezwungene Atmosphäre, in der sich Demenzerkrankte sicher und akzeptiert fühlen. Die Anwesenheit von Tieren kann zu Gesprächen, dem Austausch von Erinnerungen und zwischenmenschlichen Beziehungen führen. Tiertherapie kann darüber hinaus auch Gruppenaktivitäten fördern, bei denen Demenzerkrankte miteinander und mit den Tieren interagieren können.
- Verbessertes Sozialverhalten: Studien legen nahe, dass regelmäßiger Umgang mit Tieren Freude sowie soziale Interaktion fördern kann. Zudem sorgen sie für mehr Aktivität und ein verbessertes Sozialverhalten von vielen Menschen, die von Demenz betroffen sind.
Physische Vorteile
- Förderung von Bewegung und Aktivität: Spazieren mit einem Hund, das Streicheln einer Katze oder das Bürsten eines Ponys ermutigt die Betroffenen, sich zu bewegen und aktiv zu sein. Die regelmäßige Interaktion mit Tieren kann die Muskulatur stärken, die Balance verbessern und die Mobilität fördern.
Formen der tiergestützten Therapie
In der Regel erfolgt die tiergestützte Behandlung mit Besuchstieren, die in das Pflegeheim oder Zuhause der Betroffenen kommen. Manche Patientinnen und Patienten sind geistig und körperlich in der Lage, sich noch etwas selbst um einen Hund oder eine Katze zu kümmern. Füttern hilft ihnen beispielsweise den Tag zu strukturieren. Dies ist aber die Ausnahme. Die Bandbreite an Therapietieren ist groß. Eingesetzt werden Hunde oder Katzen, Meerschweinchen, Kaninchen oder in ländlicher Umgebung auch Nutztiere wie Pferde und Hühner. Manchen hilft sogar der Blick auf Fische in einem Aquarium, um die Beschwerden etwas vergessen zu machen, Verstimmungen oder gar eine Depression zu verbessern und den allgemeinen Gemütszustand aufzuhellen.
- Besuchstiere: Einrichtungen werden regelmäßig von speziell ausgebildeten Tieren und ihren Haltern besucht.
- Therapietiere: Tiere leben dauerhaft in einer Einrichtung und sind in den Therapiealltag integriert.
- Tiergestützte Aktivitäten: Unstrukturierte Interaktionen mit Tieren, wie z.B. Streicheln oder Spielen.
- Tiergestützte Interventionen: Gezielte therapeutische Maßnahmen, die von Fachkräften mit Unterstützung von Tieren durchgeführt werden.
Auswahl des geeigneten Tieres
Bei der Auswahl der Tierart sollte die Geschichte der Patientinnen und Patienten beachtet werden. Wer beispielsweise mit einem Hund aufgewachsen ist, für den ist dies vermutlich die beste Wahl. Vielen fällt die Beziehung zu einem Tier einfacher als zu einem Menschen. Therapietiere stimmen ihre Aktivität automatisch auf den Patienten bzw. die Patientin ab, sodass sie auch bei starken Einschränkungen einen Weg finden, mit den Erkrankten zu „kommunizieren“ und zu interagieren.
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Tiergestützte Therapie in der Praxis
Hof Lichtblick bietet tiergestützte Fördermaßnahmen mit Hühnern und Kaninchen an. Für die Senioren ist dies das absolute Highlight. Noch Tage danach sprechen sie über den tierischen Besuch. Der Kontakt und das Streicheln der Tiere beruhigt Demenzkranke. Sie kommen zur Ruhe, erinnern sich an Vergangenes und genießen die Abwechslung.
Fallbeispiele
- Frau S. (89 Jahre): Profitierte von Spaziergängen im Park und Streicheleinheiten mit einem Hund.
- Herr Müller (76 Jahre): Fand neuen Lebensmut durch den Besuch eines Therapiehundes.
- Familie Weber: Erlebte spürbare Verbesserungen durch den Einsatz einer interaktiven Stofftier-Katze bei ihrer demenzkranken Mutter.
Interaktive Plüschtiere als Alternative
Neben echten Tieren spielen auch interaktive Plüschtiere eine wichtige Rolle in der Versorgung, um Symptome bei Demenzkranken zu lindern. Sie sind nicht nur Begleiter, die gerade in Pflegeheimen Trost und Freude spenden, sondern auch Brückenbauer zu einer besseren Lebensqualität für Menschen mit Demenz. Ähnliches berichtet Familie Weber (Name geändert) über ein interaktives Stofftier in Form einer Katze, das bei ihrer demenzkranken Mutter zum Einsatz kommt und für spürbare Verbesserungen sorgt. Das Plüschtier - in diesem Fall die Aktivkatze® Smart Cat von Robicare®, die miauen und auf Bewegung reagieren kann -, bietet ihr Trost und Gesellschaft.
Roboterrobbe PARO
So werden zunehmend Robotertiere als Ersatz für lebende Tiere auf ihre Eignung als Pflegemaßnahme körperlich und geistig eingeschränkter Menschen untersucht, wie z.B. die Roboterrobbe PARO, die unter anderem auch in der Therapie demenzkranker Menschen zum Einsatz kommt.
Ethische Bedenken bei Robotertieren
Die ethische Plausibilität des therapeutischen Einsatzes von interaktiven Kuschelrobotern wie PARO (Robbe), AIBO (Hund), CuDDler (Eisbär), Nabaztag (Hase) und NeCoRo oder JustoCat (Katze) ist jedoch umstritten, da trotz höherer Praktikabilität, niedrigerer Kosten und Vorteile bzgl. des Schutzes lebender Therapietiere eine Verarmung und Stereotypisierung des Sozialverhaltens der Patienten befürchtet wird.
Wissenschaftliche Evidenz
Eine aktuelle systematische Übersichtsarbeit fasst nun die Evidenz tiergestützter Interventionen im Kontext mit dem Verhalten und den psychischen Beschwerden von Demenzpatienten in Pflegeeinrichtungen zusammen. Von anfänglich 204 ermittelten Artikeln wurden 32 als relevant befundene Studien in die Übersichtsarbeit inkludiert. Die Autoren berücksichtigten Studien aus acht Ländern, die meisten davon in den USA angesiedelt. Hinsichtlich des Studiendesigns wurden keine Einschränkungen vorgenommen, so dass sowohl randomisierte als auch quasi-experimentelle und qualitative Studien Eingang in die Übersichtsarbeit fanden. Alle inkludierten Studien wurden in spezialisierten Pflegeeinrichtungen, Memory-Kliniken oder geriatrischen Krankenhausabteilungen durchgeführt. Über den Schweregrad der jeweiligen Demenzfälle konnten die Autoren nur bedingt Auskunft geben, da dieser nur in 13 Studien erhoben wurde. Allen Studien gemein war die geringe Anzahl der Probanden. Während in der größten Studie 100 Patienten eingeschlossen waren, wies die kleinste Studie nur vier Studienteilnehmer auf.
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Ergebnisse von Studien
- Agitiertes und aggressives Verhalten: In neun von 15 Studien konnte ein statistisch signifikanter Rückgang dieser Symptome durch die tiergestützte Therapie beobachtet werden.
- Sozialverhalten: Die Mehrzahl der Studien verzeichnete eine signifikante Verbesserung des sozialen und kommunikativen Verhaltens der untersuchten Patienten.
- Gemütszustand: Die erzielten Ergebnisse waren heterogen. In einigen Studien konnte eine signifikante Verbesserung des Gemütszustands, aber nicht der depressiven Verstimmung erreicht werden, andere Studien verzeichneten eine deutliche Besserung der depressiven Symptome. In einer Studie verschlechterten sich die Symptome sogar.
- Lebensqualität: In drei von vier Studien fand diesbezüglich eine wesentliche Verbesserung durch die tiergestützte Maßnahme statt.
- Physische Aktivität: Beide relevanten Studien resultierten in einer Erhöhung des Aktivitätslevels durch die Beschäftigung mit Pferden und Hunden.
Einschränkungen der Evidenz
Was die Evidenz der tiergestützten Therapie bei Demenzpatienten betrifft, so kann es auf der Grundlage der vorliegenden systematischen Übersichtsarbeit keine eindeutige Empfehlung für eine Anwendung geben. Für die Etablierung tiergestützter Maßnahmen in der Pflege demenzkranker Menschen fehlt es bisher noch an randomisierten Studien, die höhere Patientenzahlen, einheitliche Messparameter sowie eine eindeutigere Differenzierung der Erkrankungsgrade aufweisen.
Einschränkungen und Risiken
Es ist wichtig, die individuellen Bedürfnisse und Einschränkungen von Demenzkranken zu berücksichtigen. Nicht alle Erkrankten reagieren positiv auf die Interaktion mit Tieren. Einige Personen können Ängste oder Allergien haben, die eine solche Therapieform einschränken. Einschränkungen im Einsatz tiergestützter Therapien sind jedoch zu berücksichtigen, wenn Demenzpatienten eine Tierhaarallergie aufweisen oder eine Aversion bzw. ängstliches Verhalten gegenüber den eingesetzten Tieren zeigen.
Tipps für Angehörige und Pflegekräfte
Für Angehörige und Pflege- bzw. medizinische Fachkräfte bieten sich folgende Tipps hinsichtlich tiergestützter Therapien an:
- Individuelle Bedürfnisse berücksichtigen: Nicht jede Art der tiergestützten Therapie ist für jeden Demenzkranken geeignet. Beachten Sie die individuelle Geschichte und eventuelle Allergien.
- Sicherheit gewährleisten: Stellen Sie sicher, dass sowohl das Haustier als auch der Demenzkranke geschützt sind. Für beide geht es um den Aufbau einer Beziehung.
- Tiere als Bereicherung sehen: Also liebe Alltagshilfen, solltet Ihr einen liebevollen Vierbeiner haben, dann berichtet Euren Senioren davon, wie sehr Tiere ihr Leben bereichern können. Tauscht euch bei beiderseitigem Einverständnis über ein mögliches Treffen aus und profitiert gemeinsam von der Zeit zu dritt. Spaziergänge durch den Park, das Kaufen von Leckereien und besonders viel Zeit für Streicheleinheiten.
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