Polyneuropathie, eine Erkrankung, die viele Menschen betrifft, oft als Folge von Diabetes, Chemotherapie oder anderen Grunderkrankungen, kann die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen. Die Symptome reichen von Kribbeln und Taubheitsgefühlen bis hin zu Muskelschwäche und Schmerzen. Glücklicherweise gibt es verschiedene Behandlungsansätze, die Linderung verschaffen können, darunter Akupressur, Physiotherapie und traditionelle chinesische Medizin (TCM).
Was ist Polyneuropathie?
Polyneuropathie bedeutet übersetzt "viele erkrankte Nerven". Es handelt sich um eine Gruppe von Störungen, bei denen mehrere periphere Nerven betroffen sind. Diese Nerven verbinden Muskeln, Haut und Organe mit dem Gehirn, und Schäden an ihnen können die Informationsübertragung stören.
Die Symptome beginnen oft schleichend mit Kribbeln, Taubheitsgefühlen oder stechenden Schmerzen in Fingern oder Zehen. Im fortgeschrittenen Stadium kann die Bewegungsfähigkeit eingeschränkt sein, und viele Betroffene haben Probleme mit dem Gleichgewicht oder dem Gehen.
Etwa 5-8 % der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland sind betroffen, besonders häufig Menschen über 75 Jahren. Zu den häufigsten Ursachen zählen Diabetes mellitus und Alkoholmissbrauch, aber auch Vitaminmangel (z. B. Vitamin B12) oder genetische Veranlagungen können eine Rolle spielen. In vielen Fällen bleibt die Ursache jedoch unklar ("idiopathische Neuropathie").
Westliche Diagnostik und Therapie
Die schulmedizinische Diagnostik umfasst neurologische Untersuchungen, Nervenleitgeschwindigkeitsmessungen und umfangreiche Bluttests. Ziel ist es, eine mögliche Ursache zu finden und diese zu behandeln.
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Zur Messung der Nervenleitgeschwindigkeit wird Strom durch die Nervenbahnen geschickt. Mit einer Stimmgabel prüft der Neurologe das Vibrationsempfinden. Bei der standardisierten Quantitativen Sensorischen Testung werden durch sieben verschiedene Gefühlstests an der Haut 13 Werte ermittelt. Sie helfen zu erkennen, welche Nervenfasern genau geschädigt sind und wie stark die Schädigung fortgeschritten ist. Um das Temperaturempfinden exakt zu messen, kommen bei der sogenannten Thermode computergesteuerte Temperaturreize zum Einsatz.
Die Untersuchung einer Gewebeprobe (Nerv-Muskel-Biopsie aus dem Schienbein) kann helfen, die Ursache einer Polyneuropathie zu finden. Hierbei wird festgestellt, ob der Schaden an der Hüllsubstanz des Nerven (Myelin) oder am Nerven selbst entstanden ist. Bei bestimmten Ursachen finden sich zum Beispiel Entzündungszellen oder Amyloid-Ablagerungen. Bei einer Untergruppe der Neuropathien sind insbesondere die dünnen, kleinen Nervenfasern der Haut betroffen (Small-Fiber-Neuropathien).
Die westliche Therapie konzentriert sich vor allem auf die Behandlung der Grunderkrankung und die Linderung der Symptome. Zur Schmerzbekämpfung werden häufig Antidepressiva und Medikamente gegen Krampfanfälle (Antikonvulsiva) eingesetzt. Capsaicin-Pflaster können ebenfalls helfen, den schmerzenden Bereich zu betäuben und die Durchblutung zu steigern.
Weitere Therapieansätze umfassen:
- Bewegung: Ausreichende Bewegung ist wichtig, da sie den Nerven "Input" gibt.
- Elektrotherapie: Die Nerven werden durch Impulse aus einem speziellen Gerät stimuliert, sodass Erkrankte statt Schmerzen ein leichtes Kribbeln spüren.
- Gleichgewichtstraining: Physiotherapie kann helfen, die fortschreitende Gangunsicherheit zu verbessern.
Die Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) als vielversprechende Alternative
Ein vielversprechender Ansatz zur Behandlung von Polyneuropathie kommt aus der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM). Die TCM betrachtet den Menschen in seiner Gesamtheit und zielt darauf ab, das energetische Gleichgewicht des Körpers wiederherzustellen.
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Chinesische Diagnostik
Die Diagnose nach den Regeln der TCM wird mithilfe einer ausführlichen Anamnese, einer vollständigen Untersuchung sowie der Zungen- und Pulsdiagnose gestellt. Dabei wird schwerpunktmäßig das aktive Körpergewebe beurteilt, einschließlich der Funktion der inneren Organe und des Zustands der Muskeln, Sehnen und Nerven.
Die Zunge wird als Abbild des energetischen Zustands angesehen, und die Pulsdiagnostik gibt Aufschluss über die Zusammensetzung der Gewebe, die nährenden Flüssigkeiten und die aktive Energie des Körpers.
Chinesische Diagnose der Polyneuropathie
Aus Sicht der chinesischen Medizin ist die Hauptursache einer Polyneuropathie eine Ansammlung von Schleim (Tan), der die physiologischen Körperprozesse beeinträchtigt. Dies kann durch eine Überlastung des Funktionskreises Magen/Milz (Pi Wei), oft bedingt durch langfristige Fehl- oder Mangelernährung, verursacht werden.
Der Schleim sinkt nach unten in Richtung der Beine ab und führt zu Stauungen im Blut (Xue), was die Unterversorgung der Nerven und die daraus resultierenden Symptome bedingt.
Therapien der TCM
Zu den Therapien der Traditionellen Chinesischen Medizin zählen Akupunktur, Wärmebehandlung mit Moxatherapie, Pharmakotherapie, Ernährungstherapie und manuelle Therapien wie Tuina. Ergänzt wird dieses Behandlungskonzept durch selbstständig durchzuführende Übungen aus dem Qigong oder Taiji.
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Akupunktur
Durch die Behandlung mit Akupunktur wird an verschiedenen, genau definierten Punkten das Qi und sein Fluss in den Meridianen beeinflusst. Dadurch ist es möglich, den Energiefluss im Körper zu harmonisieren, Organe gezielt zu stärken oder überschüssige Energie abzuleiten und pathologische, krankheitsauslösende Faktoren zu eliminieren.
Bei der Polyneuropathie werden häufig folgende Akupunkturpunkte genutzt, die auch von den Patienten regelmäßig zu Hause akupressiert werden können:
- Ma 36 (Zusanli): Stützt und stärkt die Funktionskreise Milz und Magen, wirkt Stagnationen entgegen und harmonisiert Qi und Xue.
- Ma 40 (Fenglong): Wandelt Schleim um und treibt Schleim aus dem Körper, bewegt das Qi der Funktionskreise Milz und Magen und wirkt damit Stagnationen entgegen.
- Mi 6 (Sanyinjiao): Verbindungspunkt der 3 Yin-Leitbahnen am Fuß, kräftigt den Funktionskreis Milz, wandelt Nässe um, steigert die Verteilung der Säfte im Körper.
- Mi 9 (Yinlingquan): Leitet Nässe aus, reguliert den Fluss, bringt Qi in die unteren Extremitäten.
- Ni 3 (Taixi): Stärkt das Qi der Funktionskreise Niere und Leber, kühlt Hitze, kräftigt den unteren Rückenbereich und die Knie.
- Le 3 (Taichong): Kühlt Xue, reguliert dessen Fluss und wirkt damit Stagnationen entgegen, senkt Yang ab, unterstützt die Funktionskreise Leber und Gallenblase.
- Gb 34 (Yanglingquan): Stärkt die Funktionsbereiche Leber, Gallenblase, Milz und Niere, entspannt die Sehnen, eliminiert Schleim und Hitze.
- EX 10 (Bafeng): Wandelt Hitze-Nässe um und leitet sie aus dem Körper hinaus, wird eingesetzt bei Schmerzen in den Füßen, bei Schwächegefühl und Sensibilitätsstörungen in den Füßen.
Pharmakotherapie
In der Traditionellen Chinesischen Medizin stellt die Behandlung mit Pharmakotherapie eine wichtige Basis dar. Hierfür werden vor allem pflanzliche Heilmittel wie Blüten und Rinden benutzt.
Ernährungsberatung (Diätetik)
Eine ausgewogene Ernährung ist eine wichtige Voraussetzung für die Gesundheit. Bei Patienten, die unter einer Polyneuropathie leiden, bietet sich eine Ernährung mit stärkenden Lebensmitteln an, die möglichst keinen weiteren Schleim erzeugen. Grundsätzlich ist darauf zu achten, dass man dreimal am Tag in Ruhe isst und möglichst alle Mahlzeiten warm verzehrt. Vor allem ein warmes, stärkendes Frühstück wie ein Congee (chinesischer Reisbrei) oder ein Porridge sind sehr zu empfehlen. Auf kalte und zu fettige Nahrungsmittel sollte möglichst verzichtet werden. Auch Milchprodukte sind in diesem Zusammenhang zu meiden. Abends kann man beispielsweise warmes Gemüse oder Suppen genießen.
Lebensführung
Die Lebensführung hat in China einen sehr hohen Stellenwert und ist zur Erhaltung der Gesundheit in der chinesischen Kultur tief verwurzelt. Wichtig sind regelmäßige geistige und körperliche Betätigungen wie Qigong oder Taiji.
Wissenschaftliche Evidenz für Akupunktur
Eine neue, umfassende Metastudie analysierte alle relevanten Studien von 2017 bis 2022 zur Wirksamkeit von Akupunktur. Das Ergebnis: Von 184 untersuchten Indikationen zeigten 82 einen klaren, positiven Effekt, lediglich bei sechs konnte kein Nutzen festgestellt werden.
Eine weitere Studie zeigte, dass Akupunktur nicht nur subjektive Symptome verbesserte, sondern auch die Nervenleitgeschwindigkeit objektiv verbessern konnte.
Eine Studie mit Patienten mit Chemotherapie-induzierter Polyneuropathie zeigte, dass echte Akupunktur die Symptome signifikant stärker reduzierte als die Standardbehandlung und Scheinakupunktur.
Weitere Therapieansätze
Physiotherapie
Physiotherapie bietet gezielte Übungen, um Nervenschäden entgegenzuwirken, die Balance zu verbessern und die Lebensqualität zu steigern. Ein zentrales Ziel ist es, die Muskulatur zu stärken, Gleichgewicht und Koordination zu verbessern und die Durchblutung zu fördern.
Wichtige Übungen für zu Hause sind:
- Zehenstand: Verbessert das Gleichgewicht und stärkt die Fußmuskulatur.
- Fußkreisen: Fördert die Beweglichkeit und Durchblutung der Gelenke.
- Ballrollen: Aktiviert die Nerven und massiert die Fußmuskulatur.
- Balanceübungen: Verbessert das Gleichgewicht.
- Fingerübungen: Fördert die Beweglichkeit und Durchblutung der Hände.
Massage
Eine Massage kann helfen, Schmerzen zu reduzieren, die nicht immer direkt von den geschädigten Nerven verursacht werden, sondern oft von überlasteter Muskulatur herrühren. Durch die Polyneuropathie verändern sich die Bewegungsmuster, was zu Verkrampfungen in der Muskulatur führen kann.
Ziel der Massage ist es, sogenannte Myofasziale Triggerpunkte zu behandeln, die das Zentrum von Muskelverkrampfungen darstellen. Diese Punkte sind schmerzempfindliche Knötchen, die auch ausstrahlende Schmerzen verursachen können.
Zur Massage eignen sich harte Bälle wie Tennisbälle oder Flummis, mit denen man die Fußsohlen massieren kann. Wichtig ist, nicht allzu großen Druck anzuwenden und auf den sogenannten Wohlschmerz zu achten.
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