Die Frage, ob und inwieweit Alkoholkonsum das Risiko für Demenzerkrankungen, insbesondere Alzheimer, beeinflusst, ist Gegenstand intensiver Forschung. Die Ergebnisse sind oft widersprüchlich und bedürfen einer differenzierten Betrachtung. Während einige Studien einen moderaten Alkoholkonsum mit einem geringeren Demenzrisiko in Verbindung bringen, warnen andere vor jeglichem Alkoholkonsum, da dieser das Risiko erhöhen kann. Dieser Artikel fasst die aktuellen Erkenntnisse zusammen und beleuchtet die Komplexität des Themas.
Die Vielschichtigkeit der Studienlage
Die Studienlage zum Thema Alkohol und Demenz ist komplex und oft widersprüchlich. Es gibt Beobachtungsstudien, die einen Zusammenhang zwischen moderatem Alkoholkonsum und einem geringeren Demenzrisiko nahelegen. Andererseits gibt es Studien, die zeigen, dass bereits geringe Mengen Alkohol das Demenzrisiko erhöhen können. Es ist wichtig, die unterschiedlichen Studiendesigns und methodischen Ansätze zu berücksichtigen, um die Ergebnisse richtig einordnen zu können.
Aktuelle Studienergebnisse im Detail
Die Bostoner Studie: Fokus auf moderate Mengen und Verteilung des Konsums
Gesundheitsforscher um Dr. Koch nutzten einen Datensatz, um retrospektiv die Demenzinzidenz mit dem Alkoholkonsum zu korrelieren. Die Teilnehmer der Studie waren durchschnittlich 78 Jahre alt. Die Studie diente primär dazu, einen Nutzen von Ginkgo biloba mit Placebo zu vergleichen. Rund 16 Prozent zeigten erste kognitive Defizite (MCI), die übrigen waren kognitiv unauffällig. Im Mittel nahmen die Probanden sechs Jahre an der Studie teil. Die Teilnehmer gaben an, wie viel Bier, Wein und andere Alkoholika sie pro Woche konsumierten - ebenso, wie viel sie jeweils tranken, wenn sie einmal Alkohol genossen. Die Forscher rechneten die Angabe in Standarddrinks um, bezogen auf eine Dose Bier (350ml) oder ein Glas Wein (180 ml).
Unter Berücksichtigung von Begleitfaktoren war die Demenzrate bei denjenigen Teilnehmern ohne anfängliche MCI am geringsten, die 7 bis 14 Drinks pro Woche konsumierten. Ein statistisch belastbares Resultat brachte die Studie bezogen auf die Verteilung des Alkoholkonsums: Wer täglich einen Drink und nicht mehr genießt, hat nach diesen Daten nur ein halb so hohes Risiko, an Demenz zu erkranken, wie jemand, der viel seltener Alkohol trinkt, dann aber zwei oder mehr Getränke benötigt.
Die geringe Teilnehmerzahl und damit auch eine geringe Ereignisrate muss berücksichtigt werden. Hier sind kaum signifikante Ergebnisse in kleinen Gruppen zu erwarten.
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Kopenhagener Studie: Sterberisiko bei Alzheimer-Patienten
Forscher der Universität Kopenhagen berichteten, dass das Sterberisiko im frühen Stadium der Alzheimer-Erkrankung sinkt, wenn sich Patienten gelegentlich ein Gläschen gönnen. Allerdings handelt es sich bei dieser Studie um eine reine Beobachtungsstudie, weshalb man nicht schlussfolgern kann, moderater Alkoholkonsum senke das Sterberisiko von Patienten mit Alzheimer Demenz. Zudem ist sie bisher weltweit die einzige Studie zu dieser Frage. Daher stehen unabhängige Bestätigungen der Ergebnisse noch aus. Davon abgesehen ist ihre Aussagekraft aufgrund eines sehr geringen Stichprobenumfangs stark limitiert. Da in der Allgemeinbevölkerung jedoch mehrfach ein Zusammenhang zwischen moderatem Alkoholkonsum und vermindertem Sterberisiko festgestellt wurde, überrascht es nicht, dass dies auch für Menschen mit Demenz gilt.
Die Kopenhagener Studie fand das geringste Sterberisiko in der Gruppe mit dem Verzehr von 2-3 Einheiten von 12g/15mL reinem Alkohol pro Tag (entspricht etwa 0,25 bis 0,4 Litern Weißwein).
Pariser Studie: Alkohol als Hauptrisikofaktor für früh beginnende Demenz
Gesundheitsökonomen um Dr. Michaël Schwarzinger von der Sorbonne in Paris werteten Klinikentlassungsdaten von Franzosen aus und kamen zu dem Schluss, dass Alkohol der Hauptrisikofaktor für eine früh beginnende Demenz ist. Sie zählten zu Letzterem etwa eine alkoholbedingte Leberzirrhose, Epilepsie, hepatische Enzephalopathie, Kopfverletzung durch Stürze im Suff oder ein Wernicke-Korsakoff-Syndrom. Von den unter 65-Jährigen Demenzkranken hatten 57 % ein Alkoholproblem oder eine Alkoholfolgeerkrankung, und zwar 67 % der Männer sowie 39 % der Frauen. Umgekehrt ist eine Alkoholerkrankung unabhängig vom Alter nach diesen Daten der stärkste modifizierbare Risikofaktor für eine Demenz: Die Demenzinzidenz ist bei Alkoholkranken rund viereinhalbfach höher als in der übrigen Bevölkerung. Die Forscher um Schwarzinger gehen davon aus, dass der Effekt von übermäßigem Alkoholgenuss auf das Demenzrisiko noch stärker sein könnte als die Studiendaten nahelegen.
Deutsche Übersichtsarbeit: Risiko steigt mit hohem Konsum
Eine Übersichtsarbeit von Wissenschaftler*innen aus Deutschland umfasste die Analyse von sieben Studien. Auf dieser Grundlage haben die Forschenden den Einfluss des Alkoholkonsums auf die Entwicklung einer Demenzerkrankung in 33 europäischen Ländern schätzen können. Bei 67.726 Demenzfällen in einer Gruppe von 45- bis 64-Jährigen wurde der risikoreiche Alkoholkonsum im Jahr 2019 dabei mit 3.536 Demenzfällen in Verbindung gebracht. Sie erklärten, dass die Durchführung geschlechtsspezifischer Analysen wichtig ist, um Unterschiede im Krankheitsrisiko zwischen Männern und Frauen aufzudecken und geschlechtsspezifische Krankheitsmechanismen aufzudecken.
Die Forschenden gingen auch der Frage nach dem Zusammenhang zwischen Alkoholabhängigkeit und Demenz nach. Demnach hatten Alkoholabhängige - sowohl Frauen als auch Männer- ein erheblich höheres Demenzrisiko. Trinken Männer und Frauen nur selten oder mäßig Alkohol, kann dies sogar eine vor der Entwicklung einer Demenz schützen.
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Aktuelle Studie (2024): Linearer Zusammenhang zwischen Alkoholkonsum und Demenzrisiko
Eine neue Studie, die in eClinicalMedicine veröffentlicht wurde, konzentrierte sich auf Personen, die derzeit Alkohol konsumieren, und zeigt, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen steigendem Alkoholkonsum und einem erhöhten Demenzrisiko gibt, wobei es keine sichere Menge gibt. Diese Studie stellt frühere Erkenntnisse in Frage und deutet darauf hin, dass selbst geringe Mengen Alkohol das Risiko erhöhen, an Demenz zu erkranken.
Die Forscherinnen verwendeten multivariable Cox-Modelle mit eingeschränkten kubischen Splines für die konventionelle Analyse und sowohl nichtlineare als auch lineare Mendelsche Randomisierungsanalysen (MR), um kausale Zusammenhänge zu bewerten. Das multivariable Cox-Modell mit eingeschränkten kubischen Spline-Funktionen identifizierte eine J-förmige Beziehung zwischen Alkoholkonsum und Demenzrisiko, wobei das niedrigste Risiko bei 12,2 Einheiten/Woche lag. Die nichtlineare MR konnte keinen signifikanten nichtlinearen Kausalzusammenhang feststellen (p = 0,45). Diese Studie stellte einen positiven linearen Kausalzusammenhang zwischen Alkoholkonsum und Demenz bei aktuellen Alkoholkonsumentinnen fest. Der in konventionellen epidemiologischen Analysen gefundene J-förmige Zusammenhang wurde durch nichtlineare MR-Analysen nicht bestätigt.
Mögliche Mechanismen: Warum Alkohol das Demenzrisiko beeinflussen könnte
Die Mechanismen, durch die Alkohol das Demenzrisiko beeinflussen könnte, sind vielfältig und noch nicht vollständig verstanden.
Negative Auswirkungen von hohem Alkoholkonsum
- Direkte Neurotoxizität: Hoher Alkoholkonsum kann zu direkten Schäden an Gehirnzellen führen.
- Alkoholbedingte Erkrankungen: Alkoholbedingte Leberzirrhose, Epilepsie, hepatische Enzephalopathie, Kopfverletzungen durch Stürze im Suff oder ein Wernicke-Korsakoff-Syndrom erhöhen das Demenzrisiko.
- Oxidativer Stress: Alkohol ist eine vermeidbare Quelle von oxidativem Stress. Alkohol/Acetaldehyd denaturiert Enzyme und Rezeptoren.
- Metabolisches Syndrom: Mäßiger Alkoholkonsum ist ein Risikofaktor für das metabolische Syndrom, führt zur Cortisolsekretion, erhöht die Triglyceride, die Homocystein-Konzentration, den Puls und den Blutdruck und führt zu Insulinresistenz und Diabetes - hieraus entwickelt sich eine Mikroangiopathie. Diese ist die Hauptursache einer Demenz nach dem 65. Lebensjahr und triggert auch die Amyloidablagerung.
Mögliche positive Effekte von moderatem Alkoholkonsum (mit Vorsicht zu genießen)
- Herz-Kreislauf-System: Moderater Alkoholkonsum hat eine positive Auswirkung auf das Herz-Kreislauf-System, indem die Verklumpung der Blutplättchen und Entzündungen gehemmt werden und das Lipidprofil des Blutes verbessert wird.
- Gehirnstruktur: In der Bildgebung findet man bei maßvollen Alkoholkonsumenten, im Vergleich zu Abstinenten, weniger Verletzungen der weißen Substanz, weniger Hirninfarkte und größere Volumina der beiden Hirnregionen Hippocampus und Amygdala.
- Antioxidative Stoffe: Alkoholika enthalten etliche antioxidative Stoffe, die unter Umständen dem oxidativen Stress im alternden Gehirn entgegen wirken können.
Es ist wichtig zu betonen, dass diese potenziellen positiven Effekte mit Vorsicht zu genießen sind, da sie nicht in allen Studien beobachtet wurden und die negativen Auswirkungen von hohem Alkoholkonsum überwiegen.
Die Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE)
Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) hat ihre Empfehlungen zum Umgang mit Alkohol ersetzt. Sie folgt damit neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen, die zeigen, dass es keine gesundheitlich sichere Menge an Alkohol gibt, die einen unbedenklichen Konsum ermöglicht. Die DGE empfiehlt daher, auf alkoholische Getränke zu verzichten. Wer dennoch alkoholische Getränke zu sich nimmt, sollte vor allem hohe Alkoholmengen vermeiden. Dies gilt insbesondere für junge Menschen.
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Interview mit Dr. Horst Bickel: Kritische Perspektive auf moderaten Alkoholkonsum
Dr. Horst Bickel äußert sich kritisch zum Thema moderater Alkoholkonsum und dessen vermeintliche positive Auswirkungen. Er betont, dass es keinen Beweis für einen "präventiv wirksamen mäßigen" Alkoholkonsum gibt und dass mäßiger Alkoholkonsum ein Risikofaktor für Demenz ist. Er führt eine Reihe von negativen Auswirkungen von Alkoholkonsum auf, darunter Abhängigkeit, metabolisches Syndrom, Cortisolsekretion, erhöhte Triglyceride, Homocystein-Konzentration, Puls und Blutdruck, Insulinresistenz und Diabetes. Er argumentiert, dass Alkohol die größte vermeidbare Quelle von oxidativem Stress ist und Enzyme und Rezeptoren denaturiert.
Dr. Bickel kritisiert auch Studien, die einen positiven Zusammenhang zwischen moderatem Alkoholkonsum und geringerem Demenzrisiko zeigen. Er argumentiert, dass Abstinenzler in diesen Studien oft ungebildete Extrinker mit Alkoholfolgen wie Bluthochdruck und Diabetes sind oder kränkelnde Personen mit hohen Risiken. Er betont, dass alle kurzen Doppelblindversuche mit Alkohol nur schlimme Folgen gezeigt haben und dass eine langfristige Studie nicht möglich ist, weil Alkohol ein Rauschgift ist.
Die Bedeutung der Vermeidung von hohem Alkoholkonsum
Unabhängig von der Frage, ob moderater Alkoholkonsum potenziell positive Effekte haben könnte, ist es unbestritten, dass hoher Alkoholkonsum ein erhebliches Gesundheitsrisiko darstellt und das Demenzrisiko erhöht. Die Vermeidung von hohem Alkoholkonsum ist daher eine wichtige Maßnahme zur Prävention von Demenzerkrankungen.