Alkohol und Demenz: Eine detaillierte Risikoanalyse

Der Konsum von Alkohol ist ein weit verbreitetes Phänomen mit komplexen Auswirkungen auf die Gesundheit. Während einige Studien geringen Mengen Alkohol gesundheitsfördernde Effekte zusprechen, zeigen aktuelle Analysen, dass selbst geringer Alkoholkonsum das Demenzrisiko erhöhen kann. Dieser Artikel beleuchtet die Zusammenhänge zwischen Alkoholkonsum und Demenzrisiko, basierend auf aktuellen Forschungsergebnissen und wissenschaftlichen Erkenntnissen.

Alkoholkonsum in Deutschland: Ein Überblick

Das Robert Koch-Institut (RKI) hat ermittelt, dass sich in Deutschland 44,2 Prozent der Männer und 21,4 Prozent der Frauen durch ihren Alkoholkonsum einem moderaten oder hohen Gesundheitsrisiko aussetzen. Ein moderates Risiko besteht laut RKI bei drei bis sechs Getränken pro Woche, ein hohes Risiko ab sieben Getränken. Interessanterweise steigt der Alkoholkonsum mit dem Bildungsniveau. Nur 21,2 Prozent der Menschen in Deutschland trinken gar keinen Alkohol - 16,7 Prozent der Männer und 25,3 Prozent der Frauen.

Der Einfluss von Alkohol auf das Gehirn

Starker Alkoholkonsum ist schädlich für das Gehirn. Doch auch leichter Alkoholkonsum kann negative Auswirkungen haben. Ältere Forschungsarbeiten deuteten darauf hin, dass leichter Alkoholkonsum mit einem geringeren Demenzrisiko verbunden sein könnte. Aktuelle Erkenntnisse stellen diese Annahme jedoch in Frage. Eine Forschungsgruppe aus Großbritannien und den USA unter der Leitung von Anya Topiwala hat diesen Widerspruch in einer aktuellen Analyse näher untersucht.

Studiendesign und Methodik

Das Forschungsteam kombinierte Beobachtungsdaten und genetische Analysen. Sie nutzten Daten aus zwei großen Kohortenstudien aus den USA und Großbritannien mit Informationen von über einer halben Million Menschen, die über Jahre hinweg begleitet wurden. Zusätzlich führten sie eine umfassende genetische Analyse durch, die sich auf bekannte Genvarianten konzentrierte, die mit unterschiedlichen Ausprägungen des Alkoholkonsums zusammenhängen, und verknüpften diese mit dem Auftreten von Demenz. Die genetischen Informationen stammten aus Datenbanken mit Daten von rund 2,4 Millionen Menschen.

Ergebnisse der Analyse

Die Analyse der Kohortenstudien bestätigte zunächst, dass Menschen, die wenig Alkohol trinken, ein niedrigeres Demenzrisiko aufweisen als Abstinenzler. Die genetische Analyse lieferte jedoch ein anderes Ergebnis. Demnach steigt das Demenzrisiko mit jedem Glas Alkohol. Die Forschenden fanden keinen Hinweis darauf, dass geringer bis moderater Alkoholkonsum mit einem niedrigeren Demenzrisiko verbunden wäre als Abstinenz.

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Reverse Kausalität als Erklärung

Die Autorinnen und Autoren fanden eine Erklärung für den scheinbaren Widerspruch zwischen den Beobachtungsdaten der Kohortenstudien und der genetischen Analyse. Sie konnten anhand der Kohortenstudien nachvollziehen, dass viele Personen, die an Demenz erkrankten, schon Jahre vor der Diagnose ihren Alkoholkonsum reduzierten. Dies deutet darauf hin, dass nicht moderater Alkoholkonsum vor Demenz schützt, sondern die sich anbahnende Demenz Betroffene dazu verleitet, ihren Alkoholkonsum zu reduzieren. Die Forschenden sprechen daher von einer „reversen“ Kausalität.

Schlussfolgerung der Studie

Die Schlussfolgerung von Topiwala und ihrem Team lautet: Es gibt keinen Alkoholkonsum, der das Demenzrisiko senkt. Vielmehr sei die Prävention des Alkoholkonsums ein Hebel, um das Demenzrisiko in der Bevölkerung zu reduzieren. Demnach könnte das Auftreten von Demenzerkrankungen um bis zu 16 Prozent verringert werden, wenn es gelänge, den problematischen Alkoholkonsum in der Bevölkerung deutlich zu reduzieren.

Auswirkungen von Alkohol auf die Gehirnstruktur

Schon der regelmäßige Konsum einer Flasche Bier pro Tag kann die graue und weiße Substanz im Gehirn schrumpfen lassen. Die graue Substanz, die Großhirnrinde (Cortex), beherbergt etwa 20 Milliarden Nervenzellkörper. Im Inneren des Großhirns befinden sich die Zellfortsätze (Axone), die aufgrund ihrer helleren Farbe als weiße Substanz bezeichnet werden. Beide Substanzen sind wesentliche Bestandteile des zentralen Nervensystems und steuern nahezu alle Hirnfunktionen.

Die Veränderungen, die Alkohol in den Gehirnsubstanzen verursacht, sind nicht linear: Je mehr man trinkt, desto schneller schrumpft das Gehirn. Zum Beispiel entspricht die Erhöhung des täglichen Alkoholkonsums einer 50-jährigen Person von einem 0,25-Liter-Glas Bier auf eine 0,5-Liter-Flasche Bier einer Alterung des Gehirns um zwei Jahre.

Beschleunigte Hirnalterung

Die Zellstrukturen im Gehirn bauen sich normalerweise ab etwa dem 50. Lebensjahr langsam ab. Alkoholkonsum beschleunigt diesen Abbau. Die Folgen der Hirnalterung äußern sich vor allem durch ein geschwächtes Erinnerungsvermögen. Betroffene vergessen häufiger Kleinigkeiten oder müssen öfter auf ihre Einkaufsliste schauen. Alkohol beeinträchtigt auch andere kognitive Fähigkeiten wie Aufmerksamkeit, Orientierung und die Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung. Jüngere Studien zeigen, dass regelmäßiger Alkoholkonsum von bereits fünf bis sechs Standardgläsern pro Woche die kognitive Leistungsfähigkeit vermindert.

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Alkohol als Risikofaktor für Demenz

Regelmäßiger Konsum hoher Alkoholmengen verursacht Veränderungen im Gehirn, die das Risiko einer Demenzerkrankung stark erhöhen. Demenz ist eine Krankheit, die eine fortschreitende Abnahme der geistigen Leistungsfähigkeit verursacht. Betroffene können häufig kein selbstbestimmtes Leben mehr führen und sind auf Hilfe im Alltag angewiesen. Studien zeigen, dass sich das Demenzrisiko deutlich erhöht, wenn man regelmäßig viel Alkohol trinkt. Personen ab 45 Jahren, die mehr als 24 Gramm reinen Alkohol (ca. 250 ml Wein) am Tag trinken, sind besonders gefährdet.

Alkoholbedingte Demenz: Eine französische Studie

Eine Studie der Sorbonne Universität Paris aus dem Jahr 2018 legt nahe, dass regelmäßiger starker Alkoholkonsum ein Risikofaktor für eine früh beginnende Demenz vor dem 65. Lebensjahr ist. Die Studie wertete Klinikentlassungsdaten von fast allen Franzosen aus, die zwischen 2008 und 2013 in einer Klinik in Frankreich stationär aufgenommen worden waren. Die Forscher zählten alkoholbedingte Leberzirrhose, Epilepsie, hepatische Enzephalopathie, Kopfverletzungen durch Stürze im Suff oder ein Wernicke-Korsakoff-Syndrom zu den Alkoholfolgeerkrankungen.

Die Ergebnisse zeigten, dass etwas mehr als 4 % der Franzosen mit einer Demenzdiagnose aus der Klinik entlassen wurden und etwas mehr als 3 % mit einer Alkoholstörung. Unter den Männern betrug der Anteil der Alkoholkranken 5,5 %, unter Frauen 1,3 %. Etwas über 57.000 Personen hatten eine Demenz im Alter von weniger als 65 Jahren entwickelt - das sind nur 5,2 % aller registrierten Demenzkranken. Von den unter 65-Jährigen Demenzkranken hatten 57 % ein Alkoholproblem oder eine Alkoholfolgeerkrankung, und zwar 67 % der Männer sowie 39 % der Frauen.

Umgekehrt ist eine Alkoholerkrankung unabhängig vom Alter der stärkste modifizierbare Risikofaktor für eine Demenz. Die Demenzinzidenz ist bei Alkoholkranken rund viereinhalbfach höher als in der übrigen Bevölkerung. Für andere Risikofaktoren ergebe sich hingegen ein maximal zweifach erhöhtes Demenzrisiko. Die Forscher gehen davon aus, dass der Effekt von übermäßigem Alkoholgenuss auf das Demenzrisiko noch stärker sein könnte als die Studiendaten nahelegen.

Geschlechtsspezifische Unterschiede

Eine Übersichtsarbeit von Wissenschaftler*innen aus Deutschland umfasste die Analyse von sieben Studien und schätzte den Einfluss des Alkoholkonsums auf die Entwicklung einer Demenzerkrankung in 33 europäischen Ländern. Bei 67.726 Demenzfällen in einer Gruppe von 45- bis 64-Jährigen wurde der risikoreiche Alkoholkonsum im Jahr 2019 mit 3.536 Demenzfällen in Verbindung gebracht. Die Durchführung geschlechtsspezifischer Analysen ist wichtig, um Unterschiede im Krankheitsrisiko zwischen Männern und Frauen aufzudecken und geschlechtsspezifische Krankheitsmechanismen zu erkennen.

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Alkoholabhängigkeit und Demenzrisiko

Alkoholabhängige - sowohl Frauen als auch Männer - haben ein erheblich höheres Demenzrisiko. Dennoch gibt es auch Hinweise darauf, dass seltener oder mäßiger Alkoholkonsum vor der Entwicklung einer Demenz schützen kann. Es ist ratsam, Alkohol nur in Maßen zu genießen, um sich vor einer früheinsetzenden Demenz zu schützen.

Aktuelle Forschungsergebnisse aus Oxford

Eine Studie der Universität Oxford hat gezeigt, dass schon geringe Mengen Alkohol das Demenzrisiko erhöhen. Das Team um Anya Topiwala wertete die Daten des US Million Veteran Programme und der UK Biobank aus. In beiden Studien wurden zusammen 559.559 Teilnehmende im Alter von 56 bis 72 Jahren nach ihrem Alkoholkonsum befragt. Im Vergleich zu Menschen, die keinen Alkohol oder weniger als 7 alkoholische Getränke in der Woche konsumierten, waren 7 bis 14 Getränke in der „UK Biobank“ mit einem um 9 % niedrigeren Demenzrisiko assoziiert. In der Kohorte des „US Million Veteran Programme“ war das Demenzrisiko um 6 % vermindert. Bei einem höheren Alkoholkonsum stieg die Hazard Ratio wieder an.

Mendelsche Randomisierung

Eine Mendelsche Randomisierung kommt jedoch zu einem anderen Ergebnis. Bei dieser Untersuchung bildet nicht der angegebene Konsum die Grundlage der Berechnungen, sondern die mit dem Konsum verbundenen genetischen Varianten. Aus den SNP lässt sich ein genetischer Risikoscore ermitteln. Er war in allen 3 Fällen mit einem erhöhten Demenzrisiko assoziiert - ohne Hinweis auf eine protektive Wirkung bei einem geringen Konsum oder wenigstens einem Schwellenwert für einen unbedenklichen Konsum. Topiwala ermittelte eine lineare Beziehung zwischen Alkoholkonsum und Demenzrisiko: Jeder Anstieg des wöchentlichen Konsums um eine Standardabweichung erhöhte das Demenzrisiko um 15 %.

Reverse Kausalität bestätigt

Der Widerspruch zwischen der ersten konventionellen Analyse und der Mendelschen Randomisierung löst sich auf, wenn der Konsum in den Jahren vor der Demenz betrachtet wurde. Je näher die Diagnose rückte, desto weniger Alkohol tranken die Personen. Diese Abnahme kann in epidemiologischen Studien fälschlicherweise als präventive Wirkung gedeutet werden, was auch als reverse Kausalität bezeichnet wird.

Weitere Risikofaktoren für Demenz

Neben Alkoholkonsum gibt es weitere Faktoren, die das Risiko für eine Demenzerkrankung erhöhen können. Rauchen, Diabetes mellitus und starkes Übergewicht sind Faktoren, die eine Alzheimererkrankung oder vaskuläre Demenz begünstigen.

Umgang mit Alkoholkonsum bei Demenz

Der Konsum von Alkohol hat eine negative Wirkung auf die Hirnzellen, verschlechtert die Gedächtnisleistung und kann dazu führen, dass Situationen und Risiken nicht richtig eingeschätzt werden. Darum sollte bei einer vorhandenen Demenz grundsätzlich auf übermäßigen Alkoholkonsum verzichtet werden. Manche Erkrankte mit einer beginnenden Demenz möchten gerade bei einer Feier oder einem geselligen Beisammensein nicht auf ein Glas Bier oder Wein verzichten. Ein erhöhter Alkoholkonsum oder gar ein Vollrausch sollten aber unbedingt vermieden werden. Im Zweifelsfall sollte man auf eine alkoholfreie Alternative zurückgreifen.

Beratungsstellen und Anlaufstellen

Die wesentlichen Merkmale einer Demenz betreffen die geistigen Fähigkeiten und deren Einschränkung. Es gibt zahlreiche Beratungsstellen und Anlaufstellen für Erkrankte und Angehörige, die Unterstützung und Informationen bieten.

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