Bereits ein geringer Alkoholkonsum, wie er bei vielen Menschen üblich ist, kann mit einer Schrumpfung und vorzeitigen Alterung des Gehirns einhergehen. Zu diesem Schluss kommen verschiedene Studien, die den Zusammenhang zwischen Alkoholkonsum und Veränderungen im Gehirnvolumen untersuchen.
Studienergebnisse im Überblick
Forscherinnen und Forscher um Reagan Wetherill von der University of Pennsylvania analysierten medizinische Daten von mehr als 36.000 Erwachsenen aus der »UK Biobank«, einer Datenbank mit gesundheitsrelevanten Informationen. Die Auswertung zeigte, dass ein höherer Alkoholkonsum mit einem geringeren Hirnvolumen einhergeht. Dieser Effekt wurde auch in anderen Studien bestätigt, beispielsweise von Dr. Anya Topiwala und Kollegen von der University of Oxford.
Beschleunigte Alterung des Gehirns
Die Schrumpfung des Gehirns durch Alkoholkonsum kommt einer vorzeitigen Alterung gleich, da die Hirnmasse auch mit den Lebensjahren schwindet. Selbst Alkoholmengen, die weithin als unbedenklich gelten, sind demnach mit messbaren Effekten assoziiert. So weisen beispielsweise 50-Jährige, die täglich eine Flasche Bier oder ein Glas Wein zu sich nehmen, einen Hirnverlust auf, der zwei zusätzlichen Lebensjahren entspricht - gemessen an dem durchschnittlichen Volumen, das man für dieses Alter erwarten würde.
Betroffene Hirnregionen
Der Schwund betrifft das gesamte Organ, vor allem aber den Frontal- und Scheitellappen und die Inselrinde. Diese Hirnregionen wirken an der Steuerung von Bewegungen sowie an der Verarbeitung von Sinneseindrücken mit; der Frontallappen gilt zudem als Sitz der individuellen Persönlichkeit und des Sozialverhaltens. Die Verringerungen des Hirnvolumens betrafen fast alle Regionen des Gehirns, darunter den frontalen Kortex, die Insula und den Hirnstamm. Einige Areale waren jedoch stärker betroffen, darunter:
- Der Frontallappen (präfrontaler Cortex): Er steuert die Motorik, gilt aber auch als Sitz der Persönlichkeit.
- Bestimmte Teile des Temporallappens (Schläfenlappen), in dem unter anderem Sprachfähigkeiten und Gedächtnis beheimatet sind.
- Die Insula (Insel), die an der Wahrnehmung von Geschmack und Geruch, aber auch an der Entstehung von Ekel wesentlich beteiligt ist.
- Das Kleinhirn (Cerebellum), das unter anderem das vegetative Nervensystem reguliert.
- Der Hippocampus (Zwischenhirn), der für das Überführen neuer Informationen ins Langzeitgedächtnis und für das Abrufen von Erinnerungen zuständig ist.
Der Zusammenhang zwischen Alkoholkonsum und Hirnschwund
Der Zusammenhang zwischen Alkoholkonsum und Hirnschwund scheint nicht linear zu sein. Während ein kleines Glas Bier pro Tag lediglich einem halben zusätzlichen Lebensjahr gleichkomme, seien es bei vier Gläsern täglich bereits zehn Jahre. »Es wird umso schlimmer, je mehr man trinkt«, sagt Remi Daviet von der University of Wisconsin-Madison, einer der beteiligten Forscher. Manches deute darauf hin, dass die Wirkung des Alkohols mit steigender Menge exponentiell wachsen könnte. Das hieße aber auch: Jene, die am meisten trinken, profitieren am stärksten von einer Einschränkung ihres Konsums.
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Grenzwerte und Standard-Drinks
Als Grenzwerte, ab denen sich das gesundheitliche Risiko für Erwachsene nachweislich erhöht, gelten üblicherweise 12 Gramm Alkohol täglich für Frauen und 24 Gramm täglich für Männer. Da sich alkoholische Getränke in ihrem Prozentgehalt stark unterscheiden, versucht man sie untereinander vergleichbar zu machen, indem man sie in »Standard-Drinks« umrechnet. Ein Standard-Drink enthält ungefähr 10 Gramm reinen Alkohol, wobei diese Menge von Land zu Land anders definiert ist. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) konsumieren weltweit etwa zweieinhalb Milliarden Menschen Alkohol. Diese nehmen im Schnitt 33 Gramm täglich zu sich, was rund drei Standard-Drinks entspricht - und der neuen Studie zufolge mit deutlichen Hirnveränderungen einhergeht.
Wie Alkohol im Gehirn wirkt
Der angstlösende, entspannende Effekt kommt in erster Linie daher, dass Alkohol an den ?-Aminobuttersäure-Rezeptor bindet und ihn aktiviert. Das führt zu einer Ausschüttung von Botenstoffen, die eine hemmende Wirkung auf das Gehirn haben. Dadurch fühlt man sich locker und entspannt. Dann bindet Alkohol auch noch an Serotoninrezeptoren. Das sorgt dafür, dass Dopamin und letztendlich Endorphine ausgeschüttet werden, die wiederum ein Wohlgefühl auslösen. Alkohol bindet auch an den L-Glutamatrezeptor und wirkt dadurch lähmend. Je mehr man trinkt, desto mehr kommt diese hemmende, betäubende Wirkung durch. Alkohol sorgt auch für den Verlust der Kritikfähigkeit.
Besondere Gefahren für Jugendliche
Jugendliche haben generell eine deutlich höhere Risikobereitschaft. Sie probieren gern neue Dinge aus, und dazu gehört auch das Trinken. In der Pubertät bis ins junge Erwachsenenalter hinein werden im Gehirn viele bestehende Verbindungen gelöst und neue geknüpft - insbesondere in einem Bereich, der die kognitiven Leistungen und die Kontrolle von Emotionen steuert und außerdem für die Persönlichkeitsstruktur wichtig ist. Besonders empfindlich ist das Gehirn während der Umbauprozesse in Pubertät und jungem Erwachsenenalter. Daher wird gefordert, dass die Altersgrenze für jegliche Form von Alkohol - auch für Bier - in Deutschland einheitlich auf 18 Jahre angehoben wird.
Alkoholabhängigkeit und ihre Folgen
Viele trinken Alkohol und werden trotzdem nicht süchtig. Dafür müssen viele Faktoren zusammenkommen, dazu gehören genetische und körperliche Faktoren sowie Umwelteinflüsse wie psychische Belastungen und der kulturelle Umgang mit Alkohol. Mit Blick auf das Gehirn kann man sagen, dass sich die Anzahl der Rezeptoren und ihre Regulation untereinander verändert. Dadurch kommt es zu einer Toleranzbildung. Das bedeutet, man braucht immer mehr von einer Substanz, bis eine Wirkung auftritt - zum einen weil die Rezeptoren weniger empfindlich werden und zum anderen weil mehr Rezeptoren gebildet werden. Und je mehr davon da sind, desto mehr Wirkstoff ist nötig, um sie zu besetzen. Außerdem kommt noch ein wichtiger Punkt hinzu: die Konditionierung. Der Abhängige verbindet bestimmte Situationen wie etwa eine Kneipe mit diesem Wohlgefühl, das er beim Trinken empfunden hat. Kommt er wieder in die Situation, braucht er nicht einmal Alkohol zu sehen und verspürt schon den Drang, ein Glas zu trinken.
Behandlungsmöglichkeiten bei Alkoholabhängigkeit
Es gibt Opiathemmer, die den Belohnungseffekt im Gehirn abschwächen. Sie blockieren die Rezeptoren, so dass weniger Dopamin ausgeschüttet wird. Dadurch stellt sich das Wohlgefühl nicht ein und der Drang lässt nach, Alkohol zu trinken.
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Weitere Studienergebnisse und Erkenntnisse
- Eine Studie in »PLOS Medicine« untersuchte, wie selbst leichter bis moderater Alkoholkonsum das Gehirn beeinträchtigen kann. Die Forscher fanden heraus, dass bereits ein bis zwei alkoholische Getränke pro Tag mit einer Verringerung des Gehirnvolumens verbunden sind. Diese Veränderungen entsprechen einer beschleunigten Gehirnalterung.
- Eine Studie in der Fachzeitschrift »Experimental and Clinical Psychopharmacology« hat einen überraschenden Zusammenhang zwischen Alkoholkonsum bei Jugendlichen und der Struktur des Gehirns aufgedeckt. Die Forscher*innen fanden heraus, dass ein größeres Volumen des Hippocampus mit dem Alkoholkonsum in der Jugend zusammenhängt, während für den Tabak- oder Cannabiskonsum kein solcher Zusammenhang festgestellt wurde.
- Die Ergebnisse einer Studie der University of Pennsylvania zeigen, dass Alkoholkonsum das Volumen der grauen und weißen Hirnsubstanz verringern kann.
- Suchtexperte Markus Salinger betont, dass Alkohol eine Droge ist und die Balance der Neurotransmitter stört. Er erklärt, dass Drogen die Grundstimmung verstärken und zu Veränderungen im Gehirn führen können.
Auswirkungen auf die graue und weiße Substanz
Schon eine Flasche Bier am Tag lässt die graue sowie die weiße Substanz im Gehirn schrumpfen, wenn Sie über einen langen Zeitraum regelmäßig konsumieren. Bei der grauen Substanz handelt es sich um die Großhirnrinde (oder Cortex), die rund 20 Milliarden Nervenzellkörper beherbergt. Im Inneren des Großhirns befinden sich ihre Zellfortsätze (Axone), die aufgrund ihrer helleren Farbe weiße Substanz genannt werden. Beide Substanzen sind wesentliche Bestandteile des zentralen Nervensystems und steuern nahezu alle Hirnfunktionen. Ohne sie kann das Gehirn nicht normal arbeiten. Die Veränderungen, die Alkohol in den Gehirnsubstanzen verursacht, sind jedoch nicht linear: Je mehr man trinkt, desto schneller schrumpft das Gehirn.
Folgen der Hirnalterung durch Alkoholkonsum
Die Folgen der Hirnalterung machen sich vor allem durch ein geschwächtes Erinnerungsvermögen bemerkbar. So kann es häufiger dazukommen, dass sie Kleinigkeiten wie Ihren Hausschlüssel vergessen oder immer öfter mehr als einmal auf Ihre Einkaufsliste schauen müssen. Aber der Alkohol beeinträchtigt auch andere kognitive Fähigkeiten: Aufmerksamkeit, Orientierung oder die Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung. Jüngere Studien weisen darauf hin, dass regelmäßiger Alkoholkonsum von bereits fünf bis sechs Standardgläsern pro Woche die kognitive Leistungsfähigkeit vermindert.
Erhöhtes Demenzrisiko
Im Gehirn verursacht ein regelmäßiger Konsum hoher Alkoholmengen außerdem Veränderungen, die das Risiko einer Demenzerkrankung stark erhöhen. Dabei handelt es sich um eine Krankheit, die eine fortschreitende Abnahme der geistigen Leistungsfähigkeit hervorruft. Betroffene Menschen können dadurch häufig kein selbstbestimmtes Leben mehr führen und sind auf Hilfe im Alltag angewiesen. Studien zeigen, dass sich das Demenzrisiko deutlich erhöht, wenn man regelmäßig viel Alkohol trinkt. Personen ab 45 Jahren, die mehr als 24 Gramm reinen Alkohol (ca. 250 ml Wein) am Tag trinken, sind besonders gefährdet. Um einer möglichen Demenz entgegenzuwirken ist es daher ebenfalls wichtig, möglichst wenig Alkohol zu trinken.
Korsakow-Syndrom
Das Korsakow-Syndrom ist eine vor allem bei Alkoholikerinnen und Alkoholikern auftretende Form des Gedächtnisschwunds. Betroffene sind nicht in der Lage, neue Gedächtnisinhalte zu speichern oder wiederzugeben. Außerdem können sie oft Erlebnisse aus ihrer Vergangenheit nicht mehr wiedergeben. Lücken im Gedächtnis werden beim Korsakow-Syndrom zum Teil mit erfundenen Geschichten aufgefüllt, die Betroffenen begreifen den Verlust der Erinnerungen nicht.
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