Die Alzheimer-Krankheit, eine fortschreitende neurodegenerative Erkrankung, stellt eine der größten medizinischen Herausforderungen unserer Zeit dar. Die Forschung hat in den letzten Jahrzehnten erhebliche Fortschritte erzielt, insbesondere bei der Entwicklung von Antikörper-Wirkstoffen, die auf die zugrunde liegenden Mechanismen der Krankheit abzielen. Dieser Artikel beleuchtet die Wirksamkeit, die Fortschritte und die Herausforderungen der Alzheimer-Antikörper-Therapie.
Antikörper-Wirkstoffe im Visier: Amyloid-Beta-Ablagerungen
Die aktuellen Antikörper-Wirkstoffe richten sich gegen eine der möglichen Ursachen der Alzheimer-Krankheit: die Ablagerungen des Proteins Amyloid-beta. Ziel der Wirkstoffe ist es, in den Krankheitsverlauf einzugreifen, das heißt, die degenerativen Prozesse im Gehirn zu verlangsamen und gegebenenfalls aufzuhalten. Diese Wirkstoffe sind eine bestimmte Art von Wirkstoffen auf Basis so genannter monoklonaler Antikörper. Monoklonale Antikörper werden meist künstlich hergestellt und können in der Medizin vielfältig eingesetzt werden, zum Beispiel zum Nachweis von Krankheiten, aber auch in der Forschung und Therapie. Wirkstoffe, die auf monoklonalen Antikörpern basieren, sind erkennbar an der letzten Silbe „mab“, kurz für „monoclonal antibody“.
Antikörper, wie sie zur Therapie der Alzheimer-Krankheit eingesetzt werden (sollen), wirken als eine Art Auslöser für bestimmte Immunprozesse im Gehirn. Sie sind so konstruiert, dass sie an die schädlichen Amyloid-beta-Proteine im Gehirn binden und so den Körper dazu bringen, diese schädlichen Proteine abzubauen. In Hirnscans lässt sich nachweisen, dass die Antikörper die Ansammlung von Amyloid-Proteinen verringern.
Historische Entwicklung und aktuelle Zulassungen
Erste Entwicklungen von Alzheimer-Antikörper-Wirkstoffen gab es bereits Anfang der 2000er Jahre, allerdings hat sich seitdem keiner der Wirkstoffe als nachhaltig wirksam erwiesen. Bekannte Antikörper-Wirkstoffe gegen die Alzheimer-Krankheit waren:
- Bapinezumab: erster Alzheimer-Wirkstoff 2003 (nicht zugelassen)
- Solanezumab: 2004 von Eli Lilly entwickelt (nicht zugelassen)
- Crenezumab: 2008 von Gentech entwickelt (nicht zugelassen)
- Gantenerumab: 2010 von Roche entwickelt (nicht zugelassen)
- Aducanumab: entwickelt 2012 von Biogen, kam 2019 als Medikament Aduhelm auf den US-Markt, wurde 2024 mangels Wirksamkeit eingestellt.
In den letzten Jahren gab es jedoch bedeutende Fortschritte. Am 15.04.2025 wurde von der EU-Kommission ein Medikament mit dem Antikörper Lecanemab für eine genau umrissene Gruppe von Patientinnen und Patienten mit Alzheimer im Frühstadium zugelassen. Seit 25.09.2025 ist auch ein zweites Antikörper-basiertes Alzheimermedikament in der EU zugelassen. Es enthält den Antikörper Donanemab.
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- Lecanemab (Leqembi): gemeinsame Entwicklung von Eisai und Biogen, seit April 2025 in der EU zugelassen, in Deutschland verfügbar seit dem 1. September 2025. Lecanemab ist ein Antikörper-Wirkstoff, der gezielt eine Vorstufe der für Alzheimer typischen Amyloid-beta-Protein-Plaques im Gehirn erkennt und bindet. Dadurch wird das körpereigene Immunsystem aktiviert und baut die Plaques ab beziehungsweise verhindert die Bildung neuer Plaques.
- Donanemab (Kisunla): von Eli Lilly entwickelt, seit September 2025 in der EU zugelassen, in Deutschland seit dem 4.
Diese Zulassungen stellen einen wichtigen Meilenstein dar, da es sich um die ersten Medikamente seit 2002 handelt, die in den Krankheitsverlauf eingreifen und nicht nur die Symptome lindern.
Lecanemab (Leqembi): Details und Anwendung
Leqembi (Wirkstoff: Lecanemab) ist ein neues Medikament zur Behandlung der frühen Alzheimer-Krankheit. Es richtet sich an Menschen mit leichten kognitiven Beeinträchtigungen (MCI) bei Alzheimer oder im Frühstadium der Alzheimer-Krankheit. Seit dem 25. August 2025 ist Leqembi in Österreich erhältlich, in Deutschland ab dem 1. September. Die Zulassung durch die Europäische Kommission erfolgte im April 2025.
Lecanemab ist ein Antikörper-Wirkstoff, der gezielt eine Vorstufe der für Alzheimer typischen Amyloid-beta-Protein-Plaques im Gehirn erkennt und bindet. Dadurch wird das körpereigene Immunsystem aktiviert und baut die Plaques ab beziehungsweise verhindert die Bildung neuer Plaques.
Wer kann Leqembi erhalten?
Leqembi ist nur für Menschen mit einer Alzheimer-Erkrankung im frühen Stadium zugelassen - also bei leichten kognitiven Beeinträchtigungen (MCI) oder beginnender Demenz. Hinzu kommen mehrere medizinische Voraussetzungen:
- Es müssen krankhafte Amyloid-beta-Ablagerungen im Gehirn nachgewiesen werden (durch Lumbalpunktion oder Amyloid-PET).
- Die Patientin oder der Patient darf höchstens eine Kopie des ApoE4-Gens tragen.
- Wer Gerinnungshemmer einnimmt, darf nicht mit Leqembi behandelt werden.
Vor Beginn der Behandlung mit Leqembi wird geprüft, ob die Patientin oder der Patient das so genannte ApoE4-Gen besitzt. Menschen mit einer doppelten Kopie dieses Gens (ApoE4-Homozygote) haben ein erhöhtes Risiko für schwere Nebenwirkungen und können deshalb nicht mit Leqembi behandelt werden. Der Gentest macht die Therapie sicherer.
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Verabreichung und Kontrolle auf Nebenwirkungen
Leqembi wird als Infusion (Tropf) alle zwei Wochen direkt in die Vene verabreicht. Die Behandlung dauert jeweils etwa eine Stunde.
Vor Beginn und während der Behandlung sind MRT-Untersuchungen notwendig, um mögliche Nebenwirkungen wie Hirnschwellungen oder kleine Blutungen im Gehirn frühzeitig zu erkennen. Diese Untersuchungen müssen vor der 5., 7. und 14. Dosis erfolgen. Werden die vorgeschriebenen MRTs nicht durchgeführt, muss die Behandlung beendet werden. Treten Kopfschmerzen, Verwirrtheit oder Übelkeit auf, entscheiden die behandelnden Ärztinnen und Ärzte über weitere Untersuchungen.
Besondere Sicherheitsvorkehrungen
Nur Patientinnen und Patienten, die alle Voraussetzungen erfüllen, dürfen mit Leqembi behandelt werden. Vor Beginn der Therapie erhalten sie ebenso wie ihre behandelnden Ärztinnen und Ärzte ausführliche Informationen, um mögliche Nebenwirkungen frühzeitig zu erkennen und richtig einzuordnen. Zusätzlich ist die Teilnahme an einem EU-weiten Kontrollprogramm verpflichtend (Controlled Access Program, CAP) Patientinnen und Patienten sowie ihre behandelnden Ärztinnen und Ärzte müssen in ein zentrales Register eingeschrieben werden. Zu Beginn der Therapie erhalten die Erkrankten eine Patientenkarte und ausführliche Aufklärungsunterlagen.
Die Behandlung mit Leqembi wird beendet, wenn sich die Alzheimer-Erkrankung deutlich verschlechtert und in ein mittelschweres Stadium übergeht.
Mögliche Nebenwirkungen
In Studien traten bei einem Teil der Teilnehmenden Nebenwirkungen auf - darunter Hirnschwellungen (ARIA-E) und Hirnblutungen (ARIA-H). Diese waren in den meisten Fällen symptomlos, wurden aber engmaschig kontrolliert. Das Risiko für solche Nebenwirkungen hängt stark vom ApoE4-Gen ab: Menschen mit zwei Kopien dieses Gens sind besonders gefährdet und daher von der Behandlung ausgeschlossen.
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Bei den für die EU-Zulassung relevanten Patientengruppen - also Menschen mit höchstens einer Kopie des ApoE4-Gens - kam es in rund 13 % der Fälle zu Hirnblutungen und in 9 % zu Hirnschwellungen. Weitere mögliche Nebenwirkungen sind Kopfschmerzen (11 %) und Infusionsreaktionen (26 %). In der Studie wurden drei Todesfälle gemeldet, von denen zwei mit der gleichzeitigen Einnahme von Gerinnungshemmern in Verbindung gebracht wurden.
Wirksamkeit und Studienergebnisse
In der großen Phase-3-Studie CLARITY AD zeigte sich, dass die Erkrankung bei den Teilnehmenden, die Leqembi erhielten, langsamer fortschritt als in der Placebo-Gruppe. Während des 18-monatigen Untersuchungszeitraums wurde in regelmäßigen Abständen kognitive Fähigkeiten, wie das Gedächtnis, die Orientierung oder die Fähigkeit, Probleme zu lösen, von Fachleuten überprüft. Ergebnis der Studie war, dass die Krankheit bei denjenigen, die Lecanemab erhielten, um 27 Prozent langsamer voranschritt als bei der Kontrollgruppe.
Trotz der messbaren Wirksamkeit wird die Wirkung von Leqembi von vielen Expertinnen und Experten eher als moderat eingeschätzt. Es ist fraglich, inwieweit die Wirkung für an Alzheimer erkrankte Menschen spürbar ist und im Alltag einen Unterschied macht. Die Studie hat jedoch gezeigt, dass sich der verzögernde Effekt mit der Dauer der Einnahme zunimmt. Das könnte bedeuten, dass eine Einnahme über den Zeitraum der bisher untersuchten 18 Monate hinaus die Wirksamkeit von Lecanemab noch erhöht.
Donanemab (Kisunla): Ein weiterer Hoffnungsträger
Seit September 2025 ist mit Donanemab (Kisunla) ein zweites Antikörper-basiertes Medikament in der EU zugelassen. Im Juli hatte es eine Zulassungsempfehlung der EMA erhalten - nach einer Überprüfung der zunächst negativen EMA-Entscheidung vom 28.03.2025. Auch dieses Medikament kann Studien zufolge bei einer Anwendung im Frühstadium der Erkrankung das Fortschreiten verlangsamen.
Phase-III-Daten zu Donanemab wurden im Juli auf der Alzheimer-Tagung in Amsterdam vorgestellt. Sie belegen eine klinische Wirksamkeit und wurden in vielen Medien als „Durchbruch in der Alzheimer-Forschung“ dargestellt. Donanemab konnte in der Studie die Progression der Alzheimer-Erkrankung um ca.
Herausforderungen und offene Fragen
Auch wenn die neuen Entwicklungen einen Durchbruch bedeuten, gibt es noch einige offene Fragen zur Wirksamkeit und Sicherheit der Antikörpertherapie:
- So vertragen Frauen und Menschen mit bestimmten Risikogenen die Therapie teilweise weniger gut.
- Außerdem kam es sowohl bei Lecanemab, als auch bei Donanemab bei einigen Erkrankten zu Hirnblutungen.
- Auch der Zusammenhang zwischen Amyloid-beta-Ablagerungen und den tatsächlichen Symptomen ist nicht abschließend geklärt.
- Offen ist auch die Langzeitwirksamkeit - hier gibt es aufgrund der vergleichsweise kurzen Verfügbarkeit noch keine relevanten Daten.
- Einen großen Diskussionspunkt stellt zudem aber das Kosten-Nutzen-Verhältnis dar. „Die Behandlungskosten für Lecanemab betragen in den USA 26.000 Dollar pro Jahr. Auch muss bedacht werden: „Wir heilen Alzheimer damit nicht, wir verlangsamen bisher nur die klinische Progression um vielleicht 30 Prozent.
Eine weitere Limitation neben den Nebenwirkungen sieht der Experte in der „Versorgungslogistik“. Lecanemab muss unter fachärztlicher Aufsicht zweiwöchentlich, die anderen Antikörper vierwöchentlich infundiert werden. Hinzu kommen diagnostische Herausforderungen des Amyloid-Nachweises und zumindest im ersten Behandlungsjahr ca. vierteljährliche Kontrolluntersuchungen mit der Kernspintomographie. Offene Fragen sind derzeit: Welche Patientinnen und Patienten sollen behandelt werden - und in welchem Erkrankungsstadium?
Die Rolle der Amyloid-Hypothese
Viele Wissenschaftler gehen davon aus, dass die bei Alzheimer auftretenden Plaques zwischen den Nervenzellen wesentlich zum Absterben von Nervenzellen beitragen. Deshalb setzen viele Arzneimittel-Kandidaten an der Substanz an, aus der sie bestehen: dem Beta-Amyloid-Protein. Ein Typ dieser Medikamente enthält gentechnisch hergestellte Antikörper, die sich an das Beta-Amyloid-Protein oder Vorstufen davon heften. Das Immunsystem baut dann das so markierte Protein ab, wodurch der Raum zwischen den Nervenzellen gereinigt wird. Dieser Ansatz wird auch „passive Immunisierung gegen Alzheimer“ genannt. Die Studienergebnisse mit mehreren gegen Beta-Amyloid gerichteten Medikamente belegen, dass Beta-Amyloid-Plaques in der Tat eine relevante Rolle im Krankheitsgeschehen spielen. Wie zentral diese ist, ist damit aber noch immer nicht geklärt.
Einige Wissenschaftler:innen weisen seit Jahren darauf hin, dass sich solche Plaques mitunter auch im Gehirn von Menschen finden, die in geistiger Klarheit gestorben sind. Andererseits sind Menschen, die aufgrund einer genetischen Besonderheit kaum Beta-Amyloid-Plaques bilden können, anscheinend vor der Krankheit geschützt. Der Alzheimer-Forscher Prof. Christian Haass, Universität München und DZNE, Bonn, äußerte 2018 bei einem Workshop der Paul-Martini-Stiftung zu Alzheimer die Vermutung, dass die Amyloid-Bildung in einem frühen Stadium den Krankheitsprozess vorantreibt, der dann aber auch unabhängig von Amyloid voranschreitet. Weil sich Beta-Amyloid schon früher zeigt als eine Demenz-Symptomatik, sei es plausibel, dass einige Menschen trotz Beta-Amyloid in geistiger Klarzeit sterben.
Zukünftige Therapieansätze
Deshalb werden wir Alzheimer vermutlich auch nicht mit einem einzigen Wirkstoff heilen können. Es werden Kombinationstherapien gebraucht, die an verschiedenen Krankheitsmechanismen ansetzen. Noch etliche andere Ansatzpunkte für eine Alzheimer-Therapie werden derzeit in klinischen Studien oder bei Tieren erprobt.
Prof. Christian Haass äußerte sich zur Alzheimer-Therapie der Zukunft wie folgt: "Man müsste so früh wie möglich mit einer einmaligen Gabe eines Antikörpers die Plaques massiv reduzieren und danach die erneute Amyloidproduktion möglichst niedrig halten. Hierfür wären dann eher typische Medikamente, also chemisch leicht und billig herzustellende Substanzen, notwendig, die die Entstehung des Amyloids verhindern - es gibt also noch nach wie vor viel zu tun."
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