Lecanemab und andere Alzheimer-Medikamente: Zulassung und Perspektiven in Deutschland

Die Alzheimer-Krankheit stellt eine der größten medizinischen Herausforderungen unserer Zeit dar. Anders als bisherige Therapien soll der Wirkstoff Lecanemab die Alzheimer-Krankheit verlangsamen. Weltweit suchen Forscher nach Wegen, die Krankheit zu heilen, zu verlangsamen oder zumindest ihre Symptome zu lindern. In den letzten Jahren hat es bedeutende Fortschritte in der Entwicklung von Medikamenten gegeben, die auf die grundlegenden Mechanismen der Alzheimer-Krankheit abzielen. Ein solcher Wirkstoff ist Lecanemab, der als erster seiner Art in der Europäischen Union (EU) zugelassen wurde. Dieser Artikel beleuchtet die Zulassung von Lecanemab in Deutschland, seine Wirkungsweise, Einschränkungen und die damit verbundenen Herausforderungen. Zudem werden andere vielversprechende Medikamente wie Donanemab und alternative Therapieansätze vorgestellt.

Lecanemab: Ein neuer Ansatz in der Alzheimer-Therapie

Die Europäische Kommission hat mit Lecanemab erstmals eine Alzheimer-Therapie zugelassen, die auf die zugrunde liegenden Krankheitsprozesse abzielt. Bisherige Alzheimer-Therapien behandelten lediglich die Symptome der Krankheit, nicht jedoch die ursächlichen Prozesse im Gehirn. Lecanemab hingegen ist ein Antikörper, der sich gegen Amyloid-Ablagerungen im Gehirn richtet und dadurch den Verlauf der Krankheit in einem frühen Stadium verlangsamen soll. Seit April 2025 ist Leqembi in der EU zugelassen, in Deutschland aber noch nicht verfügbar. Derzeit laufen die Vorbereitungen für den Einsatz.

Wirkungsweise von Lecanemab

Lecanemab ist ein Antikörper-Wirkstoff, der gezielt eine Vorstufe der für Alzheimer typischen Amyloid-beta-Protein-Plaques im Gehirn erkennt und bindet. Dadurch wird das körpereigene Immunsystem aktiviert, das die Plaques abbaut bzw. die Bildung neuer Plaques verhindert. Lecanemab reduziert schädliche Amyloid-beta-Ablagerungen im Gehirn.

Zulassungsbedingungen und Einschränkungen

Zugelassen ist Lecanemab nur zur Behandlung von leichter kognitiver Beeinträchtigung (Gedächtnis- und Denkstörungen) oder leichter Demenz in einem frühen Stadium der Alzheimer-Krankheit. Das Medikament soll nur für diejenigen Alzheimer-Patienten verwendet werden, die eine oder keine Kopie von ApoE4 haben, einer bestimmten Form des Gens für das Protein Apolipoprotein E. Personen mit zwei Kopien sind wegen der erhöhten Gefahr für Hirnblutungen von der Behandlung ausgeschlossen. Hinzu kommt eine weitere Einschränkung: Das Mittel soll nur für diejenigen Alzheimer-Patienten verwendet werden, die eine oder keine Kopie von ApoE4, einer bestimmten Form des Gens für das Protein Apolipoprotein E, haben. Von den geschätzt etwa 1,2 Millionen Alzheimer-Erkrankten in Deutschland kommt Experten des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) zufolge letztlich nur ein sehr kleiner Teil für die neue Therapie infrage.

Um für die Behandlung mit Leqembi in Frage zu kommen, müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein:

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  • Frühes Stadium der Erkrankung: Leichte kognitive Beeinträchtigungen (MCI) oder beginnende Demenz.
  • Nachweis von Amyloid-beta-Ablagerungen: Durch Lumbalpunktion oder Amyloid-PET.
  • Genetische Voraussetzungen: Höchstens eine Kopie des ApoE4-Gens.
  • Keine Einnahme von Gerinnungshemmern.

Klinische Studien und Wirksamkeit

Ausschlaggebend für die Zulassung waren die Ergebnisse der Phase-3-Studie CLARITY AD, an der 1.795 Personen mit leichter kognitiver Beeinträchtigung oder leichter Alzheimer-Demenz teilnahmen. Während des 18-monatigen Untersuchungszeitraums wurde in regelmäßigen Abständen die kognitiven Fähigkeiten der Teilnehmer überprüft. Die Studie ergab, dass die Krankheit bei denjenigen, die Lecanemab erhielten, um 27 Prozent langsamer voranschritt als bei der Kontrollgruppe. Trotz der messbaren Wirksamkeit wird die Wirkung von Leqembi von vielen Experten eher als moderat eingeschätzt. Es ist fraglich, inwieweit die Wirkung für die Betroffenen spürbar ist und im Alltag einen Unterschied macht. Die Studie hat jedoch gezeigt, dass sich der verzögernde Effekt mit der Dauer der Einnahme zunimmt. Das könnte bedeuten, dass eine Einnahme über den Zeitraum der bisher untersuchten 18 Monate hinaus die Wirksamkeit von Lecanemab noch erhöht.

Mögliche Nebenwirkungen und Risiken

In Studien traten bei einem Teil der Teilnehmenden Nebenwirkungen auf - darunter Hirnschwellungen (ARIA-E) und Hirnblutungen (ARIA-H). Diese waren in den meisten Fällen symptomlos, wurden aber engmaschig kontrolliert. Bei den für die EU-Zulassung relevanten Patientengruppen - also Menschen mit höchstens einer Kopie des ApoE4-Gens - kam es in rund 13 % der Fälle zu Hirnblutungen und in 9 % zu Hirnschwellungen. Weitere mögliche Nebenwirkungen sind Kopfschmerzen (11 %) und Infusionsreaktionen (26 %). In der Studie wurden drei Todesfälle gemeldet, von denen zwei mit der gleichzeitigen Einnahme von Gerinnungshemmern in Verbindung gebracht wurden. Insbesondere bei wiederholtem Auftreten drohen jedoch eine verminderte Gehirnleistung oder Koordinationsschwierigkeiten.

Herausforderungen bei der Umsetzung

Die Einführung von Lecanemab in die klinische Praxis bringt einige Herausforderungen mit sich:

  • Frühzeitige Diagnose: Eine frühzeitige Diagnose der Alzheimer-Krankheit ist entscheidend, um Patienten in einem frühen Stadium der Erkrankung identifizieren zu können.
  • Spezialisierte Einrichtungen: Es bedarf spezialisierter Einrichtungen mit ausreichender personeller und technischer Ausstattung, um die komplexe Therapie mit Lecanemab durchzuführen.
  • Kosten: Die Medikamentenkosten für Lecanemab sind hoch. Hinzu kommen im Vorfeld einmalige Kosten für die Diagnostik.
  • Kapazitäten: Es gibt bisher wohl nicht ausreichend Kapazitäten für die nun zugelassene Therapie.

Verabreichung und Überwachung

Leqembi wird als Infusion alle zwei Wochen direkt in die Vene verabreicht. Die Behandlung dauert jeweils etwa eine Stunde. Vor Beginn und während der Behandlung sind MRT-Untersuchungen notwendig, um mögliche Nebenwirkungen wie Hirnschwellungen oder kleine Blutungen im Gehirn frühzeitig zu erkennen. Diese Untersuchungen müssen vor der 5., 7. und 14. Dosis erfolgen. Werden die vorgeschriebenen MRTs nicht durchgeführt, muss die Behandlung abgebrochen werden. Treten während der Behandlung Beschwerden wie Kopfschmerzen, Verwirrtheit oder Übelkeit auf, entscheiden die behandelnden Ärzte, ob eine zusätzliche MRT-Untersuchung notwendig ist.

Donanemab: Eine weitere Option in der Entwicklung

Donanemab ist ein weiterer Antikörper-Wirkstoff zur Behandlung der Alzheimer-Krankheit. Unter dem Handelsnamen Kisunla ist der Wirkstoff unter anderem in den USA, Japan, China und Großbritannien zugelassen. Für die EU befindet sich Kisunla derzeit noch im Zulassungsverfahren. Zuletzt wurde im Juli 2025 die Zulassung durch den Expertenrat der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) empfohlen.

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Wirkungsweise von Donanemab

Donanemab ist ein monoklonaler Antikörper, der sich gezielt gegen eine der Hauptursachen der Alzheimer-Krankheit, die Amyloid-Beta-Plaques, richtet und so den geistigen Verfall der Patientinnen und Patienten verlangsamen soll. Der Wirkstoff erkennt eine besonders giftige Form des Peptids Amyloid-beta (Pyroglutamat-Amyloid-beta) und setzt eine Immunreaktion in Gang, die darauf abzielt, die Plaques zu entfernen. Wie Leqembi konzentriert sich auch Kisunla auf die Beseitigung der Amyloid-Plaques, wobei Leqembi auch an lösliche Formen von Beta-Amyloid bindet, während Kisunla spezifisch an eine Form von Beta-Amyloid bindet, die sich bereits in Form von Plaques an den Zellen angelagert hat.

Klinische Studien und Wirksamkeit

Von zentraler Bedeutung für die Entwicklung von Donanemab war die Durchführung der TRAILBLAZER-ALZ-2 Studie, einer Phase-3-Studie, deren Ergebnisse am 3. Mai 2023 von Eli Lilly veröffentlicht wurden. Die Ergebnisse der Studie zeigten, dass Donanemab die schädlichen Amyloid-Ablagerungen effektiv abbauen und den geistigen Abbau der Patientinnen und Patienten um 35 Prozent verlangsamen konnte. Eine wichtige Erkenntnis war, dass die Erkrankten nach Entfernung der Amyloid-Ablagerungen die Behandlung beenden konnten, was eine kürzere Therapiedauer und vergleichsweise geringe Kosten ermöglicht. Derzeit untersucht Eli Lilly Donanemab in mehreren klinischen Studien. In der Studie TRAILBLAZER-ALZ 3 werden Patientinnen und Patienten untersucht, die bisher noch keine Alzheimer-Symptome aufweisen.

Zulassungsstatus und Verfügbarkeit

Am 2. Juli 2024 hat die amerikanische Arzneimittelbehörde FDA Kisunla zur Behandlung von früh-symptomatischer Alzheimer-Krankheit ohne weitere Auflagen zugelassen. In Japan wurde Kisunla im September 2024 unter der Bedingung zugelassen, dass die Patientinnen und Patienten nur eine oder keine Kopie des ApoE4-Gens tragen und keine Blutverdünner einnehmen - ähnlich wie in Großbritannien, wo die Zulassung am 23. Oktober 2024 erfolgte. In beiden Ländern ist das Medikament nur für Personen im Frühstadium der Krankheit mit bestätigter Amyloid-Pathologie zugelassen. Am 17. Dezember 2024 wurde Kisunla außerdem in China zur Behandlung von Menschen mit leichter kognitiver Beeinträchtigung oder Alzheimer im Frühstadium zugelassen. Für die Europäische Union hat Eli Lilly 2023 einen Zulassungsantrag für den Wirkstoff bei der EMA gestellt. Kisunla ist noch nicht für den EU-Markt zugelassen und daher nicht in Deutschland erhältlich.

Alternative Therapieansätze und zukünftige Entwicklungen

Alzheimer ist eine komplexe Erkrankung, bei der diverse Faktoren zusammenspielen. Weitere Therapieoptionen, die jenseits von Amyloid bei anderen, ebenfalls relevanten Krankheitsmechanismen ansetzen, werden folgen müssen. Mögliche Ansatzpunkte sind neben den sogenannten Tau-Proteinen, die sich bei Alzheimer ebenfalls im Gehirn ansammeln, auch entzündliche Prozesse sowie kardiovaskuläre Begleiterkrankungen. Die Zukunft liegt vermutlich in Kombinationstherapien. Jedenfalls kommen wir nicht daran vorbei, noch mehr in die Therapieforschung und auch in die Präventionsforschung zu investieren.

Medikamente in der Entwicklung

Viele Medikamente befinden sich für die Alzheimer-Therapie im Erprobungsstadium (Phase II) oder bereits in der letzten Erprobungsphase (Phase III). Die Medikamente, die zum Aufhalten oder Verlangsamen der Alzheimer-Demenz in Entwicklung sind, greifen an verschiedenen Stellen in den Krankheitsprozess ein. Viele Wissenschaftler gehen davon aus, dass die bei Alzheimer auftretenden Plaques zwischen den Nervenzellen wesentlich zum Absterben von Nervenzellen beitragen. Deshalb setzen viele Arzneimittel-Kandidaten an der Substanz an, aus der sie bestehen: dem Beta-Amyloid-Protein. Ein Typ dieser Medikamente enthält gentechnisch hergestellte Antikörper, die sich an das Beta-Amyloid-Protein oder Vorstufen davon heften. Das Immunsystem baut dann das so markierte Protein ab, wodurch der Raum zwischen den Nervenzellen gereinigt wird. Dieser Ansatz wird auch „passive Immunisierung gegen Alzheimer“ genannt.

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Bedeutung der Prävention

Grundsätzlich dürften medikamentöse Alzheimer-Therapien umso besser wirken, je früher sie begonnen werden. Vermutlich erzielt man die besten Ergebnisse, wenn man vor Auftauchen der ersten Symptome mit der Therapie beginnt. Bei Alzheimer sind bereits rund 15 Jahre vor Krankheitsbeginn pathologische Veränderungen messbar. Voraussetzung für einen frühen Therapiebeginn wäre allerdings sowohl eine sichere Diagnose als auch Medikamente ohne Nebenwirkungen.

Die Rolle der Deutschen Alzheimer Gesellschaft

Die Deutsche Alzheimer Gesellschaft (DAlzG) begrüßt die Zulassung von Lecanemab als einen hoffnungsvollen Schritt im Kampf gegen die Alzheimer-Krankheit, sieht aber auch große Herausforderungen für die Betroffenen und das Gesundheitssystem. Die DAlzG weist darauf hin, dass die Unterstützung von Menschen mit Demenz und ihren An- und Zugehörigen in jedem Krankheitsstadium weiterhin unverzichtbar bleibt. Beratung, Angebote der Selbsthilfe sowie nicht-medikamentöse Therapien sind für sie von entscheidender Bedeutung. Deren flächendeckende Verfügbarkeit muss endlich gewährleistet werden. Die Arzneimittelforschung ist darüber hinaus gefordert, wirksamere und verträglichere Medikamente zu entwickeln, nicht nur für die frühen Krankheitsstadien, sondern auch für die fortgeschrittene Alzheimer-Demenz und für andere Demenzursachen.

Kritik an Lecanemab und der EMA-Entscheidung

Der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) der EMA hat dem Hype um Amyloid-Antikörper in Teilen der Alzheimer-Szene und dem damit verbundenen öffentlichen Druck standgehalten und im Juli 2024 eine Empfehlung gegen die Zulassung von Lecanemab (Leqembi®) zur Behandlung der Alzheimer-Demenz ausgesprochen (1). Er begründete diese Entscheidung mit Art und Schweregrad der Nebenwirkungen, die den klinischen Nutzen nicht aufwögen. Das ist eine gute Nachricht - vor allem für die Patientensicherheit. Kritisch sah der CHMP vor allem die Amyloid-assoziierten Bildgebungsanomalien (amyloid-related imaging abnormalities, ARIA) (1). Das ist eine sehr zurückhaltende Beschreibung besorgniserregender Beobachtungen: In der Zulassungsstudie traten bei 17 % der Probanden lokale Hirnschwellungen und Mikroblutungen auf. Auch wenn die meisten Fälle symptomlos verliefen, zeigten einige der davon betroffenen Patienten und Patientinnen einen schwerwiegenden Verlauf. Wegen dieses Risikos müssen innerhalb der ersten 15 Behandlungsmonate alle drei Monate Kontrollen mit MRT erfolgen. Treten Auffälligkeiten im MRT oder auch symptomatische Beschwerden auf, muss die MRT-Kontrolle wöchentlich oder zweiwöchentlich erfolgen (2). Eine immense Belastung für die Patientin bzw. den Patienten - aber auch für die Gesundheitssysteme.

Bewertung der klinischen Relevanz

Leider aber gehen die konstatierten patientenrelevanten Benefits über einen sehr geringen Effekt nicht hinaus. Dies wurde kürzlich in einem hervorragenden Kommentar von Espay et al. (6) anschaulich herausgearbeitet. Für die klinische Verbesserung durch Lecanemab (Abbildung 1) wird eine Verringerung in der Clinical Dementia Rating Scale Sum of Boxes (CDR-SB) angeführt, ein 18-Punkte-Score für die Bewertung der kognitiven Funktionen. Der durchschnittliche Baseline-Score von 3,2, entsprechend einer milden kognitiven Beeinträchtigung, verschlechterte sich innerhalb von 18 Monaten auf 4,86 unter Placebo und auf 4,41 unter Lecanemab (5). Somit beträgt der absolute Unterschied 0,45 Punkte entsprechend einer relativen Reduktion von 27 %. Hier setzt die erste Kritik an: Dieser Unterschied ist weniger als die Hälfte dessen, was typischerweise von den Patienten als klinischer Effekt bemerkt werden kann (7). Umso fraglicher wird die klinische Relevanz der Effekte von Lecanemab, wenn man einen indirekten Vergleich mit Studien zu dem Acetylcholinesterase-Inhibitor Donepezil anstellt, in denen meist der verbreitete ADAS-Cog (Alzheimer Disease Assessment Score - cognitive subscale) zur Bewertung herangezogen wurde.

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