Alzheimer-Test durch Blut: Ein Überblick über aktuelle Entwicklungen und Perspektiven

Die Alzheimer-Krankheit stellt eine der größten medizinischen Herausforderungen unserer Zeit dar, insbesondere angesichts der alternden Bevölkerung und der stetig steigenden Zahl von Demenzerkrankten. In Deutschland leben derzeit rund 1,84 Millionen Menschen mit Demenz, wobei die Alzheimer-Krankheit die häufigste Form darstellt. Charakteristisch für den Beginn der Erkrankung ist ein starkes Nachlassen des Kurzzeitgedächtnisses sowie Orientierungsstörungen. Umso wichtiger ist eine frühzeitige Diagnose, um therapeutische und präventive Maßnahmen rechtzeitig einleiten und wichtige Entscheidungen für die Zukunft treffen zu können. Die Diagnostik von Demenzerkrankungen wie Alzheimer entwickelt sich rasant weiter. Verschiedene Forschungsteams haben Bluttests entwickelt, mit denen Alzheimer zuverlässig erkannt werden kann. Die größte Chance dieser Bluttests liegt darin, künftig eine niederschwellige Frühdiagnostik zu ermöglichen und so Risikopatienten zu erkennen - unabhängig von komplexer Bildgebung oder invasiven Verfahren.

Fortschritte in der Alzheimer-Diagnostik durch Bluttests

Die Bedeutung von Biomarkern

Eine wesentliche Rolle bei der Frühdiagnose spielen verschiedene Biomarker. Hierbei handelt es sich um biologische Anzeichen im Gehirn, die mittels Lumbalpunktion im Nervenwasser gemessen werden können. Allerdings sind diese Formen der Alzheimer-Früherkennung teuer, aufwändig und belastend für die Betroffenen. Die Bestimmung von Biomarkern aus dem Liquor ist fest etablierter Standard der Alzheimer-Diagnostik. Im Medizinischen Labor Bremen ist hierfür nun auch IVDR-konforme Labordiagnostik aus dem Blut möglich. Neben der einfacheren Verfügbarkeit zeichnet sich die Blutuntersuchung nach vorliegenden Studien wohl durch ein früheres Ansprechen als die Bestimmung aus dem Liquor aus, d.h. es können bereits sehr frühe Stadien (MCI und womöglich noch davor) erkannt werden.

Der erste zugelassene Bluttest in den USA

Mit dem Lumipulse G pTau217/β-Amyloid 1-42 Plasma Ratio hat die US-amerikanische Arzneimittelbehörde (FDA) erstmals einen Bluttest zur Unterstützung der Alzheimer-Diagnostik zugelassen. Der Test dient der Detektion von Amyloid-Plaques im Gehirn bei Erwachsenen ab 55 Jahren mit kognitiven Symptomen. Der Test läuft auf dem vollautomatischen Gerätesystem Lumipulse® G1200 des Unternehmens, das in klinischen Laboren in den USA weit verbreitet ist.

Funktionsweise des Lumipulse-Tests

Der Lumipulse G pTau217/β-Amyloid 1-42 Plasma Ratio Test bestimmt das Verhältnis zweier Proteine im Blutplasma: phosphoryliertes Tau-Protein (pTau217) und β-Amyloid 1-42. Ein verändertes Verhältnis weist mit hoher Wahrscheinlichkeit auf Amyloid-Ablagerungen im Gehirn hin - ein zentrales pathologisches Merkmal der Alzheimer-Erkrankung. Die FDA stützt ihre Zulassung auf Daten einer multizentrischen Studie mit 499 kognitiv beeinträchtigten Patienten. Im Vergleich mit Amyloid-PET und CSF-Tests erreichte der Bluttest eine Sensitivität von 91,7 % und eine Spezifität von 97,3 %. Etwa 20 % der Ergebnisse waren unklar oder nicht eindeutig interpretierbar.

Vorteile gegenüber bestehenden Diagnosemethoden

Bisherige Verfahren zur Plaque-Diagnostik beruhen vor allem auf teuren Amyloid-PET-Scans oder der Analyse von Liquorproben (Cerebrospinalflüssigkeit, CSF), die invasiv per Lumbalpunktion gewonnen werden. Der neue Test bietet eine deutlich weniger belastende Alternative und könnte die frühzeitige Abklärung erleichtern. Einfache Blutabnahme statt PET oder Lumbalpunktion.

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Einschränkungen und Risiken

Trotz der hohen Genauigkeit warnt die FDA vor den Risiken möglicher Fehlbefunde. Falsch-positive Ergebnisse könnten zu unnötigen Behandlungen und psychischer Belastung führen. Falsch-negative wiederum könnten notwendige Therapien verzögern. Der Test ist nicht für das Screening vorgesehen und darf nur im Rahmen einer differenzialdiagnostischen Abklärung bei begründetem Verdacht verwendet werden. Ergebnisse sollten stets in Kombination mit klinischen Befunden interpretiert werden.

Weitere Bluttests und Forschungsergebnisse

Precivity AD-Bloodtest

Der erste Bluttest für eine frühe Diagnose der Alzheimer-Krankheit ist erhältlich. Der Test mit dem Namen Precivity AD-Bloodtest des US-amerikanischen Unternehmens C2N-Diagnostics hat sowohl eine Marktzulassung für die USA, als auch für die EU bekommen. In Europa wird er allerdings zunächst ausschließlich im Rahmen von wissenschaftlichen Studien eingesetzt. Entwickelt haben ihn das Forscherduo Randall Batemann und David Holtzmann (Washington University School of Medicine). Für den Test wird Blut entnommen und darin das Verhältnis der Amyloid-Beta-Varianten 40 zu 42 bestimmt. Außerdem wird beim Test das Alter der getesteten Person und eine genetische Komponente (ApoE4) berücksichtigt. Die Genauigkeit des Tests liegt bei 86% im Vergleich mit der Positronen-Emissions-Tomografie (PET), die als besonders aussagekräftig gilt. Die Proteine, die mithilfe dieses Bluttests gemessen werden, befinden sich bereits in den Plaques. Deshalb ist der Test nur für Menschen geeignet, die bereits an Symptomen einer Alzheimer-Demenz leiden. Der Vorteil des Precivity AD-Bloodtest ist, dass er eben nur eine Blutentnahme - also einen minimal-invasiver Eingriff - erfordert. Doch die Methode der Massenspektrometrie zur Messung von Amyloid-Beta 40/42 bleibt sehr aufwändig. Zudem eignet sie sich nicht für eine Alzheimer-Prognose.

Elecsys pTau181-Test

Der Elecsys pTau181-Test der Firma Roche in Zusammenarbeit mit Eli Lilly misst ein chemisch verändertes Tau-Protein, das sogenannte pTau181. Es gilt als Indikator für die Alzheimer-Erkrankung. Mit Hilfe des Tests kann laut Hersteller früh und einfach der Grund für die kognitiven Defizite bestimmt werden. Erhärtet sich der Verdacht durch den Test, werden weitergehende Untersuchungen durch Spezialist*innen durchgeführt. Fällt der Test negativ aus, muss nach anderen Ursachen als Alzheimer für die kognitive Einbuße gesucht werden. Der Test könnte in der Zukunft flächendeckend zum Einsatz kommen.

Bluttest der Ruhr-Universität Bochum

Der von Prof. Klaus Gerwert von der Ruhr-Universität Bochum entwickelte Bluttest misst mit Hilfe des Immuno-Infrarot-Sensor die für Alzheimer charakteristische Fehlfaltung des Peptids Beta-Amyloid, die der Bildung von Plaques vorausgeht und bereits vor dem Auftreten von Symptomen messbar ist. So kann der bereits patentierte Bluttest schon lange vor den ersten Symptomen genutzt werden. Der Test von Prof. Gerwert erreicht bereits jetzt eine Genauigkeit von 90%. Zusätzlich soll neben der Fehlfaltung auch noch das Amyloid-Beta-Verhältnis 40/42 gemessen werden, wie bei dem jüngst zugelassenen Bluttest aus den USA.

MicroRNAs als Biomarker

Andere Forschungsteams arbeiten an Bluttests, die keine Amyloid-Beta-Proteine und Tau-Proteine messen, sondern sogenannte microRNAs (miRNAs). Während Tests wie Lumipulse auf Amyloid und Tau-Proteine zielen, erfassen miRNAs andere sehr frühe, regulatorische Veränderungen, oft lange vor dem klinischen Ausbruch. Es wird analysiert, wie bestimmte miRNAs im Blut das Krankheitsrisiko anzeigen können, auch in Kombination mit anderen Biomarkern. Außerdem wird davon ausgegangen, dass ein einziger Marker kaum alle Patienten abdecken wird. Alzheimer verläuft komplex und in Phasen. Ein multiparametrischer Ansatz, der Amyloid, Tau, miRNAs und digitale Marker etc.

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Die Rolle von p-Tau-Proteinen und alternative Erklärungen

Erhöhte p-Tau-Werte bei ALS-Patienten

Zur Früherkennung der Alzheimer-Krankheit sind sogenannte p-Tau-Proteine im Blut nicht so krankheitsspezifisch wie bisher angenommen: Auch bei Menschen mit Amyotropher Lateralsklerose (ALS) sind die Biomarker im Blut erhöht. Für ein effektives Alzheimer-Screening der Allgemeinbevölkerung müssen demnach erst genauere Tests entwickelt und validiert werden. Die Tau-Protein-Varianten p-Tau 181 und 217 gelten als frühe Warnsignale für Alzheimer, wenn sie vermehrt im Nervenwasser auftreten. Eine Studie zeigte, dass die Konzentrationen von p-Tau 181 im Blut von ALS-Patient:innen erhöht war, nicht aber im Nervenwasser, wie man es von Menschen mit Alzheimer kennt. Man konnte außerdem erstmalig zeigen, dass auch p-Tau 217 in ALS-Fällen erhöht ist.

Ursprung der p-Tau-Proteine

Massenspektrometrie-Analysen sowie immunhistologische Verfahren aus Gewebe zeigten, dass das Muskelgewebe von ALS-Patient:innen selbst in der Lage ist, p-Tau zu produzieren. Die Annahme, dass diese Blutmarker ausschließlich aus dem Gehirn stammen können, trifft offenbar nicht zu. Möglicherweise könnten weitere Gewebe und Erkrankungen, insbesondere neuromuskuläre Erkrankungen, die Werte beeinflussen.

Digitale Tests und multimodale Diagnostik

Abgesehen von Bluttests wird auch sogenannten digitalen Tests geforscht - dabei geht es zum Beispiel um Gedächtnistests auf dem Smartphone oder um Auffälligkeiten in der Sprache. Es ist ganz klar, dass die Zukunft der Alzheimer-Diagnostik multimodal und vernetzt sein wird. Kein einzelner Test - weder molekular noch digital - wird vermutlich ausreichen, um der Komplexität der Erkrankung gerecht zu werden. Digitale Verfahren wie sprachbasierte Analysen, kognitive Tests per Smartphone oder sensorgestützte Bewegungsprofile haben den Vorteil, dass sie kontinuierlich, nicht-invasiv und im Alltag anwendbar sind. Sie liefern wertvolle Hinweise auf funktionelle Veränderungen - oft bevor klassische Symptome auftreten. Langfristig wird die Stärke darin liegen, biologische, kognitive und digitale Daten gemeinsam auszuwerten - idealerweise mithilfe von künstlicher Intelligenz. So könnten wir ein individuelles Risikoprofil erstellen und den Krankheitsverlauf viel früher und präziser erkennen als heute.

Aktuelle Situation in Deutschland und Europa

Aktuell gibt es in Deutschland keinen allgemein verfügbaren Bluttest zur Alzheimer-Diagnose. Die hier beschriebenen Verfahren befinden sich noch in der Forschung oder werden nur in spezialisierten Zentren eingesetzt. Für Europa - und damit auch Deutschland - ist eine gesonderte Zulassung erforderlich. Der Bedarf an weniger invasiven und besser zugänglichen Diagnoseverfahren für Alzheimer ist jedoch auch hierzulande hoch. Die breite klinische Implementierung in Europa wird zudem davon abhängen, ob eine Kostenübernahme durch die Krankenkassen erfolgt und ob weitere klinische Validierungsstudien positive Ergebnisse liefern. Ab Herbst soll ein neuer Bluttest in Deutschland zur Verfügung stehen - voraussichtlich auch beim Hausarzt. "Gerade in Regionen mit wenigen Ärzten könnte das Patienten da helfen, wo sonst lange Wartezeiten auf einen Facharzt anfallen", so Jonas Hosp, Oberarzt der Neurologie und Neurophysiologie am Universitätsklinikum Freiburg. So lasse sich schneller klären, ob es sich um Alzheimer handelt. Der neue Bluttest weist ein mit Alzheimer verbundenes Protein nach. Zur Auswertung muss er in ein Labor geschickt werden. Fällt das Ergebnis positiv aus, sind weitere Untersuchungen nötig, um die Diagnose zu bestätigen. Ein negatives Ergebnis schließt eine Alzheimer-Erkrankung mit fast 94-prozentiger Wahrscheinlichkeit aus, so die Angaben des Pharmakonzerns. Andere Demenzformen erkenne der Test allerdings nicht.

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