Im Jahr 2021 veröffentlichte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) den ersten "World Report on Hearing" (WRH), der die Integration von Maßnahmen zur Prävention, Diagnose und Behandlung von Hörstörungen in nationale Gesundheitspläne unterstützen soll. Dieser Bericht fasst epidemiologische und ökonomische Daten zu Hörverlusten zusammen und umreißt verfügbare kosteneffiziente Lösungen. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, die verschiedenen Grade von Hörverlusten klar zu definieren und zu verstehen. Dieser Artikel widmet sich der Definition, den Ursachen, der Diagnose und den Behandlungsmöglichkeiten der an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit.
Definition der an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit
Die an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit ist ein schwerwiegender Hörverlust, bei dem die betroffene Person nur noch sehr laute Geräusche wahrnehmen kann. Praktische Taubheit bedeutet, dass Hörverluste zwischen 85 und 100 dB vorliegen. Diese sogenannte Resthörigkeit oder an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit ermöglicht noch eine Wahrnehmung einzelner Töne oder Geräusche.
Im deutschen Sprachraum wurden bereits in den 1950er-Jahren Oberbegriffe für die Begutachtung einer Schwerhörigkeit eingeführt, darunter Normalhörigkeit, geringgradige Schwerhörigkeit, mittelgradige Schwerhörigkeit, hochgradige Schwerhörigkeit, an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit und Taubheit.
Die WHO-Klassifikation von Hörverlusten
Um die Art und Weise zu standardisieren, in der der Schweregrad des Hörverlusts angegeben wird, hat die WHO ein auf audiometrischen Messungen basierendes Klassifizierungssystem eingeführt. Dieses System ist eine Überarbeitung eines früheren Ansatzes der WHO und unterscheidet sich von dem früheren System dadurch, dass die Bemessung der Untergrenze eines leichten Hörverlusts von 26 dB HL auf 20 dB HL herabgesetzt wurde; der Hörverlust wird in leicht, mäßig, mäßig schwer, schwer, sehr schwer oder vollständig eingeteilt; außerdem wurde ein einseitiger Hörverlust hinzugefügt. Zusätzlich zu den Klassifizierungen bietet das überarbeitete System eine Beschreibung der funktionellen Konsequenzen für die Kommunikation, die mit jedem Schweregrad einhergehen können.
Die folgende Tabelle veranschaulicht die WHO-Klassifikation von Hörverlusten:
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| Hörverlustklasse | Hörschwelle (HL)b des besser hörenden Ohrs in Dezibel (dB) | Hörerfahrung in ruhiger Umgebung für die meisten Erwachsenen | Hörerfahrung in geräuschvoller Umgebung für die meisten Erwachsenen |
|---|---|---|---|
| Normalhörigkeit | < 20 dB | Kein Problem, akustische Signale zu hören | Kein oder minimales Problem, akustische Signale zu hören |
| Leichter Hörverlust | 20 bis < 35 dB | Hat keine Probleme, Sprache bei Umgangssprach-Lautstärke zu verstehen | Kann Schwierigkeiten haben, Sprache bei Umgangssprach-Lautstärke zu verstehen |
| Mäßiger Hörverlust | 35 bis < 50 dB | Kann Schwierigkeiten haben, Sprache bei Umgangssprach-Lautstärke zu verstehen | Hat Schwierigkeiten beim Hören und bei der Teilnahme an Gesprächen |
| Mäßig schwerer Hörverlust | 50 bis < 65 dB | Hat Schwierigkeiten beim Verstehen von Sprache bei Umgangssprach-Lautstärke; keine Schwierigkeiten, lautere Sprache zu verstehen | Hat meistens Schwierigkeiten beim Verstehen von Sprache und bei der Teilnahme an Gesprächen |
| Schwerer Hörverlust | 65 bis < 80 dB | Versteht Sprache bei Umgangssprach-Lautstärke meistens nicht; kann Schwierigkeiten haben, lautere Sprache zu verstehen | Hat extreme Schwierigkeiten, Sprache zu verstehen und an Gesprächen teilzunehmen |
| Sehr schwerer Hörverlust | 80 bis < 95 dB | Hat extreme Schwierigkeiten, lautere Sprache zu verstehen | Kann Sprache bei Umgangssprach-Lautstärke nicht verstehen |
| Vollständiger Hörverlust/Taubheit | 95 dB oder höher | Kann Sprache und die meisten Umweltgeräusche nicht hören | Kann Sprache und die meisten Umweltgeräusche nicht hören |
| Einseitiger Hörverlust | < 20 dB auf dem besser hörenden Ohr, 35 dB oder höher auf dem schlechteren Ohr | Hat möglicherweise kein Problem, außer bei Beschallung von der schlechter hörenden Seite. |
Ursachen für an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit
Für eine Taubheit oder Gehörlosigkeit kommen als Ursachen sowohl angeborene als auch erworbene Schädigungen infrage.
Angeborene Ursachen:
- Erbliche bedingte Fehlbildungen von Mittelohr, Innenohr und/oder Hörnerv
- Ohrschädigende Einflüsse während der Schwangerschaft (z.B. bestimmte Medikamente, Alkohol, Nikotin oder Infektionen wie Röteln, Zytomegalie, Toxoplasmose, Syphilis)
Erworbene Ursachen:
- Erkrankungen nach der Geburt (z.B. Meningitis, Enzephalitis, Mumps, Masern, chronische Mittelohrentzündungen)
- Schädelbrüche
- Toxische Schäden (z.B. durch das Antibiotikum Streptomycin)
Eine Taubheit oder Gehörlosigkeit kann auch während der Geburt (perinatal) auftreten. Risikofaktoren sind Frühgeburten, Kernikterus oder Atemstillstand mit Sauerstoffmangel (Neugeborenen-Asphyxie).
Symptome der an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit
Die für eine beidseitige Taubheit (Gehörlosigkeit) typischen Symptome hängen damit zusammen, dass der Hörsinn vollständig oder nahezu vollständig ausgeschaltet ist: Wer auf beiden Ohren taub ist, kann Geräusche und Töne nicht wahrnehmen und reagiert nicht auf entsprechende Reize. Damit ist auch die Kommunikation mit der hörenden und sprechenden Umwelt erschwert.
Ist die Taubheit oder Gehörlosigkeit angeboren, liegen manchmal weitere Symptome in Form von gleichzeitigen Schäden an anderen Organen wie Augen, Knochen, Nieren und Haut vor. Angeborene oder früh erworbene beidseitige Taubheit führt außerdem unbehandelt dazu, dass die Entwicklung der Sprache stark eingeschränkt ist oder völlig unterbleibt.
Im Vergleich zur Gehörlosigkeit zeigen sich bei einer einseitigen Taubheit nur Symptome einer leichteren Hörbehinderung: Wer auf einem Ohr taub ist, dem kann es zum Beispiel schwerfallen, einem Gespräch zu folgen, das auf der Seite mit dem tauben Ohr stattfindet. Typisches Anzeichen für eine einseitige Taubheit ist auch die Unfähigkeit, Hintergrundlärm auszublenden oder die Richtung und Entfernung einer Schallquelle festzustellen. Dies kann zum Beispiel Schulprobleme oder eine Gefährdung im Straßenverkehr mit sich bringen.
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Diagnose der an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit
Um bei einseitiger Taubheit, Gehörlosigkeit oder beginnendem Hörverlust die Diagnose so früh wie möglich zu stellen, findet heute bei jedem Kind nach der Geburt ein Hörtest statt. Auch bei den nachfolgenden Früherkennungs-Untersuchungen ist es üblich, das Gehör zu testen.
Folgende Diagnoseverfahren kommen zum Einsatz:
- Objektiver Hörtest (BERA) zur Untersuchung des Hörnervs
- Messung otoakustischer Emissionen (OAE) zum Nachweis einer Schädigung der äußeren Haarzellen des Innenohrs
- Hörprüfung mit Stimmgabeln (Rinne- und Weber-Versuch)
- Tonaudiometrie und Sprachaudiometrie zur Bestimmung der Hörschwelle
- Gleichgewichtsprüfung zum Ausschluss einer Mitbeteiligung des Gleichgewichtsorgans
- Computertomographie (CT) oder Magnetresonanztomographie (MRT) zum Nachweis, ob anatomische Veränderungen im Bereich der Hörschnecke (Cochlea) oder des Hörnervs vorliegen
- Promontorialtest zur Überprüfung der Funktionsfähigkeit des Hörnervs, wenn zur Behandlung eine Innenohrprothese (sog. Cochlea-Implantat) infrage kommt
- Neurologische Untersuchung (sog. Neurostatus)
Behandlungsmöglichkeiten bei an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit
Bei einer Taubheit oder Gehörlosigkeit hängt die Therapie von Ausmaß und Ursache des Hörverlusts ab.
- Hörgeräte: Um eine starke ein- oder beidseitige Schwerhörigkeit zu behandeln, ist unter Umständen ein Hörgerät geeignet. Wenn die Hörschädigung zu stark ausgeprägt ist, erzielen Sie mit einem Hörgerät jedoch keine Verbesserung.
- Cochlea-Implantat: In dem Fall ist zur Behandlung womöglich ein Implantat (sog. Innenohrprothese oder Cochlea-Implantat) geeignet, um das Hörvermögen wiederherzustellen. Eine einseitige Taubheit scheint - anders als eine völlige Gehörlosigkeit - gar keine Therapie erforderlich zu machen: Man kann ja schließlich noch mit dem anderen Ohr hören. Zwar durchlaufen Kinder, die früh auf einem Ohr stark hörbehindert sind, in der Regel eine ungestörte Sprachentwicklung. Doch spätestens in der Schule treten oft Probleme auf, weil die einseitige Taubheit es zum Beispiel unmöglich macht, Hintergrundgeräusche auszublenden. Zum einen kann eine Innenohrprothese die verloren gegangene Fähigkeit zum räumlichen Hören (d.h. Richtungshören) zumindest teilweise wiederherstellen. Zum anderen verringert sie die Anstrengung, die das Hören erfordert. Entscheidend dafür, dass bei beidseitiger Taubheit eine Implantation erfolgreich ist, ist eine anschließende Rehabilitation: Diese ist sehr umfangreich und langwierig und erfolgt in speziellen Zentren. Zunächst ist es notwendig, das Hören und Sprechen neu zu erlernen. Nur ein ständiges Training und eine entsprechende Motivation führen zu guten Erfolgen. Wenn die Gehörlosigkeit von Geburt an besteht, erhält das betroffene Kind die Implantate in der Regel zwischen dem zweiten und vierten Lebensjahr, damit sich seine Sprechfähigkeit herausbilden kann. Vor dem ersten Lebensjahr ist der Eingriff wegen der möglichen Operationsrisiken nicht ratsam; nach dem achten Lebensjahr ist er nicht mehr möglich. Bei früher Gehörlosigkeit ist es - neben der Therapie durch Implantate und lautsprachliche Förderung - jedoch auch zu empfehlen, die Gebärdensprache zum festen Teil der Frühförderung zu machen.
- Hirnstamm-Implantat: Ist der Hörnerv geschädigt, besteht die Möglichkeit, ein Hirnstamm-Implantat einzusetzen: Hier sorgt eine direkte Reizung der Hörkerne im Gehirn über Elektroden für eine Hörempfindung. Zur Implantation ist ein neurochirurgischer Eingriff erforderlich. Außerdem ist eine intensive Rehabilitation unerlässlich.
- Kommunikation: Ist es nicht möglich, die Taubheit durch eine Operation zu beheben, oder lehnen die Betroffenen sie aus persönlichen Gründen ab, ist die Gehörlosigkeit zu akzeptieren. In diesem Fall stehen andere Möglichkeiten der Kommunikation zur Verfügung: vor allem die Gebärdensprache, aber auch Lippenablesen oder Computer.
Leben mit an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit
Eine frühe einseitige Taubheit stört - anders als eine völlige Gehörlosigkeit - den Verlauf der Sprachentwicklung nicht unbedingt. Eine frühe Diagnose und entsprechende Maßnahmen können bei beidseitiger Taubheit den Verlauf des Spracherwerbs günstig beeinflussen: Zum einen kann der frühzeitige Einsatz einer Innenohrprothese (sog. Cochlea-Implantat) die Sprachfähigkeit eines Kleinkindes positiv beeinflussen. Mithilfe dieser Maßnahme haben in den letzten Jahren viele Betroffene die Fähigkeit zu hören erlangt.
Bei Behandlung einer Taubheit mit einem Cochlea-Implantat ist zu beachten, dass ein derartiges Gerät mit etwa 20 Elektroden nur begrenzt die Funktion des gesunden Ohrs mit beispielsweise 30.000 Nervenfasern übernehmen kann. Das Hören mit einem Cochlea-Implantat nach einer Gehörlosigkeit ist demnach nicht mit dem normalen Hörempfinden vergleichbar. Da das Implantat die akustischen Reize in weniger Tonhöhen und -tiefen umwandelt, gleicht das Hörerlebnis eher einer metallenen Computerstimme. Kinder, die nie gehört haben, sondern von Geburt an auf beiden Ohren taub sind, werden sich daran wenig stören.
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Ohne intensive Förderung bedeutet beidseitige Taubheit, dass die lautsprachliche Kommunikation eingeschränkt ist oder völlig verloren geht.
Prävention von Hörverlust
Einer erblich bedingten angeborenen Taubheit oder Gehörlosigkeit können Sie nicht vorbeugen. Auch einige Erkrankungen oder Geburtstraumata, die zu Taubheit führen können, sind nur schwer zu verhindern.
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