Anästhesie, Demenz und postoperative Risiken: Ein umfassender Überblick

Die Anästhesie bei älteren Patienten stellt eine besondere Herausforderung dar, da sich Körperfunktionen im Laufe der Jahre verändern und Narkosemedikamente im hohen Alter stärker wirken. Dies erhöht das Risiko von Verwirrtheitszuständen nach einer Operation, dem sogenannten postoperativen Delir (POD) oder Durchgangssyndrom. Zudem gibt es Hinweise darauf, dass Anästhesie und Operationen möglicherweise das Risiko erhöhen, an Demenz zu erkranken. Dieser Artikel beleuchtet die komplexen Zusammenhänge zwischen Anästhesie, Demenz und postoperativen Risiken, um ein umfassendes Verständnis für Patienten, Angehörige und medizinisches Fachpersonal zu schaffen.

Postoperatives Delir: Ein häufiges Problem bei älteren Patienten

Ein postoperatives Delir äußert sich durch Unruhe und Veränderungen im Verhalten nach einer Operation oder einem längeren Aufenthalt auf der Intensivstation. Die Symptome sind vielfältig und reichen von Apathie und Halluzinationen bis hin zu Angst und Aggressivität. Ursächlich dafür ist eine Störung des Gleichgewichts von Botenstoffen im zentralen Nervensystem.

Symptome und Verlauf

Die Symptome eines postoperativen Delirs können innerhalb weniger Stunden auftreten und einige Tage andauern. Der Verlauf ist variabel, wobei sich Phasen mit ausgeprägten Symptomen mit symptomfreien Phasen abwechseln können.

Prävention und Behandlung

Prävention ist die beste Therapie. Ein ruhiges und vertrauensvolles Umfeld ist für die Genesung sehr wichtig. Angehörige können durch das Aufstellen von Bildern und Fotos oder das Mitbringen der Lieblingsmusik einen wichtigen Beitrag leisten. Medikamente können die Symptome lindern.

Sedierungstiefe und Delirrisiko: Ergebnisse der STRIDE-Studie

Die STRIDE-Studie untersuchte den Einfluss der Sedierungstiefe auf die Entwicklung eines postoperativen Delirs nach der Versorgung einer hüftnahen Fraktur bei 200 Patienten im mittleren Alter von 82 Jahren über einen Zeitraum von fast 5 Jahren. Die Patienten erhielten entweder eine Spinalanästhesie mit leichterer (OAA/S Score 3-5) oder stärkerer Sedierung (OAA/S Score 0-2) mit Propofol. Patienten mit präoperativem Delir oder schwerer Demenz wurden ausgeschlossen.

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Die allgemeine Delir-Inzidenz in den ersten 5 postoperativen Tagen betrug 36,5 %. Es gab keinen signifikanten Unterschied zwischen der Gruppe mit starker (39 %) und leichter Sedierung (34 %). Eine Subgruppenanalyse ergab jedoch ein doppelt so hohes Delirrisiko bei starker Sedierung im Vergleich zur leichten Sedierung bei Patienten mit einem Charlson Comorbidity Index (CCI) von 0. Bei Patienten mit einem CCI > 0 hatte die Sedierungstiefe keinen Einfluss auf das postoperative Delirrisiko.

Implikationen für die klinische Praxis

Die Studie zeigt, dass bei älteren Patienten mit Komorbiditäten wie Herzinsuffizienz, koronarer Herzkrankheit, Diabetes mellitus oder COPD die Sedierungstiefe keinen Einfluss auf die Inzidenz eines postoperativen Delirs hat. Bei Patienten mit niedriger Komorbidität sollte die Indikation zur medikamentösen Sedierung kritisch überdacht werden, da die Sedierungstiefe die Dauer der stationären Behandlung und die Gesamtprognose beeinflussen kann.

Narkose im höheren Lebensalter: Was ist zu beachten?

Narkosen bei älteren Menschen stellen eine besondere Herausforderung dar, da sich wichtige Körperfunktionen im Laufe der Jahre verändern und Narkosemedikamente im hohen Alter stärker ansprechen. Das Risiko einer vorübergehenden Verwirrtheit nach der Operation, das postoperative Delir, steigt.

Besonderheiten der Anästhesie bei älteren Patienten

Bei älteren Menschen ist es wichtig, dass die Narkose schonend und nicht zu stark ist. Moderne Anästhesieverfahren ermöglichen eine exakte Dosierung und kontinuierliche Überwachung aller Organfunktionen. Speziell weitergebildete Fachärzte, die Anästhesiologen, kümmern sich um die Narkose.

Maßnahmen zur Risikoreduktion

  • Frühe Risikostratifizierung: Im Prämedikationsgespräch werden wichtige Aspekte der Narkose und patientenspezifische Narkoserisiken geklärt. Gemeinsam wird ein Behandlungskonzept, ein Strategieplan (ERSAS), festgelegt.
  • Interdisziplinäre Visite: Bei Hochrisikopatienten sollte vor großen Eingriffen eine interdisziplinäre Visite mit Anästhesiologen und Operateuren erfolgen.
  • Beruhigungsmedikamente: Patienten mit ausgeprägter ängstlicher Symptomatik erhalten vor dem Eingriff Beruhigungsmedikamente.

Kardioanästhesiologie: Besonderheiten bei Herz-OPs

Das Patientenkollektiv in der Herzchirurgie hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten dramatisch geändert. Der Anteil der über 80-jährigen Patienten liegt mittlerweile bei mehr als 20 %, sowohl bei elektiven als auch bei Notfalleingriffen. Patienten über 65 Jahre haben ein deutlich höheres Risikoprofil mit multiplen Vorerkrankungen (Multimorbidität).

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Risikomanagement bei herzchirurgischen Eingriffen

  • Optimierung von Grunderkrankungen: Grunderkrankungen wie Bluthochdruck, Diabetes mellitus und chronische Niereninsuffizienz sollten im Vorfeld optimal eingestellt und die medikamentöse Therapie angepasst und reduziert werden (Polypharmazie).
  • Gebrechlichkeits-Screening: Bei Patienten ab 65 Jahren sollte vor jedem herzchirurgischen Eingriff ein Gebrechlichkeits-Screening durchgeführt werden, um die kognitive und funktionelle Kapazität zu erfassen.
  • Vermeidung von Blutdruckschwankungen: Während der Operation ist es wichtig, Blutdruckschwankungen zu vermeiden. Ein gezieltes erweitertes Herz-Kreislaufmonitoring und -management ermöglicht eine engmaschige Überwachung.
  • Perioperative Blutzuckereinstellung: Eine engmaschige Kontrolle der perioperativen Blutzuckereinstellung ist wichtig, um exzessive Entgleisungen wie Hypoglykämie und Hyperglykämie zu vermeiden.

Diabetes und Herzchirurgie

Patienten mit Diabetes sind aufgrund ihrer kardiovaskulären Komorbiditäten im stationären Patientenkollektiv überrepräsentiert und benötigen häufiger chirurgische Interventionen. Eine mangelhafte perioperative Blutglukoseeinstellung ist mit einer Vielzahl von Komplikationen assoziiert.

  • Optimierung der Stoffwechselsituation: Elektive Operationen sollten weder bei einem HbA1c-Wert von über 8,5 bis 9 % (69,4 bis 74,86 mmol/mol) noch bei einem Spontanblutzucker von über 250 mg/dl (13,9 mmol/l) durchgeführt werden.
  • Berücksichtigung diabetischer Folgeschäden: Chronische mikro- und makrovaskuläre diabetische Folgeschäden sollten im Vorfeld objektiviert werden.
  • Vermeidung von Hypoglykämien: Bei Verdacht auf rezidivierende Hypoglykämien sollte die Operation verschoben werden.

Maßnahmen zur Risikoreduktion bei Diabetes

  • Individuelles Risikoprofil: Es ist wichtig, sämtliche den Genesungsprozess beeinflussbare Faktoren zu berücksichtigen und für jeden Patienten individuell ein Risikoprofil zu erstellen.
  • Frailty-Assessment und Delir-Screening: Die Einführung eines Frailty-Assessments und eines Delir-Screenings vor der Operation kann die Delir-Rate senken.
  • OP-Paten: Speziell geschulte Fachkräfte, sogenannte OP-Paten, begleiten den Patienten perioperativ.
  • ERACS-Programm: Das Programm zur raschen Erholung nach Herz-OP (ERACS) kann die durchschnittliche Beatmungszeit reduzieren und den Patientenkomfort erhöhen.

Anästhesie und Demenz: Gibt es einen Zusammenhang?

Es gibt Hinweise darauf, dass Anästhesie und Operationen möglicherweise das Risiko erhöhen, an Demenz zu erkranken. Eine Studie zeigte, dass das Demenzrisiko für Anästhesiepatienten insgesamt 1,99-mal größer war als für Kontrollpersonen. Interessanterweise steigerte vor allem die Regionalanästhesie das Demenzrisiko.

Mögliche Mechanismen

Wie diese Befunde in ein Ursache-Wirkungs-Verhältnis zu setzen sind, ist noch nicht endgültig geklärt. Es ist auch unklar, ob es sich bei kurzfristigen kognitiven Einbußen nach Operationen um die Demaskierung einer frühen oder die Vorhersage einer späteren Demenz handelt.

Aktuelle Forschung

Die Thematik postoperatives Delir und kognitive Dysfunktion wird im experimentellen und klinischen Setting wissenschaftlich aufgearbeitet. Der wissenschaftliche Arbeitskreis Gerontoanästhesiologie der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) und daran angegliederte Forschungsgruppen verschiedener Universitätsklinika forschen intensiv auf diesem Gebiet.

Künstliche Intelligenz in der Anästhesie

KI-basierte Tools können in der Zukunft aus dem klinischen Alltag nicht mehr wegzudenken sein und uns in der Entscheidungsfindung für eine patientenindividualisierte Therapie unterstützen. In Spezialkliniken steht eine große Menge an Wissen in Datensammlungen zur Verfügung, die für KI-Analysen genutzt werden können. Ziel ist die Überprüfung, ob KI-Algorithmen wichtige postoperative Komplikationen (Delir, akutes Nierenversagen) vorhersagen können.

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