Anatomie des Oberkiefers: Nervenverlauf und klinische Bedeutung

Die Anatomie des Oberkiefers ist komplex, insbesondere wenn es um den Verlauf der Nerven geht. Der Nervus maxillaris, der zweite Ast des Nervus trigeminus (V), spielt eine zentrale Rolle bei der sensiblen Versorgung des Mittelgesichts. Dieser Artikel beleuchtet den Verlauf der Nerven im Oberkiefer, ihre Funktion und mögliche klinische Implikationen.

Überblick über die Hirnnerven

Es gibt 12 Paare von Hirnnerven, die vom Gehirn zu verschiedenen Teilen des Kopfes, des Halses und des Rumpfes verlaufen. Diese Nerven können sensorische, motorische oder beide Faserqualitäten gleichzeitig führen. Entsprechend ihres Ursprungs im Gehirn werden die Hirnnerven von rostral nach kaudal mit römischen Ziffern nummeriert. Einige Hirnnerven sind an speziellen Sinnen wie dem Sehen, Hören und Schmecken beteiligt, während andere für die Muskelkontrolle des Gesichts wichtig sind.

Der Nervus trigeminus (V) und seine Äste

Der Nervus trigeminus, auch Drillingsnerv genannt, ist der fünfte Hirnnerv (N. V) und innerviert den oberen Kopfbereich, die Stirn, Augen, Nase, Ober- und Unterkiefer sowie das Kinn mit sensibler Wahrnehmung. Zusätzlich ist er für die motorische Kaumuskulatur zuständig. Er hat drei Hauptäste:

  1. Nervus ophthalmicus (V1): Versorgt die Stirnregion.
  2. Nervus maxillaris (V2): Versorgt das Mittelgesicht.
  3. Nervus mandibularis (V3): Versorgt den Unterkieferbereich.

Der Nervus maxillaris (V2): Verlauf und Versorgung

Der Nervus maxillaris ist entscheidend für die sensible Versorgung des Mittelgesichts. Er besitzt allgemein somatoafferente Qualitäten, die in verschiedenen Hirnnervenkernen verarbeitet werden: Druck- und Berührungsinformation (Nucleus principalis nervi trigemini) sowie Temperatur, Schmerz und Mechanorezeption (Nucleus spinalis nervi trigemini).

Verlauf

Der Nervus maxillaris ist ein afferenter Nerv und leitet Informationen aus der Peripherie zum Zentralnervensystem. Sein Verlauf wird häufig vom Kern bis zur Peripherie beschrieben:

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  1. Abzweigung: Zunächst erfolgt die Abzweigung aus dem Ganglion trigeminale.
  2. Sinus cavernosus: Der Nerv verläuft an der basolateralen Wand des Sinus cavernosus.
  3. Foramen rotundum: Anschließend zieht er durch das Foramen rotundum in die Fossa pterygopalatina.
  4. Fossa pterygopalatina: In dieser Fossa gibt der Nervus maxillaris zahlreiche Äste ab, die verschiedene Bereiche des Oberkiefers und des Gesichts versorgen.

Versorgungsgebiet

Der Nervus maxillaris (V2) versorgt sensibel:

  • Die Haut der Kopfregion zwischen dem unteren Augenlid und der Oberlippe.
  • Die Tränendrüse.
  • Die Schleimhäute der Siebbeinzellen, der Nasenmuscheln und des Nasenseptums.
  • Die Kieferhöhle.
  • Den harten und weichen Gaumen.
  • Die Zähne des Oberkiefers.
  • Die Dura mater der mittleren Schädelgrube.

Äste des Nervus maxillaris

Die Äste des Nervus maxillaris lassen sich in direkte und indirekte Äste unterteilen.

  • Nervus infraorbitalis: Der Nervus infraorbitalis stellt die direkte Fortsetzung des Nervenhauptstammes dar. Er innerviert sensibel die Haut zwischen dem unteren Augenlid und der Oberlippe, die Kieferhöhle und die Oberkieferzähne.
  • Rami alveolares superiores: Diese Äste versorgen die Zähne des Oberkiefers.
  • Rami ganglionares: Die Rami ganglionares enthalten sensible sowie postganglionäre parasympathische Fasern, die zum Ganglion pterygopalatinum ziehen. Die sensiblen Fasern dieser Äste durchlaufen das Ganglion unverschaltet und werden daher als „indirekte“ Maxillarisäste bezeichnet. An den Nervus palatinus major und die Nervi palatini minores lagern sich vegetative Fasern des Nervus petrosus major (vom Nervus facialis) und sympathische Fasern des Nervus petrosus profundus an.

Klinische Bedeutung

Der Nervus maxillaris ist in der Fossa pterygopalatina gut zugänglich für die Leitungsanästhesie. Hierbei wird ein Lokalanästhetikum in die Fossa pterygopalatina injiziert, wodurch alle Äste des Nervus maxillaris ausgeschaltet werden.

Verletzungen und Erkrankungen

  • Frakturen des Mittelgesichts: Zygomatikoorbitale Frakturen können den Nervus infraorbitalis schädigen. Bei einem dislozierten Jochbein besteht die Gefahr einer Einklemmung des Nervus infraorbitalis.
  • Trigeminusneuralgie: Eine chronische Schmerzerkrankung, die den Trigeminusnerv betrifft. Sie kann auf eine Kompression der A. cerebellaris superior, Tumore, Aneurysmen oder Infarkte zurückzuführen sein. Betroffene schildern die Gesichtsschmerzen als unerträglich und ähnlich elektrischen Schlägen. Sie treten meist einseitig stechend unterhalb eines Auges im Wangenbereich auf und können bis in die Zähne ausstrahlen. Die Schmerzattacken dauern nur Sekunden an, treten aber mehrfach hintereinander auf, gefolgt von tagelangen, schmerzfreien Perioden. Auslösende Trigger für solche Schmerzereignisse können ein kalter Luftzug, Zähneputzen, Kauen oder Stress sein. Da die Schmerzattacken sehr kurz sind, helfen herkömmliche Schmerzmittel nicht. Zum Einsatz kommen Antiepileptika, welche die Erregbarkeit der Nervenleitbahnen reduzieren. Wenn die medikamentöse Therapie versagt, kommen verschiedene neurochirurgische Eingriffe in Betracht.
  • Herpes Zoster (Gürtelrose): Kann den Trigeminusnerv befallen und wird auf das Varizella-Zoster-Virus (VZV) zurückgeführt. Nach der Exposition verbleibt VZV latent im Spinalganglion, wo es im Gleichgewicht mit dem gesunden Immunsystem lebt.
  • Akustikusneurinom (Schwannoma): Ein gutartiger Tumor von Schwann-Zellen, die die Nerven innerhalb des Schädels betreffen. Am häufigsten betrifft er den Nervus vestibulocochlearis (VIII), kann aber aufgrund seiner Lage im Kleinhirnbrückenwinkel auch den N. facialis (VII) betreffen. Die Erkrankung zeigt sich oft mit Hörverlust und Tinnitus.

Zahnschmerzen und Trigeminusneuralgie

Ein Zahn selbst verursacht in der Regel keine Trigeminusneuralgie, aber Zahnschmerzen können Symptome imitieren oder eine Neuralgie verschlimmern. Zahnärztliche Eingriffe oder Entzündungen können gelegentlich die sensiblen Äste des Nervus trigeminus reizen und dadurch Schmerzen auslösen, die mit einer Neuralgie verwechselt werden.

Nervenverletzungen im Oberkiefer bei Implantaten

Im Gegensatz zum Unterkiefer gibt es im Oberkiefer keinen Hauptnerven, der Schaden erleiden kann. Die sensible Versorgung der Zähne wird über feine Nervenverästelungen, die im Seitenzahnbereich über die darüberliegende Kieferhöhle und im Frontzahnbereich über den subnasalen Raum in die Zähne einziehen, erreicht. Trotzdem ist es möglich, durch Implantate kleinere Nervenbahnen zu verletzen. Daraus könnte der Sensibilitätsverlust einzelner Zähne, z.B. des Eckzahns, resultieren.

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Der Unterkiefernerv (Nervus alveolaris inferior)

Im Unterkieferknochen des Seitenzahnbereichs verläuft der Unterkiefernerv (Nervus alveolaris inferior) in einem Kanal unterhalb der Wurzelspitzen und versorgt den Knochen und die Zähne der betreffenden Seite mit Sensibilität. Er verlässt etwa in Höhe der Wurzelspitze des 5. Zahnes den Kieferknochen. Wenn in der Implantologie die meisten Risiken des chirurgischen Eingriffs keine wesentlichen Folgen für den Patienten bedeuten, so ist dies im Falle einer Verletzung des Unterkiefernerven anders. Wenn für die Implantateinbringung zu tief gebohrt und das Implantat zu tief platziert wird, kann der Unterkiefernerv gequetscht, teilweise oder ganz durchtrennt werden. Je nach Verletzungsgrad resultiert daraus ein zeitweiliges bis dauerhaftes Taubheitsgefühl im Kinn-Lippen-Bereich der betroffenen Seite. Auch sind Missempfindungen und Schmerzen neben einem Sensibilitätsverlust möglich. Nicht nur die direkte Verletzung des Nerven kann zu Empfindungsstörungen führen. Auch bei sehr knappem Abstand zwischen Implantatspitze und Nerv kann durch einen Bluterguss oder ein Ödem (Schwellung) im Knochen Druck auf den Nerv ausgeübt werden.

Implantate in der Front-Region bis zum 4. Zahn sind diesbezüglich ohne Risiko, da der Nerv in Höhe des 5. Zahnes aus dem Kieferknochen tritt. Die bei Zahnlosigkeit typischen 2-4 interforaminalen Implantate für Stegversorgungen oder herausnehmbaren Zahnersatz z.B. mit Locatoren sowie das All-on-4®-Konzept sollten ebenfalls komplett vor dem Nerven liegen. Allerdings muss exakter geplant und gebohrt werden, je näher die Platzierung der Implantate am Nervenaustrittspunkt des N. mentalis liegt. Hier bestimmt zwar grundsätzlich die Knochenhöhe über dem Nervenkanal gepaart mit der als notwendig erachteten Implantatlänge das Risiko einer Nervverletzung. Allerdings sollte jede Implantatbehandlung einen Sicherheitsabstand von 2 mm zum Nerv einhalten, so dass Nervverletzungen, die typischerweise durch Planungsfehler und Unachtsamkeit des Implantologen beim Bohren verursacht werden, vermieden werden können. Bei nervnahen Implantaten sind heutzutage Planungen unter Zuhilfenahme von 3D-Röntgen (CT, DVT) State-of-the-Art. Auch helfen spezielle Bohrerstopps bei der exakten Implantatbettaufbereitung um ein zu tiefes Bohren zu verhindern.

Diagnostik und Behandlung von Nervverletzungen

Durch sorgfältige Röntgen-Diagnostik (gegebenenfalls CT, DVT) lässt sich der Abstand zwischen Knochenoberkante und Nervkanal messen. Danach sollte die Implantatlänge mit einem Sicherheitsabstand bestimmt werden. Alleine das Auftreten einer Gefühlstörung im Kinn-Lippenbereich nach Abklingen der Betäubung legt die Diagnose nahe. Ein klassisches Röntgenbild kann den Abstand zwischen Implantat und Nervkanal meist gut dokumentieren. Gegebenenfalls ist ein 3D-Bild (CT, DVT) heranzuziehen, da hierdurch entscheidende Informationen für die Behandlung eingeholt werden. Der Implantologe selbst kann wesentliche Informationen beisteuern: wurden Manipulationen am N. mentalis, z.B. zum Schutze desselben u.ä. durchgeführt?

Wenn ein Nerv durchtrennt wurde, stirbt zwar der vom ZNS weiter entfernte Anteil immer ab, das Neueinwachsen (Regeneration) aus dem Ende, welche etwa 1mm/Tag umfasst, kann aber bei einer „Führung“ der Nerv-Regeneration schneller und besser erfolgen. Im Falle einer unstrittigen Durchtrennung des Nerven beim Bohren kann daher theoretisch eine operative Nervnaht Voraussetzung für eine besser Regeneration schaffen. Bei Implantaten, die in den Nervkanal reichen ist aber die umgehende Entfernung bzw. Ödem, Bluterguß: Zuwarten; evtl. Kortisongabe nach Absprache mit einem Neurologen/Neurochirurgen. Schmerztherapie, evtl. Diese ist letztendlich von der Art der Verletzung (Quetschung, teilweise oder vollständige Durchtrennung, Regenerations-Leitstruktur intakt/nicht intakt?) und individuellen biologischen Faktoren abhängig.

Der Zungennerv (Nervus lingualis)

Der Zungennerv liegt an der Innenseite des Unterkieferknochens etwa in Höhe des Weisheitszahns und tritt dann in die Zunge ein. Der Nervus lingiualis enthält Fasern für das Gefühl (die Sensibilität) der Zunge, aber auch sensorische Anteile für den Geschmack (süß, sauer, salzig, bitter und umami), die im Falle einer Verletzung verloren gehen: Zunge auf der betroffenen Seite ohne Gefühl und Geschmack. Der N. lingualis kann aufgrund seiner Lage außerhalb des Knochens durch ein Implantat im Grunde nicht verletzt werden. Eine Verletzung ist noch am ehesten durch die Betäubungsspritze denkbar (Risiko einer sogenannten Leitungsanästhesie im Unterkiefer). Ein falsch eingesetzter Wundhaken oder eine Perforation (Implantatbohrung) zur Innenseite wären als absolute Raritäten anzusehen.

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