Chronische Schmerzen, insbesondere neuropathische Schmerzen, stellen eine große Herausforderung in der medizinischen Versorgung dar. Antiepileptika, ursprünglich zur Behandlung von Krampfanfällen entwickelt, haben sich als wichtige Therapieoption bei verschiedenen Schmerzzuständen etabliert. Dieser Artikel beleuchtet die Anwendung von Antiepileptika bei Nervenschmerzen, ihre Wirkungsweise, Dosierung, Nebenwirkungen und andere wichtige Aspekte.
Einführung in neuropathische Schmerzen
Chronische Schmerzen sind ein weit verbreitetes Problem, von dem schätzungsweise acht bis zehn Millionen Menschen in Deutschland betroffen sind. Neuropathische Schmerzen, die durch Schädigungen oder Erkrankungen des Nervensystems verursacht werden, sind besonders schwierig zu behandeln. Sie äußern sich oft als brennende, einschießende Nervenschmerzen, die durch Erkrankungen wie diabetische Neuropathie, Gürtelrose oder Amputationen entstehen können.
Die Therapie neuropathischer Schmerzen unterscheidet sich von der Behandlung nozizeptiver Schmerzen, die durch Gewebeschäden verursacht werden. Klassische Analgetika wie nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) oder Opioide sind oft nicht wirksam. Stattdessen kommen Antidepressiva und Antikonvulsiva zum Einsatz, die das nozizeptive System modulieren können.
Grundlagen der Antiepileptika
Antiepileptika sind eine Gruppe von Wirkstoffen, die zur Vorbeugung und Behandlung epileptischer Krampfanfälle eingesetzt werden. Sie beeinflussen Ionenkanäle und Transmittersysteme im zentralen Nervensystem, stabilisieren die Nerven und hemmen die ungeordnete Ausbreitung von Erregung. Aufgrund ihrer vielfältigen Effekte auf das Nervensystem werden Antiepileptika heute erfolgreich bei Nervenschmerzen, chronischen Schmerzen, Angsterkrankungen oder zur Vorbeugung einer Migräne eingesetzt.
Wirkungsweise von Antiepileptika
Die Wirkungsweise von Antiepileptika bei Nervenschmerzen beruht auf verschiedenen Mechanismen:
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- Modulation von Neurotransmittern: Antiepileptika können die Freisetzung oder Wirkung von Neurotransmittern wie Gamma-Aminobuttersäure (GABA), Glutamat und Noradrenalin beeinflussen. GABA ist ein inhibitorischer Neurotransmitter, der die Erregbarkeit der Nervenzellen reduziert. Glutamat ist ein exzitatorischer Neurotransmitter, der die Erregbarkeit erhöht. Noradrenalin spielt eine wichtige Rolle bei der Schmerzmodulation.
- Blockade von Ionenkanälen: Einige Antiepileptika blockieren spannungsabhängige Natrium- oder Kalziumkanäle in den Nervenzellen. Dies reduziert die Erregbarkeit der Nervenzellen und hemmt die Schmerzweiterleitung.
- Beeinflussung der zentralen Schmerzverarbeitung: Antiepileptika können die zentrale Schmerzverarbeitung im Gehirn und Rückenmark beeinflussen. Sie können die Sensibilisierung zentraler Neuronen reduzieren und die Funktion des Opioidrezeptors modulieren.
Gabapentin: Ein Überblick
Gabapentin ist ein Antiepileptikum (Antikonvulsivum), das sowohl bei Anfallsleiden wie Epilepsie als auch bei Nervenschmerzen (Neuropathien) Anwendung findet. Strukturell ist Gabapentin mit dem Neurotransmitter GABA (Gammaaminobuttersäure) verwandt. Es verhindert die unkontrollierte Erregung der Nervenzellen im Gehirn und erhöht somit die Krampfschwelle. Der genaue zugrunde liegende Mechanismus ist jedoch noch nicht vollständig geklärt.
Anwendungsgebiete von Gabapentin
Die Anwendungsgebiete von Gabapentin umfassen:
- Therapie von fokalen epileptischen Anfällen mit und ohne sekundärer Generalisierung (entweder als Monotherapie oder in Kombination mit anderen Medikamenten)
- Periphere neuropathische Schmerzen, z.B. infolge von Diabetes (diabetische Polyneuropathie) oder einer Herpes-Infektion (postherpetische Neuralgie)
Dosierung und Anwendung von Gabapentin
Gabapentin wird meist in Form von Tabletten oder Kapseln angewendet. Es kann mit oder ohne Nahrung aufgenommen werden, sollte aber immer mit ausreichend Flüssigkeit eingenommen werden. Die Dosierung hängt von der Indikation ab und beträgt für Erwachsene in der Regel zwischen 900 und 3600 Milligramm pro Tag.
Die Tagesdosis sollte auf drei Einzeldosen aufgeteilt werden, um eine vollständige Aufnahme zu gewährleisten. Die Einzeldosen sollten immer im gleichen zeitlichen Abstand zueinander eingenommen werden. Zu Beginn der Therapie wird Gabapentin einschleichend dosiert, um die Verträglichkeit zu verbessern.
Dosierungsempfehlungen:
- Erwachsene und Jugendliche (ab 12 Jahren): Start mit 300 mg am ersten Tag, steigerbar in 300-mg-Schritten alle 2 bis 3 Tage bis maximal 3.600 mg/Tag.
- Kinder (6 bis 12 Jahre): Beginn mit 10 bis 15 mg/kg/Tag, Aufdosierung über 3 Tage bis zu einer wirksamen Dosis von 25 bis 35 mg/kg/Tag.
Nebenwirkungen von Gabapentin
Sehr häufige Nebenwirkungen von Gabapentin sind Virusinfektionen, Schläfrigkeit (Somnolenz), Müdigkeit und Schwindel. Häufige Nebenwirkungen sind verändertes Essverhalten, Veränderungen im Blutbild, Verhaltensauffälligkeiten (vor allem bei Kindern), Krämpfe, Schlaflosigkeit und Bluthochdruck (Hypertonie). Auch Erkrankungen der Atemwege, Übelkeit und Erbrechen, Muskelschmerzen, Impotenz und Hautausschläge sind möglich.
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Wichtige Hinweise zur Einnahme von Gabapentin
- Wechselwirkungen: Die Menge an aufgenommenem Wirkstoff kann durch Aluminium- und Magnesium-haltige Medikamente zur Neutralisierung der Magensäure (Antazida) reduziert werden. Gabapentin sollte deshalb frühestens zwei Stunden nach der Einnahme eines solchen Antazidums eingenommen werden. Bei gleichzeitiger Einnahme von Morphin kann sich die Konzentration von Gabapentin im Blut erhöhen.
- Schwangerschaft und Stillzeit: Erfahrungen mit mehr als 500 Schwangerschaften unter Einsatz von Gabapentin im 1. Schwangerschaftsdrittel (Trimenon) deuten nicht auf ein erhöhtes Fehlbildungsrisiko hin. Da ein solches Risiko aber nicht vollständig augeschlossen werden kann, ist vor der Anwendung des Medikaments immer eine strenge Nutzen-Risiko-Abwägung angebracht. Gabapentin wird in die Muttermilch ausgeschieden.
- Absetzten: Das Absetzen von Gabapentin sollte nicht abrupt erfolgen, sondern durch schrittweise Verringerung der Dosis über mindestens eine Woche ("Ausschleichen").
Pregabalin: Ein Überblick
Pregabalin ist ein weiterer Wirkstoff aus der Gruppe der Antiepileptika, der zur Therapie von Epilepsie, Neuralgien und generalisierten Angststörungen eingesetzt wird. Es senkt im zentralen Nervensystem die neuronale Erregbarkeit und wirkt zugleich analgetisch, antiepileptisch, anxiolytisch und sedierend.
Anwendungsgebiete von Pregabalin
Pregabalin kommt bei Erwachsenen bei folgenden Erkrankungen zum Einsatz:
- Epilepsie ohne sekundäre Generalisierung
- Periphere und zentrale neuropathische Schmerzen
- Generalisierte Angststörungen
Dosierung und Anwendung von Pregabalin
Pregabalin ist in Form von Kapseln oder als Lösung verfügbar und wird normalerweise zwei- bis dreimal täglich eingenommen. Dies kann unabhängig zu den Mahlzeiten erfolgen. Je nach Indikation liegt die empfohlene Dosis zwischen 150 und 600 mg.
Dosierungsempfehlungen:
- Neuropathische Schmerzen: Die Therapie beginnt mit 150 mg täglich, verteilt auf zwei oder drei Einzeldosen. Je nach individuellem Ansprechen und individueller Verträglichkeit kann die Dosis nach einigen Tagen verdoppelt werden. Nach zwei Wochen kann auf 600 mg täglich erhöht werden - dies ist die maximal empfohlene Dosis.
- Epilepsie: Die Therapie beginnt mit 150 mg täglich, verteilt auf zwei oder drei Einzeldosen. Je nach individuellem Ansprechen und individueller Verträglichkeit kann die Dosis nach einer Woche verdoppelt werden. Nach einer weiteren Woche kann auf 600 mg täglich erhöht werden - dies ist die maximal empfohlene Dosis.
- Generalisierte Angststörungen: Die Therapie beginnt mit 150 mg täglich, verteilt auf zwei oder drei Einzeldosen. Je nach individuellem Ansprechen und individueller Verträglichkeit kann die Dosis nach einer Woche verdoppelt werden. Nach einer weiteren Woche kann auf 450 mg täglich erhöht werden. Auf die maximal empfohlene Tagesdosis von 600 mg sollte erst nach Ablauf einer weiteren Woche erhöht werden.
Nebenwirkungen von Pregabalin
Zu den häufigsten Nebenwirkungen unter Pregabalin-Therapie zählen Benommenheit, Schläfrigkeit und Kopfschmerzen. Weitere mögliche Nebenwirkungen sind:
- Nasopharyngitis
- Gesteigerter Appetit
- Euphorie
- Verwirrung
- Reizbarkeit
- Desorientierung
- Schlaflosigkeit
- Libidoverlust
- Ataxie
- Koordinationsstörungen
- Tremor
- Dysarthrie
- Amnesie
- Gedächtnisstörungen
- Aufmerksamkeitsstörungen
- Parästhesie
- Hypästhesie
- Sedierung
- Gleichgewichtsstörungen
- Lethargie
- Verschwommenes Sehen
- Diplopie
- Vertigo
- Erbrechen
- Übelkeit
- Verstopfung, Diarrhoe
- Flatulenz
- Aufgeblähter Bauch
- Mundtrockenheit
- Muskelkrämpfe
- Arthralgie
- Rückenschmerzen
- Schmerzen in den Extremitäten
- Zervikale Spasmen
- Erektile Dysfunktion
- (Periphere) Ödeme
- Gangstörungen
- Stürze
- Trunkenheitsgefühl
- Krankheitsgefühl
- Abgeschlagenheit
- Gewichtszunahme
Wichtige Hinweise zur Einnahme von Pregabalin
- Wechselwirkungen: Das Wechselwirkungspotenzial von Pregabalin ist vergleichsweise gering, da der Wirkstoff fast nicht metabolisiert, sondern unverändert über die Nieren ausgeschieden wird. Dennoch zeigt es Wechselwirkungen mit Lorazepam, anderen zentral dämpfenden Wirkstoffen und Opioiden. Unter Einnahme von Pregabalin sollte auf den Konsum von Alkohol verzichtet werden.
- Schwangerschaft und Stillzeit: Frauen im gebärfähigen Alter sollten während der Therapie mit Pregabalin auf eine sichere Verhütung achten. Während der Schwangerschaft darf der Wirkstoff nicht eingenommen werden, da aus Tierversuchen eine Reproduktionstoxizität bekannt ist. Da Pregabalin in die Muttermilch übergeht, muss sorgfältig entschieden werden, ob das Stillen oder die Therapie mit dem Arzneimittel unterbrochen werden.
- Verkehrstüchtigkeit: Pregabalin kann zu Schläfrigkeit und Benommenheit führen, weshalb während der Therapie auf die Teilnahme am Straßenverkehr und das Bedienen von Maschinen verzichtet werden sollte.
- Absetzen: Es ist wichtig, Medikamente mit Pregabalin nicht abrupt abzusetzen, sondern die gewohnte Dosis mindestens eine Woche lang ausschleichend zu senken.
- Missbrauchspotenzial: Zunehmend diskutiert wird das Missbrauchspotenzial von Gabapentin und Pregabalin, wobei die Substanzen in hohen Einzeldosen genommen werden. Studien zeigten, dass sie zur Steigerung des »High«-Effekts zusammen mit Methadon eingenommen werden.
Weitere Antiepileptika bei Nervenschmerzen
Neben Gabapentin und Pregabalin gibt es weitere Antiepileptika, die bei der Behandlung von Nervenschmerzen eingesetzt werden können:
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- Carbamazepin: Carbamazepin ist wirksam beim neuropathischen Schmerz und wird insbesondere bei der Trigeminusneuralgie eingesetzt. Problematisch sind die Nebenwirkungen wie Benommenheit, Sedierung, Obstipation, Leukopenie, Rash und Hepatotoxizität.
- Oxcarbazepin: Oxcarbazepin ist wirksam bei diabetischer Neuropathie. Hämatologisch und hepatisch ist es besser verträglich, kann aber zu schwerer Hyponatriämie führen.
- Lamotrigin: Für Lamotrigin ist die Wirksamkeit bei verschiedenen neuropathischen Schmerzarten gezeigt.
- Topiramat: Topiramat ist wirksam zur Migränebehandlung, Studien zur Wirksamkeit bei neuropathischem Schmerz zeigten jedoch keine einheitlichen Ergebnisse.
- Clonazepam: Clonazepam ist ein lang wirksames Benzodiazepin, das auch als Antikonvulsivum verwendet wird. Die Evidenz für den Einsatz beim neuropathischen Schmerz ist gering.
Studienergebnisse zur Wirksamkeit von Antiepileptika bei Nervenschmerzen
Zusammenfassungen von randomisierten Studien zeigen, dass bei neuropathischen Schmerzen und Fibromyalgie nur Gabapentin und Pregabalin besser wirksam sind als Placebo. Der Therapieeffekt ist allerdings nicht sehr ausgeprägt und die Number needed to treat (NNT) ist relativ hoch.
Eine Studie von Andrew Moore et al. wertete zehn Cochrane-Reviews aus, die insgesamt 91 randomisierte doppelblinde Studien zusammenfassen. Die Ergebnisse zeigen:
- Diabetische Polyneuropathie: Gabapentin in Dosierungen zwischen 600 und 3600 mg am Tag hat einen Risikoquotienten von 1,8 mit einer Number needed to treat von 5,8. Pregabalin in Dosierung von 300 oder 600 mg ist geringfügig weniger wirksam, mit Risikoquotienten von 1,3 bzw. 1,5 und NNT von 11 bzw. 6,3. Lacosamid und Lamotrigin sind nicht wirksam.
- Postzosterische Neuralgie: Gabapentin hat einen Risikoquotienten von 1,7 und eine NNT von 7,5. Pregabalin in Dosierungen von 300 bzw. 600 mg hat einen Risikoquotienten von 2,7 bzw. 2,8 und eine Number needed to treat von 5,3 bzw. 4,0.
- Zentrale neuropathische Schmerzen: Pregabalin 600 mg hat einen Risikoquotienten von 3,6 und eine NNT von 5,6.
- Fibromyalgie: Pregabalin in Dosierungen von 300, 450 und 600 mg am Tag hat Risikoquotienten zwischen 1,5 und 1,7 und NNT zwischen 9,8 und 14.
Bedeutung der Fortbildung und interdisziplinären Zusammenarbeit
Die Behandlung von neuropathischen Schmerzen erfordert eine umfassende Expertise und eine interdisziplinäre Zusammenarbeit. Nur ein geringer Prozentsatz der Ärzte fühlt sich sicher in der Diagnose und Therapie neuropathischer Schmerzen. Fortbildungen und der Austausch zwischen verschiedenen Fachrichtungen sind daher von großer Bedeutung, um eine adäquate Versorgung der Patienten zu gewährleisten.
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