Die alternde Bevölkerung stellt das Gesundheitssystem vor neue Herausforderungen, insbesondere im Bereich der Demenzversorgung im Krankenhaus. Um diesen Herausforderungen zu begegnen und eine bestmögliche Versorgung zu gewährleisten, sind umfassende geriatrische Assessments (CGA) unerlässlich. Diese multidimensionalen Bewertungen ermöglichen es, die individuellen Bedürfnisse älterer Patientinnen und Patienten zu erkennen und darauf abgestimmte Therapiepläne zu entwickeln.
Einführung
Der Anteil älterer Menschen an der Gesamtbevölkerung nimmt stetig zu. Bis 2040 wird ein Anstieg von aktuell 19 % auf bis zu 26 % erwartet. Dies führt zu einer Zunahme von altersbedingten Erkrankungen, insbesondere Demenz, was das Gesundheitssystem zusätzlich belastet. Um die Versorgung älterer Patientinnen und Patienten im Krankenhaus zu verbessern, wurde die S3-Leitlinie "Umfassendes Geriatrisches Assessment (Comprehensive Geriatric Assessment, CGA) bei hospitalisierten Patientinnen und Patienten" entwickelt. Diese Leitlinie dient als Wegweiser für eine personalisierte Altersmedizin im Krankenhaus.
Was ist ein geriatrisches Assessment?
Ein geriatrisches Assessment ist ein multidimensionaler und interdisziplinär eingesetzter diagnostischer Prozess zur Beurteilung von Funktionsfähigkeiten und Beeinträchtigungen bei geriatrischen Patientinnen und Patienten. Es ist ein standardisierter und dokumentierter Prozess, der den gesundheitlichen Status des Menschen ganzheitlich mit all seinen körperlichen, seelischen und sozialen Aspekten betrachtet. Es ergänzt andere diagnostische Tests wie körperliche Untersuchung, Labortests oder bildgebende Verfahren um wesentliche Informationen, um ein ganzheitliches Bild der gesundheitlichen und funktionellen Probleme und Bedürfnisse geriatrischer Patienten zu erhalten.
Das Prinzip des geriatrischen Assessments ist die Einbeziehung aller Organsysteme sowie der sozialen und psychologischen Komponente einer Erkrankung zur Diagnosestellung. Entscheidend für den Erfolg des geriatrischen Assessments sind die strukturierte Durchführung und die vergleichbare Qualität des Assessments. Die im Rahmen des geriatrischen Assessments eingesetzten Verfahren und Funktionstests werden als Assessment-Instrumente bezeichnet.
Ziele des geriatrischen Assessments
Das Hauptziel des geriatrischen Assessments ist die Verbesserung der Krankenhausversorgung und Nachsorge geriatrischer Patientinnen und Patienten, die meist 65 Jahre oder älter, multimorbide und in ihrer Selbsthilfefähigkeit eingeschränkt sind. Es dient dazu, Probleme frühzeitig zu erkennen und adäquat darauf reagieren zu können.
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Weitere Ziele sind:
- Eine genaue geriatrische Beurteilung der Fähigkeit des Patienten, das Leben in seiner persönlichen Umwelt bewerkstelligen zu können.
- Die frühzeitige Erkennung von motorischen, kognitiven und emotionalen Störungen, um eine gezielte Therapie rechtzeitig durchführen zu können.
- Eine individuelle Therapieplanung und Prognoseabschätzung.
Durchführung des geriatrischen Assessments
Das geriatrische Assessment sollte fester Bestandteil jeder geriatrischen Anamneseerhebung sein. Die Überprüfung im Rahmen der Anamnese dauert ungefähr 15-20 Minuten und gibt dem behandelnden Arzt Aufschluss darüber, ob ein sogenanntes Basisassessment erfolgen muss. Aufgrund der bereits beschriebenen Aspekte des geriatrischen Assessments ergibt sich für den behandelnden Arzt die Aufgabe der Leitung und Organisation des Assessments. Als Resultat hieraus muss er über eine genaue Kenntnis der geriatrischen Untersuchungsmethoden verfügen und die Ergebnisse als Ganzes bewerten können.
Screening
Im Rahmen des Assessments wird ein Screening durchgeführt, um aus der Gruppe der älteren Bevölkerung die Personen zu erkennen, die besonders unter altersassoziierten Erkrankungen leiden. Hierbei können Instrumente wie der ISAR-Test ("identification of seniors at risk") in der Notaufnahme oder der G8-Fragebogen (Geriatric-8) in der Onkologie eingesetzt werden.
Dimensionen des CGA
Das CGA umfasst verschiedene Dimensionen, die je nach Setting und Fragestellung ergänzt werden können. Die obligaten Dimensionen sind:
- Selbsthilfefähigkeit: Beurteilung der Fähigkeit, alltägliche Aufgaben wie Essen, Waschen und Anziehen selbstständig zu bewältigen.
- Mobilität: Beurteilung der Fähigkeit, sich selbstständig fortzubewegen und das Gleichgewicht zu halten.
- Kognitive Funktion inklusive Delir: Beurteilung der geistigen Leistungsfähigkeit, einschließlich Gedächtnis, Aufmerksamkeit und Orientierung, sowie Erkennung eines Delirs.
- Affekt: Beurteilung der emotionalen Verfassung, insbesondere im Hinblick auf Depressionen und Angstzustände.
- Ernährung: Beurteilung des Ernährungszustands und Erkennung von Mangelernährung oder Übergewicht.
- Soziale Situation: Beurteilung des sozialen Netzwerks und der Unterstützung, die der Patient erhält.
Beteiligte Professionen
Das geriatrische Assessment wird von einem interprofessionellen Team durchgeführt, das in der Regel aus Ärzten, Pflegepersonal, Therapeuten (z.B. Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Logopäden) und Sozialarbeitern besteht. In bestimmten Settings, wie z.B. in der Onkologie, ist auch der Einbezug von Patientinnen und Patienten und Bezugspersonen in die CGA-Durchführung von Bedeutung.
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Assessment-Instrumente bei Demenz
Im Rahmen des geriatrischen Assessments werden verschiedene Assessment-Instrumente eingesetzt, um den kognitiven Status und dieFunktionsfähigkeit der Patienten zu beurteilen. Einige der häufigsten Instrumente sind:
- Demenz-Tests / Psychometrische Tests: Verhaltensweisen werden in einer standardisierten und künstlich erzeugten Situation von Fachexperten erhoben und analysiert. Sie geben sehr zuverlässige Hinweise auf eine Demenz geben können. Diese Testverfahren sollten am besten von Experten durchgeführt werden, also zum Beispiel Neurologen, Psychiater, Psychologen oder entsprechend ausgebildetes Personal.
- Der Demenz-Detektions-Test (DemTect): Ein einfaches Verfahren, das nicht sehr lange dauert und kaum Vorwissen braucht. Der DemTect-Test berücksichtigt bei der Auswertung auch das Alter des Patienten.
- Der Mini-Mental-Status-Test (MMST): Etwas voraussetzungsreicher und aufwändiger, aber dafür auch aussagekräftiger. Der MMST wird häufig von geschultem Personal in Arztpraxen und Krankenhäusern verwendet.
- Der Montreal-Cognitive-Assessment-Test (MoCa-Test): Sollte von geschultem Personal durchgeführt werden.
- Der Uhrentest: Ein sehr bekannter Demenz-Test, der sich in wenigen Minuten nur mit einem Blatt Papier und einem Stift durchführen lässt.
- Test zur Früherkennung von Demenzen mit Depressionsabgrenzung (TFDD): Dient vor allem dazu, eine Depression als mögliche Ursache auszuschließen.
- Der Syndrom-Kurztest (SKT): Erfasst vor allem Beeinträchtigungen des Gedächtnisses, der Aufmerksamkeit und der Informationsverarbeitung.
- Barthel Index: Zur Beurteilung der Selbstständigkeit.
- Mini Mental State Test nach Folstein: Zur Erkennung kognitiver Defizite.
- DemTec-Test: Zur Beurteilung der kognitiven Fähigkeiten.
- Geriatrische Depressionsskala: Zur Erkennung von Depressionen.
- Timed "Up and Go": Zur Überprüfung der Mobilität und der Gehfähigkeit.
- Clock Completion (Vervollständigen einer Uhrenzeichnung): Zur Überprüfung der kognitiven und visuomotorischen Fähigkeiten.
- ADAS (Alzheimer Disease Assessment Scale): Eine Einschätzung des kognitiven und nicht-kognitiven Status bei Alzheimer-Demenz, die in etwa 30 - 45 Minuten erfolgen kann.
Ergänzend können neurologische Basisdiagnostiken wie der Unterberger Tret-Test, Finger-Finger- und Finger-Nase-Test, Muskeleigenreflex-Test sowie Blindlinie- und Liniegehen durchgeführt werden.
Spezifische Settings
Die S3-Leitlinie zum CGA berücksichtigt verschiedene Settings im Krankenhaus, in denen ein CGA besonders relevant ist:
Notaufnahme
In der Notaufnahme ist es wichtig, vulnerable Patientinnen und Patienten frühzeitig zu identifizieren, um gesundheitliche und soziale Probleme erkennen und eine zielgerichtete Therapie einleiten zu können. Empfohlen wird ein Screening mit den Dimensionen Kognition (Demenz, Delir), Selbsthilfefähigkeit und Mobilität (Sturzrisiko) sowie die Überprüfung der Medikation und die Erfragung von Wertvorstellungen und Präferenzen der Patientinnen und Patienten.
Onkologie
Ältere Menschen mit Krebserkrankungen sind häufig von Über- und Untertherapien betroffen, was die Komplikationsraten steigern sowie zu erhöhter Morbidität und Mortalität führen kann. Empfohlen wird ein Screening älterer onkologischer Patientinnen und Patienten anhand des G8-Fragebogens, gefolgt von einem CGA bei einem G8-Score ≤ 14 Punkte. Bei geriatrischen Patientinnen und Patienten sowie allen, die 70 Jahre oder älter sind, sollte auf jeden Fall ein CGA vor Einleitung einer systemischen Krebstherapie erfolgen.
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Orthogeriatrie
In der Orthogeriatrie ist das CGA von besonderem Nutzen für Personen mit einer moderat erhöhten Vulnerabilität und einer höheren prämorbiden Funktionsfähigkeit.
Herausforderungen und Limitationen
Trotz der Vorteile des geriatrischen Assessments gibt es auch Herausforderungen und Limitationen:
- Komplexität: Die Diagnostik und die Messung des kognitiven Status bei eingeschränkter Alltagskompetenz und demenziellen Erkrankungen sind äußerst komplex.
- Zeitaufwand: Die Durchführung eines umfassenden geriatrischen Assessments kann zeitaufwendig sein.
- Personalbedarf: Für die Durchführung eines CGA ist ein interprofessionelles Team erforderlich.
- Fehlende Expertenstandards: Aktuell existiert noch kein Expertenstandard zu dem Themenfeld "Diagnostik und Messung des kognitiven Status bei eingeschränkter Alltagskompetenz und demenziellen Erkrankungen".
- Aussagekraft von Assessments: Die aktuelle Pflegeforschung zeigt, dass die meisten Assessments im Vergleich zur Einschätzung der berufserfahrenen Pflegefachkraft weniger aussagekräftig sind.
Bedeutung der Früherkennung
Bei Demenz ist die Früherkennung sehr wichtig, weil die Behandlung dann viel mehr Aussicht auf Erfolg verspricht. Ein gutes Mittel zur Früherkennung sind regelmäßige psychometrische Tests. Diese messen, wie gut das Denkvermögen einer Person ist.
Delirprävention
Ab einem Alter von 65 Jahren sollten Patienten bei einem Krankenhausaufenthalt auf eine kognitive Störung gescreent werden, um ein Delir zu verhindern. Menschen mit einer Demenz haben ein erhöhtes Risiko für ein Delir.
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