Impfstoffe sind ein entscheidendes Instrument im Kampf gegen die COVID-19-Pandemie. Wie bei allen Medikamenten können jedoch auch bei Impfstoffen Nebenwirkungen auftreten. In den letzten Monaten wurde dem COVID-19-Impfstoff von AstraZeneca besondere Aufmerksamkeit geschenkt, insbesondere im Zusammenhang mit dem Auftreten seltener, aber schwerwiegender Nebenwirkungen im Gehirn. Dieser Artikel untersucht die verfügbaren Informationen über die Nebenwirkungen von AstraZeneca auf das Gehirn und stützt sich dabei auf Studienergebnisse und Expertenmeinungen, um ein umfassendes Bild der aktuellen Faktenlage zu vermitteln.
Zerebrovaskuläre Ereignisse nach Impfung: Eine deutsche Studie
Eine Preprint-Studie der Klinik für Neurologie der Uniklinik RWTH Aachen untersuchte das Auftreten von zerebrovaskulären Ereignissen, insbesondere Sinus- und Hirnvenenthrombosen, nach einer SARS-CoV-2-Impfung. Die Studie, die unter der Leitung von Univ.-Prof. Dr. med. Jörg B. Schulz durchgeführt wurde, analysierte 87 Meldungen von neurologischen Kliniken in Deutschland, von denen 62 durch ein Expertenteam bestätigt wurden.
Die Ergebnisse zeigten, dass es nach der Impfung mit dem AstraZeneca-Impfstoff ChAdOx1 zu signifikant mehr zerebralen Sinus- und Hirnvenenthrombosen (CVT) kam als nach der Impfung mit mRNA-Impfstoffen. Die Rate der CVT-Ereignisse war nach einer Erstimpfung mit ChAdOx1 mehr als neunmal höher als nach der Impfung mit mRNA-Impfstoffen.
Geschlechtsspezifische Unterschiede
Ein bemerkenswertes Ergebnis der Studie war, dass nicht nur jüngere Frauen ein höheres Risiko für zerebrale Sinus- und Hirnvenenthrombosen nach der Impfung mit ChAdOx1 hatten, sondern auch ältere Frauen. Gut Dreiviertel aller thrombotischen zerebralen Ereignisse (75,8 Prozent) traten bei Frauen auf. Von den 45 Menschen, die nach der Impfung eine Hirnvenenthrombose hatten, waren 35 (77,8 Prozent) weiblich.
Die statistische Auswertung der Daten, die von Univ.-Prof. Dr. Dr. Tobias Kurth vom Institut für Public Health an der Charité - Universitätsmedizin Berlin durchgeführt wurde, ergab, dass bei Frauen unter 60 Jahren, die eine Impfung mit dem AstraZeneca-Vakzin erhalten hatten, die Ereignisrate für CVT innerhalb eines Monats nach der Erstimpfung 24,2/100.000 Personenjahre betrug, bei gleichaltrigen Männern 8,9/100.000. Bei Frauen über 60 Jahren nach Gabe des gleichen Impfstoffs betrug die Inzidenzrate der Hirnvenenthrombosen 20,5/100.000 Personenjahre.
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Vakzine-induzierte immunogene thrombotische Thrombozytopenie (VITT)
Nach der Impfung mit dem AstraZeneca-Vakzin ChAdOx1 kann es in sehr seltenen Fällen zu einer Vakzine-induzierten immunogenen thrombotischen Thrombozytopenie (VITT) kommen. Der Pathomechanismus dieser seltenen Impf-Nebenwirkung ähnelt der Heparin-induzierten Thrombozytopenie (HIT) Typ II, bei der es zur Antikörperbildung gegen den Komplex aus Plättchenfaktor 4 (PF4) und Heparin kommt.
In der vorliegenden Studie konnten 57,8 Prozent der gemeldeten Fälle von Hirnvenenthrombosen mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit durch die Kliniker auf eine solche VITT zurückgeführt werden.
Die Rolle des adenoviralen Vektors
Auf die Frage, warum die VITT nicht nach der Impfung mit mRNA-Impfstoffen auftritt, vermutet Prof. Dr. med. Peter Berlit, Generalsekretär der DGN, dass die Antikörper gegen PF4 nicht mit dem Spike-Protein von SARS-CoV-2 kreuzreagieren, sondern die Impfkomplikation mit dem adenoviralen Vektor in Zusammenhang steht. Dies muss jedoch weiter untersucht werden.
AstraZeneca ist ein Vektorimpfstoff, der harmlose Adenoviren als Transporter nutzt. In sie wird Genmaterial des Coronavirus eingebaut und gelangt so in die menschliche Zelle, wo es eine Reaktion des Immunsystems anstößt. Auch der Impfstoff von Johnson & Johnson und der russische Impfstoff Sputnik V sind Vektor-Impfstoffe.
Einschätzung der Risiken und Vorteile
Trotz der genannten Risiken betonen Experten, dass der Nutzen der in Deutschland zugelassenen Impfstoffe die sehr geringen Risiken um ein Vielfaches überwiegt. Das Risiko einer Sinusvenenthrombose bei einer COVID-19-Infektion ist um ein Vielfaches höher als nach der Impfung, und die Erkrankung führt verhältnismäßig häufig zu thrombotischen Ereignissen mit Todesfolge, während die Impfung nur extrem selten zu solchen Komplikationen führt.
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Prof. Dr. med. Christian Gerloff, Präsident der DGN, betont, dass höchste Priorität ist, die Bevölkerung so schnell wie möglich durchzuimpfen. Er weist jedoch darauf hin, dass das Sicherheitssignal, dass nicht nur jüngere, sondern auch ältere Frauen ein erhöhtes Risiko für thrombotische Ereignisse nach der Impfung mit dem AstraZeneca-Vakzin haben, neu ist und transparent kommuniziert werden muss. Er schlägt vor, dass Frauen vor der Impfung über dieses Risiko aufgeklärt werden müssen und dass das sehr geringe Risiko für Hirnvenenthrombosen weiter minimiert werden könnte, wenn Frauen grundsätzlich bevorzugt mit den mRNA-Vakzinen geimpft würden.
Forschungsergebnisse und Behandlungsmöglichkeiten
Transfusionsmediziner um Professor Dr. Andreas Greinacher von der Universität Greifswald haben herausgefunden, was diese Thrombosen auslöst und wie diese behandelt werden können. Nach der Impfung bilden Geimpfte in sehr seltenen Fällen spezielle Antikörper, die sich an Thrombozyten binden. Die Blutplättchen werden durch die Bindung aktiviert, wodurch sich Gerinnsel im Blut bilden können, welche die Gefäße verstopfen können.
Die Forscher haben ein Testverfahren entwickelt, das hilft, die nach der Impfung auftretenden Antikörper zu erkennen. Menschen, die nach der Impfung Schmerzen im Bein oder ungewöhnlich starke Kopfschmerzen spüren, sollten umgehend einen Arzt aufsuchen.
Durch ein intravenöses Immunglobulin (ivIgG) können die Blutplättchen blockiert werden, sodass der Mechanismus gehemmt wird. Die Blutgerinnsel können dann durch gerinnungshemmende Medikamente aufgelöst werden.
Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO)
Die Deutsche Herzstiftung hält sich an die Empfehlungen der Ständigen Impfkommission. Derzeit rät die STIKO, den Impfstoff vor allem Menschen über 60 Jahren zu verabreichen. Patienten - gleich welchen Alters -, denen bei der ersten Impfung AstraZeneca verabreicht wurde, sollen nach den jüngsten STIKO-Empfehlungen nun als zweite Dosis generell einen mRNA-Impfstoff erhalten.
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Nebenwirkungen und Komplikationen im Überblick
Die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) nennt als häufigste akute Nebenwirkungen eine erhöhte Temperatur, Muskel- und Gelenkschmerzen, Kopfschmerzen, allgemeines Unwohlsein, Übelkeit, Müdigkeit oder Beschwerden direkt an der Einstichstelle.
Nach der Impfung mit dem AstraZeneca-Impfstoff traten sehr selten Blutgerinnsel auf, speziell in Hirnvenen (sogenannte Sinusthrombosen) sowie in anderen Venen, bei gleichzeitig verminderter Zahl an Blutplättchen (Thrombozytopenie, TTS).
Was Herzpatienten beachten sollten
Herzpatienten haben nicht häufiger Nebenwirkungen als die durchschnittliche Bevölkerung. Grippeähnliche Beschwerden nach der Impfung sind kein Grund zur Sorge und klingen innerhalb weniger Tage von selbst ab. Schmerzlindernde beziehungsweise fiebersenkende Medikamente wie Paracetamol oder Ibuprofen können eingenommen werden. Herzpatienten verzichten besser auf ASS (Acetylsalicylsäure) als Schmerzmittel.
Herz-Kreislauf-Patienten profitieren ebenfalls vom AstraZeneca-Impfstoff. Nach aktuellem Kenntnisstand entstehen Hirnvenenthrombosen und sonstige Thrombosen durch einen immunologischen Mechanismus - anders als Blutgerinnsel, die durch Vorhofflimmern oder defekte Herzklappen gebildet werden. Nicht geimpft zu werden, stellt ein mehrere tausend Mal höheres Risiko dar, als sich impfen zu lassen.
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