Die Multiple Sklerose (MS), auch Encephalomyelitis disseminata (ED) genannt, ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems (ZNS), die Gehirn und Rückenmark betrifft. Sie ist die häufigste autoimmune Erkrankung des ZNS und tritt meist im jungen Erwachsenenalter auf, wobei Frauen etwa 2-3 Mal häufiger betroffen sind als Männer. Weltweit gibt es fast drei Millionen Menschen mit MS, über 280.000 davon in Deutschland.
Was ist Multiple Sklerose?
Multiple Sklerose, kurz MS, ist eine chronisch-entzündliche Autoimmunerkrankung des zentralen Nervensystems (ZNS), also der Nervenstrukturen im Gehirn und Rückenmark. Bei MS werden die Nervenscheiden beschädigt. Dadurch liegen Nervenfasern teilweise frei, was zu einer gestörten Weiterleitung elektrischer Signale führt. Myelin isoliert die Nervenfasern, ähnlich wie eine Kunststoffhülle bei einem Stromkabel. Die isolierten Fasern übertragen Nervensignale rasend schnell vom Gehirn an den Rest des Körpers oder in die umgekehrte Richtung. Wird aber wie bei MS die isolierende Myelinschicht angegriffen und durch Entzündungen geschädigt, kann das zu Störungen in der Signalleitung führen: Die Nervensignale werden langsamer oder im schlimmsten Fall gar nicht mehr weitergeleitet. Die Folge sind unterschiedliche neurologische Symptome, von Kribbeln oder Brennen auf der Haut bis zu Lähmungen. Die Stärke der Symptome kann ganz unterschiedlich ausfallen, es gibt kein typisches Muster von MS-Symptomen. MS-Symptome sind sehr vielfältig und zeigen sich bei jedem betroffenen Menschen anders. Denn je nachdem, an welchen Nerven des Gehirns oder Rückenmarks die Entzündungen an den Nerven sitzen, unterscheiden sich die Art und Schwere der Symptome, die sich zudem im Verlauf der Krankheit verändern können. Das ist ein Grund, weshalb MS die Krankheit der tausend Gesichter genannt wird.
Ursachen und Risikofaktoren
Die Ursachen für eine Erkrankung sind nicht klar. Es gibt wohl keinen Einzelfaktor, der alleine MS auslöst. Eher wird ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren angenommen. Manche könnten in den ererbten Genen liegen, andere in Virus-Infektionen (z.B. mit Masern-, Herpes- oder Epstein-Barr-Viren), in Vitamin D-Mangel oder Rauchen. Auch das Geschlecht scheint einen Einfluss zu haben; denn es leiden 2 bis 3 mal so viele Frauen wie Männer an MS. Dieser Einfluss könnte jedoch sowohl biologisch als auch durch die im Schnitt unterschiedlichen Lebensumstände von Frauen und Männern begründet sein.
Wieso greift das Immunsystem bei MS die Myelinhüllen der Nervenfasern an und verursacht so diese Fülle an Symptomen? Darauf haben Forscherinnen und Forscher noch keine zufriedenstellende Antwort gefunden. Klar ist bisher nur der Krankheitsmechanismus: eine fehlerhafte Ausbildung bestimmter Immunzellen.
Immunzellen lernen, bevor sie im Körper patrouillieren, zwischen körpereigenen und fremden, potenziell gefährlichen Strukturen zu unterscheiden. Greifen sie während ihrer „Ausbildung“ körpereigene Strukturen an, werden sie sicherheitshalber vernichtet. In der wissenschaftlichen Welt kursieren unterschiedliche Theorien, warum sich in die Ausbildung der Immunzellen Fehler einschleichen können. Einig sind sich Forscherinnen und Forscher darin, dass wahrscheinlich mehrere Faktoren zusammenspielen müssen, damit eine Erkrankung wie Multiple Sklerose entsteht.
Lesen Sie auch: MS-Medikamente im Detail erklärt
Die wichtigsten Risikofaktoren für Multiple Sklerose:
- Genetische Faktoren: Multiple Sklerose ist zwar keine erbliche Erkrankung - allerdings ist es wahrscheinlicher zu erkranken, wenn ein Familienmitglied MS hat.
- Bestimmte Infektionen im Kindes- und Jugendalter: Das Epstein-Barr-Virus steht besonders im Verdacht, das Risiko für Multiple Sklerose zu erhöhen. Auch Masern und das humane Herpesvirus 6, das beispielsweise das Drei-Tage-Fieber auslöst, werden diskutiert.
- Vitamin-D-Mangel: Zu wenig Vitamin D im Blut ist ebenfalls ein Risikofaktor für MS. Denn Vitamin D, das unser Körper mithilfe von Sonnenlicht bildet, unterstützt die optimale Funktion unseres Immunsystems.
- Rauchen: Wer raucht, riskiert einen schnelleren und stärkeren Verlauf einer Multiplen Sklerose. Mit dem rauchen aufzuhören, lohnt sich in jedem Fall und verlangsamt das Fortschreiten der Krankheit.
- Übergewicht: Studien zeigen, dass Übergewicht im Kindes- und Jugendalter wie auch im jungen Erwachsenenalter das MS-Risiko erhöht.
- Luftverschmutzung: Schadstoffe wie Stickoxide, Schwefeloxide und Mikrofeinstaub stehen im Verdacht, Multiple Sklerose zu begünstigen beziehungsweise zu verschlimmern.
Symptome und Verlauf
Multiple Sklerose tritt häufig unvermittelt und unerwartet auf, vorwiegend im jungen Erwachsenenalter. Oftmals ist zunächst nur ein einzelnes Symptom vorhanden, bei manchen Patienten sind es jedoch sofort mehrere. Beschwerdebild und Verlauf der Krankheit können dabei ganz unterschiedlich ausfallen.
Typische Frühanzeichen:
- Sehstörungen wie trüber Blick, Sehausfall im Zentrum des Blickfelds, Doppelbilder, eingeschränktes Farbensehen, (vorübergehende) Blindheit, Schmerzen bei Augenbewegung
- Missempfindungen wie Taubheitsgefühl oder Kribbeln
- Lähmungen
- Koordinationsstörungen, beispielsweise bei Gleichgewicht, Fein- und Zielmotorik
- Erschöpfung und Konzentrationsschwierigkeiten
Viele dieser Symptome können jedoch auch bei anderen Erkrankungen auftreten oder ganz harmlose Ursachen haben. Wer also gelegentlich ein Kribbeln in der Hand spürt, braucht nicht gleich an Multiple Sklerose zu denken.
Häufige Symptome der Multiplen Sklerose:
Lesen Sie auch: Wie man MS vorbeugen kann
- Sehstörungen z.B. mit Verschwommen- oder Nebelsehen, Sehausfall
- Krämpfe, Muskelzuckungen, Schwerfälligkeit, spastische Lähmungserscheinungen, die vor allem die Beine betreffen, teils auch die Hände
- Müdigkeit, allgemeine Mattigkeit oder Konzentrationsstörungen („Fatigue“)
- Gefühlsstörungen der Haut z.B. Kribbeln, Taubheitsgefühl
- Unsicherheiten beim Gehen, Störungen der Bewegungskoordination
- Lähmungen oder Störungen beim Entleeren von Darm oder Blase
Meist verläuft die Erkrankung in Schüben, also Phasen mit Symptomen, die sich dann wieder zurückbilden. Das ist die sogenannte schubförmig remittierende MS. Anders als beim schubförmigen Verlauf schreitet bei rund 10 % der Patienten MS von Beginn an unaufhaltsam fort - auch primär progrediente MS genannt. Dies ist die schwerste Verlaufsform der Krankheit. Es gibt noch eine Mischform, die sekundär progrediente MS. Diese entwickelt sich aus der schubförmigen MS, wenn sich die Symptome nach einem Schub kaum noch oder gar nicht mehr zurückbilden.
Der individuelle Verlauf der Erkrankung ist schwer vorherzusagen. Die Mehrheit der Erkrankten ist 15-20 Jahre nach der Diagnose nur wenig oder mäßig betroffen. Bei etwa 20 Prozent, also einem von fünf Menschen mit MS, liegt ein höherer Behinderungsgrad vor (zum Beispiel, dass jemand eine Gehhilfe benötigt, um 100 Meter zu gehen). Auf einen Rollstuhl sind heute nur noch wenige Menschen mit Multipler Sklerose angewiesen.
- In insgesamt drei Viertel aller Fälle tritt die MS in Schüben auf. Zu Beginn der Krankheit ist das bei 85 Prozent so und die Betroffenen haben durchschnittlich alle zwei bis drei Jahre einen Schub. Ein Schub ist gekennzeichnet durch episodisches Auftreten und vollständige oder teilweise Rückbildung (Remission) neurologischer Symptome innerhalb von Tagen bis Wochen. Meistens läuft ein Schub so ab: Die Betroffene bemerkt Symptome, etwa dass sich ein Arm taub anfühlt oder das Sehen auf einem Auge schlechter ist. Innerhalb weniger Stunden nehmen die Beschwerden stetig zu. Ohne Behandlung bleiben sie irgendwann für Tage oder Wochen auf einem Niveau stehen und bilden sich dann langsam ganz oder teilweise zurück. Manche Schübe machen nur leichte Beschwerden, wie ein kaum spürbares Kribbeln, andere sehr schwere, wie vollständige Lähmung beider Beine. Jeder Schub führt zu einer Beschädigung im zentralen Nervensystem.
- Bei etwa 15 Prozent der Betroffenen geht die schubförmige MS später in eine sekundär (= an zweiter Stelle) progrediente Multiple Sklerose über. Die Symptome zwischen den Schüben bilden sich nicht mehr zurück oder verstärken sich über die Zeit.
- 15 Prozent der Betroffenen haben zu Beginn der Erkrankung keine Schübe, bei ihnen fällt die MS durch eine langsame Zunahme der Beschwerden auf. Zusätzlich wird bei jeder Form bewertet, ob sie entzündlich aktiv oder nicht aktiv ist.
Fachleute unterscheiden bei der Multiplen Sklerose drei grundlegende Verlaufsformen, die ineinander übergehen können.
- Schubförmig remittierende MS: Bei den meisten Betroffenen treten die ersten Symptome in Schüben auf und lassen zwischendurch wieder komplett oder teilweise nach - das wird schubförmig remittierend (kurz: RRMS für Relapsing Remitting MS) genannt. Bei etwa 80 Prozent der Patientinnen und Patienten beginnt die Erkrankung auf diese Weise im jungen Erwachsenenalter.
- Sekundär progrediente MS: Eine ursprünglich schubförmig verlaufende Multiple Sklerose (RRMS) entwickelt sich häufig nach 10 bis 20 Jahren in ihrem Verlauf: Die Beschwerden verändern sich bei etwa 15 Prozent der Betroffenen langsam und kommen weniger in Schüben, sondern bleiben länger oder sogar dauerhaft.
Diagnose
Eine MS-Diagnose zu stellen, ist nicht einfach. Weil so viele unterschiedliche Symptome vorkommen können, gibt es nicht den einen „MS-Test“, der zweifelsfrei beweist, dass eine Multiple Sklerose vorliegt. Multiple Sklerose ist daher eine sogenannte Ausschlussdiagnose. Das bedeutet, dass verschiedenen Untersuchungen gemacht werden. Entscheidend ist, dass sich Entzündungsherde an mehreren Stellen im Gehirn oder Rückenmark nachweisen lassen.
Um eine MS festzustellen oder auszuschließen, helfen unterschiedliche Untersuchungen:
Lesen Sie auch: MS und Rückenschmerzen: Ein Überblick
- Magnetresonanztomografie (MRT): Eine MRT-Untersuchung macht MS-typische Entzündungen in Gehirn und Rückenmark sichtbar. Auf den Bildern sind sie als helle oder dunkle Flecken zu sehen und werden Läsionen oder Herde genannt. Die MRT dient nicht nur der Diagnose, sondern auch der Verlaufsbeobachtung. Dabei handelt es sich um Arzneimittel, die den Kontrast zwischen Blutgefäßen und Gewebe verstärken. Sie können gesunde Blutgefäße nicht verlassen und gelangen normalerweise nicht ins Gewebe. An aktiven Entzündungsstellen werden Blutgefäße aber durchlässig, damit Abwehrzellen die Entzündung bekämpfen können. An diesen Stellen kann Kontrastmittel ins Gewebe gelangen und auf den MRT-Bildern dort gesehen werden.
- Blutuntersuchung: Manche Erkrankungen wie die durch Zecken übertragene Borreliose und die Autoimmunerkrankung Lupus verursachen ähnliche Symptome wie MS und auffällige Blutwerte. Mit einer Blutuntersuchung lassen sich solche Erkrankungen ausschließen.
- Nervenwasseruntersuchung: Im Nervenwasser, das Gehirn und Rückenmark umgibt, lassen sich ebenfalls Hinweise auf Entzündungen finden - beispielsweise in Form von bestimmten Immunzellen oder Eiweißen, die bei autoimmunen Entzündungen entstehen. Für die Untersuchung wird der Patientin oder dem Patienten mit einer dünnen Nadel ein wenig Nervenwasser aus dem Rückenmarkskanal entnommen. Oligoklonale Banden sind sogenannte Immunglobuline, das heißt: Antikörper. Sie liefern Hinweise auf entzündliche Prozesse im Körper. Bei rund 95 Prozent aller MS-Patienten liegen sie vor. Weil sie aufgrund ihrer Größe die Blut-Hirn-Schranke nicht überwinden können, befinden sie sich nur in der Gehirn-Rückenmark-Flüssigkeit (Liquor) und nicht im Blut. Dies spricht für eine Entzündung, die ihren Ausgangspunkt im Gehirn hat. Allerdings liegen die oligoklonalen Banden erst im späteren Verlauf einer MS-Erkrankung vor, selten schon zu Anfang. Die Untersuchungen sind nicht nur technisch aufwändig, sie dauern auch lange.
- Nervenvermessung: Bei Menschen mit Multipler Sklerose schädigt die Erkrankung nach und nach die isolierenden Hüllen von Nervenfasern. Die betroffenen Nervenzellen leiten Signale langsamer weiter als bei gesunden Menschen. Weitere wichtige Untersuchungen zur Bestätigung einer MS-Diagnose sind die Untersuchung des Nervenwassers mittels einer Lumbalpunktion sowie Messungen von Sehnerven (VEP) und Nervenbahnen (SEP).
Behandlungsmöglichkeiten
Multiple Sklerose ist nicht heilbar. Durch moderne Behandlungsmöglichkeiten kann der Verlauf der Erkrankung jedoch meist lange herausgezögert und verbessert werden. Die Therapie der Multiplen Sklerose stützt sich dabei auf mehrere Säulen:
- Schubtherapie: Behandlung akuter Schübe, damit Beschwerden sich schnell zurückbilden
- Verlaufsmodifizierende Therapie (= Basistherapie): Reduktion der Schwere und Häufigkeit der Schübe, um die beschwerdefreie oder -arme Zeit zu verlängern
- Symptomatische Therapie: Linderung von MS-Beschwerden und Vorbeugung möglicher Komplikationen
Medikamentöse Therapie
Multiple Sklerose ist nicht heilbar - aber behandelbar. Doch da die Symptome und Verläufe bei allen Betroffenen unterschiedlich sind, gibt es auch keine Multiple-Sklerose-Therapie, die für alle funktioniert. Die Behandlung setzt sich daher aus unterschiedlichen Therapieformen zusammen, die auf die Betroffenen abgestimmt werden.
Damit sich akute MS-Schübe schneller zurückbilden, wird in der Regel entzündungshemmendes Cortison eingesetzt, entweder in Tablettenform oder als Infusion in eine Vene. Zusätzlich stehen Immuntherapien zur Verfügung, die das Immunsystem verändern oder dämpfen. Dadurch können sie den Krankheitsverlauf verlangsamen und abmildern sowie MS-Schübe dämpfen. Immuntherapien werden auch verlaufsmodifizierende Therapien genannt.
Haben die Medikamente nicht die gewünschte Wirkung und drohen daher bei einem akuten Schub bleibende Schäden, kann eine sogenannte Blutwäsche (Plasmapherese beziehungsweise Immunadsorption) zum Einsatz kommen. Dabei werden bestimmte Bestandteile aus dem Blut der MS-Betroffenen gefiltert, die bei Entzündungsprozessen eine Rolle spielen.
Medikamente für Patienten mit schubförmiger MS
Für Patientinnen und Patienten mit schubförmig verlaufender Erkrankung stehen mehrere Medikamente zur Verfügung, die den Angriff des Immunsystems auf die Nervenzellen abschwächen. Bei akuten Schüben können u.a. Cortison-Präparate die Symptome dämpfen. Zu den schon am längsten verfügbaren Basistherapeutika zählen die Betainterferon-Präparate und das synthetische Peptidgemisch Glatirameracetat; sie alle müssen regelmäßig gespritzt werden. Schlägt eins dieser Basistherapeutika an, kann das etwa ein Drittel bis die Hälfte aller neuen Schübe verhindern und die Schwere vermindern. Das Spritzen allerdings fällt manchen Patienten schwer; und die Mittel wirken nur bei rund 70% der Patienten. Etliche Patienten erleben auch belastende Nebenwirkungen wie grippeähnlichen Symptome durch die Basistherapie mit diesen Mitteln. Schon seit 2011 kamen aber auch Basistherapeutika in Tablettenform heraus, mit den Wirkstoffen Fingolimod, Siponimod, Ponesimod, Ozanimod, Teriflunomid, Dimethylfumarat und Cladribin. Diese neueren Medikamente - und darin unterscheiden sie sich nicht grundsätzlich von den älteren - eliminieren bestimmte Zellen des Immunsystems oder dämpfen ihre Aktivität, damit deren Angriffe im ZNS unterbleiben. Die genauen Wirkprinzipien, mit denen das erzielt wird, sind jedoch andere; und einige Patienten begrüßen es sehr, dass sie ihre Medikamente nicht spritzen müssen. Leiden Patienten trotzdem an einer hohen Schubrate, kann auch ein Antikörperpräparat oder ein Chemotherapeutikum (zur Schub- oder Dauerbehandlung) eingesetzt werden, was jedoch mit höheren Risiken für die Patienten durch belastende, in Einzelfällen auch schweren Nebenwirkungen verbunden sein kann. Drei Antikörperpräparate (Natalizumab, Ocrelizumab und Ofatumumab) werden in Dauertherapie eingesetzt, für ein weiteres (Alemtuzumab) genügen zwei kurze Behandlungsphasen für eine langanhaltende Wirkung.
Medikamente für Patienten mit primär-progredienter MS
Für Patienten mit primär-progredienter MS (PPMS) gab es lange Zeit trotz intensiver Forschung kein zugelassenes Basis-Medikament. Im Jahr 2018 kam erstmals ein solches Medikament heraus; das Präparat enthält den Antikörper Ocrelizumab und kann die Krankheitsaktivität dämpfen. Besonders bei jüngeren Betroffenen mit kürzerer Erkrankungsdauer und nachweisbarer Krankheitsaktivität kann das Fortschreiten der Erkrankung durch die Behandlung mit Ocrelizumab gebremst werden.
Wie Medikamente wirken
Zu den Aufgaben des Immunsystems zählt, eindringende Krankheitskeime wie Viren oder Bakterien abzuwehren. Dazu muss es fähig sein, zwischen „fremd“ und „körpereigen“ zu unterscheiden. Bei der MS gelingt ihm dies jedoch im Falle der Nervenscheiden nicht: Das Immunsystem hält sie für fremd und startet einen Großeinsatz der Immunzellen, der allerdings nicht im gesamten ZNS gleichzeitig erfolgt, sondern sich auf einzelne Regionen konzentriert und dort zu einer Entzündung führt. Beteiligt am Immunangriff sind unterschiedliche weiße Blutkörperchen: sogenannte Fresszellen (Makrophagen, sie können andere Zellen in direktem Kontakt vernichten), T-Lymphozyten und B-Lymphozyten. Letztere schädigen das ZNS nicht direkt, sondern produzieren Antikörper, die sich auf die Nervenzell-Hüllen setzen und diese damit für weitere Immunzellen „zum Abschuss freigeben“. Die Medikamente in der MS-Therapie greifen an verschiedenen Stellen in den Entzündungsprozess ein. Einige Präparate verhindern die Vermehrung bestimmter Immunzellen. Ein anderes hindert T- und B-Lymphozyten daran, die Lymphknoten zu verlassen und ins ZNS einzudringen. Ein weiteres stört die Kommunikation zwischen Immunzellen, so dass diese ihren Angriff nicht koordinieren können.
Symptomatische Therapie
Manche MS-Symptome können den Alltag der Betroffenen einschränken. Gezielte Therapien helfen, die Beschwerden zu lindern und Komplikationen zu verhindern. Physiotherapie wirkt beispielsweise Bewegungs- und Gleichgewichtsstörungen und Blasenstörung entgegen. Neuropsychologisches Training vermindert Aufmerksamkeit- und Gedächtnisschwäche. Und Psychotherapie kann helfen, besser mit der Erkrankung umzugehen.
Anpassung des Lebensstils
Multiple-Sklerose-Patientinnen und -Patienten können durch einen gesunden und ausgewogenen Lebensstil zu einem gewissen Grad selbst den Verlauf ihrer Erkrankung und die Stärke ihrer Symptome beeinflussen. Kraft- und Ausdauertrainings helfen, die Muskelkraft und Balance zu verbessern. Zudem profitieren die Lebensqualität und Psyche von regelmäßigem Sport - ein wichtiger Punkt bei einer Erkrankung, die sehr belasten kann.
Ein wesentliches Element ist regelmäßige körperliche Aktivität. Ein Spaziergang oder eine Wanderung, eine Fahrradtour oder ähnliche Aktivitäten im Freien haben außerdem gleich mehrere positive Effekte: Man bewegt sich und kann schon durch kurzen, aber regelmäßigen Aufenthalt in der Sonne etwas gegen einen Vitamin-D-Mangel tun. Aber auch gezieltes Training ist wichtig. Die Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG) bietet weitergehende Informationen zu MS und Sport sowie ein spezielles MS-Funktionstraining an. Ein weiterer wichtiger Baustein, den jeder selbst in der Hand hat, ist die Umstellung auf eine gesunde Ernährung. Selbst zubereitete Mischkost mit viel Obst und Gemüse, Fisch und Vollkornprodukten, aber wenig Zucker und Salz, tierischen Fetten und Zusatzstoffen (wie in verarbeiteten Lebensmitteln) hat positive Effekte. Zudem sollten Menschen mit Multipler Sklerose nicht rauchen. Rauchen ist ein Risikofaktor und die Betroffenen sollten alles daran setzen, die Nikotinsucht zu überwinden. Wer es allein nicht schafft, findet Unterstützung: Viele Krankenkassen haben Angebote zur Raucherentwöhnung, z.B. „Nichtrauchertrainings“.
Eine MS einher kann eine Reihe von Folgesymptomen auslösen. Viele Folgesymptome lassen sich medikamentös oder mit anderen Maßnahmen behandeln. Dazu gehören physiotherapeutische, logopädische und ergotherapeutische Therapien.
Liste weiterer MS Medikamente in Erprobung oder Zulassungsverfahren
Ein wichtiger Schwerpunkt der klinischen Forschung liegt 2024 wie auch in den vergangenen Jahren auf der Weiterentwicklung von immunmodulatorischen Substanzen, die das Voranschreiten der Behinderung effektiver unterbinden sollen. Durch Immunmodulatoren kann die Immunantwort im Körper beeinflusst und neu ausgerichtet werden. Sie können beispielsweise Botenstoffe sein, die therapeutisch eingesetzt werden, um die Kommunikation zwischen den Immunzellen zu beeinflussen. Ein weiterer Fokus liegt auf der Erforschung der Zelle, insbesondere der Rolle von T-Zellen und B-Zellen, um die Mechanismen der Autoimmunreaktion besser zu verstehen. Andere Studien zielen darauf ab, den Anwendungskomfort durch längere Anwendungsintervalle oder eine orale Verabreichung zu erhöhen.
| Wirkstoff; Einnahmeform | Wirkungsweise | Stand des Projekts |
|---|---|---|
| Siponimod = BAF-312; zum Schlucken | verhindert Freisetzung von T- und B-Lymphozyten aus den Lymphknoten | Mayzent ist in der EU seit 01/2020 gegen sekundär progrediente MS zugelassen. |
| Ozanimod; zum Schlucken | verhindert als S1P1- und S1P5-Rezeptorantagonist die Freisetzung von T- und B-Lymphozyten aus den Lymphknoten | OCREVUS ist in der EU seit 05/2020 gegen schubförmige MS zugelassen. |
| Ponesimod; zum Schlucken | verhindert Freisetzung von T- und B-Lymphozyten aus den Lymphknoten | in klinischer Erprobung, Phase III |
| Immunoglobulin Octagamk |
MS-Forschung und neue Medikamente für die Multiple Sklerose-Therapie
Dennoch ist vieles bis heute nicht zufriedenstellend: Im Jahr 2024 kann keines der Basistherapeutika alle Schübe verhindern. Und für die Behandlung bestimmter Formen der Krankheit sind erst wenige Medikamente wie Mayzent oder Ocrevus zugelassen. Deshalb versuchen Pharmaforscher weiterhin, für die Patienten Medikamente zu entwickeln, die noch wirksamer und noch besser verträglich sind. Und sie arbeiten an weiteren Medikamenten gegen die stetig fortschreitende (die sogenannte "primär-progrediente" oder "sekundär-progrediente“) MS.
Leben mit Multipler Sklerose
MS ist eine chronische Erkrankung. Eine ursächliche Therapie, also ein Medikament, das Multiple Sklerose (MS) heilt, gibt es noch nicht. Aber: Mithilfe der zahlreichen Therapieoptionen und der aktiven Vermeidung von Risikofaktoren und Umstellung seines Lebensstils lässt sich die Erkrankung heute gut kontrollieren. Die allermeisten Menschen mit Multipler Sklerose (MS) können ein selbstständiges und selbstbestimmtes Leben führen und lange Zeit mobil bleiben. Multiple Sklerose steht grundsätzlich weder einer Ausbildung noch der Berufsausübung, Freundschaften, Sport, sozialen Kontakten oder der Gründung einer Familie im Wege.
Rund um die Multiple Sklerose halten sich noch immer hartnäckig einige Vorurteile. Beispielsweise, dass sie zwangsläufig zu schweren Behinderungen oder einem Leben mit Rollstuhl führt und die Lebenserwartung stark verkürzt. Doch das stimmt so nicht: Viele Betroffene leben über Jahrzehnte hinweg ohne Gehhilfe. Selbst nach einer Krankheitsdauer von etwa 40 Jahren benötigen nur rund 30 Prozent einen Rollstuhl. Und auch dann unterstützen Mobilitätshilfen dabei, möglichst aktiv und selbstbestimmt zu bleiben.
Zudem ist Multiple Sklerose mittlerweile dank moderner Medikamente und eines besseren Verständnisses der Krankheit gut behandelbar.
MS und Schwangerschaft
Während der Schwangerschaft nimmt die Wahrscheinlichkeit für einen Schub ab. In den ersten drei Monaten nach der Geburt nimmt sie zu. Stillen scheint vor Schüben zu schützen. MS-Medikamente können sich auf das ungeborene Kind auswirken, weswegen besondere Vorsicht geboten ist. Nicht jedes Medikament darf in der Schwangerschaft gegeben werden. Eine Schwangerschaft sollte daher möglichst in einer stabilen Phase der Erkrankung geplant und Medikamente eher abgesetzt werden - zumal sie, wie oben beschrieben, einen gewissen Schutz vor Schüben bietet. Die Therapie eines schweren Schubes mit Kortison ist in der Schwangerschaft ab dem zweiten Schwangerschaftsdrittel möglich. Wenn Kortison im ersten Schwangerschaftsdrittel gegeben wird, besteht ein erhöhtes Risiko, dass das Kind mit einer Lippen-Kiefer-Gaumenspalte geboren wird. Die meisten Immuntherapien werden allerdings über die Muttermilch an den Säugling weitergegeben, was die Entscheidung über einen Therapiebeginn verkompliziert.