Alkoholtoxische Polyneuropathie (ICD-10 G62.1): Ursachen, Symptome, Diagnose und Therapie

Einführung

Die alkoholtoxische Polyneuropathie, im internationalen Klassifikationssystem der Krankheiten (ICD-10) unter dem Code G62.1 klassifiziert, ist eine Nervenerkrankung, die durch chronischen und übermäßigen Alkoholkonsum verursacht wird. Sie gehört zur Gruppe der peripheren Neuropathien, welche Erkrankungen der Nerven außerhalb des Gehirns und des Rückenmarks umfassen. Diese Nervenschädigung kann eine Vielzahl von Symptomen hervorrufen, die die Lebensqualität der Betroffenen erheblich beeinträchtigen können.

Was ist eine Polyneuropathie?

Periphere Neuropathien sind Erkrankungen der motorischen, sensiblen oder autonomen Nerven des peripheren Nervensystems. Bei einer generalisierten Schädigung des peripheren Nervensystems spricht man von Polyneuropathie. Das periphere Nervensystem verbindet das Gehirn und das Rückenmark (das zentrale Nervensystem) mit den übrigen Körperteilen. Es steuert motorische Funktionen (Bewegung), sensorische Funktionen (Empfindungen wie Berührung, Schmerz, Temperatur) und autonome Funktionen (unwillkürliche Körperfunktionen wie Herzfrequenz, Verdauung, Schwitzen).

Ursachen der alkoholtoxischen Polyneuropathie

Die Hauptursache der alkoholtoxischen Polyneuropathie ist, wie der Name schon sagt, chronischer und übermäßiger Alkoholkonsum. Es gibt mehrere Mechanismen, durch die Alkohol die Nerven schädigen kann:

  • Direkte Toxizität: Alkohol wirkt direkt toxisch auf die Nervenzellen.
  • Nährstoffmangel: Chronischer Alkoholkonsum führt häufig zu Mangelernährung, insbesondere zu einem Mangel an Vitaminen der B-Gruppe (vor allem Thiamin, Vitamin B1). Diese Vitamine sind für die normale Funktion der Nerven unerlässlich. Wenn man zu wenig Vitamin B im Körper hat, dann können die Nerven nicht richtig arbeiten.
  • Indirekte Schädigung: Alkohol kann auch indirekt Nervenschäden verursachen, indem er andere Organe wie die Leber schädigt. Lebererkrankungen können den Stoffwechsel beeinträchtigen und zu einem Mangel an essentiellen Nährstoffen führen.

Häufigkeit

Polyneuropathien sind insgesamt relativ häufig. Die Prävalenz von Polyneuropathien liegt bei 1-7 % in der Allgemeinbevölkerung und steigt auf etwa 8 % bei Menschen über 55 Jahre. Der Anteil der alkoholtoxischen Polyneuropathie an allen Polyneuropathien ist beträchtlich, da Alkoholmissbrauch weit verbreitet ist.

Symptome

Die Symptome der alkoholtoxischen Polyneuropathie entwickeln sich in der Regel langsam und fortschreitend. Meistens beginnen die Beschwerden an den Beinen. Die Beschwerden können sich später auch auf andere Bereiche vom Körper ausbreiten. Sie können je nach betroffenem Nerventyp variieren:

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  • Sensible Symptome:
    • Taubheitsgefühl in den Füßen und Beinen. Dadurch kann sich die Haut zum Beispiel taub anfühlen oder die Haut kann kribbeln.
    • Kribbeln, Brennen oder stechende Schmerzen (Parästhesien).
    • Vermindertes Berührungsempfinden.
    • Schmerzlose Wunden an den Füßen, die schlecht heilen.
    • Erhöhte Schmerzempfindlichkeit (Hyperalgesie) oder Schmerzen bei Berührung (Allodynie).
  • Motorische Symptome:
    • Muskelschwäche, insbesondere in den Füßen und Beinen. Es kann auch sein, dass man Schmerzen hat oder bestimmte Muskeln nicht mehr bewegen kann.
    • Muskelkrämpfe.
    • Schwierigkeiten beim Gehen und Koordinationsprobleme (Gangunsicherheit).
    • In schweren Fällen Lähmungen.
  • Autonome Symptome:
    • Orthostatische Dysregulation (Schwindel beim Aufstehen).
    • Vermindertes Schwitzen oder übermäßiges Schwitzen.
    • Verdauungsprobleme wie Verstopfung oder Durchfall.
    • Blasenfunktionsstörungen.
    • Herzrhythmusstörungen.

Diagnose

Die Diagnose der alkoholtoxischen Polyneuropathie basiert auf einer Kombination aus Anamnese, klinischer Untersuchung und verschiedenen diagnostischen Tests.

  • Anamnese: Der Arzt wird sich nach der Krankengeschichte des Patienten erkundigen, insbesondere nach dem Alkoholkonsum, der Ernährung und anderen möglichen Ursachen für eine Polyneuropathie (z. B. Diabetes, Medikamente, andere Erkrankungen). Sie trinken seit längerer Zeit zu viel Alkohol. Dadurch wurden Ihre Nerven geschädigt.
  • Klinische Untersuchung: Der Arzt wird eine neurologische Untersuchung durchführen, um sensible und motorische Defizite festzustellen. Dazu gehören die Prüfung der Reflexe (vermindert Muskeleigenreflexe), der Muskelkraft, der Sensibilität und der Koordination. Auch der Romberg-Stehversuch kann durchgeführt werden, um die Stand- und Gangsicherheit zu beurteilen.
  • Neurophysiologische Untersuchungen:
    • Nervenleitgeschwindigkeit (NLG): Diese Untersuchung misst, wie schnell elektrische Signale entlang der Nerven wandern. Bei einer Polyneuropathie ist die Nervenleitgeschwindigkeit oft verlangsamt.
    • Elektromyographie (EMG): Diese Untersuchung misst die elektrische Aktivität der Muskeln. Sie kann helfen, zwischen einer Nervenschädigung und einer Muskelerkrankung zu unterscheiden.
  • Laboruntersuchungen:
    • Blutuntersuchungen: Um andere Ursachen für eine Polyneuropathie auszuschließen, werden verschiedene Blutuntersuchungen durchgeführt, z. B. zur Bestimmung des Blutzuckerspiegels (Diabetes), der Nierenfunktion, der Leberfunktion, der Schilddrüsenfunktion und des Vitamin-B12-Spiegels. Außerdem wird der Alkoholkonsum durch Bestimmung von Leberwerten (z.B. Gamma-GT, GOT, GPT) und des Alkoholkonsums im Blut überprüft.
    • Liquoruntersuchung: In einigen Fällen kann eine Untersuchung des Nervenwassers (Liquor) erforderlich sein, um andere neurologische Erkrankungen auszuschließen.
  • Weitere Untersuchungen:
    • Genetische Tests: Bei Verdacht auf eine erbliche Polyneuropathie können genetische Tests durchgeführt werden.
    • Bildgebende Verfahren: In seltenen Fällen können bildgebende Verfahren wie eine Magnetresonanztomographie (MRT) des Rückenmarks erforderlich sein, um andere Ursachen für die Symptome auszuschließen.
    • Nervenbiopsie: In sehr seltenen Fällen kann eine Nervenbiopsie erforderlich sein, um die Diagnose zu bestätigen und andere Ursachen für die Polyneuropathie auszuschließen.

Auf ärztlichen Dokumenten wird der ICD-Code oft durch Buchstaben ergänzt, die die Sicherheit der Diagnose oder die betroffene Körperseite beschreiben. G: Gesicherte Diagnose V: Verdacht Z: Zustand nach A: Ausschluss L: Links R: Rechts B: Beidseitig. In der ambulanten Versorgung wird der ICD-Code auf medizinischen Dokumenten immer durch die Zusatzkennzeichen für die Diagnosesicherheit (A, G, V oder Z) ergänzt: A (Ausgeschlossene Diagnose), G (Gesicherte Diagnose), V (Verdachtsdiagnose) und Z (Zustand nach der betreffenden Diagnose).

Therapie

Die Behandlung der alkoholtoxischen Polyneuropathie zielt in erster Linie darauf ab, die Grunderkrankung zu behandeln, d. h. den Alkoholkonsum zu stoppen und den Nährstoffmangel auszugleichen. Zusätzlich können Medikamente zur Linderung der Symptome eingesetzt werden.

  • Alkoholentzug: Der wichtigste Schritt ist der vollständige Verzicht auf Alkohol. Dies kann schwierig sein und erfordert möglicherweise professionelle Hilfe in Form einer Entgiftungsbehandlung und einer anschließenden Rehabilitation.
  • Ernährungstherapie: Eine ausgewogene Ernährung mit ausreichend Vitaminen und Mineralstoffen ist essentiell. Insbesondere die Zufuhr von Vitaminen der B-Gruppe (vor allem Thiamin) ist wichtig, um die Nervenfunktion zu verbessern. In vielen Fällen ist eine Supplementierung mit Vitaminpräparaten erforderlich.
  • Medikamentöse Therapie:
    • Schmerzmittel: Schmerzen können mit verschiedenen Schmerzmitteln behandelt werden, z. B. mit nicht-steroidalen Antirheumatika (NSAR), Opioiden oder Antikonvulsiva. Symptomatische medikamentöse Behandlung z. B..
    • Antidepressiva: Bestimmte Antidepressiva (z. B. Amitriptylin, Duloxetin) können ebenfalls zur Schmerzlinderung eingesetzt werden, da sie die Schmerzweiterleitung im Nervensystem beeinflussen.
    • Antikonvulsiva: Antikonvulsiva (z. B. Gabapentin, Pregabalin) werden häufig zur Behandlung von neuropathischen Schmerzen eingesetzt.
    • Andere Medikamente: In einigen Fällen können andere Medikamente eingesetzt werden, um spezifische Symptome zu behandeln, z. B. Medikamente gegen orthostatische Dysregulation oder Verdauungsprobleme.
  • Physiotherapie: Physiotherapie kann helfen, die Muskelkraft und Koordination zu verbessern und die Beweglichkeit zu erhalten.
  • Ergotherapie: Ergotherapie kann helfen, den Alltag besser zu bewältigen und Hilfsmittel zu finden, die die Selbstständigkeit fördern.
  • Weitere Maßnahmen:
    • Fußpflege: Eine sorgfältige Fußpflege ist wichtig, um Verletzungen und Infektionen vorzubeugen, insbesondere bei Patienten mit Taubheitsgefühl in den Füßen.
    • Regelmäßige Kontrolluntersuchungen: Regelmäßige Kontrolluntersuchungen beim Arzt sind wichtig, um den Verlauf der Erkrankung zu überwachen und die Therapie anzupassen.

Prognose

Die Prognose der alkoholtoxischen Polyneuropathie hängt von verschiedenen Faktoren ab, insbesondere vom Ausmaß der Nervenschädigung, der Dauer des Alkoholkonsums und der Bereitschaft des Patienten, den Alkoholkonsum zu stoppen. Bei frühzeitiger Diagnose und konsequentem Alkoholverzicht können sich die Nerven teilweise erholen und die Symptome verbessern sich. In schweren Fällen kann es jedoch zu bleibenden Schäden kommen.

Prävention

Die beste Prävention der alkoholtoxischen Polyneuropathie ist ein maßvoller Alkoholkonsum oder der vollständige Verzicht auf Alkohol. Eine ausgewogene Ernährung und die Einnahme von Vitaminpräparaten können ebenfalls dazu beitragen, das Risiko einer Polyneuropathie zu verringern.

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ICD-10 Codes für Polyneuropathien

Die alkoholtoxische Polyneuropathie wird im ICD-10-GM (German Modification) unter dem Code G62.1 "Alkohol-Polyneuropathie" klassifiziert. Es gibt jedoch auch andere ICD-10-Codes, die für Polyneuropathien verwendet werden können, je nach Ursache und Art der Erkrankung:

  • G62.0: Arzneimittelinduzierte Polyneuropathie
  • G62.2: Polyneuropathie durch sonstige toxische Agenzien
  • G62.8: Sonstige näher bezeichnete Polyneuropathien
  • G62.9: Polyneuropathie, nicht näher bezeichnet

Zusatzkennzeichen

Auf ärztlichen Dokumenten wird der ICD-Code oft durch Buchstaben ergänzt, die die Sicherheit der Diagnose oder die betroffene Körperseite beschreiben:

  • G: Gesicherte Diagnose
  • V: Verdacht
  • Z: Zustand nach
  • A: Ausschluss
  • L: Links
  • R: Rechts
  • B: Beidseitig

Hinweis

Diese Informationen dienen nicht der Selbstdiagnose und ersetzen keinesfalls die Beratung durch eine Ärztin oder einen Arzt. Wenn Sie einen entsprechenden ICD-Code auf einem persönlichen medizinischen Dokument finden, achten Sie auch auf Zusatzkennzeichen für die Diagnosesicherheit. Ihre Ärztin oder Ihr Arzt hilft Ihnen bei gesundheitlichen Fragen weiter und erläutert Ihnen bei Bedarf die ICD-Diagnoseverschlüsselung im direkten Gespräch.

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