Autoimmunerkrankung Gehirn: Symptome, Diagnose und Behandlung

Autoimmunerkrankungen des Gehirns stellen eine Gruppe seltener, aber schwerwiegender Erkrankungen dar, bei denen das Immunsystem fälschlicherweise das eigene Gehirn angreift. Diese fehlgeleitete Immunantwort kann zu einer Vielzahl von neurologischen und psychiatrischen Symptomen führen. Eine frühzeitige Diagnose und Behandlung sind entscheidend, um langfristige Schäden zu minimieren und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern.

Was ist eine Autoimmunenzephalitis?

Eine Enzephalitis ist eine Entzündung des Gehirns. Während die meisten Enzephalitiden durch Viren, Bakterien oder Pilze verursacht werden, ist die Autoimmunenzephalitis (AE) die Folge einer Fehlfunktion des Immunsystems. Bei dieser Erkrankung produziert der Körper Autoantikörper, die Nervenzellen im Gehirn angreifen.

Seltene Erkrankung mit vielfältigen Ursachen

Autoimmunenzephalitiden sind seltene Erkrankungen, die geschätzt etwa 5 bis 10 von 1 Million Menschen pro Jahr betreffen. Es wird vermutet, dass genetische Faktoren, saisonale Einflüsse und vorangegangene Infektionen eine Rolle bei der Entstehung spielen können. In einigen Fällen tritt die AE im Zusammenhang mit Tumorerkrankungen auf, wobei der Krebs Eiweiße produziert, die auch im Gehirn vorkommen. Die Antikörper, die gegen den Krebs gebildet werden, greifen dann fälschlicherweise auch das Gehirn an. Auch Virusinfektionen, wie beispielsweise eine Herpes-simplex-Enzephalitis, können die Autoantikörperbildung auslösen.

Anti-NMDA-Rezeptor-Enzephalitis: Die häufigste Form

Die Anti-NMDA-Rezeptor-Enzephalitis (NMDARE) ist die häufigste und bekannteste Form der Autoimmunenzephalitis. Bei dieser Erkrankung greifen Autoantikörper die NMDA-Rezeptoren auf den Nervenzellen an, die eine wichtige Rolle bei der Signalübertragung im Gehirn spielen. Die Störung dieser Rezeptoren führt zu einer Vielzahl von neurologischen und psychiatrischen Symptomen. Die NMDARE kann in jedem Alter auftreten, wird aber häufiger bei jungen Erwachsenen und Kindern diagnostiziert.

Weitere Formen der Autoimmunenzephalitis

Neben der NMDARE gibt es noch weitere, seltenere Formen der Autoimmunenzephalitis, die durch andere Autoantikörper ausgelöst werden. Dazu gehören:

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  • DPPX-Antikörper-assoziierte Enzephalitis: Eine sehr seltene Form, die durch Autoantikörper gegen das Dipeptidyl-peptidase-like protein-6 (DPPX) verursacht wird.
  • CASPR2-Antikörper-Enzephalitis: Diese Form kann verschiedene Symptome im zentralen und peripheren Nervensystem hervorrufen, darunter kognitive Einschränkungen, epileptische Anfälle, Übererregbarkeit des Nervensystems und Nervenschmerzen.
  • LGi1-Antikörper-Enzephalitis: Bei dieser Form legen die Antikörper die Informationsübertragung zwischen den Nerven lahm.

Symptome der Autoimmunenzephalitis

Die Symptome einer Autoimmunenzephalitis können vielfältig sein und hängen von der Art der Antikörper, der betroffenen Gehirnregion und dem Schweregrad der Erkrankung ab. Die Erkrankung beginnt meist plötzlich, innerhalb weniger Tage bis Wochen. Zu den häufigsten Symptomen gehören:

Psychiatrische Symptome

Psychiatrische Symptome sind oft die ersten Anzeichen einer Autoimmunenzephalitis. Dazu gehören:

  • Verhaltensauffälligkeiten
  • Verwirrtheit
  • Unruhe
  • Ängste
  • Paranoia
  • Halluzinationen
  • Stimmungsveränderungen
  • Aggressivität
  • Schlafstörungen
  • Psychosen

Neurologische Symptome

Im weiteren Verlauf der Erkrankung treten oft neurologische Symptome auf, wie zum Beispiel:

  • Epileptische Anfälle
  • Bewegungsstörungen
  • Sprachstörungen
  • Gedächtnisstörungen
  • Bewusstseinsstörungen bis hin zum Koma
  • Kognitive Einschränkungen (Desorientierung, Amnesie, Konfabulationen)
  • Dysautonomie (Blutdruckschwankungen, Herzrhythmusstörungen)
  • Hirnnervenausfälle

Vegetative Entgleisungen

In schweren Fällen kann auch das vegetative Nervensystem betroffen sein, was zu lebensbedrohlichen Komplikationen wie Kreislaufversagen oder Atemstörungen führen kann.

Symptome bei Kindern

Bei Kindern können die Symptome unspezifischer sein, wie zum Beispiel:

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  • Teilnahmslosigkeit
  • Nackensteife
  • Fieber
  • Fehlender Appetit
  • Neurologische Störungen (Bewegungsstörungen, Hirnnervenausfälle, Krampfanfälle, Sprach- und Gedächtnisprobleme)
  • Deutliche Verhaltensänderungen

Schwierigkeiten bei der Diagnose

Die vielfältigen und oft unspezifischen Symptome können die Diagnose einer Autoimmunenzephalitis erschweren. Die Erkrankung wird oft zunächst mit anderen neurologischen oder psychiatrischen Erkrankungen verwechselt, wie zum Beispiel Epilepsie, Burnout, Alzheimer, Demenz, Delir oder Psychose. Es ist wichtig, dass Ärzte bei unklaren neurologischen oder psychiatrischen Symptomen, insbesondere bei einem plötzlichen Beginn und schnellem Fortschreiten, auch an eine Autoimmunenzephalitis denken.

Diagnose der Autoimmunenzephalitis

Die Diagnose einer Autoimmunenzephalitis basiert auf einer Kombination aus klinischer Untersuchung, neurologischen Tests und Laboruntersuchungen.

Anamnese und klinische Untersuchung

Am Anfang steht ein ausführliches Gespräch mit dem Patienten und/oder den Angehörigen, um die Krankengeschichte (Anamnese) zu erheben. Anschließend erfolgt eine gründliche körperliche und neurologische Untersuchung.

Neurologische Tests

Verschiedene neurologische Tests können helfen, die Diagnose zu sichern und andere Erkrankungen auszuschließen. Dazu gehören:

  • Magnetresonanztomographie (MRT) des Gehirns: In etwa 50% der Fälle zeigt die MRT keine Auffälligkeiten, aber sie kann helfen, andere Ursachen für die Symptome auszuschließen, wie zum Beispiel Tumoren oder Entzündungen anderer Art. Bei einer Autoimmunenzephalitis können Auffälligkeiten im Bereich der Temporallappen sichtbar sein.
  • Elektroenzephalographie (EEG): Die EEG misst die Hirnströme und kann epileptische Aktivitäten oder andere Auffälligkeiten zeigen. Auch hier ist es so, dass in einigen Fällen das EEG unauffällig ist.
  • Lumbalpunktion (Nervenwasseruntersuchung): Die Lumbalpunktion ist ein wichtiger Schritt zur Diagnose einer Autoimmunenzephalitis. Dabei wird Nervenwasser (Liquor) aus dem Rückenmarkskanal entnommen und auf Entzündungsmarker und Autoantikörper untersucht. Der Nachweis von spezifischen Autoantikörpern im Liquor ist entscheidend für die Diagnose.

Laboruntersuchungen

Neben der Liquoruntersuchung werden auch Blutuntersuchungen durchgeführt, um Autoantikörper nachzuweisen und andere mögliche Ursachen für die Symptome auszuschließen.

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Tumorsuche

Da einige Formen der Autoimmunenzephalitis mit Tumorerkrankungen assoziiert sind, ist eine umfassende Tumorsuche (Tumorscreening) indiziert. Bei Frauen unter 50 Jahren sollte insbesondere an Ovarialteratome gedacht werden.

Behandlung der Autoimmunenzephalitis

Die Behandlung der Autoimmunenzephalitis zielt darauf ab, die fehlgeleitete Immunreaktion zu stoppen, die Entzündung im Gehirn zu reduzieren und die Symptome zu lindern.

Immunsuppressive Therapie

Die wichtigste Säule der Behandlung ist die Immunsuppression, also die Unterdrückung des Immunsystems. Hierfür werden verschiedene Medikamente eingesetzt, die die Antikörperproduktion und das Entzündungsgeschehen hemmen sollen. Dazu gehören:

  • Glukokortikoide (Kortison): Kortison wirkt entzündungshemmend und immunsuppressiv. Es wird oft in hoher Dosis intravenös verabreicht und anschließend in Tablettenform eingenommen.
  • Intravenöse Immunglobuline (IVIG): IVIG enthalten Antikörper aus dem Blut gesunder Spender und können helfen, die Autoantikörper zu neutralisieren.
  • Plasmapherese (Blutwäsche): Bei der Plasmapherese wird das Blut gefiltert und die Autoantikörper werden entfernt.
  • Rituximab: Rituximab ist ein Biologikum, das gezielt B-Zellen zerstört, die für die Antikörperproduktion verantwortlich sind.
  • Cyclophosphamid: Cyclophosphamid ist ein starkes Immunsuppressivum, das auch in der Krebstherapie eingesetzt wird.
  • Bortezomib: Bortezomib ist ein Proteasom-Inhibitor, der ebenfalls in der Krebstherapie eingesetzt wird und bei Autoimmunerkrankungen wirksam sein kann.

Tumorbehandlung

Wenn die Autoimmunenzephalitis durch einen Tumor verursacht wird, muss dieser operativ entfernt oder mit anderen Therapien (Chemotherapie, Strahlentherapie) behandelt werden.

Symptomatische Behandlung

Zusätzlich zur Immunsuppression können Medikamente eingesetzt werden, um die Symptome zu lindern, wie zum Beispiel:

  • Antiepileptika: Zur Behandlung von epileptischen Anfällen.
  • Neuroleptika: Zur Behandlung von psychotischen Symptomen.
  • Schmerzmittel: Zur Linderung von Schmerzen.

Rehabilitation

Nach der Akutbehandlung ist oft eine Rehabilitation erforderlich, um die neurologischen und kognitivenDefizite zu verbessern und die Lebensqualität der Betroffenen wiederherzustellen.

Therapieansätze der Zukunft

Forschende des DZNE und der Charité - Universitätsmedizin Berlin haben einen Ansatz entwickelt, um die häufigste autoimmune Gehirn-Entzündung präziser als bisher zu behandeln: Sie programmieren dafür weiße Blutkörperchen so um, dass sie krankmachende Zellen im Körper ausschalten. Das Verfahren hat sich in Laborstudien bewährt, klinische Studien am Menschen sind bereits in der Planung.

Prognose der Autoimmunenzephalitis

Die Prognose der Autoimmunenzephalitis hängt von verschiedenen Faktoren ab, wie zum Beispiel der Art der Antikörper, dem Zeitpunkt der Diagnose und dem Beginn der Behandlung, sowie dem Vorliegen einer Tumorerkrankung. Bei rechtzeitiger Diagnose und Behandlung haben viele Patienten eine gute Chance auf eine vollständige oder teilweise Genesung. Etwa 70 bis 80 Prozent der Erkrankten erholen sich fast vollständig und können wieder in ihr normales Leben zurückkehren. Ein Fünftel überlebt mit bleibenden neurologischen Schäden und in ca. 5 % verläuft die Krankheit tödlich.

Frühzeitige Diagnose und Therapie sind entscheidend

Eine frühzeitige Diagnose und der rasche Beginn einer Immuntherapie sind entscheidend für eine gute Prognose. Je früher die Behandlung beginnt, desto besser sind die Chancen, die Entzündung im Gehirn zu stoppen und langfristige Schäden zu verhindern.

Langwieriger Genesungsprozess

Auch wenn die Therapie gut anschlägt, kann sich die Genesung über einen Zeitraum von mehreren Monaten hinziehen. Einige Betroffene behalten leichte Einschränkungen im Bereich Gedächtnis, Konzentration oder Impulskontrolle zurück.

Rückfallrisiko

Bei einigen Patienten kann es nach der Behandlung zu einem Rückfall der Erkrankung kommen. In diesen Fällen ist eine erneute Immuntherapie erforderlich.

Leben mit einer Autoimmunenzephalitis

Eine Autoimmunenzephalitis kann das Leben der Betroffenen und ihrer Angehörigen stark beeinträchtigen. Die Erkrankung verändert nicht nur das Gehirn, sondern auch das Verhalten und die Persönlichkeit der Betroffenen. Für Angehörige sind die Wesensänderungen oft schwer zu verarbeiten.

Unterstützung und Austausch

Es ist wichtig, dass Betroffene und ihre Angehörigen Unterstützung und Austausch finden. Es gibt verschiedene Selbsthilfegruppen und Beratungsstellen, die Informationen und Unterstützung anbieten.

Offenheit und Verständnis

Offenheit gegenüber der Erkrankung und das Verständnis für ihre Folgen helfen allen Beteiligten, mit der Situation umzugehen. Es ist wichtig, dass Betroffene und ihre Angehörigen offen über ihre Erfahrungen sprechen und sich gegenseitig unterstützen.

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