Seltene Autoimmunerkrankung des Gehirns: Ursachen, Symptome und Therapie

Eine autoimmune Enzephalitis ist eine seltene, aber potenziell schwerwiegende Erkrankung, bei der das Immunsystem fälschlicherweise das Gehirn angreift. Dies kann zu einer Vielzahl von neurologischen und psychiatrischen Symptomen führen. Die frühzeitige Diagnose und Behandlung sind entscheidend für eine positive Prognose.

Was ist eine Autoimmunenzephalitis?

Eine Enzephalitis ist eine Entzündung des Gehirns. In den meisten Fällen wird sie durch Viren oder Bakterien verursacht. In seltenen Fällen kann jedoch eine Fehlreaktion des Immunsystems die Ursache sein. Bei einer Autoimmunenzephalitis greifen fehlgeleitete Antikörper die Nervenzellen im Gehirn an. Diese Autoantikörper stören die Kommunikation zwischen den Nervenzellen und beeinträchtigen die Hirnfunktion.

Ursachen

Die genauen Ursachen einer Autoimmunenzephalitis sind oft unklar. Folgende Faktoren können jedoch eine Rolle spielen:

  • Krebserkrankung: In einigen Fällen produziert der Krebs Eiweiße, die auch im Gehirn vorkommen. Die Antikörper, die das Immunsystem zur Bekämpfung des Krebses bildet, greifen dann auch das Gehirn an.
  • Virusinfektion: Eine Virusinfektion kann die Bildung spezieller Antikörper auslösen, die sich gegen Nervenzellen richten.
  • Genetische Faktoren: Genetische Faktoren scheinen ebenfalls eine Rolle bei der Entwicklung einer Autoimmunenzephalitis zu spielen.

Symptome

Die Symptome einer Autoimmunenzephalitis können sehr vielfältig sein und hängen davon ab, welche Bereiche des Gehirns betroffen sind. Zu den häufigsten Symptomen gehören:

  • Psychiatrische Symptome: Stimmungsveränderungen, Halluzinationen, Persönlichkeitsveränderungen, Aggressivität, Gemütsschwankungen, Schlafstörungen, Psychose, Katatonie.
  • Neurologische Symptome: Epileptische Anfälle, Bewegungsstörungen (z.B. Muskelzuckungen, Tremor), Gedächtnisstörungen, kognitive Einschränkungen (z.B. Desorientierung, Amnesie, Konfabulationen), Sprachstörungen, Hirnnervenausfälle, Schmerz, Dysautonomie (z.B. Blutdruckschwankungen, Rhythmusstörungen), Bewusstseinsstörungen, Lethargie, Störung der Atem- und Kreislaufregulation.

Aufgrund der vielschichtigen Symptome werden Patientinnen und Patienten mit Autoimmunenzephalitis oft zunächst mit anderen Erkrankungen wie Epilepsie, Burnout, Alzheimer, Delir oder neurodegenerativer Demenz fehldiagnostiziert.

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Diagnose

Die Diagnose einer Autoimmunenzephalitis kann schwierig sein, da die Symptome unspezifisch sind. Am Anfang steht ein ausführliches Gespräch (Anamnese) mit einer Ärztin oder einem Arzt. Bei Verdacht auf autoimmune Enzephalitis werden folgende Untersuchungen durchgeführt:

  • Blutentnahme: Im Blut wird nach speziellen Antikörpern gegen Rezeptoren oder Eiweißstoffe auf der Oberfläche von Nervenzellen gesucht.
  • Nervenwasseruntersuchung (Liquorpunktion): Auch im Nervenwasser wird nach Autoantikörpern gesucht. Gleichzeitig können andere Ursachen für die Symptome, wie virale Infekte oder Stoffwechselstörungen, ausgeschlossen werden.
  • Magnetresonanztomographie (MRT): Eine MRT des Gehirns kann Auffälligkeiten im Bereich der Temporallappen zeigen.
  • Elektroenzephalografie (EEG): Ein EEG kann Veränderungen der Hirnaktivität aufzeigen, die auf eine Entzündung hindeuten.
  • Tumorscreening: Da viele Formen der Autoimmunenzephalitis paraneoplastisch auftreten, ist immer auch ein Tumorscreening indiziert.

In den vergangenen Jahren sind ständig neue fehlgeleitete Antikörper (Autoantikörper) entdeckt worden, die auf eine autoimmune Enzephalitis hinweisen. Zu den häufigsten und bekanntesten Autoimmunenzephalitiden gehören:

  • Anti-NMDA-Rezeptor-Enzephalitis: Die häufigste und bekannteste autoimmune Enzephalitis.
  • DPPX-Antikörper-assoziierte Enzephalitis: Eine extrem seltene Form, die sich durch vielfältige psychiatrische Symptome, epileptische Anfälle, Gedächtnisstörungen und Muskelzuckungen äußert.
  • CASPR2-Enzephalitis: Kann kognitive Einschränkungen, epileptische Anfälle, Übererregbarkeit des peripheren Nervensystems, Störungen der Bewegungskoordination und Nervenschmerzen verursachen.
  • LGi1-Antikörper-Enzephalitis: Bei dieser Form legen die Antikörper die Informationsübertragung zwischen Nerven lahm.

Therapie

Eine frühe Diagnose und Behandlung sind entscheidend für eine langfristige positive Prognose. Die Behandlung zielt darauf ab, das Immunsystem zu dämpfen und die Entzündung im Gehirn zu reduzieren. Zum Einsatz kommen verschiedene Immunsuppressiva, Medikamente, die das Abwehrsystem dämpfen. Eine Blutwäsche (Plasmapherese oder Immunadsorption) kann die schädlichen Antikörper aus dem Blutplasma filtern. In vielen Fällen kommt zur Behandlung und zum Verhindern eines Rückfalls auch das Mittel Rituximab zum Einsatz.

Die Therapie erfolgt stufenweise. Zur Anwendung kommen Kortison in hohen Dosen intravenös mit sich hieran anschließender Einnahme, intravenöse Immunglobuline und Blutwäsche. Zur Vorbeugung von Rezidiven werden in manchen Fällen antientzündliche Medikamente, die das Immunsystem längerfristig herabregulieren (sog. Immunsuppressiva), eingesetzt. Die Medikamente, die zur Langzeitbehandlung eingesetzt werden, können mit Blutbildveränderungen und zum Beispiel mit einem erhöhten Risiko für bestimmte Infektionen einhergehen.

Im Falle einer vorliegenden Tumorerkrankung muss auch diese frühzeitig therapiert werden, damit eine Autoimmunenzephalitis ausheilen kann.

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Auch wenn die Therapie häufig gut anschlägt, kann sich die Genesung über einen Zeitraum von mehreren Monaten hinziehen. Trotzdem ist der Genesungsprozess langsam und kann sich über viele Monate ziehen. Nach anfänglichem Rückgang der Krampfanfälle und Bewegungsstörungen und allmählicher Verbesserung der kognitiven Fähigkeiten und des Verhaltens, dauert es meist noch mehrere Wochen, bevor unsere Patient*innen wieder den Kindergarten oder die Schule besuchen können.Während der akuten Krankheitsphase werden die Kinder je nach Verlauf der Autoimmunenzephalitis auf der interdisziplinären Kinderintensivstation oder unserer kinderneurologischen Station versorgt.

Prognose

Die Prognose einer Autoimmunenzephalitis hängt von verschiedenen Faktoren ab, wie z.B. der Art der Antikörper, dem Zeitpunkt der Diagnose und dem Beginn der Behandlung. Mit einer frühzeitigen und aggressiven Behandlung können sich viele Patientinnen und Patienten jedoch vollständig oder teilweise erholen. Etwa die Hälfte aller Patientinnen sprechen bereits auf eine Erstlinientherapie an und haben im Verlauf eine gute Prognose. Von den übrigen Patientinnen sprechen wiederum mehr als zwei Drittel gut auf die Zweitlinientherapie an.Insgesamt erholen sich ca. 80% aller Patient*innen mit Hilfe einer immunsuppressiven Therapie, einer Tumorresektion (falls erforderlich), symptomatischer Behandlung (z.B. der Krampfanfälle oder psychotischer Symptome) und intensiver Rehabilitation.

Dennoch behalten einige Betroffene leichte Einschränkungen im Bereich Gedächtnis, Konzentration oder Impulskontrolle zurück.

Seltenheit und Bedeutung der Früherkennung

In Deutschland treten geschätzt 10 Fälle von autoimmuner Enzephalitis pro 1 Million Menschen pro Jahr auf. Es handelt es sich also um eine seltene Erkrankung, die aber ähnlich häufig auftritt wie ihre infektiösen Formen. Angesichts des z. T. sehr schweren Verlaufs und des häufigen Vorliegens einer Tumorerkrankung, ist eine schnelle und ausführliche differenzialdiagnostische Abklärung sinnvoll. Eine frühe Diagnose und Therapie verbessern das Outcome für die Betroffenen.

Der Anstieg der Fallzahlen bei der NMDA-Rezeptor Enzephalitis innerhalb der letzten 10 Jahre zeigt, dass Autoimmunenzephalitiden eine neue bislang unterdiagnostizierte Gruppe von Erkrankungen darstellen. Dies gilt im Besonderen für die Kinderheilkunde. Gleichzeitig handelt es sich bei zahlreichen schweren Verläufen mit psychiatrischen Symptomen, Krampfanfällen oder lebensbedrohender Entgleisungen des Herzkreislaufsystems um therapierbare Erkrankungen. Die Prognose ist dabei stark abhängig von einer frühzeitigen Diagnosestellung und raschem Beginn einer immunsuppressiven Therapie.

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