Wolfgang Niedecken, der Frontmann der bekannten Kölschrock-Band BAP, erlitt im November 2011 einen Schlaganfall, der sein Leben nachhaltig veränderte. In Interviews sprach er offen über seine Erfahrungen, die Diagnose, die Therapie und die Veränderungen in seinem Leben nach diesem einschneidenden Ereignis.
Der Tag, der alles veränderte
Am 2. November 2011 erlebte Wolfgang Niedecken in seinem Kölner Haus einen beängstigenden Vorfall. Während des Lesens bemerkte er, dass er den Inhalt nicht mehr verstand. "Ich musste die Seiten immer wieder neu lesen. Dann wurde es nebelig vor den Augen, alles sah merkwürdig aus, mein ganzes Umfeld hatte amorphe Formen", erinnerte er sich. Seine Frau Tina erkannte sofort die Ernsthaftigkeit der Situation. Ihre schnelle Reaktion war entscheidend für seinenGenesungsprozess. "Wie siehst du denn aus? Es war, als wenn die Seele aus seinem Gesicht gewichen wäre", beschrieb Tina Niedecken den Moment.
Diagnose und Behandlung
In der Kölner Universitätsklinik wurde festgestellt, dass ein Blutgerinnsel die Ursache für Niedeckens Symptome war. Zunächst versuchte man, das Gerinnsel medikamentös aufzulösen. Als dies nicht gelang und das Gerinnsel sich in Richtung Gehirn bewegte, wurde eine Operation in der Neurochirurgie notwendig.
Professor Dr. med. Thomas Liebig, Leiter der Neuroradiologie am Universitätsklinikum Köln, erklärte, dass in solchen Fällen, insbesondere bei Verschluss großer Hirngefäße, oft eine sogenannte Thrombektomie durchgeführt wird. Dabei wird unter Röntgenkontrolle ein Katheter über die Leistenarterie bis ins Gehirn vorgeschoben, um den Thrombus mit einem Stent-Retriever zu entfernen. Diese Methode ermöglicht in vielen Fällen eine rasche Genesung und deutliche Verbesserungen, die durch eine medikamentöse Standardtherapie allein nicht erreicht werden könnten.
Niedecken selbst erinnert sich an die bange Situation vor der Operation: "Bevor sie mich in Narkose versetzt haben, wusste ich genau: Jetzt geht es um die Wurst. Hoffentlich machst du die Augen noch mal auf." Nach dem Aufwachen konnte er zunächst nicht sprechen und seinen rechten Arm nicht bewegen. Sein erster Gedanke war jedoch: "Ich bin wieder am Start. Es gibt noch eine Zugabe."
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Ursachenforschung
Als Hauptursache für den Schlaganfall wurde ein Husten identifiziert, den sich Niedecken während eines Aufenthalts in Amerika zugezogen hatte. "Ich hatte eine Art Schleife in der Halsschlagader, eine Ausbuchtung", erklärte er. Durch den Husten sei die Halsschlagader an dieser Stelle offenbar verletzt worden, wodurch ein kleiner Riss entstand, an dem sich ein Blutgerinnsel bildete.
Die Zeit nach dem Schlaganfall
In den ersten Wochen nach dem Schlaganfall hatte Niedecken mit Wortfindungsproblemen zu kämpfen. Seine Frau Tina bestätigte, dass er manchmal noch nach Wörtern suche und sich mit dem Formulieren schwer tue. Dennoch zeigte er eine bemerkenswerte Genesung.
Niedecken selbst räumte ein, dass er vor dem Schlaganfall sein Programm übertrieben habe. Er habe immer am liebsten auf allen Hochzeiten gleichzeitig getanzt, weil ihm so viele Dinge Spaß machen würden, aber er habe auch nur 24 Stunden zur Verfügung.
Veränderungen im Lebensstil
Der Schlaganfall war für Wolfgang Niedecken ein Weckruf. Er begann, sein Leben umzustellen und achtete fortan mehr auf seine Gesundheit. "Seit ich entlassen wurde, bin ich jeden Morgen eine Stunde auf dem Heimtrainer und gucke mir dabei Videos an", sagte er. Auch seine Ernährungsgewohnheiten änderte er: "Heute lasse ich sogar alkoholfreies Bier sein. Ich achte überhaupt sehr viel auf ordentliche Ernährung. Ich bin fitter als vorher."
Er mache keine Termine mehr, bevor er morgens nicht mindestens 'ne Stunde im Schwimmbad war oder zu Hause auf dem Heimtrainer. Und er gehe geradezu imageschädigend früh ins Bett. Ich hab die Message verstanden.
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Umgang mit der Krankheit
Niedecken begegnet dem Thema Schlaganfall offen und reflektiert. Er betrachtet ihn als "dunkelgelbe Karte" und nimmt ihn nicht auf die leichte Schulter. Im Interview mit der "Berliner Morgenpost" sagte er: "Beim Schlaganfall ist es optimal gelaufen. Meine Frau hat richtig und schnell gehandelt, als sie mich aufgefunden hatte. Daher habe ich keine bleibenden Schäden erlitten. Am längsten hatte ich unter Wortfindungsproblemen zu leiden."
Die Musik und die Zukunft
Trotz des Schlaganfalls kehrte Wolfgang Niedecken zur Musik zurück. Er nahm neue Songs für das Album «Mutter seiner Töchter» auf, das er seiner Frau widmete. Das Album entstand in Woodstock und wurde ohne die Band BAP aufgenommen, um den Fokus auf Niedeckens Vortrag zu legen. Die Bandmitglieder reagierten positiv auf das Ergebnis und waren bereit, mit dem Album auf Tournee zu gehen.
Niedecken denkt nicht mehr ständig an seinen Schlaganfall, aber er ist sich der Bedeutung seiner Gesundheit bewusst. Er hat gelernt, auf seinen Körper zu hören und Prioritäten zu setzen.
Gesellschaftliches Engagement
Neben seiner musikalischen Tätigkeit engagiert sich Wolfgang Niedecken auch gesellschaftlich. Er war zusammen mit dem ehemaligen Bundespräsidenten Horst Köhler in Afrika und schätzt ihn sehr. Er bedauert Köhlers Rücktritt und hält ihn für einen guten Mann und auf seine Art auch für einen Rock ’n’ Roller.
Kölsch als Muttersprache
Ein besonderes Thema für Niedecken ist die Kölsche Sprache. Nach dem Schlaganfall konnte er zeitweise nur Kölsch sprechen. Er bedauert den Rückgang der Dialekte, da Kölsch seine Muttersprache ist. Er spricht noch mit wenigen Menschen Kölsch, da die kölschen Muttersprachler aussterben.
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Schlaganfall in Deutschland: Eine ernste Gefahr
Jedes Jahr erleiden in Deutschland rund 270.000 Menschen einen Schlaganfall. Er ist hierzulande die dritthäufigste Todesursache. In etwa 80 Prozent der Fälle ist der Auslöser eine Minderdurchblutung des Gehirns, die häufig durch ein Blutgerinnsel verursacht wird, das ein Gefäß im Gehirn verstopft.
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