Bewegung bei Demenz: Aktivität und Lebensqualität im Alter erhalten

Die steigende Anzahl von Menschen mit Demenz stellt eine wachsende Herausforderung für unsere Gesellschaft dar. Körperliche Aktivität spielt eine entscheidende Rolle bei der Bewältigung der Symptome und der Verbesserung der Lebensqualität von Betroffenen. Dieser Artikel beleuchtet die Bedeutung von Bewegung bei Demenz, gibt praktische Tipps und stellt verschiedene Bewegungsangebote vor.

Demenz: Eine wachsende Herausforderung

Die Zahl der Demenzerkrankten steigt kontinuierlich, sowohl im privaten Umfeld als auch in Pflegeeinrichtungen. Bis zum Jahr 2050 wird in Deutschland mit einer Zunahme auf etwa 2,3 Millionen Betroffene gerechnet. Diese Entwicklung macht es umso wichtiger, wirksame Strategien zur Unterstützung und Förderung der Lebensqualität von Menschen mit Demenz zu entwickeln.

Die positive Wirkung von Bewegung

Körperliche Aktivität hat nachweislich positive Auswirkungen auf den Krankheitsverlauf, das Verhalten und die Gesundheit von Menschen mit Demenz. Regelmäßiges Training kann die Alltagsmobilität erhalten, die Stimmung verbessern und soziale Kontakte fördern.

Motorische Fähigkeiten trainieren

Ein Schwerpunkt des körperlichen Trainings bei Demenz liegt auf der gezielten Förderung von motorischen Fähigkeiten, die für Alltagsbewegungen relevant sind. Durch spezielle Übungen können Betroffene ihre Mobilität erhalten und somit ihre Lebensqualität verbessern.

Bewegung als Schutz für das Gehirn

Bewegung hält das Gehirn gesund und kann den Krankheitsverlauf bei Demenz verlangsamen. Es gibt keine "beste" Sportart, wichtig ist, dass die Aktivität Spaß macht und regelmäßig ausgeübt wird. Geeignete Sportarten sind:

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  • Ausdauersportarten wie Gehen, Radfahren oder Schwimmen zur Förderung von Herz und Kreislauf
  • Ganzkörpertrainings wie Yoga oder Pilates zur Verbesserung der Beweglichkeit und Balance
  • Tanzen oder Tai-Chi zur Stärkung der Koordination und des Gedächtnisses
  • Krafttraining zur Vorbeugung von Muskelabbau und Stürzen

Auch Bewegung im Alltag, wie Spaziergänge, Treppensteigen oder Gartenarbeit, kann den Kreislauf in Schwung bringen, das Gehirn mit Sauerstoff versorgen und die geistige Fitness stärken.

Bewegung als Stimmungsaufheller

Depressive Symptome, die oft als Begleiterscheinung einer Demenz auftreten, können durch Bewegung positiv beeinflusst werden. Wer sich bewegt, fühlt sich sicherer, spürt seinen Körper und bleibt besser in Kontakt mit seiner Umgebung. Besonders in Gruppen kann Aktivität Lebensfreude schenken und das Gefühl stärken, dazuzugehören.

Praktische Tipps für die Bewegungsförderung

Um Menschen mit Demenz zu mehr Bewegung zu motivieren, sind einige wichtige Aspekte zu beachten:

  • Das Stadium der Demenz berücksichtigen: Überforderung kann negative Reaktionen hervorrufen.
  • Persönliche Vorlieben und Abneigungen berücksichtigen: Die Beschäftigung sollte Spaß machen.
  • Die Entscheidung des Demenzerkrankten respektieren: Es sollte akzeptiert werden, wenn der Erkrankte nicht selbst aktiv werden möchte, sondern lieber beobachtet.
  • Fehler tolerieren: Es sollte nicht geschimpft werden, wenn etwas nicht funktioniert.

Alltagsaktivitäten einbeziehen

Kleinere Arbeiten in Haus oder Garten sind leicht umsetzbar und naheliegend, wenn der Angehörige sich schon früher gerne mit solchen Aufgaben beschäftigt hat. Es ist jedoch wichtig, keine zu komplizierten oder gefährlichen Aufgaben zu wählen, sich Zeit zu nehmen, die nachlassenden Fähigkeiten des Demenzerkrankten zu akzeptieren und sich keine großen Arbeitsziele zu setzen.

Kreative Tätigkeiten

Kreative Tätigkeiten sind zugleich eine aktive Betätigung und eine sinnliche Erfahrung. Der Umgang mit unterschiedlichen Materialien aus der Natur oder dem Bastelladen kann Demenzerkrankten viel Freude bereiten. Es müssen nicht unbedingt spannende Bastelideen ausgedacht werden, sondern es kann auch einfach Raum für die kreative Betätigung geschaffen werden. Ambitionierte Ziele sind oft sogar kontraproduktiv.

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Musik und Bewegung

Musikhören ist für viele Menschen mit Demenz ideal, denn bekannte Schlager aus der Jugendzeit stimulieren fröhliche Erinnerungen und können die Stimmung aufhellen. Bekannte Lieder zu singen, dazu zu musizieren oder den Takt zu schlagen funktioniert selbst dann, wenn der Betroffene nicht mehr sprechen kann. Außerdem stellt sich beim Tanzen und gemeinsamen Singen schnell ein Gemeinschaftsgefühl ein. Der Isolation und dem Rückzug wird so Einhalt geboten.

Erinnerungen wecken

Wenn sich Menschen mit Demenz an Beziehungen mit lieben Menschen oder lebensgeschichtliche Ereignisse erinnern, trägt dies zu ihrem Wohlbefinden bei und sie fühlen sich wieder stärker in ihrer Identität. Besonders gut funktioniert das Wecken von Erinnerungen mit Erinnerungsalben. Darin können Fotos und andere Erinnerungsstücke aus dem Leben der demenzerkrankten Person gesammelt werden.

Vorlesen

Vorlesen kann für Menschen mit Demenz genauso aktivierend sein wie Kopfrechnen für einen gesunden Menschen. Es fördert die Durchblutung im Gehirn und kann positive Erinnerungen wecken.

Spaziergänge und Ausflüge

Bewegung regt den Kreislauf an, fördert Sinneserfahrungen und bringt Freude. Deshalb sind Spaziergänge und Ausflüge immer eine sinnvolle Beschäftigung. Chaotische, laute Umgebungen sind ungeeignet, weil sie zu Verwirrung und Stress führen. Ideal sind hingegen Orte, die dem Demenzerkrankten immer schon gefallen haben oder einen biografischen Bezug bieten.

Berührung und Snoezelen

Neben der Erinnerung ist die Berührung an sich ein unverzichtbarer Bestandteil des menschlichen Lebens. Menschen mit Demenz, die Sie über Worte und Gesten nur noch schwer erreichen können, lassen sich manchmal leichter durch Berührung aktivieren. Sehr bekannt ist auch das „Snoezelen“. Dabei werden gezielt unterschiedliche Sinne aktiviert und stimuliert.

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Spiele

Es gibt Spiele, die speziell für Demenzerkrankte entwickelt wurden. Sie sollen gezielt motorische Fähigkeiten trainieren oder den Spaß am Raten und am Gedächtnistraining bei Demenz wecken. Daneben können Sie Ihren demenzerkrankten Angehörigen aber auch mit herkömmlichen Spielen herausfordern und beschäftigen. Am besten eignen sich dazu Spiele, die von Kindheit an vertraut sind, wie Würfelspiele oder Mensch ärgere Dich nicht.

Spezielle Trainingsprogramme

Am Agaplesion Bethanien Krankenhaus, dem Geriatrischen Zentrum des Klinikums der Universität Heidelberg, wurde unter der Leitung von PD Dr. Klaus Hauer ein körperliches Trainingsprogramm speziell für Menschen mit Demenz entwickelt. Es hat sich in der Praxis gezeigt, dass dieser Personenkreis in vergleichbarer Weise Trainingserfolge erzielen konnte wie nicht demenziell Erkrankte.

Umgang mit Bewegungsdrang

Manche Menschen mit Demenz haben einen ausgeprägten Bewegungsdrang. Es ist wichtig, die Ursachen für diesen Drang zu verstehen und angemessen darauf zu reagieren.

Ursachen für Bewegungsdrang

  • Lebenslange Gewohnheit: Einige Menschen mit Demenz achten schon immer auf ihre Gesundheit und bewegen sich einfach gerne.
  • Einsamkeit und Langeweile: Manche Menschen mit Demenz beginnen herumzulaufen, wenn ihnen langweilig ist.
  • Neugier: Einige Personen mit Demenz sind von Natur aus unternehmungslustig und wissbegierig und erkunden daher ihnen neu oder fremd erscheinende Umgebungen.
  • Verunsicherung: Bei einigen Betroffenen führt die nachlassende Kommunikationsfähigkeit zu Verunsicherungen.
  • Schmerzen und Unwohlsein: Manche Personen mit Demenz beginnen umherzulaufen, weil es ihnen körperlich nicht gut geht.
  • Hinlaufen: Manchmal haben Menschen mit Demenz ein Ziel vor Augen - sie laufen gewissermaßen zu etwas hin.
  • Weglaufen: Manch ein Mensch mit Demenz will weglaufen, weil er sich unwohl oder überfordert fühlt und ihm alles um ihn herum fremd und bedrohlich erscheint.
  • Gestörter Tag-Nacht-Rhythmus: Weil die Demenz oftmals zu einer zeitlichen Umkehrung der Schlaf- und Wachphasen führt, weisen einige Menschen mit Demenz vor allem nachts Ruhelosigkeit und Bewegungsdrang auf.
  • Medikamente: Manche Medikamente können als Nebenwirkung oder entgegen der erwarteten beruhigenden Wirkung zum Gegenteil führen und Bewegungsdrang auslösen.

Maßnahmen zur Reduzierung von Gefahrenquellen

  • Um Schmerzen oder beispielsweise einen Harnwegsinfekt als Ursache für das ständige Umherlaufen auszuschließen, sollte man eine Untersuchung veranlassen.
  • Um Stürze möglichst zu vermeiden, sollte man Stolperfallen wie lose Teppiche entfernen, Handläufe in der Wohnung anbringen, und ihnen auch im Haus feste Schuhe anziehen.
  • Um die Gefahr von Gewichtsverlust und Unterzuckerung gering zu halten, ist es hilfreich, entlang der üblichen Laufwege von Menschen mit Demenz im Haus Säfte, kleine Obstteller und andere hochkalorische Leckereien bereitzustellen.
  • Um das Innehalten oder gar Hinsetzen attraktiv zu gestalten, sollte man es möglichst unterlassen, Menschen mit einem ausgeprägten Laufdrang mit Unverständnis und Ärger zu begegnen.
  • Um zu verhindern, dass orientierungslose und weglaufgefährdete Menschen mit Demenz unbemerkt das Haus verlassen, kann die Haustür durch einen Alarm gesichert werden.
  • In Pflegeeinrichtungen tragen insbesondere großflächige, durch einen Zaun geschützte Gärten dazu bei, dass Menschen mit Demenz sich ungehindert, und auch mal unbegleitet bewegen können.
  • Wenn möglich, sollte man ihnen täglich gemeinsame Spaziergänge von mindestens 30 Minuten Dauer in der weiteren Umgebung anbieten.
  • Regelmäßige, den Tag strukturierende Angebote mit starker sozialer Komponente, wie Sitztanz, Seniorengymnastik, und gemeinsames Singen oder auch biografisch verankerte Tätigkeiten, die den Charakter von Arbeit haben (und deshalb als sinnvoll erlebt werden) können zeitweise das Laufen unterbrechen.
  • Auch Ablenkung durch eine emotionale Stimulation wie zum Beispiel das Anhören einer Lieblingsmusik, das Anschauen eines Gottesdienstes oder Kontakte mit kleinen Kindern und Haustieren können dazu führen, dass ein Mensch mit Demenz länger sitzen bleibt.
  • Weil Schaukeln Menschen mit Demenz beruhigt, gelingt es manchmal, einen Teil ihrer nervösen Energie mithilfe eines im Hinblick auf die Sturzgefahr sicheren Reha-Schaukelstuhls abzubauen.

Das GESTALT-Programm

Das GESTALT-Programm ist eine evidenzbasierte Bewegungsintervention zur Prävention von Demenz. Es zielt darauf ab, körperlicher Inaktivität entgegenzuwirken und die Zielgruppe zu befähigen, einen körperlich aktiven Lebensstil aufzubauen und aufrechtzuerhalten. Die Inhalte des Bewegungsprogramms gliedern sich in die drei Bereiche „Tanz & Bewegung zu Musik“, „Sport & Spiel“ sowie „Bewegung im Alltag - Gehen“.

Ziele des GESTALT-Programms

  • Nachhaltige Entgegenwirkung von körperlicher Inaktivität
  • Befähigung zu einem körperlich aktiven Lebensstil
  • Integration von kognitiven, physiologischen, sozialen und emotionalen Stimulierungen
  • Bindung an körperliche Aktivität und einen aktiven Lebensstil

Zielgruppe des GESTALT-Programms

Das GESTALT-Programm richtet sich an Erwachsene in höherem Erwachsenenalter (60 plus), die Risikofaktoren für demenzielle Erkrankungen aufweisen, bei denen aber noch keine derartige Erkrankung diagnostiziert wurde.

Ergebnisse des GESTALT-Programms

Die Testergebnisse des ersten Programmdurchlaufs zeigen, dass sich das Bewegungsprogramm positiv auf die kognitive Leistungsfähigkeit der Teilnehmenden, im Besonderen auf das Kurzzeit- und Arbeitsgedächtnis ausgewirkt hat. 60% der Teilnehmenden haben während und nach dem GESTALT-Programm zusätzliche Bewegungsaktivitäten aufgenommen und auch sechs Monate nach der Intervention in Form von neuen Aktivitäten und/oder der Teilnahme an einem Folgeangebot von GESTALT beibehalten.

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