Harninkontinenz ist eine häufige Folge eines Schlaganfalls, die jedoch in der Rehabilitation oft vernachlässigt wird. Studien zeigen, dass ein erheblicher Prozentsatz der Schlaganfallpatienten, sowohl Frauen als auch Männer, von unwillkürlichem Urinverlust betroffen ist. Dieser Artikel beleuchtet die Ursachen, Folgen und insbesondere die Therapiemöglichkeiten der Harninkontinenz nach einem Schlaganfall, wobei der Fokus auf dem Blasentraining liegt.
Harninkontinenz nach Schlaganfall: Ein Überblick
Die Harninkontinenz ist eine der häufigen Folgen eines Schlaganfalls. Bei 34 % der Frauen und 23 % der Männer ist nach dem Ereignis mit unwillkürlichem Urinabgang und Einnässen zu rechnen. Je älter die Patienten sind, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie bereits vor dem Ereignis Kontinenzprobleme hatten.
Ursachen der Harninkontinenz
Zahlreiche Faktoren können zur Entwicklung von Harninkontinenz nach einem Schlaganfall beitragen:
- Direkte Schädigung des kortikalen Blasenzentrums oder pontiner Miktionszentren: Dies kann zu Blasenhyperreflexie und Urge-Inkontinenz führen. Suprapontine Läsionen führen vorrangig zu einer gestörten Harnspeicherung, die sich urodynamisch als hyperaktiver Detrusor bei vorwiegend normaler Sphinkterfunktion manifestiert. Auch Läsionen innerhalb des Ponses, in der das suprasakrale Koordinationszentrum der Blasenentleerung lokalisiert ist, können zu Harnblasenstörungen führen. Aufgrund der komplexen Funktionen des pontinen Miktionszentrums resultiert v. a. eine Dyskoordination, die Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie bei Läsionen an dieser Stelle.
- Sprachliche und kognitive Einschränkungen: Diese können eine funktionelle Inkontinenz bei eigentlich erhaltener Blasenfunktion auslösen.
- Weitere Ursachen: Neuropathien, Harnwegsinfektionen und Nebenwirkungen von Medikamenten können ebenfalls Einnässen verursachen. Zudem kann der mit dem Schlaganfall verbundene Stress bestehende Kontinenzprobleme verschlimmern.
- Neurogene Blasenfunktionsstörungen (nBFS): Dysfunktionen der Harnblase, die durch eine Fehlfunktion oder Verletzung des Nervensystems verursacht werden, z. B. Pollakisurie, Nykturie und Drangsymptomatik.
Folgen der Harninkontinenz
Die Folgen der Harninkontinenz für die Betroffenen sind nicht zu unterschätzen:
- Verlängerte Krankenhausaufenthalte mit verzögerter Rehabilitation
- Häufigere Aufnahme in Pflegeeinrichtungen
- Insgesamt schlechtere Prognose
- Psychologische Auswirkungen: Schuldgefühle, Depressionen und geringes Selbstwertgefühl
- Soziale Auswirkungen: Einschränkung sozialer Aktivitäten aufgrund von Angst vor Inkontinenz
- Häusliche/Finanzielle Auswirkungen: Notwendigkeit der Nutzung von Inkontinenzprodukten, die Eigenkosten verursachen können
- Berufliche Auswirkungen: Geringere Produktivität und erhöhte Fehlzeiten am Arbeitsplatz
- Sexuelle Auswirkungen: Angst vor Inkontinenz und Einschränkungen im Bereich der Sexualität
- Körperliche Auswirkungen: Einschränkung körperlicher Aktivitäten wie Sport
Neurogene Blasenfunktionsstörung (nBFS)
Als neurogene Blasenfunktionsstörung (nBFS) wird eine Störung der Harnspeicherung bzw. der Harnleerung bezeichnet, die durch neurologische Veränderungen im Bereich des Rückenmarkes, in Zentren des Gehirns oder auch in der Peripherie verursacht wird. Diese Veränderungen behindern eine normale nervale Signalübertragung zur Steuerung der Harnblase.
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Diagnostik der nBFS
Die Diagnostik der einzelnen Formen der neurogenen Blasenstörung unterscheidet sich kaum:
- Fokussierte neurologische Untersuchung
- Miktionstagebücher zur Erfassung von Miktionsfrequenz und funktionellem Blasenvolumen
- Harnanalyse zur Abklärung von Harnwegsinfekten
- Ultraschalluntersuchung des Harntraktes zum Ausschluss von Komplikationen wie Blasensteinen und zur Durchführung von Restharnmessungen
- Harnstrahlmessung (Uroflow)
- Urethrozystoskopie
- (Video-)Urodynamik mit Beckenboden-EMG
- Nierensonografie
- Bestimmung von Kreatinin, Harnstoff und eventuell eine 24-Stunden-Kreatinin-Clearance und ein Furosemid-Isotopen-Nephrogramm
Therapie der nBFS
Die therapeutischen Maßnahmen orientieren sich an der zugrunde liegenden Pathophysiologie, den damit verbundenen Risikofaktoren, der klinischen Symptomatik und den individuellen Patientenbedürfnissen.
- Allgemeine Maßnahmen: Verhaltensänderungen, Veränderung des Lebensstils und insbesondere des Trinkverhaltens. Die Patienten können Vorlagen und Urinflaschen nutzen.
- Medikamentöse Therapie:
- Anticholinergika: Erstlinientherapie zur Behandlung des überaktiven Detrusors. Sie stellen eine wirksame Therapieoption für die überaktive Blase dar und können die Lebensqualität der Patienten verbessern. Bei der Verordnung von Anticholinergika ist eine sorgfältige Nutzen-Risiko-Abwägung erforderlich, da systemische Wirkungen und Nebenwirkungen wie Restharnbildung, Obstipation, Akkommodationsstörung, Mundtrockenheit, Tachykardie, Rhythmusstörungen, Anstieg des Augeninnendruckes, Müdigkeit und Konzentrationsstörungen auftreten können.
- Alphablocker: Werden in Kombination mit Detrusor-tonisierenden Parasympathomimetika zur Behandlung des hypokontraktilen Detrusors u/o RH-Bildung eingesetzt.
- Weitere Therapieoptionen:
- Intermittierende Katheterisierung: Bei Blasenentleerungsstörung und erhöhten Restharnwerten
- Neuromodulation: Minimalinvasive Therapie für die überaktive Blase und weitere Beckenfunktionsstörungen. Hierbei gibt ein implantierter Schrittmacher elektrische Impulse an die Sakralnerven ab.
- Injektion von Botulinumtoxin A: Therapie der medikamentenrefraktären neurogenen Detrusorhyperaktivität sowie bei Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie. Botulinumtoxin A hemmt die Freisetzung von Acetylcholin und senkt damit die Aktivität des Detrusormuskels.
- Chirurgische Eingriffe: Ultima Ratio, wenn konservative Maßnahmen nicht erfolgreich sind. Optionen sind Blasen(teil)entfernung mit Harnableitung, Blasenaugmentation durch Darm oder eine Sphinkterotomie.
- Inkontinenzschutz: Die Patienten sind in einem angemessenen Inkontinenzschutz zu unterweisen.
Blasentraining als Teil der multimodalen Therapie
Da der Wirknachweis für Einzelmaßnahmen fehlt, erfolgt in der Regel eine multimodale Behandlung u.a. mit Blasentraining, zeitgestützter Blasenentleerung, Einsatz von Kontinenzpflegekräften, Akupunktur, Elektroakupunktur, anticholinergen und adrenergen Medikamenten, Hormontherapien und physiotherapeutischen Maßnahmen.
Blasentraining ist eine Kombination aus körperlichem und mentalem Training, mit dem Ziel, falsche Ausscheidungsgewohnheiten zu korrigieren. Dieses Training ist vor allem für kognitiv kompetente, motivierte und lernfähige Betroffene geeignet. Durch gezieltes Training kann die Blase lernen, sich stärker zu dehnen und so wieder mehr Harn zu speichern.
Grundlagen des Blasentrainings
Die Harnblase speichert den in unseren Nieren produzierten Harn zwischen und dehnt sich dafür aus. Die Nerven in der umschließenden Blasenwand bemerken die Dehnung und geben ein Signal an unser Hirn. Damit die Harnblase funktioniert, arbeiten unterschiedliche Muskeln, Nerven und Hormone zusammen. Umschlossen wird die Harnblase von der aus drei Muskelschichten bestehenden Blasenwand. Sie ist wiederum von Kollagenfasern (einer Bindegewebsart) umgeben, die die Blase in Spannung halten.
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Durchführung des Blasentrainings
- Miktionsprotokoll: Der erste Schritt im Blasentraining ist das Führen eines Miktionsprotokolls. In ihm notieren Sie, wie häufig Sie zur Toilette gehen und wie viel Urin abgeht.
- Trinkverhalten: Viele Menschen mit einer Blasenschwäche trinken zu wenig, weil sie Angst haben, zu schnell wieder auf Toilette gehen zu müssen. Damit Sie Ihre Blase an neue Zeiten gewöhnen, ist es wichtig, dass Sie in festen Abständen zur Toilette gehen.
- Toilettenplan: Ein Toilettenplan kann Ihnen dabei helfen: In ihm legen Sie gleichmäßige Abstände zwischen den Toilettengängen fest. Außerdem können Sie hier festhalten, wie stark Sie die Zeit zwischen den Toilettengängen ausdehnen wollen. Feste Toilettenzeiten können sehr sinnvoll für Personen sein, die ihre gefüllte Blase nur reduziert wahrnehmen.
- Unterdrückung des Harndrangs: Auch wenn der Harndrang sehr stark ist: Versuchen Sie, still zu stehen und den Drang zu unterdrücken, indem Sie circa 20 Sekunden lang Ihren Beckenboden anspannen.
- Beckenbodentraining: Eine schwache Beckenbodenmuskulatur geht häufig mit unangenehmen Symptomen einher. Betroffene verlieren eventuell ungewollt Urin oder Stuhl, während sie lachen oder etwas Schweres heben. Andere berichten über Schmerzen im Beckenbereich.
- Richtige Haltung beim Wasserlassen: Sorgen Sie beim Wasserlassen dafür, dass Ihre Oberschenkel beim Sitz auf der Toilette gut unterstützt sind: Stellen Sie ihre Füße dafür auf dem Boden oder einem kleinen Hocker ab. Nehmen Sie sich Zeit und üben Sie beim Wasserlassen keinen Druck aus.
Ergänzende Maßnahmen
- Katheterisierung: Bei Blasenentleerungsstörung und erhöhten Restharnwerten kann eine intermittierende Katheterisierung oder ggf. ein suprapubischer Katheter notwendig sein.
- Hygienemaßnahmen: Vielmehr sollten Sie auf eine gute Flüssigkeitszufuhr sowie Hygiene und Intimpflege achten, um Blaseninfektionen zu vermeiden. Achten Sie darauf, dass Sie Ihren Blasenkatheter regelmäßig reinigen. Dafür benötigen Sie neben Einmalhandschuhen auch Desinfektionsmittel für die Hände. Diese und weitere Hygieneprodukte gehören zu den sogenannten Pflegehilfsmitteln zum Verbrauch.
Spezielle Inkontinenzformen und Blasentraining
- Belastungsinkontinenz: Bei Belastungsinkontinenz ist Blasentraining nicht geeignet.
- Dranginkontinenz: Besonders Frauen und Senioren sind von Dranginkontinenz betroffen. Blasentraining ist hier besonders geeignet.
- Überlaufinkontinenz: Unter Überlaufinkontinenz leiden vor allem Männer: Oftmals führt eine altersbedingte vergrößerte Prostata zu einem Harnverhalt. Blasentraining ist auch hier geeignet.
- Reflexinkontinenz: Reflexinkontinenz tritt bei Frauen und Männern mit Nervenschädigungen oder hirnorganischen Störungen auf, zum Beispiel bei Parkinson oder Demenz. Die Nervenbahnen zwischen Gehirn/Rückenmark und Blase sind bei dieser Form der Inkontinenz unterbrochen, so dass sich die Blase reflexartig und ohne Ankündigung entleert. Bei einer Reflexinkontinenz zieht sich der Blasenmuskel aufgrund eines Reflexes plötzlich zusammen, was zu einer Blasenentleerung führt. Dies geschieht in unterschiedlichen Abständen und Intensitäten. Der Betroffene empfindet vorher meist keinen Harndrang, weil der Reflex ohne Beteiligung des Gehirns stattfindet. Die meisten Betroffenen können den Blasenmuskel auch nicht mehr willentlich kontrollieren. Häufig bleibt Restharn in der Blase.
Herausforderungen und Perspektiven
Als problematisch erachtet Prof. Hamann die Therapie der Inkontinenz im häuslichen Bereich: Während zum Beispiel Logopädie oder Ergotherapie nach der Reha weiterlaufen, fühlt sich für das Einnässen oft keiner so richtig zuständig.
Die Therapie der genannten Blasenfunktionsstörung stellen für den Arzt eine besondere Herausforderung dar, da zahlreiche Medikamente, die die Überaktivität der Harnblase hemmen können (Anticholinergika), bereits bei einem nicht durch Schlaganfall belasteten Patienten Auswirkungen auf das Gehirn mit entsprechenden Nebenwirkungen haben können.
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