Einführung
Epilepsie ist eine neurologische Erkrankung, die durch wiederholte unprovozierte Anfälle gekennzeichnet ist. Bei Kindern machen Epilepsie-Neuerkrankungen etwa ein Viertel aller Fälle aus. Die Klassifikation der Anfallsformen und Epilepsiesyndrome erfolgt nach den Richtlinien der „International League Against Epilepsy“ (ILAE). Dabei werden symptomatische Epilepsien mit erkennbarer Ursache und idiopathische Epilepsien mit genetischem Hintergrund unterschieden. Das West-Syndrom, auch bekannt als Blick-Nick-Salaam-Epilepsie (BNS-Epilepsie), ist eine seltene, aber schwerwiegende Form der Epilepsie, die im Säuglingsalter auftritt. Dieser Artikel beleuchtet die Ursachen, Symptome, Diagnose und Behandlung dieser speziellen Epilepsieform.
Was sind Blick-Nick-Salaam-Krämpfe?
Das West-Syndrom, auch BNS-Epilepsie genannt, ist eine seltene Form der Epilepsie im Kindesalter, die durch eine Kombination spezifischer Symptome gekennzeichnet ist. Die Bezeichnung "Blick-Nick-Salaam" leitet sich von den typischen Bewegungen ab, die während der Anfälle auftreten. Diese Anfälle werden auch als infantile Spasmen bezeichnet.
Symptome der BNS-Epilepsie
Die BNS-Epilepsie manifestiert sich typischerweise im Säuglingsalter, meist zwischen dem 3. und 8. Lebensmonat. In seltenen Fällen treten die Symptome erst nach dem ersten Geburtstag auf. Die Anfälle, die bei dieser Form der Epilepsie auftreten, werden als Blitz-Nick-Salaam-Anfälle bezeichnet und äußern sich wie folgt:
- Blitz: Der Anfall beginnt mit einem plötzlichen, blitzartigen Zucken des gesamten Körpers.
- Nick: Darauf folgt eine Versteifung des Körpers (tonische Phase) und eine Beugung des Kopfes, die wie ein Nicken aussieht.
- Salaam: Abschließend verschränkt das Kind die Arme vor der Brust, ähnlich dem islamischen Gruß "Salaam".
Diese Anfälle können in Clustern auftreten, d. h., sie treten mehrmals kurz hintereinander auf. Zwischen den Anfällen sind die Kinder oft unruhig und weinen. Es gibt auch kurze tonische Spasmen, bei denen Kinder den Rumpf anheben oder plötzlich die Arme hochreißen.
Weitere Symptome:
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- Entwicklungsstörungen: Betroffene Kinder zeigen häufig Entwicklungsstörungen in den Bereichen Motorik, Sprache und geistige Fähigkeiten.
- Verlust erlernter Fähigkeiten: Kinder können Fähigkeiten verlieren, die sie bereits erlernt haben.
- Sehstörungen: Einige Kinder entwickeln Sehstörungen.
- Blickkontakt und Lachen können reduziert sein, der Blick schweift oft ins Leere.
- Bewegungslose und apathische Zustände können vorkommen.
Ursachen der BNS-Epilepsie
Die Ursachen der BNS-Epilepsie sind vielfältig. In mehr als der Hälfte der Fälle lässt sich eine klare Ursache identifizieren (symptomatische BNS-Epilepsie). In den übrigen Fällen bleibt die Ursache unbekannt (idiopathische Epilepsie) oder es besteht lediglich ein Verdacht (kryptogene Epilepsie). Zu den möglichen Ursachen gehören:
- Stoffwechselerkrankungen
- Infektionen während der Schwangerschaft
- Frühkindliche Hirnschädigung durch Sauerstoffmangel (hypoxischer Hirnschaden)
- Fehlbildungen des Gehirns
- Neurokutane Syndrome (z.B. tuberöse Sklerose)
- Genetische Erkrankungen (z.B. Chromosomenstörungen wie Trisomie 21)
In den letzten Jahren wurden vermehrt genetische Ursachen für die BNS-Epilepsie identifiziert.
Diagnose der BNS-Epilepsie
Die Diagnose der BNS-Epilepsie basiert auf dem typischen Ablauf der Anfälle und den Ergebnissen verschiedener Untersuchungen.
Anamnese und körperliche Untersuchung
Die Ärztinnen befragen die Eltern oder Betreuerinnen ausführlich zum Verlauf der Anfälle und eventuellen Begleitsymptomen. Es ist hilfreich, wenn die Anfälle gefilmt und den Ärzt*innen gezeigt werden können. Weitere wichtige Informationen sind der Verlauf der Schwangerschaft, die Geburt, die ersten Lebenswochen sowie bekannte Krankheiten in der Familie. Auch Medikamente, vorangegangene Unfälle oder Operationen sind relevant.
Bei der körperlichen Untersuchung achten die Ärzt*innen besonders auf den Entwicklungsstand des Kindes und suchen nach Anzeichen für genetische Erkrankungen oder andere Grunderkrankungen. Die Funktionen des Nervensystems werden sorgfältig überprüft (neurologische Untersuchung).
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Blutuntersuchung
Eine Blutuntersuchung kann Hinweise auf Stoffwechselstörungen oder andere Ursachen der Epilepsie liefern. Je nach Verdacht können weitere spezielle Untersuchungen durchgeführt werden.
Nervenwasseruntersuchung (Liquordiagnostik)
Bei Verdacht auf eine Infektion als Ursache der Epilepsie sollte das Nervenwasser untersucht werden.
Magnetresonanztomographie (MRT)
Mithilfe eines MRT können Gehirnfehlbildungen oder andere strukturelle Veränderungen festgestellt werden.
Elektroenzephalographie (EEG)
Eine Hirnstrommessung (EEG) ist ein wichtiger Bestandteil der Diagnostik. Bei der BNS-Epilepsie zeigt das EEG oft ein typisches Muster, die sogenannte Hypsarrhythmie. Die Hirnstrommessung wird sowohl im wachen Zustand als auch im Schlaf durchgeführt.
Gendiagnostik
Eine Gendiagnostik kann helfen, genetische Ursachen der Krankheit zu identifizieren.
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Behandlung der BNS-Epilepsie
Ziel der Behandlung ist es, die Anfälle zu kontrollieren und eine bestmögliche Entwicklung des Kindes zu gewährleisten. Eine frühzeitige Diagnose und Behandlung sind entscheidend für den Erfolg.
Medikamentöse Therapie
Verschiedene Medikamente, wie z.B. Hormone (ACTH, Prednisolon) oder Vigabatrin, werden eingesetzt. In manchen Fällen kann Vitamin B6 hilfreich sein. Nach etwa 14 Tagen wird der Erfolg der Behandlung durch eine Untersuchung und eine Hirnstrommessung beurteilt. Wenn die Anfälle sich nicht bessern, stehen weitere Medikamente zur Verfügung.
Chirurgischer Eingriff
In einigen Fällen kann ein chirurgischer Eingriff am Gehirn eine Option sein, insbesondere bei nachgewiesenen Hirnschäden oder Fehlbildungen.
Unterstützende Maßnahmen
Neben der medikamentösen Therapie sind unterstützende Angebote zur Förderung der Entwicklung des Kindes wichtig.
Prognose der BNS-Epilepsie
Die Prognose der BNS-Epilepsie ist abhängig von der Ursache der Krankheit. Bei etwa einem Drittel der Kinder hören die Anfälle durch die Behandlung auf. Eine frühzeitige Behandlung verbessert die Prognose. Wenn sich das Kind bis zum Anfallsbeginn altersentsprechend entwickelt hat und keine Ursache für die Krankheit bekannt ist, ist die Prognose gut. Allerdings kann es zu Entwicklungsverzögerungen kommen, die verschiedene Bereiche betreffen und unterschiedlich stark ausgeprägt sein können.
Mögliche Komplikationen
- Status epilepticus: Ein langer epileptischer Anfall (Status epilepticus) ist ein akuter Notfall, der sofort behandelt werden muss.
- Nebenwirkungen der Medikamente: Die Medikamente können Nebenwirkungen verursachen.
- Entwicklungsverzögerungen: Bis zu 90 % der erkrankten Kinder weisen eine Entwicklungsverzögerung auf.
- Übergang in ein Lennox-Gastaut-Syndrom: Bei etwa 60 % der betroffenen Kinder geht die BNS-Epilepsie mit der Zeit in ein Lennox-Gastaut-Syndrom über, eine andere seltene und schwere Form der kindlichen Epilepsie.
Altersabhängige Epilepsiesyndrome
Es gibt verschiedene altersabhängige Epilepsiesyndrome, die im Kindes- und Jugendalter auftreten können. Einige Beispiele sind:
- Ohtahara-Syndrom: Eine sehr seltene Säuglingsepilepsie, die sich durch tonische Anfälle und ein bestimmtes EEG-Muster auszeichnet.
- Dravet-Syndrom: Eine seltene Epilepsie, die im Säuglingsalter beginnt und durch häufige, langanhaltende Anfälle gekennzeichnet ist.
- Lennox-Gastaut-Syndrom (LGS): Eine Epilepsieform, bei der verschiedene Anfallsformen auftreten.
- Rolando-Epilepsie: Die häufigste idiopathische Epilepsieform des Schulkindesalters.
- Juvenile Myoklonusepilepsie: Eine Epilepsie, die im Jugendalter beginnt und sich durch Zuckungen äußert.
Was tun bei Verdacht auf BNS-Epilepsie?
Wenn Ihr Kind Anzeichen eines BNS-Anfalls zeigt, sollten Sie es zeitnah in Ihrer Kinderarztpraxis vorstellen. Es kann für die genaue Diagnose sehr hilfreich sein, wenn Sie die Anfälle filmen und zum Arztgespräch mitbringen.