Ein Schlaganfall kann vielfältige Auswirkungen auf die Sehfähigkeit haben. Etwa 30 bis 40 Prozent der Patienten mit Hirnschädigungen, wie sie nach einem Hirninfarkt oder Hirnblutungen auftreten, entwickeln verschiedene Sehstörungen. Dieser Artikel beleuchtet die Ursachen von Blindheit und anderen Sehstörungen nach einem Schlaganfall und stellt Behandlungsansätze vor.
Ursachen von Sehstörungen nach einem Schlaganfall
Die Ursachen für Sehstörungen nach einem Schlaganfall sind vielfältig und hängen davon ab, welche Bereiche des Gehirns betroffen sind.
Transiente ischämische Attacke (TIA) und Amaurosis fugax (AF)
Eine kurzzeitige Sehstörung, oft als transiente ischämische Attacke (TIA) oder Amaurosis fugax (AF) bezeichnet, wird häufig durch eine vorübergehende Durchblutungsstörung im Bereich der Netzhaut oder des Gehirns verursacht.
- Amaurosis fugax (AF): Definiert als eine im Durchschnitt wenige bis maximal 20 Minuten andauernde einseitige Sehverschlechterung. In den meisten Fällen (85 %) dauert der Visusverlust maximal 15 Minuten, wobei der Median bei 5 Minuten liegt.
- Transiente ischämische Attacke (TIA): Traditionell beschrieben als plötzliche Sehverschlechterung mit einer Symptomdauer von unter 24 Stunden. MRT-Studien zeigen jedoch, dass bei bis zu 40 % der Patienten mit TIA-Symptomen bereits ischämische Organschäden vorliegen.
Beide Zustände, AF und TIA, sind durch das Fehlen einer Infarzierung des neuronalen Gewebes gekennzeichnet. Ursachen hierfür können Thromboembolien sein, die bei AF häufig aus der ipsilateralen Karotis stammen und bei TIA eher kardialen Ursprungs sind. Auch die Riesenzellarteriitis sollte bei älteren Patienten mit entsprechenden Symptomen in Betracht gezogen werden.
Risikofaktoren für transiente Sehstörungen sind typische kardiovaskuläre Risiken wie Bluthochdruck, Diabetes mellitus und Fettstoffwechselstörungen. Eine transiente Sehstörung sollte als Warnsignal für einen drohenden Schlaganfall ernst genommen werden, da das Risiko, innerhalb von 3 Monaten einen ischämischen Schlaganfall zu erleiden, bei 10-15 % liegt.
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Schlaganfall und seine Auswirkungen auf die Sehbahn
Ein Schlaganfall kann verschiedene Bereiche der Sehbahn schädigen, die sich vom Auge bis zur Sehrinde im Hinterhauptslappen des Gehirns erstreckt. Je nachdem, welcher Bereich betroffen ist, können unterschiedliche Sehstörungen auftreten:
- Gesichtsfelddefekte: Hierbei übersieht der Betroffene Menschen oder Gegenstände auf einer Seite, was zu Schwierigkeiten in gewohnter Umgebung führen kann.
- Hemianopsie (Halbseitenblindheit): Ein kompletter halbseitiger Ausfall des Gesichtsfeldes eines oder beider Augen.
- Quadrantenanopsie: Ein Ausfall eines Viertels des Sehfeldes.
- Erblindung: Ein vollständiger Verlust des Sehvermögens auf einem oder beiden Augen.
- Verlust des räumlichen Sehens: Betroffene nehmen die Welt nur noch flach wahr und können Entfernungen nicht mehr abschätzen.
- Doppeltsehen (Diplopie): Das Sehen von Doppelbildern, oft durch Lähmungen der Augenmuskeln oder der dazugehörigen Hirnnerven verursacht.
Die Sehbahn des Menschen reicht vom Auge bis zur Sehrinde im Gehirn. Das Gesichtsfeld ist der Ausschnitt des Raumes, den wir bei gerade gehaltenem Kopf wahrnehmen und der auf unserer Netzhaut abgebildet und anschließend zum Großhirn weitergeleitet wird. Bei Sehbahn-Schädigungen durch einen Schlaganfall ist ein Ausfall des Gesichtsfeldes vor beiden Augen und auf derselben Seite charakteristisch. Betroffene, die ihrem Gegenüber auf die Nase schauen, können nur noch eine Hälfte des Gesichts sehen.
Spezifische Formen der Hemianopsie
- Homonyme Hemianopsie: Hierbei sind bei beiden Augen die gleichen Gesichtsfeldhälften betroffen. Ursache ist eine Schädigung der Sehbahn hinter dem Chiasma opticum, oft durch einen Schlaganfall im Versorgungsbereich der Arteria cerebri posterior.
- Heteronyme Hemianopsie: Hierbei kommt es zum Ausfall der beiden Schläfen- oder Nasenhälften des Gesichtsfeldes. Ursache ist meist eine Schädigung im Bereich des Chiasma opticum, z.B. durch einen Tumor.
- Beidseitige Hemianopsie: Sie entsteht durch einen Ausfall beider Sehzentren, z.B. durch einen Schlaganfall im Hinterhauptslappen des Gehirns.
Weitere Ursachen
- Prächiasmale Schädigungen: Schäden am Sehnerv, z.B. durch Entzündungen oder Gefäßerkrankungen, führen zu einseitigen Sehstörungen.
- Chiasmale Schädigungen: Erhöhter Druck auf das Chiasma opticum, z.B. durch einen Hypophysentumor, kann zu einer bitemporalen Hemianopsie führen.
- Retrochiasmale Schädigungen: Betreffen alle Abschnitte hinter dem Chiasma opticum und können zu verschiedenen Formen der Hemianopsie führen.
- Seelenblindheit (visuelle Agnosie): Eine Störung im Okzipitallappen des Gehirns, bei der die Verarbeitung visueller Impulse gestört ist. Betroffene können zwar sehen, aber das Gesehene nicht mehr verarbeiten.
Diagnose von Sehstörungen nach einem Schlaganfall
Die Diagnose von Sehstörungen nach einem Schlaganfall umfasst verschiedene Untersuchungen:
- Anamnese: Erhebung der Krankengeschichte, um Art und Dauer der Sehstörung zu erfassen.
- Sehschärfenbestimmung: Messung der Sehschärfe, um den Grad der Sehbeeinträchtigung festzustellen.
- Pupillenfunktionstestung: Überprüfung der Pupillenreaktion, um neurologische Schädigungen zu erkennen.
- Untersuchung des vorderen und hinteren Augenabschnitts: Beurteilung der Augenstrukturen, um andere Ursachen für die Sehstörung auszuschließen.
- Gesichtsfelduntersuchung: Untersuchung des Gesichtsfeldes, um Defekte zu identifizieren. Hierzu können der Konfrontationstest oder die statische Perimetrie (Computerperimetrie) eingesetzt werden.
- Optische Kohärenztomografie (OCT): Kann zur Differenzierung zum retinalen Arterienverschluss hilfreich sein.
- Fluoreszenzangiografie: Spielt bei der Diagnosefindung kaum noch eine Rolle.
- Neurologische Untersuchung: Umfasst eine Beurteilung der neurologischen Funktionen und kann weitere bildgebende Verfahren wie MRT oder CT beinhalten.
- Blutuntersuchung: Zum Ausschluss von hämatologischen oder entzündlichen Erkrankungen.
- Kardiale Untersuchung: Mittels Elektro- und Echokardiogramm.
- Doppleruntersuchung extrakranieller Gefäße: Um Durchblutungsstörungen zu erkennen.
- 24-Stunden-Blutdruckmessung: Bei allen vaskulären Erkrankungen empfehlenswert.
Behandlung von Sehstörungen nach einem Schlaganfall
Die Behandlung von Sehstörungen nach einem Schlaganfall zielt darauf ab, die Ursache der Störung zu behandeln und die verbliebene Sehkraft optimal zu nutzen.
Medikamentöse Therapie
- Akuttherapie bei TIA/AF: Umgehende Gabe von Acetylsalicylsäure, Clopidogrel oder einer Kombination aus beiden, um das Risiko eines Schlaganfalls zu reduzieren.
- Lyse-Therapie bei Augeninfarkt: In bestimmten Fällen kann eine Lyse-Therapie innerhalb der ersten Stunden nach dem Auftreten der Symptome eingesetzt werden, um das Gefäß wieder zu öffnen und die Netzhaut zu versorgen.
- Behandlung von Risikofaktoren: Kontrolle von Bluthochdruck, Diabetes mellitus und Fettstoffwechselstörungen.
Visuelle Rehabilitation
Die visuelle Rehabilitation spielt eine zentrale Rolle bei der Behandlung von Sehstörungen nach einem Schlaganfall. Ziel ist es, den Betroffenen zu helfen, sich an die veränderte Sehfähigkeit anzupassen und ihre Lebensqualität zu verbessern.
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- Orthoptische Behandlung: Bei Doppeltsehen können Prismenbrillen oder Prismenfolien eingesetzt werden, um die Doppelbilder zu korrigieren. Auch Augenbewegungstraining oder Fusionstraining können helfen, die beidäugige Zusammenarbeit zu verbessern.
- Kompensationstraining: Hierbei werden schnelle und ständige Augenbewegungen (Sakkaden) geübt, um den Gesichtsfeldausfall auszugleichen.
- Explorationstraining: Soll das Suchfeld des Patienten vergrößern, z.B. durch Suchübungen auf einem Blatt mit Zahlen.
- Restitutionstraining: Hier werden im Rahmen eines Computerprogrammes Licht-, Farb- und Formreize gesetzt, um den Bereich zwischen dem intakten und ausgefallenen Gesichtsfeld zu stimulieren.
- Anpassung von Hilfsmitteln: Lineale und elektronische Markierungen können beim Lesen helfen, um die Position entlang einer Textzeile nicht zu verlieren.
Weitere Maßnahmen
- Umgebungsanpassung: Ordnung halten, um den Überblick zu behalten, und Angehörige und Freunde über die Sehprobleme informieren.
- Psychologische Unterstützung: Da Sehstörungen nach einem Schlaganfall erhebliche Auswirkungen auf die Lebensqualität haben können, ist psychologische Unterstützung oft hilfreich.
- Regelmäßige augenärztliche Kontrollen: Um den Verlauf der Sehstörung zu überwachen und die Therapie anzupassen.
Kompensationstraining im Detail
Beim Kompensationstraining oder explorativen Sakkadentraining wird versucht, einen Ausgleich der bestehenden Beeinträchtigung zu erzielen. Bei Patienten mit Hemianopsie führt kein Reiz aus dem ausgefallenen Gesichtsfeld zu den Sakkaden. Das ausgefallene Gesichtsfeld kann somit abgesucht und so mehr Orientierung geschaffen werden. Gezielt dorthin zu schauen, wo man nichts sieht, ist jedoch eine große Herausforderung und erfordert ein hohes Maß an Konzentration. Die Übungen können ambulant in Augenarztpraxen oder beim Orthoptisten sowie zu Hause am Computer durchgeführt werden.
Heilungsaussichten
In einigen Fällen kann sich der Gesichtsfeldausfall wieder zurückbilden oder sogar ganz verschwinden. Dies ist jedoch nur möglich, wenn das betroffene Gehirnareal nicht unumkehrbar (irreversibel) geschädigt wurde. In der Regel ist eine Heilung jedoch nicht möglich. Trotz dieser Prognose lässt sich dennoch etwas gegen die Halbseitenblindheit unternehmen. Betroffene sollten den Kontakt zu einem Augenarzt oder einem Orthoptisten suchen, um mit dem Kompensationstraining zu beginnen.
Leben mit Sehstörungen nach einem Schlaganfall
Sehstörungen nach einem Schlaganfall können den Alltag erheblich beeinträchtigen. Es ist wichtig, sich über die eigenen Einschränkungen bewusst zu sein und Strategien zu entwickeln, um damit umzugehen.
- Information und Aufklärung: Informieren Sie sich umfassend über Ihre Sehstörung und ihre Ursachen.
- Unterstützung suchen: Sprechen Sie mit Ihrem Arzt, Therapeuten, Familie und Freunden über Ihre Probleme.
- Selbsthilfegruppen: Der Austausch mit anderen Betroffenen kann sehr hilfreich sein.
- Anpassung des Lebensstils: Passen Sie Ihre Umgebung und Ihre Gewohnheiten an Ihre Sehfähigkeit an.
- Hilfsmittel nutzen: Nutzen Sie Hilfsmittel wie Prismenbrillen, Lesegeräte oder spezielle Software, um Ihren Alltag zu erleichtern.
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