Die BNS-Epilepsie, auch bekannt als West-Syndrom oder Blitz-Nick-Salaam-Epilepsie, ist eine seltene und schwerwiegende Form der Epilepsie, die Säuglinge betrifft. Sie manifestiert sich typischerweise im Alter von zwei bis acht Monaten, wobei Jungen häufiger betroffen sind als Mädchen. Diese alterstypische Epilepsieform kann als pathophysiologische Endstrecke sehr unterschiedlicher Ursachen angesehen werden.
Formen der Epilepsie im Kindesalter
Bevor wir uns der Prognose der BNS-Epilepsie widmen, ist es wichtig, einen Überblick über andere Epilepsieformen im Kindesalter zu geben:
- Absence-Epilepsie des Schulkindalters (Pyknolepsie): Eine häufige generalisierte Form, die sich meist im Alter von fünf bis acht Jahren zeigt. Betroffene Kinder erleben bis zu 100 kurze Bewusstseinspausen (Absencen) am Tag. Die Prognose ist im Allgemeinen gut, wobei bei etwa einem Drittel die Absencen zum Stillstand kommen.
- Juvenile Absence-Epilepsie: Tritt bei Kindern zwischen neun und 15 Jahren auf. Hier sind die Absencen weniger zahlreich, aber oft mit tonisch-klonischen Krampfanfällen verbunden. Die Prognose ist weniger günstig, besonders bei unregelmäßigem Lebensstil oder fehlender Behandlung.
- Rolando-Epilepsie: Eine der häufigsten Formen von Kinderepilepsie, die sich durch oft nächtliche und sporadische Anfälle äußert.
- Primäre Lese-Epilepsie: Beginnt meist im Alter von 17 bis 18 Jahren, kann aber auch früher auftreten. Anfälle werden durch Lesen ausgelöst und äußern sich in Zuckungen der Gesichts- und Halsmuskulatur. Diese Form hat eine gute Prognose.
- Lennox-Gastaut-Syndrom (LGS): Eine weitere seltene Form, die meist zwischen dem dritten und fünften Lebensjahr beginnt. Patienten erleiden verschiedene Anfallsformen, und die Entwicklung ist oft beeinträchtigt.
- Juvenile myoklonische Epilepsie: Tritt typischerweise im Alter von zwölf bis 18 Jahren auf. Charakteristisch sind Muskelzuckungen (Myoklonien), oft nach dem Aufwachen. Die Anfälle lassen sich oft gut mit Medikamenten behandeln.
- Dravet-Syndrom: Eine sehr seltene und schwere Form, die meist im Alter von drei bis zwölf Monaten beginnt. Die Anfälle sind schwer behandelbar, und die Prognose ist ungünstig.
Was ist BNS-Epilepsie (West-Syndrom)?
Das West-Syndrom, auch BNS-Epilepsie genannt, ist eine spezielle Form der Epilepsie im Säuglingsalter. Der Name BNS-Epilepsie leitet sich von den charakteristischen Anfällen ab, die als Blitz-Nick-Salaam-Anfälle bezeichnet werden.
Symptome der BNS-Epilepsie
Die BNS-Epilepsie manifestiert sich durch drei Haupttypen von Anfällen, die oft in Kombination auftreten:
- Blitz-Anfälle: Plötzliche, blitzartige Muskelzuckungen des gesamten Körpers oder einzelner Gliedmaßen. Die Muskelzuckungen fahren wie ein Blitz durch den Körper.
- Nick-Anfälle: Verkrampfung der Nacken- und Halsmuskulatur, wodurch das Kinn ruckartig in Richtung Brust gezogen wird (ähnlich einer Nickbewegung). Die Kopfbeugung kann den Anfall dominieren.
- Salaam-Anfälle: Das Kind beugt Kopf und Rumpf nach vorne, öffnet häufig die Arme und rudert mit den Händen oder führt sie vor der Brust zusammen - ähnlich dem orientalischen Gruß "Salaam". Die Bewegungen können langsamer ablaufen und ähneln dem Gruß.
Die Anfälle treten oft kurz nach dem Aufwachen oder vor dem Einschlafen auf und können in Clustern gehäuft auftreten. Zwischen den Anfällen weinen die Kinder oft kläglich. Die BNS-Anfälle, bei denen sich die Kinder zusammenzukrümmen scheinen und anschließend weinen, werden deshalb häufig als Bauchkoliken verkannt.
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Erkrankte Kinder zeigen häufig eine komplexe Entwicklungsstörung, die Motorik, Sprache, geistige Fähigkeiten oder die gesamte Entwicklung betreffen kann. Es kann sein, dass Kinder bereits erlernte Fähigkeiten wieder verlieren. Manche Kinder haben auch Sehstörungen.
Ursachen der BNS-Epilepsie
Bei über der Hälfte der Fälle ist die Ursache der BNS-Epilepsie bekannt (symptomatische BNS-Epilepsie). In den anderen Fällen ist die Ursache unbekannt (idiopathische Epilepsie) oder es besteht ein Verdacht, der aber nicht nachgewiesen werden kann (kryptogene Epilepsie).
Mögliche Ursachen sind:
- Fehlbildungen des Gehirns, die vor der Geburt angelegt waren (z.B. in 7% der Fälle tuberöse Sklerose).
- Frühkindliche Hirnschädigung durch Sauerstoffmangel (frühkindlicher hypoxischer Hirnschaden).
- Infektionen während der Schwangerschaft oder nach der Geburt.
- Stoffwechselerkrankungen.
- Neurokutane Syndrome (z. B. tuberöse Sklerose).
- Genetische Erkrankungen (z. B. Chromosomenstörungen wie Trisomie 21).
Es werden zunehmend mehr genetische Ursachen gefunden.
Diagnose der BNS-Epilepsie
Die Diagnose basiert auf dem typischen Ablauf der Anfälle. Wichtig sind die Anamnese (genaue Beschreibung der Anfälle), die körperliche und neurologische Untersuchung des Kindes sowie apparative Untersuchungen.
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- Anamnese: Ärzt*innen fragen nach dem genauen Verlauf der Anfälle und Begleitsymptomen. Ein Video der Anfälle kann sehr hilfreich sein. Auch Informationen zum Verlauf der Schwangerschaft, der Geburt, der ersten Lebenswochen sowie in der Familie bekannten Krankheiten sind wichtig.
- Körperliche und neurologische Untersuchung: Dabei wird besonders auf den körperlichen Entwicklungszustand geachtet. Ärzt*innen achten auch auf bestimmte Merkmale oder Hautveränderungen, die typisch für genetische Erkrankungen sind. Die Funktionen des Nervensystems werden überprüft (Muskulatur, Bewegungsabläufe, Kraft, Reflexe, Muskelspannung und Gleichgewicht).
- Blutuntersuchung: Kann Hinweise auf Stoffwechselerkrankungen oder Infektionen geben.
- Liquordiagnostik: Untersuchung des Nervenwassers bei Verdacht auf eine Infektion als Ursache.
- MRT (Magnetresonanztomographie): Kann Gehirnfehlbildungen feststellen.
- EEG (Elektroenzephalographie): Zeigt oft ein für die BNS-Epilepsie typisches Muster (Hypsarrhythmie). Die Hirnstrommessung wird sowohl im wachen Zustand als auch im Schlaf durchgeführt.
- Gendiagnostik: Kann Genveränderungen als Ursache identifizieren.
Behandlung der BNS-Epilepsie
Ziel der Behandlung ist es, Anfallsfreiheit zu erreichen und die bestmögliche Entwicklung des Kindes zu fördern. Eine frühzeitige Diagnose und schnelle Behandlung sind wesentlich für den Erfolg.
Verschiedene Medikamente werden eingesetzt:
- Hormone (ACTH, Prednisolon): Eine Cortison Stoßtherapie kann begonnen werden.
- Vigabatrin: Gilt als Mittel der Wahl, insbesondere bei tuberöser Sklerose als Ursache.
- Weitere Antiepileptika: Bei unzureichender Wirkung von ACTH oder Vigabatrin stehen weitere Medikamente zur Verfügung (z.B. Sultiam, Valproat, Levetiracetam (Keppra)).
In einigen Fällen (ca. 10 %) ist auch Vitamin B6 erfolgreich. Eine Behandlung mit hoch dosiertem Vitamin B6 wird deswegen oft am Anfang einer Therapie versucht.
Bei nachgewiesenen Hirnschäden oder Fehlbildungen kann auch ein chirurgischer Eingriff am Gehirn eine Option sein.
Wichtig sind eine ausführliche ärztliche Aufklärung über die Erkrankung und unterstützende Angebote zur Förderung der Entwicklung des Kindes.
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Prognose der BNS-Epilepsie
Die Prognose der BNS-Epilepsie ist variabel und hängt von der Ursache der Erkrankung ab.
- Bei etwa einem Drittel der Kinder hören die Anfälle durch die Behandlung auf.
- Wenn sich das Kind bis zum Anfallsbeginn altersentsprechend entwickelt hat und keine Ursache für die Krankheit bekannt ist (kryptogene Fälle), ist die Prognose gut.
- Eine frühzeitige Behandlung verbessert vermutlich die Prognose.
Allerdings gibt es auch ungünstige Verläufe:
- Bis zu 90 % der erkrankten Kinder weisen eine Entwicklungsverzögerung auf.
- Oft spricht die BNS-Epilepsie nicht ausreichend auf Medikamente an (pharmakoresistente Epilepsie).
- Bei etwa 60 % der betroffenen Kinder geht die BNS-Epilepsie mit der Zeit in ein Lennox-Gastaut-Syndrom über.
- Durch bestimmte schwere Begleiterkrankungen kann die Sterblichkeit erhöht sein. Einige Studien zeigen, dass etwa 30 Prozent der Kinder nicht das 2. Lebensjahr überleben.
Es ist wichtig zu beachten, dass die Prognose individuell sehr unterschiedlich sein kann.
Komplikationen der BNS-Epilepsie
- Status epilepticus: Ein langer epileptischer Anfall ist ein akuter Notfall und muss sofort behandelt werden.
- Nebenwirkungen der Medikamente.
- Entwicklungsverzögerungen: Können verschiedene Bereiche betreffen und unterschiedlich stark ausgeprägt sein.
Erfahrungen von Eltern
Elternberichte zeigen, wie wichtig es ist, auf das eigene Bauchgefühl zu hören und bei Bedarf eine zweite Meinung einzuholen. Ein Klinikwechsel kann entscheidend sein, wenn die Behandlung nicht erfolgreich ist. Es gibt Fälle, in denen Kinder nach einem Klinikwechsel schnell anfallsfrei wurden und sich normal entwickelten, obwohl in der ersten Klinik eine ungünstige Prognose gestellt wurde.
Wichtige Hinweise für Eltern
- Wenn Ihr Kind Anfälle zeigt, sollten Sie es zeitnah in Ihrer Kinderarztpraxis vorstellen.
- Filmen Sie die Anfälle, um sie dem Arzt oder der Ärztin zu zeigen.
- Suchen Sie Spezialist*innen für Kinderneurologie auf.
- Holen Sie sich bei Bedarf eine zweite Meinung ein.
- Informieren Sie sich umfassend über die Erkrankung und die Behandlungsmöglichkeiten.
- Nehmen Sie unterstützende Angebote zur Förderung der Entwicklung Ihres Kindes wahr.