Die Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) ist eine psychische Erkrankung, die durch Schwierigkeiten im Umgang mit Emotionen, instabile Beziehungen und ein diffuses Selbstbild gekennzeichnet ist. Lange Zeit galt sie als schwer behandelbar, doch neurowissenschaftliche Erkenntnisse der letzten 20 Jahre haben gezeigt, dass Veränderungen in der Informationsverarbeitung des Gehirns bei Betroffenen möglich sind. Diese Erkenntnisse tragen dazu bei, Vorurteile abzubauen und die Stigmatisierung von Betroffenen zu verringern.
Etwa ein bis drei Prozent der Bevölkerung leiden an einer Borderline-Persönlichkeitsstörung. Betroffene haben mit starken Stimmungsschwankungen, intensiven Emotionen und einem quälenden Gefühl innerer Leere zu kämpfen. Häufig fällt es ihnen schwer, ihre Impulse zu kontrollieren, was sich in Essattacken, Drogenkonsum oder selbstverletzendem Verhalten äußern kann. Sie reagieren sehr sensibel auf Zurückweisung und haben große Angst vor dem Verlassenwerden. Ihre Beziehungen sind intensiv, aber instabil und konfliktgeprägt. Auch die Selbstwahrnehmung ist wechselhaft, und unter Stress kann die Welt unwirklich erscheinen.
Symptome der Borderline-Persönlichkeitsstörung
Die Borderline-Persönlichkeitsstörung manifestiert sich in verschiedenen Symptomen, die Emotionen, Beziehungen und die Identität betreffen.
Emotionale Instabilität
Ein zentrales Symptom ist die ausgeprägte emotionale Instabilität. Betroffene erleben intensive und rasche Stimmungsschwankungen, die von extremer Freude über tiefe Traurigkeit bis hin zu Wut reichen können. Diese emotionale Instabilität erschwert das eigene emotionale Gleichgewicht und beeinflusst die zwischenmenschlichen Beziehungen erheblich.
Impulsivität und riskantes Verhalten
Ein weiteres charakteristisches Symptom ist die Neigung zu impulsivem Verhalten. Menschen mit Borderline-Persönlichkeitsstörung treffen oft unüberlegte Entscheidungen, die mit Risiken verbunden sind. Dazu gehören impulsive Geldausgaben, riskanter Alkohol- oder Drogenkonsum und selbstschädigendes Verhalten. Die Schwierigkeiten, Impulse zu kontrollieren, können erhebliche Konsequenzen für das individuelle Wohlbefinden haben.
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Schwierigkeiten in zwischenmenschlichen Beziehungen
Die Gestaltung von Beziehungen ist für Borderline-Betroffene besonders anspruchsvoll. Intensive emotionale Schwankungen, das Bedürfnis nach Nähe und gleichzeitig die Angst vor Ablehnung können zu instabilen und belastenden zwischenmenschlichen Beziehungen führen. Unklare Selbstbilder und wechselnde Ansichten über andere Menschen erschweren es, stabile und vertrauensvolle Bindungen aufzubauen.
Identitätsstörungen
Ein weiteres charakteristisches Symptom ist die Unklarheit bezüglich der eigenen Identität. Betroffene haben Schwierigkeiten, ihre persönlichen Werte, Ziele und Überzeugungen zu definieren. Diese Identitätsunsicherheit führt oft zu einem unsteten Lebensweg und einem ständigen Suchen nach einem festen Selbstbild.
Ursachen der Borderline-Persönlichkeitsstörung
Die Ursachen für die Entstehung der Borderline-Persönlichkeitsstörung sind vielfältig und komplex. Es wird angenommen, dass sowohl genetische als auch Umweltfaktoren eine Rolle spielen.
Genetische Veranlagung
Zwillingsstudien haben gezeigt, dass genetische Faktoren einen großen Einfluss auf die Entstehung der Borderline-Persönlichkeitsstörung haben. Das bedeutet, dass eine genetische Veranlagung die Wahrscheinlichkeit erhöhen kann, die Störung zu entwickeln. Borderline selbst ist nicht vererbbar, aber die Veranlagung dafür.
Traumatische Erfahrungen
Traumatische Erlebnisse in der Kindheit, wie Missbrauch, Vernachlässigung oder der Verlust eines Elternteils, erhöhen das Risiko, eine Borderline-Persönlichkeitsstörung zu entwickeln. Viele Betroffene haben in ihrer Kindheit körperlichen oder sexuellen Missbrauch erfahren. Auch seelische Misshandlungen, mangelnde Wärme in den familiären Beziehungen oder unberechenbare Bezugspersonen können das Risiko erhöhen.
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Störungen im Gehirn
Forscher gehen davon aus, dass bei Menschen mit Borderline-Persönlichkeitsstörung die Kommunikation bestimmter Hirnzentren, welche die emotionale Verarbeitung kontrollieren, gestört ist. Daher erleben Borderliner alle Gefühle sehr viel intensiver als Gesunde. Ob diese Tendenz angeboren ist oder erst durch traumatische Erfahrungen entsteht, ist bislang noch nicht klar.
Einige Studien haben eine Beeinträchtigung des Frontalhirns bei Borderlinern festgestellt. Diese Gehirnregion ist unter anderem für die Impulssteuerung bedeutend. Handlungen werden dort geplant und auch gehemmt. Die eingeschränkte Funktion des Frontallappens hängt eventuell mit den impulsiven Aktionen von Borderline-Patienten zusammen.
Neurowissenschaftliche Erkenntnisse
Neurowissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, dass bei Borderline-Patienten Besonderheiten in der Struktur und Funktion bestimmter Hirnregionen vorliegen.
Amygdala
Bereits 2001 entdeckte ein Team vom Universitätsklinikum Aachen, dass die Amygdala von Borderline-Patientinnen stärker aktiviert war als die von gesunden Probandinnen, wenn sie negative Bilder betrachteten. Die Amygdala ist Teil des limbischen Systems und spielt eine wichtige Rolle bei der Verarbeitung von Emotionen, insbesondere von negativen Reizen wie Stress und Angst. Dieser Befund verdeutlicht, dass Betroffene mit auffallend intensiven und lang anhaltenden Emotionen auf Stress reagieren. Zahlreiche weitere Studien haben diese Beobachtung bestätigt.
Präfrontaler Kortex
Weitere Hirnareale des Neokortex wie der orbitofrontale, der ventrolaterale und der dorsolaterale präfrontale Kortex sowie der dorsale anteriore zinguläre Kortex sind beim Betrachten von emotionalen Reizen bei Borderline-Patienten weniger aktiv als bei Gesunden. Diese Hirnregionen sind an der kognitiven Kontrolle beteiligt, also der Regulation von Gefühlen und Verhalten. Sie spielen eine Rolle bei Entscheidungen, der Abwägung von Optionen und der Fokussierung auf Ziele.
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Die Kombination von überaktivierten limbischen Gefühlsregionen und unteraktivierten präfrontalen Regulationsregionen könnte für das Gefühlschaos verantwortlich sein, von dem die Betroffenen berichten.
Stresshormone und Oxytocin
Auch auf hormoneller Ebene zeigen sich Besonderheiten. Studien haben bei Borderline-Patienten Störungen in der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse (HHN-Achse), der Stressachse des Körpers, festgestellt. Sie wiesen erhöhte Spiegel von Stresshormonen wie Kortisol auf. Außerdem fand man niedrigere Spiegel des Hormons Oxytocin, das eine wichtige Rolle für unser Sozialverhalten spielt und Stressreaktionen abmildert.
Psychotherapie als wirksame Behandlung
Verschiedene Befunde deuten darauf hin, dass sich die biologischen Charakteristika bei der Verarbeitung von Reizen im Gehirn durch eine Psychotherapie verändern lassen.
Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT)
Die Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT) wurde von Marsha Linehan speziell für Menschen mit Borderline entwickelt. In der Behandlung erlernen die Klienten unterschiedliche Techniken, um ihre Gefühle zu regulieren, besser mit Stress umzugehen und in verschiedenen sozialen Situationen angemessen zu reagieren. Achtsamkeitsübungen sind ein wichtiger Bestandteil der Therapie.
Studien haben gezeigt, dass nach einem Jahr DBT die Amygdala der Teilnehmenden auf wiederholt präsentierte negative Reize schwächer reagierte als zuvor. Zudem konnten die Personen ihre Gefühle nun besser regulieren. Auch strukturelle Veränderungen im Gehirn, insbesondere in Regionen, die mit der Regulation von Gefühlen zusammenhängen, wurden nach einer DBT beobachtet.
Mentalisierungsbasierte Psychotherapie
Neben der Vermittlung von Techniken zur Emotionsregulation ist es ein wichtiges Ziel der Psychotherapie, die Fähigkeit zum Mentalisieren zu verbessern. Unter Mentalisieren versteht man die Fähigkeit, sowohl dem eigenen als auch dem Verhalten anderer Menschen einen Sinn zuzuschreiben, indem man die möglichen Beweggründe dahinter zu verstehen versucht.
Weitere Therapieansätze
Neben der DBT und der mentalisierungsbasierten Therapie gibt es weitere psychotherapeutische Ansätze, die bei der Behandlung der Borderline-Persönlichkeitsstörung eingesetzt werden, wie z.B. psychoanalytische und tiefenpsychologisch-fundierte Therapie, Traumatherapie und familientherapeutische Ansätze.
Medikamentöse Behandlung
Wegen der vielfältigen und oft schweren Symptome einer Borderline-Störung ist es oft sinnvoll, bei der Behandlung auch Psychopharmaka einzusetzen. Die Auswahl der Medikamente richtet sich dabei vor allem nach den Symptomen, die im Vordergrund stehen. Am häufigsten kommen Antidepressiva zum Einsatz, insbesondere selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI). Teilweise werden auch Neuroleptika oder Stimmungsstabilisierer verordnet.
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