Einführung
Die Borreliose ist eine durch Zecken übertragene Infektionskrankheit, die durch das Bakterium Borrelia burgdorferi verursacht wird. Eine mögliche Komplikation der Borreliose ist die Neuroborreliose, bei der die Bakterien das Nervensystem befallen. Eine der möglichen Manifestationen der Neuroborreliose ist die Gesichtslähmung (Fazialisparese). Dieser Artikel beleuchtet die Ursachen, Diagnose und Behandlung der Gesichtslähmung im Zusammenhang mit Borreliose.
Was ist eine Fazialisparese?
Unter einer Fazialisparese versteht man die teilweise oder vollständige Lähmung der Gesichtsmuskulatur, die infolge einer Schädigung des Gesichtsnervs (Nervus facialis) oder seines Ursprungsgebietes im Gehirn entsteht. Man unterscheidet zwei Arten der Fazialisparese:
Zentrale Fazialisparese: Hier kommt es zu einer Schädigung der Nervenbahnen im Gehirn, aus denen der Nervus facialis im Verlauf entsteht. Dies kann etwa im Rahmen eines Schlaganfalles der Fall sein. Meist, aber nicht immer treten dann weitere Symptome auf, wie Sprechstörungen oder Lähmungen von Hand oder Bein.
Periphere Fazialisparese: Hier kommt es zu einer Schädigung des Gesichtsnervs im Verlauf außerhalb des Gehirns.
Symptome der Fazialisparese
Eine Fazialisparese äußert sich in der Regel durch eine einseitige Lähmung der Gesichtsmuskulatur. Betroffene Personen fallen durch einen herabhängenden Mundwinkel und ein eingeschränktes Lächeln auf, wodurch die Fähigkeit, zu sprechen, zu essen und zu trinken beeinträchtigt sein kann. Auch Missempfindungen im Gesicht sind möglich, die etwa an das Gefühl nach einer Betäubung bei der zahnärztlichen Behandlung erinnern können. In manchen Fällen treten Schmerzen im und um das Ohr herum auf.
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Bei der peripheren Fazialisparese ist zusätzlich die Stirnmuskulatur (Stirnrunzeln) und der Schluss des Augenlides beeinträchtigt. Ebenso können Geschmackstörungen, eine erhöhte Geräuschempfindlichkeit (Hyperakusis) und Trockenheit von Mund und Augen auftreten.
Die zentrale Fazialisparese geht üblicherweise mit weiteren neurologischen Symptomen wie Lähmungen von Armen und Beinen und Sprachstörungen einher. Sie tritt in der Regel plötzlich ohne Vorankündigung auf.
Ursachen der Gesichtslähmung bei Borreliose
Die Neuroborreliose ist eine seltene Form der Lyme-Borreliose. Sie tritt bei etwa drei von 100 Erkrankten auf. Eine Neuroborreliose entwickelt sich, wenn Borrelien - die bakteriellen Erreger der Borreliose - das Nervensystem befallen. Borrelien gelangen über den Stich einer Zecke in den Körper. Eine Ansteckung oder Übertragung von Mensch zu Mensch ist nicht möglich. Neuroborreliose tritt gehäuft im Juli und August auf.
Eine ein- oder beidseitige Gesichtslähmung kann bei Kindern Folge einer Borreliose-Infektion sein. Am häufigsten befielen die Bakterien bei Kindern den VII. Hirnnerv (Nervus facialis), wodurch eine Gesichtslähmung (Fazialisparese) ausgelöst werden könne.
Weitere Ursachen einer Fazialisparese
Es ist wichtig zu beachten, dass eine Fazialisparese viele Ursachen haben kann, nicht nur Borreliose. Zu den weiteren Ursachen gehören:
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- Idiopathische Fazialisparese (Bell'sche Parese): Ursache oft unklar (ca. 60-75 % der Fälle)
- Entzündliche Erkrankungen: Gürtelrose (Zoster), Herpes simplex, HIV, Zytomegalievirus (CMV), Mumps etc.
- Unfallbedingt: Bruch des Felsenbeins, z. B. bei schwerem Schädel-Hirn-Trauma
- Medikamente: Ciclosporin A
- Weitere Ursachen: Schwangerschaft, Diabetes mellitus, Tumore und andere seltene Ursachen
- Zentrale Ursachen: Schlaganfall, Hirntumor, Multiple Sklerose
Diagnose der Neuroborreliose und Fazialisparese
Wenn ein Patient einige der oben genannten Symptome aufweist und von einem zurückliegenden Zeckenstich berichtet, ergibt sich für den Arzt der Verdacht auf eine Neuroborreliose. Das gilt auch, wenn sich ein Patient an keinen Zeckenstich erinnert, aber die Möglichkeit zu einem solchen bestand oder besteht (durch Waldspaziergänge, Gartenarbeit etc.).
Das typische Bild einer Fazialisparese fällt in der Hausarztpraxis häufig schon auf den ersten Blick auf. Zur Prüfung der Funktionalität der Gesichtsmuskulatur und des Ausprägungsgrades der Erkrankung wird eine körperliche und neurologische Untersuchung durchgeführt, bei der Patient*innen u. a. gebeten werden, die Stirn zu runzeln, die Augen fest zu schließen oder breit zu grinsen und die Zähne zu zeigen. Auch das Ohr wird in der Regel mituntersucht. Bei Verdacht auf einen Schlaganfall wird zusätzlich die Funktion von Armen und Beinen überprüft und ein Sprachtest durchgeführt.
Labortests zur Diagnose der Neuroborreliose
Zur Abklärung des Verdachts kann der Arzt verschiedene Labortests durchführen.
- Nachweis von Borrelien-Antikörpern: Dieser Test kann das Blut und die Gehirn-/Rückenmarksflüssigkeit (Nervenwasser oder Liquor) des Patienten auf spezifische Antikörper gegen Borrelien-Bakterien untersuchen.
- Nachweis entzündlicher Liquor-Veränderungen: Finden sich in der Nervenwasser-Probe (Liquor-Probe) tatsächlich Borrelien-Antikörper, reicht das aber noch nicht für eine sichere Diagnose. Es müssen sich auch entzündliche Veränderungen im Nervenwasser nachweisen lassen. Dazu zählen etwa eine erhöhte Anzahl an weißen Blutkörperchen sowie eine Erhöhung des Gesamteiweißes.
- Direkter Erreger-Nachweis: Zur Unterstützung der Neuroborreliose-Diagnose kann man den Erreger auch direkt im Nervenwasser nachweisen (in speziell dafür geschulten Laboratorien). Dazu nimmt man eine Liquor-Probe des Patienten und versucht, damit Borrelien-Bakterien anzuzüchten (Kultur) oder Erbgut-Schnipsel der Erreger nachzuweisen (mittels Polymerase-Kettenreaktion = PCR).
- CXCL13-Messung: Seit einigen Jahren unterstützt man in Einzelfällen die Neuroborreliose-Diagnose mit der Messung des CXCL13-Spiegels im Nervenwasser. Das CXCL13 zählt zu den sogenannten Chemokinen. Das sind kleine Eiweiße, die als Reaktion auf eine Infektion oder Verletzung ausgeschüttet werden und an der Steuerung einzelner Abwehrzellen des Immunsystems beteiligt sind.
- Weitere Untersuchungen: Routinemäßig werden bei Verdacht auf Neuroborreliose auch gängige Blutparameter bestimmt. Dazu zählen unter anderem die Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit (BSG), die weißen Blutkörperchen (Leukozyten) und das C-reaktive Protein (CRP). In bestimmten Fällen führt der Arzt noch weitere Untersuchungen durch. Hat er etwa den Verdacht, dass die Borrelien eine Entzündung von Hirngefäßen (zerebrale Vaskulitis) verursacht haben, veranlasst er zur Abklärung eine Magnetresonanztomografie (MRT, Kernspintomografie).
Keine dieser Methoden reicht alleine als Beweis für eine Neuroborreliose. Die Kombination mehrerer Faktoren sichert die Diagnose. Vor allem im Zusammenhang mit einer entsprechenden Anamnese stellen Ärzte die Diagnose der Neuroborreliose. Das nimmt in der Regel aber mehrere Untersuchungen in Anspruch.
Behandlung der Neuroborreliose und Fazialisparese
Die Neuroborreliose wird (wie die normale Borreliose) mit Antibiotika behandelt. Zur Verfügung stehen folgende Antibiotika:
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- Doxycyclin (als Tablette)
- Ceftriaxon (als Infusion)
- Cefotaxim (als Infusion)
- Penicillin G (als Infusion)
Welches Antibiotikum der Arzt im Einzelfall für die Neuroborreliose-Therapie auswählt, hängt von den individuellen Gegebenheiten ab. Eine Rolle spielt unter anderem, wie alt der Patient ist, ob er bekanntermaßen allergisch auf eines der Antibiotika reagiert oder ob eine Schwangerschaft vorliegt. So dürfen beispielsweise schwangere Frauen und Kinder unter neun Jahren nicht mit Doxycyclin behandelt werden.
Dauer der Antibiotikatherapie
Die Dauer der Antibiotikatherapie richtet sich danach, ob eine frühe oder späte Neuroborreliose vorliegt: Bei früher Neuroborreliose werden die Antibiotika im Regelfall über 14 Tage gegeben, bei später Neuroborreliose meist 14 bis 21 Tage lang.
Bei Patienten, die sechs Monate nach der Antibiotika-Therapie immer noch beeinträchtigende Beschwerden haben, untersuchen Ärzte erneut eine Probe der Hirn-Rückenmarksflüssigkeit. Wenn die Anzahl der weißen Blutkörperchen immer noch erhöht ist und es keine andere Erklärung als die Neuroborreliose dafür gibt, wiederholen sie die Antibiotikatherapie.
Weitere Behandlungsansätze bei Fazialisparese
Neben der Behandlung der Grunderkrankung (Neuroborreliose) ist es wichtig, die Symptome der Fazialisparese zu lindern und Komplikationen zu vermeiden. Hierzu gehören:
- Kortison-Präparate (Glukokortikoide): Sie verkürzen den Krankheitsverlauf und führen mit einer größeren Wahrscheinlichkeit zu einem kompletten Rückgang der Erkrankung (Remission) bei idiopathischer Fazialisparese.
- Schutz des Auges: Kann das Augenlid nicht mehr vollständig geschlossen werden, kommt dem Schutz der Hornhaut eine wichtige Bedeutung zu. Hierbei finden z. B. Tränenersatzmittel, Dexpanthenol-Augensalben und nächtliche Uhrglasverbände, bei denen das betroffene Auge abgedeckt wird, Anwendung.
- Krankengymnastik der Gesichtsmuskulatur: Für den Nutzen einer Krankengymnastik der Gesichtsmuskulatur gibt es derzeit keine ausreichenden Belege, sie kann jedoch in Betracht gezogen werden. Die Wirksamkeit einer Akkupunktur ist aktuell nicht bewiesen.
Verlauf und Prognose
Die Neuroborreliose ist heilbar. Nur wenige Patienten berichten noch Jahre nach der Therapie von bestehenden Symptomen. Diese sind jedoch nur mild und beeinträchtigen in der Regel den Alltag nicht. Laut einer dänischen Studie hat eine ausgeheilte Neuroborreliose keine nachteiligen Auswirkungen auf die Lebenserwartung.
In der Regel kommt es nach 4-6 Wochen zu einer beginnenden Remission (Besserung der Symptome) bei Fazialisparese. In 80 % der Fälle bilden sich die Symptome innerhalb von 6 Monaten vollständig oder fast vollständig zurück. Bei nicht behandelten Patient*innen kommt es 9 Monate nach Symptombeginn zu einer teilweisen Rückbildung.
Regelmäßige Verlaufskontrollen sollten so lange stattfinden, bis sich die Lähmung gut zurückgebildet hat. Ist die Lähmung innerhalb eines Jahres nicht zurückgegangen, sollte die Vorstellung in einem spezialisierten Zentrum erfolgen. Mit rekonstruktiven chirurgischen Maßnahmen können erfahrene Spezialist*innen eine (eingeschränkte) Wiederbelebung der Gesichtsbewegungen (Mimik) erreichen.
Negative prognostische Faktoren
Folgende Faktoren können die Prognose einer Fazialisparese verschlechtern:
- Vollständige Lähmung des Nervus facialis
- Keine Besserung nach 3 Wochen
- Alter > 60 Jahre
- Starke Schmerzen
- Begleiterkrankungen: Bluthochdruck, Diabetes
- Gürtelrose im Gesicht als Ursache
- Verletzung als Ursache
- Schwangerschaft
- Hyperakusis (Geräuschüberempfindlichkeit)
- Bei elektrophysiologischen Untersuchungen nachgewiesener ausgeprägte Schädigung des Nervus facialis
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