Einführung
Die Brachialneuritis, auch bekannt als neuralgische Amyotrophie oder Parsonage-Turner-Syndrom, ist eine seltene Erkrankung, die durch plötzliche, heftige Schmerzen im Bereich der Schulter und des Arms gekennzeichnet ist. Diese Schmerzen können sich bis in die Hand ausbreiten und werden oft von Muskelschwäche und Lähmungen begleitet. Die Erkrankung betrifft meist nur eine Körperseite und tritt vorwiegend bei Erwachsenen im Alter von 20 bis 60 Jahren auf.
Definition und Ursachen
Der Plexus brachialis ist ein Nervengeflecht im unteren Halsbereich, das Signale von der Wirbelsäule an die Muskulatur von Schulter, Arm und Hand sendet und für die Sensibilität dieser Bereiche zuständig ist. Eine Schädigung dieses Nervengeflechts wird als Armplexusläsion bezeichnet.
Die Ursachen der Brachialneuritis sind vielfältig. Man unterscheidet zwischen:
- Idiopathische Form: Bei den meisten Betroffenen ist die Ursache unklar. Es wird vermutet, dass eine Entzündung des Plexus brachialis, möglicherweise im Zusammenhang mit einer Immunreaktion, eine Rolle spielt.
- Hereditäre Form: In seltenen Fällen wird die Neigung zur Entwicklung einer Brachialneuritis vererbt.
Weitere mögliche Auslöser oder Risikofaktoren sind:
- Infektionen (z.B. Hepatitis E, SARS-CoV-2)
- Impfungen
- Operationen
- Traumata
- Intensive körperliche Belastung
Symptome
Die Symptome der Brachialneuritis können vielfältig sein, wobei der Verlauf individuell variiert. Typische Anzeichen sind:
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- Schmerzen: Plötzlich auftretende, reißende und starke Schmerzen im Schultergelenk, die sich in den Oberarm, Nacken und den gesamten Arm bis zur Hand ausbreiten können. Die Schmerzen treten oft nachts oder morgens auf und können über Tage bis Wochen anhalten.
- Muskelschwäche und Lähmungen: Nach den Schmerzen kann es zu einer rasch fortschreitenden Lähmung der proximalen Muskulatur kommen. Häufig betroffene Muskeln sind der Musculus deltoideus (Nervus axillaris), Musculus supraspinatus und infraspinatus (Nervus suprascapularis), Musculus serratus anterior (Nervus thoracicus longus) und Mm. rhomboidei (Nervus dorsalis scapulae). In seltenen Fällen können auch der Musculus trapezius (Nervus accessorius), Musculus biceps brachii (Nervus musculocutaneus), Musculus pronator teres (Nervus medianus) oder Fingerbeuger (Nervus interosseus anterior) betroffen sein. Auch das Zwerchfell (N. phrenicus) kann isoliert betroffen sein.
- Sensibilitätsstörungen: Parästhesien und Sensibilitätsstörungen können auftreten, sind aber eher selten. Wenn sie auftreten, betreffen sie meist die Oberarmaußenseite oder den Daumen.
- Muskelatrophien: Im Verlauf der Erkrankung kann es zu einem Muskelschwund kommen.
- Eingeschränkte Beweglichkeit: Die Lähmungen können zu einer eingeschränkten Beweglichkeit des Arms führen, beispielsweise Schwierigkeiten beim Heben des Arms (Armelevation meist nur bis ca. 15° möglich) oder bei der Außenrotation.
- Scapula alata: Bei Beteiligung des Musculus serratus anterior kann es zu einem Abstehen des Schulterblatts kommen (Scapula alata).
- Dyspnoe: Bei Beteiligung des Nervus phrenicus kann es zu Atemnot kommen.
Diagnose
Die Diagnose der Brachialneuritis basiert auf einer Kombination aus:
- Anamnese: Erhebung der Krankengeschichte, insbesondere des Schmerzverlaufs und möglicher Auslöser.
- Körperliche und neurologische Untersuchung: Prüfung der Muskelkraft, Reflexe, Sensibilität und Beweglichkeit. Ein Beklopfen bestimmter Hautbereiche rund um das Schlüsselbein kann zu elektrisierenden, ausstrahlenden Schmerzen führen (Hoffmann-Tinel-Zeichen).
- Elektrophysiologische Untersuchungen:
- Elektroneurographie (ENG): Messung der Nervenleitgeschwindigkeit, um Schäden der peripheren Nerven nachzuweisen und ihr Ausmaß zu beurteilen.
- Elektromyographie (EMG): Messung der elektrischen Muskelaktivität, um den Zustand der Muskulatur zu beurteilen. Diese Untersuchung ist erst etwa 3 Wochen nach dem Trauma sinnvoll.
- Bildgebende Verfahren:
- Röntgen oder CT: Zum Ausschluss von Knochenbrüchen oder anderen Begleitverletzungen.
- MRT des Plexus brachialis (MR-Neurographie): Darstellung der Nervenbahnen, um Schädigungen des Plexus brachialis zu erkennen. Die MR-Neurographie ermöglicht die selektive und gleichzeitige Darstellung aller Durchflechtungsstufen des Plexus brachialis und kann auch Teilläsionen eines Nervenstranges nachweisen.
- Ultraschall (Nervensonographie): Untersuchung der Armnerven und des Plexus brachialis.
Es ist wichtig, andere Erkrankungen mit ähnlichen Symptomen auszuschließen, wie z.B. zervikale Radikulopathie oder Adhäsive Kapsulitis.
Therapie
Da die Ursache der Brachialneuritis meist unbekannt ist, zielt die Behandlung in erster Linie darauf ab, die Symptome zu lindern und die Funktionen des Arms und der Hand zu erhalten. Die Therapie kann konservativ oder operativ erfolgen.
Konservative Behandlung
- Schmerzmittel: Zur Linderung der Schmerzen können verschiedene Schmerzmittel eingesetzt werden, darunter auch Medikamente gegen neuropathische Schmerzen wie Antidepressiva und Antikonvulsiva.
- Kortikosteroide: Entzündungshemmend wirkende Medikamente wie Kortikosteroide können die Heilungsdauer verkürzen und das Risiko neuer Schmerzattacken vermindern.
- Physiotherapie: Zur Verbesserung der Beweglichkeit, Kräftigung der Muskulatur und Schmerzlinderung.
- Ergotherapie: Zur Verbesserung der Handfunktion und Anpassung an die Einschränkungen im Alltag.
- Elektrotherapie: Zur Verzögerung von Muskelschwund, bis die Nervenregeneration abgeschlossen ist.
- Rehabilitationsmaßnahmen: Können Teil der Behandlung sein, um die Funktionen des Arms und der Hand wiederherzustellen.
Operative Behandlung
Eine Operation wird in folgenden Fällen in Betracht gezogen:
- Wenn die Regeneration unter konservativer Behandlung nach ca. 3-6 Monaten nicht ausreicht.
- Wenn eine spontane Reinnervation unmöglich ist (z.B. bei ausgerissenen Nervenwurzeln).
- Bei offenen Plexusläsionen.
- Bei Hämatomen, die durch ihre Größe das umliegende Gewebe verdrängen.
Es gibt verschiedene Operationsverfahren:
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- Neurolyse: Freilegung von eingeengtem Nervengewebe.
- Nerventransfer: Verlagerung von gesunden Ästen an beschädigte Äste innerhalb des Plexus (intraplexaler Nerventransfer) oder von außerhalb des Plexus (extraplexaler Nerventransfer).
- Autologe Nerventransplantation: Versetzen eines eigenen Nervenastes aus einem anderen Körperbereich.
- Ersatzoperation: Verlagerung von intakten Muskeln zum Funktionserhalt.
Der Zeitpunkt der Operation hängt vom Ausmaß der Verletzung ab. Bei ausgerissenen Nervenwurzeln wird möglichst nach 6-8 Wochen operiert. Wenn keine Nerven durchtrennt sind, sollte die Operation später stattfinden, und zwar nach 3-6 Monaten.
Prognose
Die Prognose der Brachialneuritis ist variabel und hängt vom Schweregrad der Erkrankung ab. In vielen Fällen kommt es zu einer spontanen Nervenheilung (Reinnervation), die zu besseren funktionellen Ergebnissen führen kann als eine Operation. Allerdings dauert die Nervenregeneration etwa 2,5-3 Jahre. Bei ausgerissenen Nervenwurzeln kann keine spontane Regeneration stattfinden.
Insgesamt sind etwa 70 % der Ergebnisse bei oberen Plexusläsionen gut. Bei unteren Plexusläsionen ist die Prognose schlechter. Als Folge einer Plexusläsion können langfristig Defizite der Sensibilität oder Motorik mit einer Funktionseinschränkung zurückbleiben. Neuropathische Schmerzen können chronisch werden.
Prävention
Es gibt keine spezifischen Maßnahmen zur Vorbeugung der idiopathischen Brachialneuritis. Allerdings können folgende Maßnahmen das Risiko von Armplexusläsionen durch Traumata reduzieren:
- Tragen einer Schutzausrüstung bei Aktivitäten mit einem entsprechenden Verletzungsrisiko (z. B. bei Extremsportarten und beim Motorradfahren).
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