Burkhard Spinnen, geboren 1956 in Münster, ist ein vielseitiger Autor, der Erzählungen, Romane, Kinderbücher, Essays, Glossen und Rezensionen verfasst hat und für seine Werke mehrfach ausgezeichnet wurde. Sein Werk zeichnet sich durch eine sensible Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Themen und persönlichen Erfahrungen aus, wobei insbesondere die Themen Demenz, Klimawandel und die Herausforderungen des modernen Lebens in den Fokus rücken.
Die Demenz der Mutter als persönliche und gesellschaftliche Herausforderung
Spinnens Roman "Die letzte Fassade. Wie meine Mutter dement wurde" ist ein autobiographischer Essay, der sich mit den Zumutungen und Zurichtungen auseinandersetzt, die eine Demenz mit sich bringt. Lange Zeit bemerkt er es nicht, doch das langsame Versinken seiner Mutter in die Demenz stellt Burkhard Spinnen vor eine Aufgabe, die ihn stets aufs Neue überfordert und sein Leben völlig durcheinander bringt. Unvermittelt verkehren sich alle Verhältnisse, die Mutter-Sohn-Beziehung erfährt eine radikale Veränderung. Dazu belastet die dauernde Konfrontation mit der Krankheit der Mutter den eigenen Lebensentwurf.
Das Buch beginnt mit einem Brief an die Mutter, die ihn nicht mehr wird lesen können. Darin rechtfertigt sich Spinnen, dass er sie überhaupt zum Gegenstand eines Buches macht. Zugleich legt er dar, warum es ihm weder gelingt, die Erkrankung der Mutter literarisch zu verarbeiten, noch möglich ist, sich in die lange Reihe der Ratgeberliteratur einzureihen. Spinnen wählt Kapitelbezeichnungen, die die Entwicklung der Demenz schlagwortartig beleuchten und zugleich einen durchaus typischen Werdegang der Krankheit verdeutlichen. Er schildert die ersten Verwirrtheiten der Mutter, die Versuche der Mutter, die wachsende Hilflosigkeit durch allerlei Anstrengungen zu kaschieren, den endgültigen Zusammenbruch und letztlich den Verlust jedweder Autonomie.
Der Reiz der Lektüre liegt aber darin, dass Burkhard Spinnen sein eigenes Verhältnis zu der Erkrankung seiner Mutter immer sogleich mitdenkt. Sein eigenes Leben war lange Zeit geprägt von dem, was er als „Stillstellung der Beziehung zwischen meinen Eltern und mir“ und als „Einfrieren des Kinder- wie des Elternbildes“ bezeichnet. Diese Distanz, in der man sich auf beiden Seiten eingerichtet hat, geht durch die Krankheit verloren und zwingt zu einer gewöhnungsbedürftigen Nähe. Er beschreibt den zugleich damit einhergehenden Rollenwechsel, nicht mehr nur Sohn und damit Kind, sondern zugleich Verantwortlicher zu sein für einen in besonderem Maße hilfsbedürftigen Menschen.
Menschen, deren Eltern dement und pflegebedürftig werden, stehen in der Regel selbst bereits an der Schwelle zum Alter. Ihre eigenen Kinder verlassen vielleicht gerade das Haus, sie selbst ringen um ein neues Lebenskonzept für die kommenden Jahre; und ausgerechnet jetzt stoßen der Vater a.D. und die pensionierte Mutter wieder zur Familie. Sie tun das als uneinsichtige oder sogar aufsässige Schutzbefohlene. Überdies tun sie es als dauernd präsente Anschauungsobjekte dafür, wie ein spätes Stadium des Alters aussehen könnte.
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Spinnens Buch ist ein uneingeschränkt lesenswerter autobiographischer Essay, der die Zumutungen und Zurichtungen, die eine Demenz bewirkt, kenntlich macht.
"Erdrutsch": Change Fiction im Angesicht des Klimawandels
In seinem Roman "Erdrutsch", den er zusammen mit Charles Wolkenstein verfasst hat, entwirft Spinnen eine mögliche Zukunft im Schatten des Klimawandels und des Übertourismus. Die Autoren bezeichnen diese Art von Romanen als "Change Fiction".
Der Roman spielt am Comer See in der Lombardei, wo die Auswirkungen des Übertourismus besonders zu spüren sind. In den Alpen häufen sich Erdrutsche. Der Roman beginnt mit dem rätselhaften Satz: "Es ist der Tibeter, der den Vogelmann findet." Der Vogelmann ist ein 50-jähriger Tierarzt namens Giorgio Colombo, der sich offenbar mit Vögeln verständigen kann. Die Verständigung mit sehr intelligenten Krähenvögeln spielt in "Erdrutsch" eine große Rolle. Im Roman verfügen die Krähen auch noch über eine prophetische Begabung. Sie sind in der Lage, Naturkatastrophen vorherzusagen.
Spinnen betont, dass "Erdrutsch" kein Sachbuch über den Klimawandel oder den Übertourismus ist. Vielmehr wollten die Autoren eine Geschichte schreiben, in der das Individuelle im Vordergrund steht. Es geht ihnen darum, den Status der Gesellschaft darzustellen und die Menschen dazu zu verführen, sich mit einem Thema zu beschäftigen, das sie sonst vielleicht umgehen würden.
Spinnen und Wolkenstein nennen diese Art von Romanen, die sich mit relevanten gesellschaftlichen Prozessen beschäftigen, „Change Fiction“. Change Fiction dagegen erlaubt sich keine gesellschaftlichen oder wissenschaftlichen Gesetzesänderungen. Der Klimawandel in „Erdrutsch“ ist keine Erfindung.
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Weitere Werke und thematische Vielfalt
Neben den genannten Werken hat Burkhard Spinnen zahlreiche weitere Bücher veröffentlicht, die sich mit unterschiedlichen Themen auseinandersetzen.
In "Vorkriegsleben" erzählt Spinnen eine Geschichte vom Krisenmanagement und vom Ende der Gewissheiten. Der Held Richard nimmt die ukrainische Halbschwester einer Arbeitskollegin mitsamt deren Zwillingsmädchen bei sich auf. Und dann platzt, in einer kafkaesken Szene, auch noch ein junger Mann in sein Leben, der ihm einen erpresserischen Deal anbietet: er kann Richard Erinnerungen verkaufen, die dieser nicht kennt, störende und peinliche Altlasten.
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