Christine von Arnim: Forschung zur Demenz im Fokus

Professorin Dr. Christine von Arnim, eine anerkannte Expertin auf dem Gebiet der Geriatrie und Demenzforschung, leitet die Abteilung Geriatrie an der Universitätsmedizin Göttingen (UMG). Ihre Arbeit konzentriert sich auf das Zusammenspiel von Herz- und Hirnerkrankungen im Alter und die Entwicklung neuer Ansätze zur Prävention und Behandlung von Demenzerkrankungen, insbesondere der Alzheimer-Krankheit.

Akademische Karriere und Schwerpunkte

Christine von Arnim absolvierte ihr Medizinstudium in Freiburg und spezialisierte sich in Heidelberg/Mannheim und Ulm auf Neurologie. Nach einem Forschungsaufenthalt an der Harvard Medical School, wo sie die Mechanismen der Alzheimer-Krankheit untersuchte, habilitierte sie sich 2006 an der Universität Ulm und wurde 2009 zur außerplanmäßigen Professorin ernannt. Seit Juli 2019 ist sie Direktorin der Klinik für Geriatrie an der UMG.

Ihre Forschungsschwerpunkte umfassen die Prävention und Therapie von Demenz durch Lebensstilfaktoren wie Ernährung, körperliche und geistige Aktivität. Sie ist Expertin für die klinische Diagnose und Biomarker von Demenz und leitet klinische Studien zur Prävention oder Behandlung von kognitiven Beeinträchtigungen und Delir. Ihr Labor erforscht die Pathophysiologie kognitiver Störungen und des Alterns im Zusammenhang mit Herz- und Hirnerkrankungen. Dabei kombiniert sie die Arbeit an menschlichem Biomaterial mit experimentellen Modellen.

Antrittsvorlesung und Abteilung Geriatrie an der UMG

Ihre öffentliche Antrittsvorlesung am 6. Oktober 2021 trug den Titel „Mit Herz und Hirn gesund ins Alter“. Darin präsentierte sie ihre Ziele und Visionen für die Geriatrie in Forschung und Krankenversorgung an der UMG. Die Etablierung des Lehrstuhls für Geriatrie sowie einer neuen geriatrischen Spezialstation an der UMG wird von der Robert-Bosch-Stiftung mit 1,25 Millionen Euro über einen Zeitraum von fünf Jahren gefördert.

Die Abteilung Geriatrie an der UMG bietet ein umfassendes Versorgungsspektrum für ältere Patient*innen mit Erkrankungen verschiedenster Ursachen, die im Laufe des Lebens zusammenkommen (Multimorbidität) und oft mit erheblichen Beeinträchtigungen einhergehen. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf Beeinträchtigungen der geistigen Leistungsfähigkeit, wie sie im Rahmen von Demenzerkrankungen oder als akuter Verwirrtheitszustand (Delir) nach einer Operation auftreten können.

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Im Januar 2021 wurde die neue stationäre Akutgeriatrie an der UMG in Betrieb genommen. Die Station wurde komplett renoviert und demenzsensibel ausgestattet. Ein speziell geschultes multiprofessionelles Team unterstützt die Patient*innen individuell für einen optimalen Therapieerfolg.

Forschungsschwerpunkte: Herz und Hirn im Fokus

Ein zentraler Forschungsschwerpunkt von Christine von Arnim ist das Zusammenspiel von Herz- und Hirnerkrankungen im Alter. „Obwohl wir inzwischen wissen, dass was gut für das Herz ist, auch gut für das Gehirn ist, wissen wir nicht genau warum. Erkrankungen des Herzens und des Gehirns sind die Hauptursachen für Einschränkungen der Lebensqualität, Pflegebedürftigkeit und Sterblichkeit im Alter“, sagt sie. „Unser Ziel ist es, organübergreifende Mechanismen an der Schnittstelle von Herz und Gehirn zu verstehen. Wir wollen die grundlegenden Mechanismen erforschen, die zur Entstehung von altersabhängigen Erkrankungen beitragen.“

Das Forschungsspektrum der Abteilung Geriatrie reicht von der Versorgungsforschung über die Biomarkerforschung bis hin zur Grundlagenforschung im Labor. In Registern und Kohorten soll der Zusammenhang von Alter, Herzerkrankungen und den Auswirkungen auf Alltagsfunktionalität und Lebensqualität erfasst werden. In klinischen Studien sollen neue Erkenntnisse gewonnen werden, um sie in Behandlungskonzepte für Patientinnen umzusetzen. Es wird geprüft, inwiefern neue Technologien zu einer verbesserten Versorgung älterer Menschen führen. Dabei arbeitet die Abteilung Geriatrie eng mit anderen Abteilungen, Instituten und Kliniken im Herzzentrum an der UMG und anderen Partnerinnen zusammen. Zusammen mit Kolleg*innen der UMG initiierte sie die interdisziplinäre Arbeitsgruppe „Demenzsensibles Krankenhaus“. Dort werden entsprechende Versorgungskonzepte untersucht und implementiert sowie in der Region vernetzt.

Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf dem Zusammenspiel von Herzerkrankungen mit Delir. In Kooperation mit der Klinik für Herz-Thorax-Gefäßchirurgie und der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der UMG geht sie der Frage nach, wie die Risikoerfassung und Diagnostik eines Delirs bei älteren Patient*innen optimiert werden kann. Weitere klinische Forschungsschwerpunkte liegen auf der zeitgerechten Erkennung und den Mechanismen der Krankheitsentstehung von Delir und Demenzen.

Eine neu eingerichtete Grundlagenforschungsgruppe soll den Zusammenhang zwischen nicht-neurologischen Erkrankungen (z. B. Herz- und Lebererkrankungen) und der Entstehung von Alzheimer im Alterungsprozess in verschiedenen Mausmodellen und Zellen aufklären. „Dabei konzentrieren wir uns auf die Lifestyle-Erkrankung Adipositas als Risikofaktor sowie auf die molekularen Mechanismen, die der Entwicklung von Folgekrankheiten zugrunde liegen. Wir erwarten, dass die Ergebnisse auf den Menschen übertragbar sind und die Prophylaxe und Therapie von Alzheimer und metabolischen Erkrankungen positiv beeinflussen werden“, sagt Christine von Arnim.

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Engagement in der Demenzforschung

Christine von Arnim engagiert sich intensiv in der Demenzforschung. Sie betont die Bedeutung der Früherkennung und Diagnostik von Demenzerkrankungen, um rechtzeitig therapeutische Maßnahmen ergreifen und Hilfsmöglichkeiten anbieten zu können. Sie referiert regelmäßig zum Thema „Demenz: Leben mit der Alzheimer-Krankheit“ im Rahmen der öffentlichen Vortragsreihe „Herztöne“ des Herzzentrums Göttingen.

Sie ist Mitglied in mehreren Beiräten und begutachtet in internationalen Fachzeitschriften. Als Clinician Scientist wirkt sie nicht nur in Komitees zu Behandlungsleitlinien mit, sondern forscht auch an Krankheitsmechanismen und charakterisiert Biomarker für neue diagnostische und therapeutische Ansätze.

Forschungsprojekte und Erkenntnisse zur Alzheimer-Krankheit

Ein von ihr geleitetes Forschungsprojekt beschäftigte sich mit der Rolle von Transportprozessen bei der Entstehung der Alzheimer-Krankheit. Im Fokus stand die Untersuchung von Sortierproteinen, insbesondere der GGA-Proteine, beim Transport von Amyloid-Vorläufer-Protein (APP). Die Ergebnisse zeigten, dass alle drei GGA-Proteine in Gehirnen von Alzheimer-Patienten vorkommen und die Spaltprodukte von APP beeinflussen.

In Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern der Universität Bonn und der japanischen Gunma University School of Health Sciences konnte ihre Forschungsgruppe zeigen, dass durch die Einlagerung modifizierter Amyloid-Proteine die Verklumpungsneigung löslicher und unlöslicher Beta-Amyloid-Peptide verstärkt wird. Dies führt zu komplexeren Strukturen, die den Neuronen immer stärker zusetzen. Die Forscher entwickelten ein hierarchisches Krankheitsmodell mit drei biochemischen Stadien, das den Zusammenhang zwischen der Ausprägung der klinischen Symptomatik und der Reifung der Beta-Amyloid-Strukturen verdeutlicht.

Gedächtnisambulanzen als zentrale Anlaufstellen

Christine von Arnim betont die Bedeutung von Gedächtnisambulanzen für die Früherkennung und Diagnostik der Alzheimer-Krankheit. Diese Einrichtungen verfügen über die erforderliche personelle und apparative Ausstattung, um eine umfassende klinische, neuropsychologische und biomarkerbasierte Untersuchung durchzuführen. Sie bieten zudem Beratungen für Betroffene und Angehörige an und sind gut mit den Zuweisern vernetzt.

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Vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen in Diagnostik und Therapie der Alzheimer-Krankheit wurde das Deutsche Netzwerk Gedächtnisambulanzen (DNG) gegründet. Das DNG will Standards für die Gedächtnisambulanzarbeit definieren, diese harmonisieren, Fortbildungen durchführen und Nachwuchs gewinnen.

Ausblick: Neue Therapieansätze und Herausforderungen

Christine von Arnim sieht vielversprechende Entwicklungen in der Behandlung der Alzheimer-Krankheit. Insbesondere die Entwicklung von Antikörpern, die auf die Reduktion von Amyloid abzielen, könnte in Zukunft neue Therapieansätze ermöglichen. Sie betont jedoch, dass eine frühe Diagnostik mit Biomarkern die Voraussetzung für die Behandlung mit diesen neuen Therapien sein wird.

Die Zulassung des ersten Amyloid-reduzierenden Antikörpers auch in Europa wird in naher Zukunft erwartet. Dies stellt die hiesige medizinische Versorgung vor neue Herausforderungen: Es gilt, Kenntnisse und Kompetenzen in Bezug auf die biomarkergestützte Früherkennung der Alzheimer-Krankheit und der Vorstadien in die Versorgung zu bringen. Ferner müssen Konzepte entwickelt werden, um die absehbar hierzulande verfügbaren Therapien rechtzeitig und mit dem erforderlichen Monitoring den Betroffenen geben zu können.

Die Frühdiagnostik einer Alzheimer-Krankheit ist allerdings anspruchsvoll, da bei den Symptomen zwischen einer altersnormalen leichten Abnahme der kognitiven Leistung und einer objektiven Störung unterschieden werden muss. Hierfür ist in der Frühphase neben der Anamnese häufig eine differenzierte kognitive Testung erforderlich. Die Bestimmung von Biomarkern im Liquor oder mittels PET ist in der Durchführung und Befundinterpretation spezialisierten Einrichtungen vorbehalten. Zukünftige Blutmarker werden den Zugang erleichtern, bedürfen aber einer hohen Kompetenz bei der Interpretation und werden vermutlich zumindest in der Implementierungsphase, insbesondere bei Indikationsstellung für eine Antikörpertherapie, eine Bestätigung durch Liquor oder PET erfordern. Jenseits der Diagnostik ist auch das Therapiemonitoring anspruchsvoll. Die Interpretation von Veränderungen (Amyloid Related Imaging Abnormalities, ARIA) in der Magnetresonanztomografie (MRT), die bei der Anti-Amyloid-Therapie auftreten können, erfordert Expertise, da Behandlungsentscheidungen hiervon abhängen.

Fotoausstellung „Young at Heart“

Die Antrittsvorlesung von Christine von Arnim wurde von der Eröffnung der Fotoausstellung „Young at Heart“ des Fotografen Karsten Thormaehlen und des Steidl-Verlags begleitet. Die Ausstellung verbindet Medizin und Fotografie auf spannende Weise, zeigt ältere und uralte Menschen und lässt die Betrachtenden an ihren Lebensgeschichten teilhaben.

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