Das verliebte Gehirn: Eine wissenschaftliche Analyse

Wenn die Liebe ins Spiel kommt, ändert sich alles. Plötzlich dreht sich das Leben nur noch um den Partner oder die Partnerin. Doch warum ist das so? Warum lassen wir alles andere links liegen, wenn wir verliebt sind? Forschungsteams versuchen seit Jahrzehnten, dieses Phänomen zu entschlüsseln. Die Wissenschaft hat das Gehirn als den eigentlichen Ort des romantischen Geschehens ausgemacht.

Die rosarote Brille: Idealisiert und blind vor Liebe

Liebe macht sprichwörtlich blind. Insbesondere frisch Verliebte neigen dazu, den geliebten Menschen auf ein Podest zu stellen: Er wird idealisiert, alle Gedanken kreisen um ihn, man möchte ihm körperlich nah sein und seine Wünsche und Bedürfnisse erfüllen. Diese Phase ist von einer gesteigerten Aktivität im Behavioral Activation System (BAS) geprägt.

Das Behavioral Activation System (BAS) und die Liebe

Das BAS bewirkt, dass wir positive Reize verstärkt wahrnehmen, uns mehr für sie interessieren, neugieriger sind und selbstbewusster handeln. Könnte eine geliebte Person ein solcher positiver Reiz sein, der das typische Verhalten von Verliebten mit auslöst? Adam Bode und Phillip Kavanagh von der Australien National University in Canberra und der University of Canberra untersuchten in einer Studie 1556 junge Erwachsene, die sich selbst als „verliebt“ bezeichneten. Sie erfragten, was diese für ihren Partner bereit wären zu tun und welche Gefühle der Partner in ihnen hervorruft. Die Ergebnisse zeigten einen Zusammenhang zwischen BAS und Verliebtsein: Das BAS reagiert auf Reize in Bezug auf die geliebte Person.

Hormone im Liebesrausch: Dopamin und Oxytocin

"Dass wir geliebten Menschen eine besondere Bedeutung zukommen lassen, liegt am Zusammenspiel der Hormone Oxytocin und Dopamin, die unser Gehirn freisetzt, wenn wir verliebt sind", erläuterte Kavanagh. "Im BAS sorgen diese Hormone dafür, dass soziale Reize - wie etwa der oder die Geliebte - stärker wahrgenommen werden." Dopamin, oft als "Glückshormon" bezeichnet, spielt eine wichtige Rolle bei Belohnung, Euphorie und Sucht. Oxytocin hingegen fördert Vertrauen, bestimmt, wen wir attraktiv finden, und stärkt die langfristige Paarbindung und Treue.

Liebe als Droge oder Zwangsstörung?

"Ein heftig verliebtes Gehirn ist einem besonderen neurochemischen Cocktail ausgesetzt. Der Zustand ist ein wenig wie unter Drogeneinwirkung", erklärte Christian Weiss, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. "Diese Veränderung im Botenstoff- und Hormonhaushalt kann auch mit risikobereiterem Verhalten einhergehen." Paartherapeut Eric Hegmann bestätigt dies: "Aus der Hirnforschung wissen wir, dass das Belohnungssystem von Liebenden vergleichbare Reaktionen zeigt wie beim Konsum."

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Verliebtsein weist sogar Parallelen zu einer Zwangsstörung auf. "In bestimmten Hirnregionen kann man sowohl bei Verliebten als auch bei Menschen mit einer Zwangsstörung erhöhte Aktivitätsmuster beobachten. Diese Bereiche sind Teil des Belohnungssystems und werden mit Gefühlen der Euphorie und Motivation verbunden", erklärt Christian Weiss.

Die Neurobiologie der Liebe: Ein tieferer Einblick

Semir Zeki vom University College London und Andreas Bartels vom Max-Planck-Institut für Biologische Kybernetik in Tübingen leisteten Pionierarbeit auf diesem Gebiet. Sie untersuchten per funktioneller Magnetresonanztomografie das Gehirn von Probanden, denen sie Bilder ihrer Partner und von Freunden zeigten. Beim Anblick des geliebten Menschen sprang vor allem das limbische Belohnungssystem an, während Areale für rationale Entscheidungen und soziale Einschätzung ihre Aktivität reduzierten.

Stephanie Cacioppo von der Universität Genf trug 2012 die Erkenntnisse der Hirnforschung zur romantischen Liebe zusammen. Leidenschaftliche Liebe entfacht Hirnareale, die mit Euphorie, Belohnung und Motivation in Verbindung gebracht werden. Jim Pfaus von der Concordia University formuliert es so: „Liebe ist eigentlich eine Gewohnheit, die sich aus sexuellem Begehren ergibt, da Begehren belohnt wird. Es funktioniert in der gleichen Weise im Gehirn, wie wenn Menschen von Drogen abhängig werden."

Hormone im Wandel: Von Dopamin zu Oxytocin

In der frühen Phase der Liebe spielt Dopamin eine große Rolle. Während der Dopaminspiegel im Rausch der Gefühle zunimmt, nimmt der Serotoninspiegel ab, ähnlich wie bei Menschen mit einer Zwangsstörung. Nach den stürmischen Monaten einer neuen Liebe gelangen Paare allmählich in ruhigere Gefilde, in denen das Hormon Oxytocin eine größere Rolle spielt.

Die evolutionäre Perspektive: Ein Trick der Natur?

Evolutionspsychologen sehen in der Liebe einen Trick der Evolution, um das menschliche Überleben zu sichern. Als das Gehirn im Laufe der Entwicklungsgeschichte immer größer wurde, war der Nachwuchs immer länger auf die Pflege seiner Eltern angewiesen. Liebe und Paarbeziehung sind demnach praktische Einrichtungen der Evolution, damit beide Eltern die Sprösslinge für eine lange Zeit unter ihre Fittiche nehmen.

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Kritik an der reduktionistischen Sichtweise

Allerdings finden solche Erklärungsmuster immer wieder Kritiker. Biopsychologin Beate Ditzen von der Universität Zürich äußert Skepsis gegenüber evolutionspsychologischen Ansätzen, da man nur die biologische und psychologische Situation untersuchen könne, wie sie heute ist.

Liebe ist mehr als nur Chemie: Psychologische Modelle

Liebe ist ein sehr komplexes Phänomen mit vielen Facetten. Der Psychologe Robert Sternberg betont in seiner Dreieckstheorie der Liebe neben emotionalen und motivationalen Aspekten auch einen kognitiven Aspekt: die rationale Entscheidung, jemanden zu lieben und eine Bindung mit ihm einzugehen.

Die Rolle des Geruchssinns und andere kuriose Phänomene

Der menschliche Geruchssinn spielt eine entscheidende Rolle bei der Partnerwahl. Forschungen zeigen, dass unser Körpergeruch durch das Immunsystem (MHC-Komplex) beeinflusst wird. Ein weiteres kurioses Phänomen ist die sogenannte Honeymoon-Rhinitis, bei der es während sexueller Erregung oder Geschlechtsverkehr zu einer verstopften oder laufenden Nase kommt.

Sprichwörter und ihre wissenschaftliche Grundlage

Viele bekannte Sprichwörter haben eine erstaunlich fundierte wissenschaftliche Grundlage. Frisch Verliebte haben oft wenig Appetit, was an erhöhten Phenylethylamin-Spiegeln liegt, die als natürlicher Appetitzügler wirken.

Die Sehnsucht nach Liebe: Eine Frage des Dopamins?

Forschende haben herausgefunden, dass der Hirnbotenstoff Dopamin eine entscheidende Rolle bei der Erzeugung leidenschaftlichen Begehrens spielt und somit Paarbeziehungen stabilisiert. Der Partnerkontakt flutet das Belohnungszentrum mit Dopamin und sorgt so für das motivierende Glücksgefühl der Liebe.

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Die Halbwertszeit der Verliebtheit: Was kommt danach?

Die stürmische Phase der Verliebtheit dauert in der Regel nur wenige Wochen oder Monate. Danach gelangen Paare in ruhigere Gefilde, in denen das Hormon Oxytocin eine größere Rolle spielt. Doch mit dem Wechsel von leidenschaftlichen Begegnungen zu vertrauter Zweisamkeit kommen viele Menschen oft nicht klar.

Die Liebe in Zeiten der Hirnforschung: Optimierung oder Entzauberung?

Manche Experten glauben, dass die Erkenntnisse der Hirnforschung dazu beitragen könnten, die Qualität von Beziehungen zu optimieren. Der Bioethiker Julian Savulescu von der University of Oxford schlägt vor, biologische Hilfsmittel einzusetzen, um den Partner stärker an sich zu binden oder der Lust auf die Sprünge zu helfen.

Die Soziologin Eva Illouz hält die Entschlüsselung der Liebe, ihre Reduktion auf evolutionäre Notwendigkeit und Hirnchemie für einen fatalen Fehler. Sie vergleicht die Liebe mit religiösem Glauben: Jemanden zu lieben bedeute, an etwas zu glauben, das dieser Mensch repräsentiere.

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