Polyneuropathie, eine Erkrankung des peripheren Nervensystems, manifestiert sich durch vielfältige Symptome wie Taubheitsgefühle, Schmerzen, Muskelschwäche und Gangunsicherheit. Physiotherapie spielt eine zentrale Rolle bei der Linderung dieser Beschwerden und der Verbesserung der Lebensqualität der Betroffenen. Dieser Artikel beleuchtet die Bedeutung der Physiotherapie bei Polyneuropathie, die verschiedenen Behandlungsansätze und Übungen sowie die Möglichkeiten einer langfristigen Verordnung.
Einführung in die Polyneuropathie und ihre Behandlung
Polyneuropathie betrifft viele Menschen, oft als Folge von Diabetes, Chemotherapie oder anderen Grunderkrankungen. Die Erkrankung ist durch Schädigungen der peripheren Nerven gekennzeichnet, was zu Sensibilitäts- und Bewegungsstörungen führt. Obwohl Polyneuropathien nicht heilbar sind, können sie mit einer guten Behandlung unter Kontrolle gehalten werden. Eine Ausnahme bildet das GBS-Syndrom, das sich nach erfolgreicher Behandlung wieder zurückbilden kann, wobei jedoch Restdefizite möglich sind.
Die Behandlung von Polyneuropathie zielt primär auf die Schmerzreduktion und die Behandlung der Grunderkrankung ab. Ergänzend dazu spielen physiotherapeutische Maßnahmen eine entscheidende Rolle, um die Symptome zu lindern und die Funktionalität zu verbessern.
Die Rolle der Physiotherapie bei Polyneuropathie
Bei verschiedenen Formen von Polyneuropathie können die Beschwerden mit Krankengymnastik gelindert werden. Die Betroffenen werden weniger schmerzempfindlich. Die Behandlung erfolgt symptomatisch, abhängig vom Beschwerdebild. Physiotherapie bietet gezielte Übungen, um Nervenschäden entgegenzuwirken, die Balance zu verbessern und die Lebensqualität zu steigern. Gezielte Bewegungsübungen, Muskelkräftigung, Gleichgewichtstraining und die Förderung der Durchblutung sind zentrale Elemente der Therapie.
Positive Auswirkungen von Bewegung
Bewegung hat verschiedene positive Auswirkungen bei Polyneuropathie:
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- Verringerung von Taubheit in Händen und Füßen
- Reduzierung von Gangunsicherheit und Sturzrisiko
- Verbesserung von Fitness und Wohlbefinden
- Verbesserung der Herzfunktion
Regelmäßige Bewegung kurbelt den Stoffwechsel an und kann geschädigte Nerven stimulieren. Die medizinische Trainingstherapie (MTT) umfasst ein strukturiertes Programm spezifischer Übungen, um die Balance zu verbessern und die Muskulatur zu kräftigen. Da das Schmerzempfinden von Patienten mit Polyneuropathie häufig gestört ist, sollte der Physiotherapeut darauf achten, dass sich der Patient bei der Krankengymnastik nicht verletzt.
Bewegungstherapie: Individuelle Anpassung und Progression
Bei der Bewegungstherapie ist es wichtig, den geeigneten Schwierigkeitsgrad für den Patienten herauszufinden. Der Patient kann dafür dem Arzt oder Physiotherapeuten seine Krankengeschichte erzählen. Nach einem Gleichgewichtstest können Haltungen und Bewegungen ausprobiert werden, die zu Beginn einfach sind. Der Schwierigkeitsgrad wird langsam gesteigert. Der Patient sollte den Schwierigkeitsgrad gerade noch schaffen. Zu einfache Übungen sind selten von Nutzen, während zu schwere Übungen den Patienten überlasten. Auch schwache Patienten können im Beisein des Therapeuten verschiedene Übungen absolvieren.
Übungen zur Verbesserung von Balance und Gangsicherheit
Mit einem Balance-Pad und einem Bewegungsball können Sie bei Polyneuropathie die Balance und die Gangsicherheit verbessern. Es reicht aus, wenn Sie jede Übung etwa zwei Minuten lang absolvieren. Verschiedene dieser Übungen lassen sich gut in den Alltag einbauen. Um nicht zu stürzen, sollten Sie zwischen einem Tisch und einem Stuhl trainieren. Gleichgewicht, Körperwahrnehmung und Symptome verbessern sich, je häufiger Sie die Übungen ausführen. Beim Gleichgewichtstraining werden nicht die Muskeln, sondern die Nerven trainiert. Auch wenn das Gleichgewichtstraining täglich nur wenige Minuten erfordert, sind die ersten kleinen Erfolge bereits während des Trainings sichtbar.
Spezifische Übungen für verschiedene Körperbereiche
- Für die Füße: Ihre Füße trainieren Sie, indem Sie barfuß auf verschiedenen Oberflächen gehen. Mit Ihren Füßen können Sie eine am Boden liegende Zeitung greifen und zerreißen. Beim Stehen in aufrechter Haltung sollten Sie Ihre Zehenspitzen 10 Sekunden lang in den Boden drücken, ohne sie einzukrallen.
- Für die Beine: Beim Stehen auf einem Bein halten Sie 20 Sekunden lang die Balance.
- Für die Hände: Einen kleinen Gymnastikball rollen Sie über Hand und Unterarm.
Weitere geeignete Übungen
Bei einer Polyneuropathie können Sie mit verschiedenen Übungen die Koordination verbessern. Das gelingt mit zwei Tennisbällen, die Sie mit beiden Händen in die Luft werfen und dann wieder auffangen. Zur Kräftigung der Beine halten Sie sich im aufrechten Stand an einem Stuhl fest, heben die Fersen, halten kurz die Position und senken die Fersen wieder ab.
Übungen für einen sicheren Gang
Einen sicheren Gang können Sie trainieren, indem Sie bewusst im Zeitlupentempo 30 Sekunden lang gehen. Bei den einzelnen Schritten halten Sie das Gleichgewicht. Zur Sicherheit sollte sich immer ein Tisch oder ein Stuhl in Ihrer Nähe befinden. Den Schwierigkeitsgrad steigern Sie, indem Sie beim Gehen im Zeitlupentempo die Knie hochziehen oder auf Zehenspitzen gehen. Auch hier halten Sie bei den Schritten das Gleichgewicht. Sie sollten immer nach 30 Sekunden eine Pause einlegen. Trainieren Sie länger als 30 Sekunden am Stück, ist das Nervensystem überfordert. Ein besseres Gangbild können Sie mit Übungen an einer Treppe erzielen. Dazu halten Sie sich am Geländer fest und versuchen, mit einem Bein so viele Stufen wie möglich zu nehmen. Die Übung wiederholen Sie mit dem anderen Bein.
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Verbesserung der allgemeinen Fitness
Zur Verbesserung der allgemeinen Fitness können Sie mit einem Ergometer trainieren.
Medikamentöse und andere Behandlungsansätze
Die Behandlung von Polyneuropathien umfasst neben der Physiotherapie auch medikamentöse Ansätze zur Schmerzreduktion und zur Behandlung der Grunderkrankung.
Medikamentöse Therapie
Zur Schmerzreduktion werden häufig Antidepressiva (z.B. Amitriptylin) und Epilepsie-Medikamente (Antiepileptika, Antikonvulsiva) eingesetzt. Topische Verfahren wie Capsaicinpflaster können ebenfalls zur Linderung beitragen. In Ausnahmefällen können auch Cannabis-Präparate verordnet werden, wobei die Krankenkasse diese Therapie in jedem Einzelfall genehmigen muss.
Ergänzende Maßnahmen
In manchen Fällen werden frei verkäufliche Medikamente oder Nahrungsergänzungen empfohlen, wie z.B. Alpha-Liponsäure (600 mg) bei diabetischer PNP oder Vitamin B12. Die Einnahme von frei verkäuflichen Präparaten sollte jedoch immer mit dem behandelnden Arzt abgesprochen werden und nie ohne ärztliche Begleitung erfolgen.
Langfristige Physiotherapie und Rehabilitation
Physiotherapie wird häufig als sehr hilfreich empfunden. Bei entsprechender Angabe auf dem Rezept durch den Arzt kann eine Langfristverordnung ausgestellt werden. Die Behandlung sollte idealerweise in einer Reha-Einrichtung erfolgen, die auf die Behandlung von Polyneuropathie spezialisiert ist.
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Langfristiger Heilmittelbedarf
Menschen mit schweren funktionellen und/oder strukturellen Schädigungen können dauerhaft auf Heilmittel angewiesen sein (langfristiger Heilmittelbedarf). Welche schweren Schädigungen einen langfristigen Heilmittelbedarf begründen, legt der Gemeinsame Bundesausschuss in einer Diagnoseliste fest. Steht die Erkrankung nicht auf der Liste, kann ein individueller Antrag bei der Krankenkasse gestellt werden. Für die Genehmigung ist maßgeblich, dass die Schädigungen mit denen der Diagnoseliste vergleichbar sind.
Naturheilkundliche Therapieansätze
Neben der konventionellen Medizin gibt es auch naturheilkundliche Therapieansätze, die zur Linderung der Beschwerden beitragen können.
Hydro- und Thermotherapie
Die mildeste Form, um die Durchblutung anzuregen und einen Reiz auf die Nervenrezeptoren auszuüben, ist das Trockenbürsten. Ein Igelball, Sandbäder oder Klopfungen wirken ähnlich. Intensiver sind tägliches Wassertreten nach Kneipp oder kalte Unterschenkelgüsse, die ebenfalls die Durchblutung verbessern. Ansteigende Teilbäder mit allmählich steigenden Temperaturen dienen genauso der Gefäßerweiterung.
Ernährung und Vitamine
Ein Ziel der Ernährungsberatung ist es, extreme Diäten mit einem resultierenden Vitamin- und Mineralmangel zu vermeiden. Sinnvoll ist eine ovolaktovegetabile vollwertige Kost. Dabei werden chronische Entzündungsprozesse auch durch eine Reduktion von tierischen Produkten eingedämmt. Der Blutzucker sollte durch Ernährung und Bewegung so gut wie möglich eingestellt werden, toxische Einflüsse (Alkohol) sind zu meiden.
Häufig besteht bei einer diabetischen Polyneuropathie ein Mangel an Vitamin B1 (Thiamin), weshalb Patienten mit gesicherter Diagnose oft mit Benfotiamin behandelt werden. Nicht nur ein Vitamin-B1-, auch ein Vitamin-B12- oder Folsäuremangel sollten ausgeglichen werden. Ebenso ist die Gabe von Alpha-Liponsäure (ein Koenzym, u. a. mit antioxidativen Effekten) üblich.
Ordnungstherapie
Hierzu gehört allgemein eine individuelle Diskussion über Lebensstilfaktoren wie Rauchen, Bewegungsmangel, Alkoholkonsum etc. Da chronischer Stress auch die Schmerzverarbeitung beeinflusst, können im Einzelfall Entspannungsverfahren, Yoga oder vergleichbare Maßnahmen indiziert sein. Akupunktur ist in ähnlicher Weise wirksam.
Phytotherapeutische Präparate
Vorrangig geht es bei der symptomatischen Therapie um eine Beeinflussung der oft quälenden Schmerzen. Die Chronizität erfordert eine Dauerbehandlung, die das Risiko von pharmakologischen Nebenwirkungen erhöht. Jedoch sind auch Phytotherapeutika nicht ohne Nebenwirkungen, was man bei der Therapie beachten sollte. Häufig kommen Teufelskrallen-Präparate zum Einsatz, wobei deren Wirkstärke nicht immer ausreicht.
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