Demenz ist ein fortschreitender Abbau der geistigen Leistungsfähigkeit, der die Betroffenen im Laufe der Jahre immer stärker beeinträchtigt. Psychiater Frank Jessen von der Universität Köln betont, dass Demenz kein einheitliches Krankheitsbild ist, sondern ein Sammelbegriff für verschiedene Ursachen krankhafter Vergesslichkeit. Die Symptome können vielfältig sein, von stiller Zurückgezogenheit bis hin zu Aggressivität und Unruhe. Besonders die sogenannte "Hinlauftendenz", das unkontrollierte Verlassen des Wohnbereichs, stellt Angehörige vor große Herausforderungen.
Problematik der medikamentösen Ruhigstellung
Um die Situation zu entschärfen, werden häufig Neuroleptika verschrieben, die jedoch lediglich die Patienten ruhigstellen, anstatt eine ursächliche Therapie anzubieten. Gesundheitswissenschaftler Gerd Glaeske von der Universität Bremen kritisiert diese Praxis im Demenzreport 2020 als zu weit verbreitet. Ein Drittel aller Alzheimer-Patienten erhält Neuroleptika, im stationären Bereich sogar über die Hälfte. Dies deutet laut Glaeske eher auf eine Ruhigstellung als auf eine Therapie hin.
Der Psychiater Frank Jessen erläutert, dass diese Medikamente oft zu leichtfertig eingesetzt werden. Zwischen 2017 und 2019 erhielt etwa ein Drittel der Betroffenen dauerhaft Wirkstoffe wie Risperidon oder Haldol, die üblicherweise bei Schizophrenie und Psychosen angewendet werden. Seit 2002 ist bekannt, dass diese Arzneimittel bei Alzheimer-Demenz mehr schaden als nutzen. Die längere Vergabe erhöht das Sterberisiko und kann Dyskinesien, parkinsonartige Syndrome, Zitterbewegungen und Unruhe verursachen.
Glaeske kritisiert, dass die weit verbreitete Verordnung dieser Mittel langfristig keine akzeptable Strategie sei. Der Demenzreport zeigt zudem, dass nur etwa 20 Prozent der Patienten spezielle Medikamente gegen Demenz erhalten. Da es derzeit keine Therapie gibt, die Alzheimer heilen oder aufhalten kann, sind alternative Lösungsansätze gefragt.
Prävention und aktivierende Pflegekonzepte
Die Forschung konzentriert sich zunehmend auf die Früherkennung und Prävention. Frank Jessen betont, dass bereits entstandene Schäden im Gehirn nicht mehr rückgängig gemacht werden können. Präventive Maßnahmen wie Bewegung, gesunde Ernährung und ein soziales Umfeld spielen eine wichtige Rolle. Auch frühzeitiges Gedächtnistraining kann das Fortschreiten der Demenz verlangsamen. Experten gehen heute davon aus, dass 40 Prozent des Demenzrisikos veränderbar sind.
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Das St. Anna-Stift Kroge in Niedersachsen setzt auf ein "aktivierendes Pflegekonzept" basierend auf der "Silviahemmet®- Pflegephilosophie", die auf Königin Silvia von Schweden zurückgeht. Ziel ist es, die Lebensqualität der dementen Menschen zu verbessern. Christopher Eckhardt betont, dass das Personal in der Lage sein muss, zwischen Symptomen, die durch Demenz oder das Alter verursacht werden, zu unterscheiden. Durch Ursachenforschung können in vielen Fällen Medikamente reduziert werden.
Da Medikamente und Präventionsprogramme keine Allheilmittel sind, stellen aktivierende Pflegekonzepte wie im St. Anna Stift eine wichtige Zukunftsperspektive in der Versorgung von Demenzkranken dar.
Umgang mit Verhaltensauffälligkeiten
Frau Dr. Kohl erklärt, dass Angehörige von Menschen mit Demenz oft weniger unter der Vergesslichkeit als unter Verhaltensauffälligkeiten wie nächtlicher Unruhe oder dem Drang, die Wohnung zu verlassen, leiden. Beruhigungsmittel können in solchen Fällen vorübergehend notwendig und hilfreich sein, insbesondere bei Symptomen wie Ängsten, Unruhe, Aggressionen, Schlafstörungen oder Halluzinationen. Antipsychotika werden häufig aufgrund ihrer beruhigenden Wirkung eingesetzt, was jedoch nur eine vorübergehende Lösung sein sollte.
Die dauerhafte Gabe von Antipsychotika ist problematisch, da sie viele Nebenwirkungen haben können, insbesondere bei älteren Menschen mit Demenz. Sie können Schwindel, niedrigen Blutdruck und Bewegungsstörungen verursachen und die Sturzgefahr erhöhen. Zudem können sie die geistigen Fähigkeiten beeinträchtigen. Studien zeigen, dass dennoch rund 40 Prozent der Demenzkranken in Deutschland diese Medikamente erhalten.
Dr. Kohl sieht die Ursache darin, dass zu wenig Wert auf nicht-medikamentöse Maßnahmen wie körperliche Aktivierung, Beschäftigungstherapie oder Entspannungsverfahren gelegt wird. Sie betont die Bedeutung eines verantwortungsvollen Umgangs mit Antipsychotika und verweist auf das Projekt "Decide", das den Einsatz von Beruhigungsmitteln reduzieren möchte. Angehörige sollten sich den Medikationsplan ansehen und das Gespräch mit dem behandelnden Arzt suchen, um die Notwendigkeit der Medikamente, die Behandlungsziele und mögliche Nebenwirkungen zu besprechen.
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Alternative Therapieansätze
Anstelle von Medikamenten können psychosoziale Maßnahmen wie Beschäftigungstherapie oder Bewegungsangebote hilfreich sein. Wichtig ist, dass sich jemand Zeit für den Menschen mit Demenz nimmt und sich auf ihn einlässt. Auch Hilfen von außen, wie ehrenamtliche Helfer, Alzheimer Gesellschaften oder Tagespflegeeinrichtungen, können Angehörige entlasten. Ein strukturierter Tagesablauf mit regelmäßigen Aktivitäten kann das Risiko von Verhaltenssymptomen senken. Zudem sollte man körperliche Beschwerden als Ursache für Unruhe und Aggressionen ausschließen.
Homöopathie und chinesische Medizin als ergänzende Therapieansätze
Ein Anliegen von Therapeuten, Ärzten und Heilpraktikern sollte es sein, nach therapeutischen Alternativen zu suchen, um Patienten möglichst lange frei, mobil und autonom zu halten. Die Homöopathie kann hierbei effektiv und ohne Nebenwirkungen helfen, insbesondere in akuten und degenerativen Prozessen.
Ein großes Problem stellt die Multimedikation und unerwünschte Arzneiwirkungen dar. Bei älteren Menschen mit Demenz, Alzheimer, Herz-Kreislauferkrankungen, Hypercholesterinämie und Augenleiden findet sich häufig eine Erhöhung des Homocysteinspiegels im Blut. Studien haben gezeigt, dass Homocystein den Zelluntergang im Gehirn beschleunigen kann. Daher sollte der Homocysteinspiegel kontrolliert und bei Bedarf Vitamin B Komplexe verordnet werden.
Gerade Betroffene, die an einer Demenz-Erkrankung leiden, empfinden in ihrem Umfeld Tag für Tag immer wieder vieles neu und beunruhigend. Besonders wichtig ist die Integration der Angehörigen, die den Schlüssel für die homöopathische Einschätzung darstellen und ebenfalls Zuwendung, Halt und Zuspruch verdienen. Ziel sollte es sein, die Alltagsfähigkeit zu verbessern und die Autonomie zu fördern. Das richtige homöopathische Mittel wird individuell für jeden Patienten ausgearbeitet, wobei symptomatisch behandelt wird, da die Symptome bei einer Alzheimer-Demenz fast täglich wechseln können.
Auch die chinesische Medizin bietet vielversprechende Ansätze zur Behandlung der Demenz. Aus chinesischer Sicht hängen Gehirn und Gehirnleistung von der Ernährung durch die Niere bzw. die Nieren-Essenz ab. Die Versorgung mit Essenz, die durch das Nieren-Qi in das Gehirn transportiert wird, bildet die Grundlage für die Hirnleistung und das „klare Bewusstsein“. Erschöpfung von Niere und Milz sind Risikofaktoren für das Entstehen einer Demenz.
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Die bei der Alzheimer-Demenz auftretenden Depressionen, Aggression und Reizbarkeit können auf eine Mitbeteiligung der Leber oder „Schleim-Hitze im Herzen“ hindeuten. Die Therapie sollte daher auch das Herz ansprechen und stärken, insbesondere das Herz-Blut. Essentiell ist die Aktivierung der Blut- und Qi-Zirkulation. Bei der Altersdemenz steht das Nähren der Nieren-Essenz sowie die Stärkung des Nieren-Qi im Vordergrund, daneben das Nähren von Milz und Herz.
Chinesische Phytotherapeutika werden in Asien verstärkt zur Therapie der Demenz eingesetzt. Studien untersuchen sowohl Einzeldrogen als auch Standardrezepturen, insbesondere das Qi fu Yin von Zhang Jiebin, das zur „Stärkung des Nieren-Wassers und des Yin gegen aufloderndes Feuer“ eingesetzt wird. Eine Studie mit 697 Patienten zeigte eine klare Verbesserung der Lernkapazität und des Gedächtnisses bei Alzheimer und vaskulärer Demenz. Auch die Gastrodiae Rhizoma (tianma) wird als neuroprotektives Mittel untersucht.
Die chinesische Phytotherapie scheint eine sinnvolle Ergänzung zur schulmedizinischen Medikation innerhalb der Demenzbehandlung zu sein. Es bedarf jedoch weiterer Studien, um definitive Aussagen zur Wirksamkeit der Drogen machen zu können.
Förderung komplementärmedizinischer Ansätze
Die Carstens-Stiftung fördert innovative Lösungsansätze, die komplementärmedizinische Ansätze für eine integrative Behandlung nutzen. Das Projekt "BrainFit-Nutrition" verbindet computergestütztes kognitives Training mit einer pflanzenbasierten Ernährung, die sich positiv auf kognitive Funktionen auswirken soll. Im Projekt "AroMaDem" werden Aromamassagen als komplementärmedizinische Therapie bei verhaltensbezogenen und psychologischen Begleitsymptomen (BPSD) eingesetzt.
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