Alkohol und Demenz: Eine Neubewertung des Risikos

Frühere Studien deuteten darauf hin, dass leichter Alkoholkonsum gesundheitliche Vorteile haben könnte, doch aktuelle Forschungsergebnisse zeigen, dass selbst geringe Mengen Alkohol das Demenzrisiko erhöhen können.

Die scheinbare Schutzwirkung von leichtem Alkoholkonsum

Ältere Forschungsarbeiten haben leichten Alkoholkonsum mit einem geringeren Demenzrisiko in Verbindung gebracht. Diese Annahme wird jedoch durch aktuelle Erkenntnisse, die auf bildgebenden Verfahren basieren, in Frage gestellt. Eine Forschungsgruppe aus dem Vereinigten Königreich und den USA unter der Leitung von Anya Topiwala hat diesen scheinbaren Widerspruch in einer aktuellen Analyse näher beleuchtet.

Studiendesign: Kombination von Beobachtungsdaten und Gen-Analyse

Um den Zusammenhang zwischen Alkoholkonsum und Demenz umfassend zu untersuchen, kombinierte das Forschungsteam zwei Ansätze:

  1. Analyse von Kohortenstudien: Die Forschenden zogen Daten aus zwei großen Kohortenstudien aus den USA und dem Vereinigten Königreich heran. Diese Studien enthielten Informationen von mehr als einer halben Million Menschen, die über Jahre hinweg begleitet wurden.
  2. Genetische Analyse: Zusätzlich führten die Forschenden eine umfassende genetische Analyse durch. Sie konzentrierten sich auf bekannte Genvarianten, die mit unterschiedlichen Ausprägungen des Alkoholkonsums zusammenhängen, und verknüpften diese mit dem Auftreten von Demenz. Die genetischen Informationen basierten auf Datenbanken, in denen die Daten von rund 2,4 Millionen Menschen eingeflossen sind. Laut den Forschenden handelte es sich dabei um die bislang umfangreichste Untersuchung zum Zusammenhang zwischen Alkoholkonsum und Demenz.

Ergebnisse der Analyse

Die Analyse der Kohortenstudien bestätigte zunächst, dass Menschen, die wenig Alkohol trinken, ein niedrigeres Demenzrisiko aufweisen als Abstinenzler. Die genetische Analyse lieferte jedoch ein anderes Ergebnis. Demnach steigt das Demenzrisiko mit jedem Glas Alkohol. Die Forschenden fanden keinen Hinweis darauf, dass geringer bis moderater Alkoholkonsum mit einem niedrigeren Demenzrisiko verbunden wäre als die Abstinenz.

Mendelsche Randomisierung

Um die kausale Beziehung zwischen Alkoholkonsum und Demenzrisiko zu prüfen, nutzten die Forschenden Mendelsche Randomisierungsanalysen, bei denen genetische Varianten als Instrument dienen. Dabei wurden 64 Single Nucleotide Polymorphism (SNP) ermittelt, die mit dem wöchentlichen Konsum assoziiert waren, 80 SNP mit einem „riskanten“ Trinken und 66 SNP mit einer Alkoholabhängigkeit (AUD). Aus den SNP ließ sich ein genetischer Risikoscore ermitteln, der in allen drei Fällen mit einem erhöhten Demenzrisiko assoziiert war - ohne Hinweis auf eine protektive Wirkung bei einem geringen Konsum oder wenigstens einem Schwellenwert für einen unbedenklichen Konsum.

Lesen Sie auch: Fortgeschrittene Demenz: Ein umfassender Überblick

Erklärung des Widerspruchs: Umgekehrte Kausalität

Die Autorinnen und Autoren fanden auch eine Erklärung für den scheinbaren Widerspruch zwischen den Beobachtungsdaten der Kohortenstudien und der genetischen Analyse. Anhand der Kohortenstudien konnten sie nachvollziehen, dass viele Personen, die an Demenz erkrankten, schon Jahre vor der Diagnose ihren Alkoholkonsum in der Regel reduzierten.

Das bedeutet: Nicht moderater Alkoholkonsum schützt vor Demenz, sondern die sich anbahnende Demenz verleitet Betroffene dazu, ihren Alkoholkonsum zu reduzieren. Die Forschenden sprechen daher auch von einer „reversen“, also umgekehrten Kausalität.

Die Schlussfolgerung: Kein risikofreier Alkoholkonsum

Die Schlussfolgerung von Topiwala und ihrem Team lautet: Es gibt keinen Alkoholkonsum, der das Demenzrisiko senkt. Vielmehr sei die Prävention des Alkoholkonsums ein Hebel, um das Demenzrisiko in der Bevölkerung zu reduzieren. Demnach könnte das Auftreten von Demenzerkrankungen um bis zu 16 Prozent verringert werden, wenn es gelänge, den problematischen Alkoholkonsum in der Bevölkerung deutlich zu reduzieren.

Die Bedeutung der Reduktion von Alkoholgebrauchsstörungen

Die Reduktion von Alkoholgebrauchsstörungen könnte die Demenzrate potenziell um bis zu 16 Prozent senken. Die Ergebnisse liefern Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen allen Formen des Alkoholkonsums und einem erhöhten Demenzrisiko.

Kritik an der Mendelschen Randomisierung

Die Mendelsche Randomisierung ist jedoch nicht unumstritten. Der Emeritus David Spiegelhalter von der University of Cambridge meinte, die Aussage der Autoren, dass „die genetische Analyse ein linear zunehmendes Demenzrisiko mit erhöhter Alkoholaufnahme zeige“, sei falsch. Die Assoziation betreffe allein den genetisch vorhergesagten Alkoholkonsum, der tatsächliche Alkoholkonsum sei nicht Teil dieser Analyse. Und viele der genetischen Vorhersagen würden auf nicht überprüfbaren Annahmen beruhen, so Spiegelhalter.

Lesen Sie auch: Wechselwirkungen zwischen Schmerzmitteln und Demenz

Tara Spires-Jones von der Universität Edinburgh sieht ebenfalls Einschränkungen, da letztlich auch die genetische Analyse auf den Angaben zum Alkoholkonsum beruhen, die nicht immer stimmen müssen.

Weitere Risikofaktoren für Demenz

Neben Alkoholkonsum gibt es weitere Faktoren, die das Demenzrisiko beeinflussen können:

  • Rauchen: Rauchen ist ein bekannter Risikofaktor für Demenz.
  • Diabetes mellitus: Diabetes kann das Risiko für Alzheimer und vaskuläre Demenz erhöhen.
  • Starkes Übergewicht: Übergewicht ist ebenfalls mit einem erhöhten Demenzrisiko verbunden.
  • Regelmäßiger starker Alkoholkonsum: Eine Studie der Sorbonne Universität Paris von 2018 legt nahe, dass regelmäßiger starker Alkoholkonsum ein Risikofaktor für eine früh beginnende Demenz vor dem 65. Lebensjahr ist.

Umgang mit Alkoholkonsum bei Demenz

Der Konsum von Alkohol hat eine negative Wirkung auf die Hirnzellen, verschlechtert die Gedächtnisleistung und kann dazu führen, dass Situationen und Risiken nicht richtig eingeschätzt werden. Darum sollte bei einer vorhandenen Demenz grundsätzlich auf übermäßigen Alkoholkonsum verzichtet werden. Auch ein erhöhter Alkoholkonsum oder gar ein Vollrausch sollten unbedingt vermieden werden. Im Zweifelsfall sollte man auf eine alkoholfreie Alternative zurückgreifen.

Lesen Sie auch: Ursachen und Behandlung von Zittern bei Demenz

tags: #Demenz #Alkohol #Studie