In Deutschland leben etwa 1,5 Millionen Menschen mit Demenz. Der Großteil von ihnen wird zu Hause von ihren Angehörigen betreut und gepflegt. Diese aufopferungsvolle Aufgabe ist jedoch oft mit erheblichen Belastungen verbunden. Hinzu kommt, dass es in der häuslichen Pflege nicht selten zu Gewalt von und gegen die pflegenden Angehörigen kommt. Dieser Artikel beleuchtet die Ursachen für diese Belastung und gibt Empfehlungen, wie Gewalt vorgebeugt werden kann.
Ursachen für die Belastung pflegender Angehöriger
Die Belastungsfaktoren für pflegende Angehörige sind vielfältig. Sie lassen sich in verschiedene Kategorien einteilen:
Pflegebedingte Faktoren
- Körperliche Anstrengung: Tätigkeiten wie Heben, Stützen und Umlagern der pflegebedürftigen Person können zu körperlichen Beschwerden wie Rückenproblemen führen.
- Psychische Belastung: Die ständige Verantwortung, die Sorge um den Zustand des Erkrankten und die Veränderungen in der Persönlichkeit des Betroffenen können psychisch sehr belastend sein.
- Ekel und Scham: Bestimmte Pflegetätigkeiten können Gefühle von Ekel oder Scham auslösen.
- Geistige Einschränkungen der pflegebedürftigen Person: Besonders belastend sind die mit der Demenz einhergehenden Veränderungen der Beziehung und die kognitiven Einschränkungen des Betroffenen.
Auswirkungen auf das eigene Leben
- Schlafmangel: Viele pflegende Angehörige leiden unter Schlafmangel, da sie auch nachts für den Erkrankten da sein müssen.
- Mangelnde Freizeit: Die Pflege nimmt viel Zeit in Anspruch, sodass kaum noch Zeit für eigene Interessen und soziale Kontakte bleibt.
- Vereinbarkeit von Pflege, Beruf und Familie: Viele Angehörige müssen die Pflege mit ihrem Beruf und ihrer Familie vereinbaren, was zu zusätzlichem Stress führt.
- Finanzielle Probleme und Zukunftsängste: Die Pflege kann zu finanziellen Problemen führen, insbesondere wenn die Erwerbstätigkeit eingeschränkt oder aufgegeben werden muss.
Individuelle Faktoren
- Beziehung zur pflegebedürftigen Person: Eine schwierige Beziehung kann die Pflege zusätzlich belasten.
- Einstellung zur Pflegeaufgabe: Eine positive Einstellung kann die Belastung reduzieren.
- Körperliches Wohlbefinden: Pflegepersonen, die sich körperlich gut fühlen, nehmen sich selbst als weniger gestresst wahr.
- Unterstützung: Wie gut sich pflegende Angehörige unterstützt fühlen, hat ebenfalls Einfluss auf das Belastungsempfinden.
- Pflegedauer und -umfang: Je länger und umfangreicher die Pflege ist, desto höher ist die Belastung.
- Geschlecht: Frauen fühlen sich tendenziell stärker belastet als Männer, da der größte Anteil der informellen Pflege von Frauen erbracht wird.
- Wohnsituation: Pflegende Angehörige, die mit der pflegebedürftigen Person in einem Haushalt leben, berichten häufiger von stärkeren Belastungen.
Es ist wichtig zu beachten, dass die Pflege eines Angehörigen auch positive Auswirkungen haben kann. So kann die Pflegetätigkeit das Verhältnis zur pflegebedürftigen Person verbessern und das Gefühl, den Erkrankten zu Hause gut versorgt zu wissen, kann Kraft geben.
Folgen der Belastung
Die Belastung durch die Pflege kann verschiedene negative Folgen haben:
- Körperliche Beschwerden: Muskelverspannungen, Rückenschmerzen, Schlafstörungen.
- Psychische Probleme: Niedergeschlagenheit, Wut, Erschöpfung, Depressionen.
- Soziale Isolation: Zu wenig Zeit für sich und gemeinsame Aktivitäten mit anderen.
- Erhöhtes Risiko für die Einnahme von Schlaf- und Beruhigungsmitteln.
Gewalt in der Pflege: Ein Tabuthema
Ein besonders besorgniserregendes Thema ist die Gewalt in der häuslichen Pflege. Studien zeigen, dass ein erheblicher Teil der pflegenden Angehörigen selbst Gewalt erlebt oder ausübt.
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Gewalt gegen pflegende Angehörige
Die Hälfte aller pflegenden Angehörigen hat bereits Gewalt von ihren zu pflegenden Familienmitgliedern erlebt. Besonders stark betroffen sind Angehörige von Menschen mit Demenz. Die Gewalt kann sich in Form von Beleidigungen, Schlägen oder Spucken äußern. Viele Verhaltensweisen von Menschen mit Demenz haben ihre Ursache in der Krankheit selbst. So können bestimmte Fähigkeiten wie zum Beispiel ein Butterbrot schmieren von einem auf den anderen Tag verschwinden - und am nächsten Tag wieder da sein. Manchmal wird das von Pflegepersonen als Absicht oder Schikane wahrgenommen und ein Streit beginnt. Doch solche Verhaltensweisen haben ihre Ursache in der Durchblutung des Gehirns. Auch Reizüberflutung, Infektionen oder Schmerzen können der Auslöser für bestimmte Verhaltensweisen sein. Menschen mit Demenz äußern ihre innere Situation über ihr Verhalten, da ihnen oft die Worte dafür fehlen.
Gewalt durch pflegende Angehörige
Über ein Drittel der pflegenden Angehörigen hat selbst absichtlich Gewalt gegen die zu pflegende Person ausgeübt. Dies kann verschiedene Ursachen haben, wie z.B. Überlastung, Frustration oder mangelndes Wissen über den Umgang mit Demenz.
Empfehlungen zur Gewaltprävention
Das beste Mittel gegen Gewalt in der häuslichen Pflege ist es, Situationen zu vermeiden, die in gewalttätigen Handlungen enden können. Da jedoch jeder Mensch und jede Situation anders sind, gibt es keine allgemeingültige Lösung. Die folgenden Tipps können jedoch helfen, Gewalt vorzubeugen:
Vorbeugende Maßnahmen
- Wissensvermittlung: Informieren Sie sich umfassend über die Erkrankung Demenz und ihre Auswirkungen. Dies hilft, das Verhalten des Erkrankten besser zu verstehen und angemessen darauf zu reagieren.
- Empathie: Versetzen Sie sich in die Lage des Erkrankten und versuchen Sie, seine Gefühle und Bedürfnisse zu verstehen.
- Biografiearbeit: Beschäftigen Sie sich mit der Biografie des Erkrankten, um seine Verhaltensweisen besser einordnen zu können. Oft fallen Menschen mit Demenz in Situationen aus ihren früheren Leben zurück. Um das zu erkennen oder gut darauf einzugehen, braucht es neben einer genauen Betrachtung der Situation auch viel Wissen zur Biografie und den früheren Charakterzügen.
- Kommunikation: Achten Sie auf eine ruhige und verständliche Kommunikation. Vermeiden Sie Stress und Hektik.
- Flexibilität: Seien Sie bereit, von Routinen und Abläufen abzuweichen, wenn es die Situation erfordert. Manchmal ist es besser als pflegende Person nachzugeben und nicht auf bestimmte Tätigkeiten oder Abläufe zu bestehen. Dann muss vielleicht der Schlafanzug am Morgen nicht ausgezogen oder das Mittagessen kann auf den Nachmittag verschoben werden.
- Selbstfürsorge: Nehmen Sie sich regelmäßig Zeit für sich selbst und Ihre eigenen Bedürfnisse. Nur wenn es Ihnen selbst gut geht, können Sie einem anderen Menschen zur Seite stehen.
- Unterstützung: Nehmen Sie Hilfe von anderen Familienmitgliedern, Freunden, Nachbarn oder professionellen Pflegediensten in Anspruch.
Maßnahmen in akuten Situationen
- Ruhe bewahren: Versuchen Sie, in Konfliktsituationen Ruhe zu bewahren und nicht emotional zu reagieren.
- Distanz: Verlassen Sie kurz den Raum, um sich zu beruhigen und die Situation zu überdenken.
- Deeskalation: Versuchen Sie, die Situation zu deeskalieren, indem Sie auf die Bedürfnisse des Erkrankten eingehen und ihm Sicherheit vermitteln.
- Professionelle Hilfe: Wenn die Situation eskaliert, suchen Sie professionelle Hilfe bei einem Neurologen oder Psychiater.
Was tun bei Gewalt?
- Sprechen Sie darüber: Scheuen Sie sich nicht, über Gewalterfahrungen zu sprechen.
- Suchen Sie Beratung: Wenden Sie sich an eine Beratungsstelle oder Selbsthilfegruppe.
- Schalten Sie die Polizei ein: In extremen Fällen und akuten Situationen mit körperlicher Gewalt kann das Anrufen bei der Polizei notwendig sein.
Unterstützungsmöglichkeiten für pflegende Angehörige
Um Überlastung zu vermeiden, ist ein ausgewogenes Verhältnis von Belastungs- und Resilienzfaktoren wichtig. Es gibt eine Vielzahl von Unterstützungsangeboten für pflegende Angehörige:
- Beratung: Pflegeberatungsstellen informieren über Unterstützungsangebote und finanzielle Hilfen.
- Pflegekurse: In Pflegekursen lernen Angehörige, wie sie die Pflege rückengerecht gestalten und mit Hilfsmitteln umgehen können.
- Selbsthilfegruppen und Gesprächskreise: Der Austausch mit anderen pflegenden Angehörigen kann entlastend sein.
- Ambulante Pflegedienste: Ambulante Pflegedienste übernehmen Aufgaben in der Pflege, Betreuung und Hilfe im Haushalt.
- Tages- und Nachtpflege: Teilstationäre Einrichtungen bieten tagsüber oder nachts Betreuung für Menschen mit Demenz.
- Kurzzeit- und Verhinderungspflege: Bei Urlaub oder Krankheit der pflegenden Angehörigen kann die Pflege vorübergehend in einer stationären Einrichtung übernommen werden.
- Entlastungsleistungen: Pflegebedürftige haben Anspruch auf monatliche Entlastungsleistungen in Höhe von 125 Euro, die für niedrigschwellige Betreuungsangebote eingesetzt werden können.
- Gesetzliche Regelungen zur Vereinbarkeit von Pflege, Familie und Beruf: Das Pflegezeitgesetz und das Familienpflegezeitgesetz ermöglichen es Beschäftigten, sich für die Pflege von Angehörigen freistellen zu lassen.
- Psychologische Unterstützung: Psychologische Beratung oder Psychotherapie kann helfen, mit der Belastung umzugehen und neue Strategien zu entwickeln.
Angebote für spezielle Zielgruppen
Es gibt auch spezielle Angebote für bestimmte Gruppen von pflegenden Angehörigen:
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- Kinder und Jugendliche: Das Projekt Pausentaste ist ein Angebot für Kinder und Jugendliche, die sich um ihre Familien kümmern.
- Angehörige bei früh auftretender Demenz: Die Anlaufstelle für Präsenile Demenz bietet Informationen und Beratung zur Demenz vor dem 65. Lebensjahr.
- Angehörige von Menschen mit Frontotemporaler Demenz (FTD): Es gibt spezielle Angehörigengruppen und Informationsmaterialien zur FTD.
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