Demenz und die Angst vor dem Alleinsein: Ursachen und Bewältigungsstrategien

Die Diagnose Demenz, insbesondere Alzheimer, stellt Betroffene und Angehörige vor große Herausforderungen. Ein besonders belastendes Symptom ist die Angst vor dem Alleinsein, die oft zu einem ständigen "Klammern" an Bezugspersonen führt. Dieser Artikel beleuchtet die Ursachen dieser Angst und bietet praktische Tipps für den Umgang damit, sowohl für Angehörige als auch für Betroffene.

Die Herausforderung der Demenzpflege

Die Pflege von Menschen mit Demenz ist eine anspruchsvolle Aufgabe, die oft von Angehörigen übernommen wird. Im Laufe der Zeit kann jedoch der Punkt erreicht werden, an dem ein Pflegeheim die bessere Lösung darstellt. Tatsächlich ist Demenz einer der häufigsten Gründe für den Umzug älterer Menschen in ein Pflegeheim.

Es ist ratsam, sich frühzeitig mit dem Thema Pflegeheim auseinanderzusetzen und gemeinsam mit dem Betroffenen über zukünftige Wohnformen zu sprechen. Die Entscheidung für oder gegen ein Pflegeheim sollte wohlüberlegt sein und die individuellen Bedürfnisse des Demenzkranken berücksichtigen.

Die Wahl des richtigen Pflegeheims

Die Suche nach einem geeigneten Pflegeheim erfordert Zeit und Geduld. Es gibt keine allgemeingültige "richtige" Lösung, da die Prioritäten unterschiedlich sein können. Einige legen Wert auf die Nähe zum Wohnort, andere auf moderne wissenschaftliche Erkenntnisse oder die Kosten. Wieder andere achten auf den Ruf des Heims oder spezielle Angebote für Menschen mit Demenz.

Bei der Besichtigung von Pflegeheimen sollten Sie aufmerksam sein und auf Ihr Bauchgefühl vertrauen. Achten Sie auf eine stressfreie, wohnliche Atmosphäre, einen würdevollen Umgang mit den Bewohnern und die Kompetenz des Personals. Fragen Sie nach spezifischen Angeboten für Demenzkranke, der Zuordnung von Pflegekräften zu festen Gruppen und der Beratungskompetenz des Heims.

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Es ist wichtig zu erkennen, dass die Entscheidung für ein Pflegeheim kein persönliches Versagen darstellt, sondern eine Möglichkeit sein kann, die Lebensqualität aller Beteiligten zu verbessern, wenn die Belastungsgrenze erreicht ist.

Die Angst vor dem Alleinsein bei Demenz

Viele Angehörige von Demenzkranken kennen das Problem, dass der Betroffene ständig um sie herum ist, sie verfolgt, Fragen stellt oder sich anklammert. Dies kann zu einer enormen Belastung führen, da der Pflegende keine Möglichkeit hat, sich zurückzuziehen oder zu entspannen.

Barbara Hergert, Demenzberaterin im AMEOS Alzheimer Therapiezentrum Ratzeburg, erklärt die Ursachen für dieses "Klammern":

  • Verunsicherung: Demenzkranke verlieren oft ihr Kurzzeitgedächtnis, wodurch die Welt um sie herum ständig neu und fremd erscheint.
  • Verwirrung und Orientierungslosigkeit: Betroffene finden sich in ihrer Umgebung nicht mehr zurecht und haben Schwierigkeiten, Zeit und Ort einzuordnen.
  • Angst: Menschen mit Demenz haben oft Angst, verlassen zu werden und allein zu sein. Sie können nicht mehr einschätzen, wann eine Person zurückkehrt, wenn sie den Raum verlässt.
  • Innere Unruhe und Anspannung: Krankheitsbedingte Unruhezustände und Fremdheit erzeugen Anspannung, die durch Umherwandern und Nachlaufen ausgedrückt wird.
  • Suche nach Nähe und Vertrautheit: Der Verlust des Bezugs zu sich selbst und die zunehmende Fremdheit in der Umgebung führen dazu, dass sich Demenzkranke einen festen Bezugspunkt suchen, oft den Partner, ein Kind oder ein Haustier.

Weitere mögliche Ursachen können Schmerzen, Über- oder Unterforderung, Veränderungen im gewohnten Umfeld oder eine Tag-Nacht-Umkehr sein.

Was können Angehörige tun?

Als pflegender Angehöriger können Sie die Unruhe und das ständige Hinterherlaufen des Demenzkranken positiv beeinflussen, um einen entspannteren Alltag zu schaffen:

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  1. Verständnis zeigen: Zeigen Sie Verständnis für die Situation und die Gefühle des Kranken.
  2. Ablenkung bieten: Bieten Sie dem Kranken eine altersgerechte Beschäftigung an, z.B. Papiere sortieren oder Kartoffeln schälen.
  3. Nähe und Berührung schenken: Geben Sie dem Kranken immer wieder kurze, intensive Momente der Nähe und Berührung.
  4. Umgebungsreize reduzieren: Schaffen Sie eine ruhige, reizarme Umgebung.
  5. Bedürfnisse erkennen: Klären Sie, ob der Kranke Schmerzen hat oder zur Toilette muss, und schaffen Sie Abhilfe.
  6. Sicherheit schaffen: Sichern Sie Haustürschlösser und "tarnen" Sie die Haustür, um ein Weglaufen zu verhindern.
  7. Nachbarn informieren: Informieren Sie die Nachbarn über die "Wanderneigung" des Kranken.
  8. Bewegung ermöglichen: Unternehmen Sie gemeinsame Spaziergänge und aktivieren Sie den Betroffenen tagsüber körperlich und geistig, um den Schlaf am Tag zu reduzieren.
  9. Ärztliche Hilfe suchen: Suchen Sie einen Neurologen auf, wenn extreme Angstzustände auftreten, die möglicherweise medikamentös behandelt werden müssen.

Externe Hilfe in Anspruch nehmen

Pflegende Angehörige sollten gezielt nach Entlastungsmöglichkeiten suchen:

  • Betreuungskräfte: Pflegedienste, ehrenamtliche Betreuungskräfte, Nachbarn oder Verwandte können stundenweise die Betreuung zu Hause übernehmen.
  • Tagespflege: Die Betreuung in einer Tagespflegeeinrichtung oder einer Demenzgruppe mehrmals pro Woche ermöglicht es den Angehörigen, sich zu erholen und etwas für sich selbst zu tun.
  • Entspannungstechniken: Erlernen Sie Entspannungstechniken, die Sie regelmäßig in den Alltag integrieren können.

Kranken- und Pflegekassen, Pflegedienste und Pflegeberatungsstellen informieren über diese Angebote und deren Finanzierungsmöglichkeiten.

Was Sie vermeiden sollten

Durch das Vermeiden bestimmter Verhaltensweisen lassen sich angespannte und kritische Situationen oft entschärfen:

  • Nicht schimpfen oder sich aufregen: Reagieren Sie nicht mit Ärger oder Ungeduld auf das Verhalten des Kranken.
  • Keinen körperlichen Zwang ausüben: Wenden Sie keine Gewalt an.
  • Fragen nicht ignorieren: Ignorieren Sie die Fragen des Kranken nicht, da dies quälend ist und das Fragen verstärkt.
  • Nicht allein lassen: Vermeiden Sie es, den Kranken allein zu lassen, da dies meist vermehrtes Hinterherlaufen nach sich zieht.
  • Beruhigungsmittel nicht überdosieren: Erhöhen Sie nicht eigenmächtig die Dosis ärztlich verordneter Beruhigungsmittel, da dies die Sturzgefahr erhöht.

Allein leben mit Demenz: Ist das möglich?

Viele ältere Menschen wünschen sich, so lange wie möglich in ihrem eigenen Zuhause zu leben. Auch mit einer Demenz kann dies unter bestimmten Voraussetzungen möglich sein. Christine Sowinski vom Kuratorium Deutsche Altershilfe (KDA) betont, dass das selbstgewählte Zuhause eines Erkrankten nicht unterschätzt werden sollte.

Damit Menschen mit Demenz lange selbstbestimmt alleine leben können, sind folgende Voraussetzungen erforderlich:

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  1. Offener Umgang mit der Krankheit: Der Betroffene muss akzeptieren, dass er Unterstützung benötigt, und offen mit seiner Krankheit umgehen.
  2. Aufmerksames Umfeld: Das Umfeld des Demenzkranken sollte sensibilisiert werden, um ihm eine sichere Orientierung zu bieten.
  3. Funktionierendes soziales Netzwerk: Jemand muss im Hintergrund die Fäden in der Hand halten und Unterstützung organisieren, z.B. durch einen ambulanten Pflegedienst, eine Haushaltshilfe oder ehrenamtliche Helfer.
  4. Sicherer und demenzgerechter Wohnraum: Der Wohnraum sollte an die Bedürfnisse des Demenzkranken angepasst werden, um Stürze und Gefahrenquellen zu vermeiden.

Wohnraumanpassung für Demenzkranke

Eine demenzgerechte Wohnraumgestaltung zielt darauf ab, die Selbstständigkeit des Betroffenen zu fördern, Kompetenzen zu stärken und gleichzeitig Sicherheit zu gewährleisten. Veränderungen sollten behutsam vorgenommen werden, da der Betroffene Orientierungspunkte und die vertraute Umgebung benötigt.

Wichtige Aspekte der Wohnraumanpassung:

  • Barrierefreiheit: Stolperfallen wie Teppiche und Verlängerungskabel entfernen, ausreichend Bewegungsflächen für den Rollator schaffen.
  • Übersichtlichkeit: Persönliche Dinge an ihrem gewohnten Platz aufbewahren, die Auswahl an Gegenständen begrenzen, Ordnung statt Chaos schaffen.
  • Räumliche Orientierung: Piktogramme an Türen und Schränken anbringen, Badezimmertür offen lassen.
  • Zeitliche Orientierung: Gut sichtbare Uhren und Kalender verwenden, jahreszeitliche Dekoration anbringen, Tageslichtlampen einsetzen.
  • Kleiderschrank strukturieren: Fächer im Schrank groß und übersichtlich gestalten, nur eine Kleidersorte pro Fach.
  • Küche sicherer gestalten: Wasserkocher und Herd mit Abschaltautomatik verwenden, Geschirr reduzieren, offene Schränke anbringen, Reinigungsmittel sicher verschließen.
  • Badezimmer minimalistisch gestalten: Persönliche Hygieneartikel auf das Nötigste reduzieren, Armaturen mit Kreuzgriff verwenden, farbliche Markierungen anbringen, ebenerdige Dusche mit Haltegriffen installieren.
  • Angstmachende Elemente entfernen: Dunkle Flächen vermeiden, kontrastreiche Farben verwenden, Spiegel nicht gegenüber von Türen aufhängen.
  • Smart Home Geräte nutzen: Demenzuhr, Herdwächter, Wassermelder einsetzen.

Einsamkeit im Alter und Demenz

Soziales Miteinander ist essenziell für die geistige Gesundheit. Einsamkeit führt zwar nicht automatisch zu Demenz, kann aber das Risiko deutlich erhöhen.

Warum Einsamkeit das Demenzrisiko erhöht:

  • Geistige Aktivität: Einsamkeit bedeutet weniger Anregung für das Gehirn durch Gespräche und soziale Interaktion.
  • Depressionen: Einsamkeit belastet die Seele und kann Depressionen auslösen, die wiederum ein Risikofaktor für Demenz sind.

Es ist wichtig, über Einsamkeit zu sprechen und aktiv nach Möglichkeiten zu suchen, soziale Kontakte zu pflegen und neue aufzubauen.

Tipps gegen Einsamkeit im Alter:

  • Mut zum Netzwerken: Kontakte in der realen und virtuellen Welt suchen, z.B. über Nachbarschaftsnetzwerke oder spezielle Seniorenportale.
  • Gemeinnützige Angebote nutzen: Telefonseelsorge, ehrenamtliche Tätigkeiten.
  • Mehrgenerationenhäuser: Leben mit Menschen unterschiedlichen Alters und gegenseitige Unterstützung.
  • Besuchsservice: Freiwillige schenken Zeit und Aufmerksamkeit.
  • Digitale Kommunikation: Nutzung sozialer Medien, Videoanrufe, Telefonzirkel.

Angststörungen im Alter und Demenz

Angststörungen sind im Alter häufig, werden aber oft unterschätzt. Sie können sich in verschiedenen Formen äußern, wie Panikattacken, Phobien oder generalisierte Angststörungen.

Ursachen für Angststörungen im Alter:

  • Genetische Faktoren
  • Psychosoziale Faktoren: Belastende Lebensumstände, traumatische Ereignisse, Verlust von Angehörigen.
  • Krankhafte Veränderungen im Gehirn
  • Körperliche Erkrankungen
  • Medikamente

Diagnose und Therapie:

Es ist wichtig, Ängste bei älteren Menschen ernst zu nehmen und explizit nach Angstsymptomen zu fragen. Die Therapie der Wahl ist die Psychotherapie, insbesondere die kognitive Verhaltenstherapie. In schweren Fällen können auch Medikamente eingesetzt werden.

Umgang mit Angst und Demenz:

Angst tritt bei Menschen mit Demenz sehr häufig auf. Um Angst zu reduzieren, müssen Pflegende eine vertrauensvolle Nähe zum Erkrankten herstellen, die Sicherheit und Vertrautheit vermittelt.

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