Demenzerkrankungen sind mit etwa 1,6 Millionen Betroffenen in Deutschland eine der häufigsten neuropsychiatrischen Erkrankungen im höheren Alter. Bis 2050 wird ein Anstieg auf fast 3 Millionen Betroffene erwartet. Demenz führt zu einem fortschreitenden Verlust der geistigen Leistungsfähigkeit, der Orientierung, der Urteilsfähigkeit sowie der Sprach- und Rechenfähigkeit. Auch die Persönlichkeit kann sich verändern. Ein häufiges und oft belastendes Symptom ist Misstrauen, das bis hin zu Wahnvorstellungen reichen kann. Dieser Artikel beleuchtet die Anzeichen, Ursachen und den Umgang mit Misstrauen bei Demenz.
Formen der Demenz
Es gibt verschiedene Formen von Demenz, die sich in ihren Ursachen und Symptomen unterscheiden:
- Alzheimer-Demenz (ca. 60% der Fälle): Charakteristisch ist der fortschreitende Untergang von Nervenzellen, besonders im Schläfen- und Scheitellappen des Gehirns.
- Vaskuläre Demenz (ca. 20% der Fälle): Hier sind die das Gehirn versorgenden Blutgefäße erkrankt, zum Beispiel durch Arteriosklerose. Dies kann zu größeren Infarkten (Schlaganfällen) oder einer Mangeldurchblutung kleinster Blutgefäße (Mikroangiopathie) führen.
- Frontotemporale Demenz (ca. 5% der Fälle): Eine Gruppe von Erkrankungen mit Verlust an Nervenzellen im Stirnlappen oder vorderen Scheitellappen des Gehirns. Es werden drei Unterformen unterschieden, die oft schon ab ca. 50 Jahren beginnen.
- Lewy-Körperchen-Demenz (ca. 5% der Fälle): Charakteristisch sind Bewegungsstörungen im Sinne von Parkinson-Symptomen, eine deutlich schwankende geistige Leistungsfähigkeit sowie das frühe Auftreten visueller Halluzinationen.
- Gemischte Demenz (ca. 10% der Fälle): Eine Mischform zwischen Alzheimer-Demenz und vaskulärer Demenz.
Misstrauen als Anzeichen von Demenz
Im Rahmen einer Demenz kann es im Alter zu Wesensveränderungen kommen. Viele Menschen mit einer Demenzerkrankung zeigen Verhaltensauffälligkeiten, wie zum Beispiel Aggressionen, plötzliche Stimmungswechsel, Misstrauen gegenüber den Familienangehörigen oder unruhiges Umherlaufen in der Nacht. Solche Änderungen im Sozialverhalten können Zeichen einer beginnenden Demenz sein.
Misstrauen und Feindseligkeit äußern sich dadurch, dass Demenzkranke plötzlich Vertrauten, Bekannten und Verwandten misstrauen und ihnen feindselig und ablehnend gegenübertreten. Selbst engste Angehörige werden beispielsweise verdächtigt, ihnen etwas entwendet zu haben.
Wahnvorstellungen und Misstrauen
Wahnvorstellungen beginnen oft damit, dass Menschen mit Demenz die Überzeugung entwickeln, dass andere ihnen nicht die Wahrheit sagen oder ihnen Böses wollen. Typische Vorwürfe sind zum Beispiel, dass man sie betrogen oder bestohlen hat oder dass man sie vergiften will. Beispiele hierfür sind:
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- Ständige Fragen, ob der Partner untreu ist.
- Die feste Überzeugung, dass Geld weggenommen wurde.
- Anschuldigungen gegenüber dem Postboten, Briefe zu unterschlagen.
Ursachen für Misstrauen bei Demenz
Bei Demenzen kommt es zur sogenannten Neurodegeneration, also dem schrittweisen Absterben von Gehirnzellen. Ursächlich ist oft eine Anhäufung von krankhaften Eiweißstoffen im Gehirn. Abhängig vom Ort dieses Prozesses treten dann zu verschiedenen Zeitpunkten der Erkrankung unterschiedliche Symptome auf.
Teils sind diese durch die Veränderungen im Gehirn bedingt, etwa die Beeinträchtigung des logischen Denkvermögens oder der Impulskontrolle. Teils sind sie auch eine Reaktion der Betroffenen auf ihre Situation und gehen auf Gefühle zurück wie:
- Verunsicherung
- Überforderung
- Angst
- Hilflosigkeit
- Enttäuschung
- Frustration
- Schuldgefühle
- Selbstzweifel
Vergesslichkeit, Konzentrationsschwierigkeiten und Fehlbeurteilungen von Situationen können im Anfangsstadium der Demenz erlebt werden. Betroffene versuchen oft, ihre Defizite zu verbergen und entwickeln Kompensationsmechanismen. Im mittleren Stadium nehmen die Patienten ihre Störungen immer weniger wahr oder leugnen sie. Im letzten Krankheitsstadium nimmt vor allem die verbale Kommunikationsfähigkeit stark ab und Verhaltensauffälligkeiten erschweren die Unterstützung und Pflege der Betroffenen.
Die Logik der Erkrankten - um sich die eigene Vergesslichkeit nicht eingestehen zu müssen - lautet dann, dass das vermisste Portemonnaie dann nicht selbst verlegt, sondern von anderen gestohlen wurde.
Diagnose von Demenz
Ob tatsächlich eine Demenz vorliegt und was deren Ursache ist, sollte durch Fachpersonal abgeklärt werden. Dazu gehört:
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- Körperliche Untersuchung: Überprüfung von Reflexen, Koordination, Gedächtnisleistung, Sprache und Orientierung.
- Kognitive Testung: Ausführliche Testung mit standardisierten Fragebögen.
- Bildgebende Verfahren: Kernspin- oder Computertomografie, um Schichtaufnahmen des Gehirns, der Knochen sowie der Blutgefäße zu erhalten. Bei der PET werden mittels radioaktiv markierter Substanzen bestimmte Funktionsprozesse des Gehirns dargestellt, wie der Stoffwechsel von Sauerstoff und Zucker.
- Ultraschalluntersuchungen: Der Blutgefäße am Hals und Kopf, um festzustellen, ob die Gefäße verschlossen sind oder ob der Blutfluss zum Gehirn beeinträchtigt ist.
- Nervenwasserentnahme: Untersuchung, ob in der Probe Entzündungszellen oder demenztypische Eiweiße vorhanden sind.
Umgang mit Misstrauen und Wahnvorstellungen
Für Angehörige ist der Umgang mit Demenzkranken oft schwer, denn diese können ihren Gefühlen nicht mehr mit dem Verstand begegnen. Die erkrankten Personen werden als schwierig, boshaft, streitsüchtig, starrsinnig oder aggressiv empfunden - umgekehrt verschlimmert fehlendes Verständnis der Angehörigen die Situation für die Erkrankten oft, sodass diese umso feinseliger reagieren.
Folgende Tipps können helfen, den Umgang mit Demenzkranken zu erleichtern:
- Nicht auf Fehler hinweisen oder kritisieren: Das beunruhigt oder beschämt die Betroffenen meist nur. Erwarten Sie auch nicht, dass die Person ihre Handlungen rational erklären kann. Stattdessen kann es helfen, über Negatives hinwegzusehen und Positives durch Lob und Ermutigung zu bestärken.
- Diskussionen oder Streitereien vermeiden: Versuchen Sie nicht, Betroffene mit logischen Argumenten zu überzeugen. Sind Zusammenhänge für die Person nicht mehr nachvollziehbar, führt das oft nur zu Zorn und Unzufriedenheit. Besser ist es, abzulenken oder der Person recht zu geben.
- Gleichbleibende Struktur im Tagesablauf schaffen: Routinen und eine vertraute Umgebung geben Sicherheit.
- Ursachen für Unruhe beseitigen: Wenn etwas die Person beunruhigt oder verunsichert (zum Beispiel dunkle Zimmerecken oder Teppichmuster), versuchen Sie, die Ursache zu beseitigen oder auf emotionaler (nicht logischer) Ebene zu trösten und zu beruhigen. Körperkontakt wirkt dabei oft positiv.
- Gelassenheit bei Aggressionen: Aggressionen entstehen oft aus Unsicherheit heraus. Gelassenheit, Beruhigung und Ablenkung helfen oft, Sicherheit zu geben und den Widerwillen gegen die Situation zu lösen. Entziehen Sie sich gewaltsamen Konfrontationen und versuchen Sie nicht, die Person festzuhalten oder zu bedrängen.
- Hilfe beim Suchen anbieten: Versteckt die Person aus einem Sicherheitsbedürfnis heraus Gegenstände, die sie später nicht mehr findet und daher für gestohlen hält, helfen Sie ihr beim Suchen und beruhigen Sie sie. Wenn möglich, behalten Sie den Überblick darüber, wo die Gegenstände normalerweise versteckt werden.
- Verhalten nicht persönlich nehmen: Versuchen Sie, das Verhalten der erkrankten Person nicht persönlich zu nehmen.
- Gefühle ernst nehmen: Wird ein Mensch mit Demenz „boshaft“ oder handgreiflich, will er mit seinem Verhalten vielleicht auf sich aufmerksam machen und Hilfe erhalten.
- Betroffene aktivieren: Studien deuten darauf stark hin, dass Aktivitäten im Freien und körperzentrierte Therapien wie Massagen effektiver sind als Medikamente, um körperliche und verbale Aggressionen zu mindern.
Kommunikation mit Demenzkranken
Bei einer Demenz kommt es zu einer Abnahme der Gehirnleistung, dadurch verändert sich mit der Zeit auch die Kommunikation mit Patient:innen. Es ist wichtig, die Sprachführung an die Situation anzupassen und den Betroffenen stets ein Gefühl von Wertschätzung zu vermitteln.
- Schlüsselreize nutzen: Vor allem dann hilfreich, wenn Demenzkranke Angst empfinden. Konzentrieren Sie sich auf Ereignisse im Leben des Betroffenen, an die er sich erinnern kann.
- Emotionen nutzen: Betroffene haben sehr feine Antennen für Emotionen und spiegeln oft das Verhalten von Gesprächspartner:innen wider.
- Kommunikation an den Schweregrad anpassen:
- Anfangsstadium: Mehr Zeit für die Kommunikation einplanen, Gelassenheit und Geduld entgegenbringen, zugewandte Sprache mit kurzen und einfachen Sätzen verwenden.
- Fortgeschrittenes Stadium: Auf die Gefühlslage des Familienmitglieds eingehen, Verständnis zeigen, nicht belehren.
- Weit fortgeschrittenes Stadium: Austausch von Berührungen und Emotionen, um dem Bedürfnis nach Geborgenheit gerecht zu werden.
Validation
Bei der Kommunikation mit Demenzkranken ist die Validation entscheidend. Das bedeutet, dass Sie die Äußerungen Ihres Familienangehörigen, aber auch seine Handlungen und seine Sichtweisen gelten lassen und nicht korrigieren.
Weitere Tipps für die Kommunikation
Die Deutsche Alzheimer Gesellschaft e.V. hat Tipps veröffentlicht, die eine Kommunikation mit Demenzkranken vereinfachen:
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- Begeben Sie sich für ein Gespräch auf die gleiche Augenhöhe - setzen Sie sich beispielsweise neben das Bett.
- Nutzen Sie kurz gehaltene, einfache Sätze, möglichst ohne Fremdwörter.
- Sprechen Sie langsam, deutlich und zugewandt.
- Nutzen Sie Gestik und Mimik, um Botschaften zu transportieren.
- Halten Sie kurz inne und überprüfen Sie, welche Gefühle Sie womöglich bei der Kommunikation übermitteln - achten Sie auf eine freundliche Stimmlage.
- Geben Sie Ihrem Angehörigen Zeit, zu antworten.
- Thematisieren Sie immer nur eine Sache - stellen Sie keine „Entweder-oder- Fragen“.
- Schenken Sie Ihrem Angehörigen Ihre volle Aufmerksamkeit und achten Sie auf die Körpersprache Ihres Gegenübers.
- Konfrontieren Sie Ihr Familienmitglied nicht mit Fragen nach dem Wie, Warum, Weshalb, Wo oder Wann.
- Belehren Sie Ihren Angehörigen nicht, sondern zeigen Sie Anerkennung, wenn etwas gut gelingt.
Medikamentöse Behandlung
Die Behandlung von Aggressionen bei Demenz braucht eine sorgfältige Planung. Grundsatz der Begleitung und Pflege von Menschen mit Demenz ist, dass zuerst alle nicht-medikamentösen Maßnahmen ausprobiert werden.
Medikamente zur Beruhigung sollten nur unter strenger fachärztlicher Aufsicht eingesetzt werden, da sie Nebenwirkungen haben können. Auch die Wechselwirkung mit anderen Medikamenten bedarf der genauen ärztlichen Überprüfung.
Risperidon und Haloperidol sind Medikamente, die bei mittelschwerer bis schwerer Alzheimer-Demenz eingesetzt werden können, insbesondere wenn die Person sehr streitsüchtig oder aggressiv ist. Haloperidol kann auch eingesetzt werden, wenn der Patient falsche Vorstellungen von der Realität hat oder Stimmen hört.
Medikamente bei Demenz sollten nur eingesetzt werden, wenn andere Behandlungen ohne Medikamente nicht geholfen haben und wenn die Gefahr besteht, dass die Person mit Demenz sich selbst oder andere gefährdet. Es sollte ein Plan mit nicht-medikamentösen und medikamentösen Methoden erstellt werden. Die medikamentöse Behandlung sollte nicht nur das Problem, zum Beispiel die Aggressivität, behandeln, sondern auch die Ursache.
Phasen der Demenz
Alzheimer verändert Gedächtnis, Denken und Alltagsfähigkeiten - schleichend, aber unumkehrbar. Der Verlauf ist individuell, folgt jedoch bestimmten Mustern.
- Phase 1 (Leichte kognitive Beeinträchtigung, MCI): Leichte Beeinträchtigungen des Denkens und Erinnerns, die im Alltag zunächst kaum einschränken.
- Phase 2 (Frühe Demenz): Zunehmende Vergesslichkeit im Alltag, Schwierigkeiten, neue Informationen zu behalten, Probleme mit der Orientierung in Raum und Zeit.
- Phase 3 (Mittlere Demenz): Beeinträchtigung des Kurzzeit- und Langzeitgedächtnisses, Orientierungsprobleme, Veränderungen im Verhalten und im Wesen, Unruhe, Misstrauen, Reizbarkeit, aggressive Ausbrüche.
- Phase 4 (Schwere Demenz): Vollständige Pflegebedürftigkeit, Verlust der Sprache, Orientierungslosigkeit, Inkontinenz, Schluckstörungen.
Hilfe für Angehörige
Für pflegende Angehörige von Demenzerkrankten ist das so erlebte „aggressive“ Verhalten eine der größten Herausforderungen im täglichen Umgang mit Demenz. Es ist wichtig, sich Unterstützung zu suchen und sich nicht zu überfordern.
Die Deutsche Alzheimer Gesellschaft e.V. (DAlzG) bietet eine kostenlose Beratungshotline unter der Rufnummer 030 - 259 37 95 14 an, auch in türkischer Sprache.
Außerdem gibt es Pflegekurse, die Wissen zum Umgang mit Demenz vermitteln.
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