Demenz: Definition und Klassifikation nach ICD-10

Demenz ist ein Syndrom, das durch den Verlust kognitiver Funktionen gekennzeichnet ist und die Fähigkeit einer Person, alltägliche Aktivitäten auszuführen, beeinträchtigt. Die International Classification of Diseases, 10. Revision (ICD-10), bietet einen Rahmen für die Klassifizierung verschiedener Demenzformen, der für Diagnose, Forschung und statistische Zwecke verwendet wird.

Grundlagen der Demenz

Definition und Merkmale

Demenz (F00-F03) ist ein Syndrom, das sich als Folge einer meist chronischen oder fortschreitenden Krankheit des Gehirns entwickelt. Es ist gekennzeichnet durch Störungen höherer kortikaler Funktionen, darunter Gedächtnis, Denken, Orientierung, Auffassung, Rechnen, Lernfähigkeit, Sprache und Urteilsvermögen. Das Bewusstsein ist dabei nicht getrübt. Die kognitiven Beeinträchtigungen werden häufig von Veränderungen der emotionalen Kontrolle, des Sozialverhaltens oder der Motivation begleitet, wobei diese Veränderungen auch früher auftreten können.

Demenz ist gekennzeichnet durch zunehmende Defizite in kognitiven, emotionalen und sozialen Bereichen. Sie manifestiert sich als Abbau kognitiver Funktionen und Alltagskompetenzen. Typisch sind eine nachlassende geistige Leistungsfähigkeit mit abnehmendem Denk- und Urteilsvermögen, zunehmender Orientierungslosigkeit und/oder Sprachverarmung. Hinzu kommen eine fortschreitende Beeinträchtigung der autobiographischen Identität sowie der Verlust von persönlichkeitsdefinierenden Eigenschaften, Selbstständigkeit und Autonomie.

Ursachen und Risikofaktoren

Obwohl die Zahl der Demenzerkrankten in den letzten Jahrzehnten stark zugenommen hat, ist das altersspezifische Erkrankungsrisiko gleichgeblieben. Der Anstieg wird vor allem durch die höhere Lebenserwartung und die zunehmende Zahl von älteren Menschen erklärt. Es gibt sogar Hinweise auf eine rückläufige Erkrankungswahrscheinlichkeit in den westlichen Ländern. Aus dem asiatischen Raum werden indes steigende Erkrankungsraten gemeldet.

Auch heute sind noch nicht alle Ursachen von Demenzen geklärt. Gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse gibt es nur für wenige Demenzerkrankungen. Ätiologisch werden zwei Gruppen unterschieden: die primären degenerativen und vaskulären Demenzen (rund 90% bei den über 65-Jährigen) sowie die sekundären Demenzformen (die restlichen etwa 10%).

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Epidemiologie

Im Jahr 2018 lebten in Deutschland geschätzt knapp 1,6 Millionen Menschen ≥ 65 Jahre mit Demenz - die meisten (mindestens zwei Drittel) von ihnen mit Alzheimer-Krankheit. Ohne Therapiedurchbruch könnte sich die Anzahl der Fälle im Jahr 2030 auf bis zu 1,9 Millionen und im Jahr 2050 auf bis zu 2,8 Millionen erhöhen. Jüngere Menschen sind deutlich seltener von Demenz betroffen. Hierzulande wird die Zahl der Demenzerkrankten im Alter zwischen 30 und 64 Jahren auf 73.000 geschätzt. Insgesamt werden derzeit jährlich mehr als 300.000 Demenzen neu diagnostiziert: Pro Tag kommen demnach mehr als 900 Neuerkrankte hinzu.

In Europa wurde die Zahl der Demenzkranken ≥ 65 Jahre 2018 auf circa 9,8 Millionen geschätzt. Für das Jahr 2050 wird eine Verdopplung der Zahlen auf rund 18,8 Millionen prognostiziert. Nach jüngsten epidemiologischen Studien gibt es weltweit mehr als 55 Millionen Demenzkranke; davon sind rund 48 Millionen über 65 Jahre. Die Anzahl der Patienten ab dem 65. Lebensjahr könnte sich 2030 auf rund 78 Millionen und 2050 auf rund 139 Millionen erhöhen.

Die Prävalenzraten steigen mit dem Alter steil an: Alle fünf Altersjahre verdoppelt sich die Krankenziffer. In der Altersgruppe der 65- bis 69-Jährigen sind etwas mehr als 1 Prozent betroffen, bei den über 90-Jährigen leiden bereits 40 Prozent an einer Demenz. Zwei Drittel aller Erkrankten sind älter als 80 Jahre, rund zwei Drittel der Erkrankten sind Frauen.

2019 war Demenz nach der chronischen ischämischen Herzkrankheit und vor den Krebserkrankungen die zweithäufigste Todesursache in Deutschland. Hierzulande sterben pro Jahr rund 290.000 ältere Menschen, die zu Lebzeiten an einer Demenz litten. Das Risiko, an einer Demenz zu erkranken, richtet sich insbesondere nach der individuellen Lebenserwartung.

ICD-10 Klassifikation der Demenz

Die ICD-10 teilt Demenzen in verschiedene Formen ein, basierend auf ihrer Ätiologie. Dies ermöglicht eine differenzierte Diagnose und Behandlung.

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F00: Demenz bei Alzheimer-Krankheit

Die Alzheimer-Krankheit ist eine primär degenerative zerebrale Krankheit mit unbekannter Ätiologie und charakteristischen neuropathologischen und neurochemischen Merkmalen. Sie beginnt meist schleichend und entwickelt sich langsam aber stetig über einen Zeitraum von mehreren Jahren. Die Demenz bei Alzheimer-Krankheit (F00.*) wird unterteilt in die mit frühem Beginn unter 65 Jahre (F00.0) und die mit spätem Beginn ab 65. Jahre (F00.1).

  • F00.0: Demenz bei Alzheimer-Krankheit, mit frühem Beginn (Typ 2) (G30.0+): Demenz bei Alzheimer-Krankheit mit Beginn vor dem 65. Lebensjahr. Der Verlauf weist eine vergleichsweise rasche Verschlechterung auf, es bestehen deutliche und vielfältige Störungen der höheren kortikalen Funktionen.
  • F00.1: Demenz bei Alzheimer-Krankheit, mit spätem Beginn (Typ 1) (G30.1+): Demenz bei Alzheimer-Krankheit mit Beginn ab dem 65. Lebensjahr, meist in den späten 70er Jahren oder danach, mit langsamer Progredienz und mit Gedächtnisstörungen als Hauptmerkmal.
  • F00.2 Demenz bei Alzheimer-Krankheit, atypische oder gemischte Form
  • F00.9 Demenz bei Alzheimer-Krankheit, nicht näher bezeichnet

F01: Vaskuläre Demenz

Die vaskuläre Demenz ist das Ergebnis einer Infarzierung des Gehirns als Folge einer vaskulären Krankheit, einschließlich der zerebrovaskulären Hypertonie. Die Infarkte sind meist klein, kumulieren aber in ihrer Wirkung. Diese entwickelt sich meist sehr schnell nach einer Reihe von Schlaganfällen als Folge von zerebrovaskulärer Thrombose, Embolie oder Blutung. Hierzu zählen Fälle mit Hypertonie in der Anamnese und ischämischen Herden im Marklager der Hemisphären.

F02: Demenz bei anderenorts klassifizierten Krankheiten

Formen der Demenz, bei denen eine andere Ursache als die Alzheimer-Krankheit oder eine zerebrovaskuläre Krankheit vorliegt oder vermutet wird. Hierzu gehören die Pick-Krankheit (F02.0), die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (F02.1), die Chorea Huntington (F02.2), das primäre Parkinson-Syndrom (F02.3), die HIV(„human immunodeficiency virus“)-Krankheit (F02.4) sowie weitere andernorts klassifizierte Erkrankungen (F02.8), z. B. Lewy-Körper-Krankheit.

F03: Nicht näher bezeichnete Demenz

Unter F03 werden nicht näher bezeichnete Demenzen codiert.

F04: Organisches amnestisches Syndrom

Unter F04 wird das nichtalkoholisch und nicht durch andere psychotrope Substanzen ausgelöste organisch-amnestische Syndrom codiert. Ein Syndrom mit deutlichen Beeinträchtigungen des Kurz- und Langzeitgedächtnisses, bei erhaltenem Immediatgedächtnis. Es finden sich eine eingeschränkte Fähigkeit, neues Material zu erlernen und zeitliche Desorientierung. Konfabulation kann ein deutliches Merkmal sein, aber Wahrnehmung und andere kognitive Funktionen, einschließlich Intelligenz, sind gewöhnlich intakt.

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F06: Andere psychische Störungen aufgrund einer Schädigung oder Funktionsstörung des Gehirns oder einer körperlichen Krankheit

F06 umfasst andere psychische Störungen aufgrund einer Schädigung oder Funktionsstörung des Gehirns oder einer körperlichen Krankheit. Hier kann die leichte kognitive Störung (F06.7) codiert werden, wenn eine zugrunde liegende Gehirnerkrankung oder körperliche Krankheit anderer Art benannt werden kann.

Diagnostische Kriterien und Zusatzkennzeichen

Auf ärztlichen Dokumenten wird der ICD-Code oft durch Buchstaben ergänzt, die die Sicherheit der Diagnose oder die betroffene Körperseite beschreiben.

  • G: Gesicherte Diagnose
  • V: Verdacht
  • Z: Zustand nach
  • A: Ausschluss
  • L: Links
  • R: Rechts
  • B: Beidseitig

In der ambulanten Versorgung wird der ICD-Code auf medizinischen Dokumenten immer durch die Zusatzkennzeichen für die Diagnosesicherheit (A, G, V oder Z) ergänzt: A (Ausgeschlossene Diagnose), G (Gesicherte Diagnose), V (Verdachtsdiagnose) und Z (Zustand nach der betreffenden Diagnose).

Therapieansätze

Demenz ist nicht heilbar und auch mit Arzneimitteln nur begrenzt zu beeinflussen. Dennoch wurden in den letzten Jahren entscheidende Fortschritte im Verständnis der zugrunde liegenden Pathophysiologie, des klinischen Verlaufs, der Früh- und Differenzialdiagnostik, der Behandlung und der Prognose von Demenzerkrankungen erzielt.

Medikamentöse Behandlung

Medikamentöse Behandlung: Einsatz von Acetylcholinesterase-Hemmern (z. B. Donepezil, Rivastigmin) und NMDA-Antagonisten (z. B. Memantine).

Nicht-medikamentöse Intervention

Der Pflegeaufwand nimmt mit dem Fortschreiten der Krankheit zu. Aufgrund der zunehmenden Immobilität und Schluckstörungen im späten Stadium besteht ein erhöhtes Risiko für Infektionen (z. B. Pneumonie).

ICD-11: Ein Blick in die Zukunft

Die International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems 11 (ICD-11) stellt einen klaren Fortschritt gegenüber ICD-10 dar. Unter Beibehaltung der syndromalen Einteilung der Demenzformen wurden Begriffe im Vergleich zu ICD-10 aktualisiert, differenzierte Codiermöglichkeiten gemischter Demenzformen geschaffen und nicht mehr aktuelle Begriffe (z. B. Senilität o.n.A.) entfernt.

Eine wesentliche Weiterentwicklung ist die kapitelübergreifende Postkoordination, durch die auf Codes anderer Kapitel zurückgegriffen werden kann, um ein Krankheitsbild möglichst genau zu erfassen. Dies wird z. B. bei der Codierung von Demenz mit Verhaltensstörungen relevant.

Allerdings bleibt auch ICD-11 in weiten Teilen auf der Ebene der Syndrome. Dies ist bei der Alzheimer-Krankheit zu kritisieren, da ätiologische Biomarker auf Basis von Liquor und Positronenemissionstomographie (PET) ausgereift und im klinischen Einsatz sind. Da die syndromale Diagnostik eine erhebliche Unschärfe bezüglich der zugrunde liegenden Pathologie hat, ist zu fordern, dass die Ätiologie über Biomarkerdiagnostik definiert wird. Durch die Entwicklung blutbasierter Biomarker wird sich die Zugänglichkeit dieser Diagnostik weiter verbessern. Hinzu kommt, dass bei der Alzheimer-Krankheit erste Therapien verfügbar sind, die eine Bestimmung der Amyloidpathologie mittels Biomarkern voraussetzen.

Änderungen in ICD-11

  • Kapitelstruktur: In Kapitel 6 (Psychische Störungen, Verhaltensstörungen, neuromentale Entwicklungsstörungen) werden in dem Unterkapitel Neurokognitive Störungen die Demenzen aufgeführt. Im neurologischen Kapitel 8 (Krankheiten des Nervensystems) sind Demenzen bei Störungen mit neurokognitiven Beeinträchtigungen als Hauptmerkmal aufgeführt.
  • Detailliertere Klassifikation: ICD-11 bietet eine detailliertere Klassifikation von Demenzformen, einschließlich spezifischerer Codes für verschiedene Arten von zerebrovaskulären Erkrankungen und neurodegenerativen Pathologien.
  • Neurokognitive Störung: Neu ist die leichte neurokognitive Störung (6D71), die dem Konzept des MCI als frühe symptomatische Ausprägung einer neurodegenerativen Erkrankung vor dem Vollbild der Demenz entspricht.
  • Postkoordination: Durch Postkoordination ist die Codierung einer Demenz mit Schweregrad für die Alzheimer-Krankheit, die Lewy-Körper-Krankheit und die frontotemporale Lobärdegeneration möglich.

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