Demenz durch Boxen: Ursachen, Symptome und Behandlung

Der Tod des deutschen Boxers René Weller, der an Chronisch Traumatische Enzephalopathie (CTE) litt, hat die Diskussion über die Risiken von Kontaktsportarten und deren Auswirkungen auf die langfristige Hirngesundheit neu entfacht. CTE, umgangssprachlich auch als "Boxerdemenz" oder "Boxerkrankheit" bekannt, ist eine Form der Demenz, die mit wiederholten Kopfverletzungen in Verbindung gebracht wird. Dieser Artikel beleuchtet die Ursachen, Symptome, Diagnose und Behandlung von CTE, insbesondere im Zusammenhang mit dem Boxsport.

Was ist Chronisch Traumatische Enzephalopathie (CTE)?

Chronisch Traumatische Enzephalopathie (CTE) ist eine neurodegenerative Erkrankung, die durch wiederholte leichte oder schwere Schädel-Hirn-Traumata verursacht wird. Der Begriff beschreibt eine Sammlung von Veränderungen des Hirngewebes, die bei der Autopsie im Gehirn gefunden werden können. Dazu gehören Ablagerungen bestimmter Eiweiße (Tau, Amyloid, TDP43), die ebenfalls bei Erkrankungen wie Demenz und Parkinson gefunden werden. Auch Entzündungsvorgänge und der Verlust von Hirngewebe (Atrophie) sind beschrieben worden. Der genaue Zusammenhang und die Entstehung dieser Veränderungen sind bisher nicht bekannt. Als Ursache werden wiederholte leichte Krafteinwirkungen auf den Kopf angenommen. Allerdings könnten auch einzelne stärkere Gehirnerschütterungen zu solchen Veränderungen führen.

CTE wurde erstmals in den 1920er Jahren bei Boxern als "Punch-Drunk-Syndrom" beschrieben. Inzwischen ist bekannt, dass CTE auch bei anderen Sportarten vorkommen kann, bei denen es häufig zu Kopfverletzungen kommt, wie American Football, Eishockey, Rugby und Fußball. Auch Soldaten mit Explosionstraumata oder Personen, die oft stürzen, können betroffen sein.

Historischer Kontext des Boxens

Boxwettkämpfe wurden 688 vor Christus zu einer olympischen Disziplin. Die Athleten kämpften ohne Pause, bis ein Kontrahent nicht mehr imstande war, sich zu verteidigen. Während die griechischen Kämpfer die Fäuste nur mit Lederriemen umwickelten, wurden im römischen Reich seit etwa 150 vor Christus Handschuhe mit Eisen und Blei verstärkt. Der britische Boxer Jack Broughton führte für Trainings- und Schaukämpfe den Gebrauch von gedämpften Boxhandschuhen ein (mufflers), nachdem er einen Gegner totgeschlagen hatte. Broughton schlug 1742 die nach ihm benannten Regeln vor: Kampfpause nach einem Niederschlag, keine Schläge unter die Gürtellinie. Die 1867 vereinbarten Queensberry-Regeln fanden gegen Ende des 19. Jahrhunderts eine weite Verbreitung. Sie umfassten:

  • das Tragen von Boxhandschuhen
  • eine dreiminütige Rundenzeit mit einminütiger Pause
  • das Anzählen bis zehn nach einem Niederschlag.

Während man heute im Profiboxen weltweit abweichende Regeln anwendet, werden im Amateurbereich seit 1946 die Maßnahmen zum Schutz der Boxer zunehmend vereinheitlicht (1, 2) (www.aiba.org). Dazu zählen unter anderem:

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  • das Tragen eines Kopfschutzes
  • stärker gepolsterte Handschuhe mit je 284 g (10 Unzen; im Profiboxen 8 Unzen)
  • eine verkürzte Rundendauer und -zahl (bei Männern 4 x 2 min, bei Frauen 3 x 2 min)
  • ein Abbruch nach der „outclassed rule“ bei einem zu großen Punkte-Unterschied (>20)
  • die Möglichkeit für den Boxer, den Kampf selbst abzubrechen
  • die Option für den Ringarzt, einzuschreiten (im Profiboxen nur für den Schiedsrichter möglich).

Amateurboxer werden regelmäßig einmal jährlich und vor den Kämpfen medizinisch untersucht (inklusive EKG, Augen- und Laboruntersuchungen). Profiboxkämpfe werden ohne diese weitgehenden Schutzmaßnahmen ausgetragen. Möglicherweise wird dadurch das Publikumsinteresse verstärkt, mit der Konsequenz, dass diese Kämpfe seit einigen Jahren zur besten Sendezeit im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ausgestrahlt werden.

Ursachen und Risikofaktoren

Die Hauptursache für CTE sind wiederholte Schläge und Stöße gegen den Kopf. Bei einer Kopfverletzung wird das Gehirn durch die schnelle Beschleunigung des Kopfes gegen die Schädelknochen gepresst. Dabei können die empfindlichen Fortsätze der Nervenzellen im Gehirn beschädigt werden. Diese Fortsätze, auch Axone genannt, leiten Impulse an andere Nervenzellen weiter und sorgen so für die Informationsverarbeitung im Gehirn. Werden diese Axone geschädigt, wird das so genannte Tau-Protein freigesetzt, das zu schädlichen Ablagerungen verklumpt. Diese Tau-Ablagerungen setzen einen Prozess in Gang, der zum allmählichen Absterben der Nervenzellen führen kann.

Es gibt verschiedene Risikofaktoren, die die Entstehung von CTE begünstigen können:

  • Kontaktsportarten: Sportarten wie Boxen, American Football, Eishockey, Rugby und Fußball sind mit einem erhöhten Risiko für Kopfverletzungen verbunden.
  • Anzahl der Kopfverletzungen: Je mehr Kopfverletzungen eine Person erleidet, desto höher ist das Risiko für CTE.
  • Schwere der Kopfverletzungen: Auch leichte, wiederholte Kopfverletzungen können CTE verursachen.
  • Alter bei der ersten Kopfverletzung: Je jünger eine Person bei der ersten Kopfverletzung ist, desto höher ist das Risiko für CTE.
  • Genetische Faktoren: Ein Gen namens Apolipoprotein E4 (ApoE4) wird in diesem Zusammenhang besonders untersucht. Es erhöht auch das Alzheimer-Risiko, weshalb die genauen Ursachen noch weiter untersucht werden müssen.

Symptome

Die Symptome von CTE können vielfältig sein und hängen davon ab, welche Hirnareale betroffen sind. Wie bei den meisten Demenzformen gibt es keine spezifische Therapie für eine vermutete CTE. Die Alzheimer Gesellschaft empfiehlt Lebensstilmaßnahmen wie körperliches Training, ausreichend Schlaf und Verhaltenstherapie. Psychoedukation könne Betroffenen und ihren Angehörigen helfen, mit den krankheitsbedingten Veränderungen besser zurecht zu kommen. Medikamente können Symptome nur lindern.

Die Symptome entwickeln sich oft erst Jahre oder Jahrzehnte nach den ersten Kopfverletzungen. Typischerweise tritt die chronische traumatische Enzephalopathie (CTE), auch Dementia pugilistica genannt, erst Jahre oder Jahrzehnte nach Ende einer Sportkarriere auf, manchmal aber schon bei jüngeren Athleten. Betroffen sind nicht nur, aber oft Sportler, die wiederholt leichtgradigen Schädeltraumen ausgesetzt waren, auch wenn diese nicht zu einer Gehirnerschütterung geführt haben. Unklar ist, warum nur manche Menschen mit wiederholten Kopfverletzungen eine CTE entwickeln und wie viele und welche Gewalteinwirkungen die Erkrankung hervorrufen. Die Traumata führten zu einer zunehmenden Zerstörung von Neuronen sowie der Freisetzung und abnormen Anhäufung des Tau-Proteins, schreibt die Deutsche Alzheimer Gesellschaft in einem Infoblatt. Damit gehört CTE zu den sogenannten Tauopathien. Der progrediente Vorgang könnte erklären, warum die Symptome oft erst nach vielen Jahren auftreten.

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Die Symptome können in vier Phasen eingeteilt werden:

  • Phase 1: Leichte Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsstörungen, Kopfschmerzen, leichte depressive Verstimmungen.
  • Phase 2: Stärkere Stimmungsschwankungen, Verhaltensauffälligkeiten, schwere Depressionen.
  • Phase 3: Markante kognitive Einbußen wie Kurzzeitgedächtnisverlust, Planungs- und Orientierungsschwierigkeiten, Apathie.
  • Phase 4: Starke Demenz mit weitgehender Hilfsbedürftigkeit, Sprachstörungen, häufig auch Psychosen und motorische Ausfälle, in bestimmten Fällen kommen Symptome von Parkinson hinzu.

Zu den typischen Krankheitszeichen werden zudem Impulsivität, Aggressivität, Kontrollverlust sowie Suizidgedanken gezählt. Motorische Störungen wie Bewegungsunsicherheit, verlangsamte Bewegungen und Sprechstörungen treten häufig erst in fortgeschrittenen Stadien auf.

Vermutlich gibt es zwei klinische Hauptformen der CTE (DOI: 10.3238/PersNeuro.2016.09.16.03). Bei der ersten Variante stehen primär Veränderungen kognitiver Fähigkeiten im Vordergrund. Sie betreffen das Erinnern von Ereignissen und Funktionen wie Planen, Organisieren, Problemlösen und Selbstkontrolle. Im weiteren Verlauf kommt es zu auffälligem Verhalten. Die zweite Variante ist anfangs durch Verhaltensauffälligkeiten wie Gefühlsausbrüche, Impulsivität und Gewalttätigkeit sowie Veränderung der Stimmung mit Depressivität und Hoffnungslosigkeit gekennzeichnet. Später kann es zu kognitiven Störungen kommen.

Diagnose

Die Diagnose von CTE ist schwierig, da es keinen spezifischen Biomarker gibt, der die Erkrankung zweifelsfrei nachweisen kann. Eine eindeutige Diagnose kann erst post mortem durch eine feingewebliche Untersuchung des Gehirns nach dem Tod erfolgen.

Die Diagnose basiert in der Regel auf einer Kombination aus:

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  • Krankengeschichte: Erfassung der Vorgeschichte von Kopfverletzungen.
  • Neurologische Untersuchung: Beurteilung der kognitiven und motorischen Funktionen.
  • Neuropsychologische Tests: Tests für Gedächtnis, Aufmerksamkeit und komplexere Hirnfunktionen geben Aufschluss über Art und Schwere der geistigen Defizite.
  • Bildgebende Verfahren: Konventionelle Methoden der strukturellen Bildgebung zeigen nur bei einem geringen Prozentsatz der Boxer eindeutig chronisch-pathologische Veränderungen, aber gehäuft Anomalien wie das Cavum septi pellucidi (22). In einer aktuellen Serie fand man zwar nur bei 7 von 49 Profi-Boxern strukturelle Auffälligkeiten, nämlich Marklagerveränderungen (5×), chronische Subduralhämatome (2×) und ein Cavum septi pellucidi (1×), jedoch wiesen die Boxer im Vergleich zu gesunden Erwachsenen eine erhöhte Diffusionskonstante und eine verminderte Diffusionsanisotropie als mögliche Zeichen mikrostruktureller Läsionen auf (23). Diese Veränderungen sind im tiefen Marklager betont. In einer früheren Studie hatte die gleiche Autorengruppe einen Zusammenhang zwischen diesen Diffusionsvariablen und der Zahl kampfbedingter Krankenhausaufenthalte belegt. Bei 3 von 42 Amateurboxern aus einer heterogenen Stichprobe fand man Mikroblutungen (24). Fast die Hälfte der Boxer wies nach Beendigung ihrer Karriere einen Mangel an Wachstumshormon auf und alle davon hatten alle ein vermindertes Hypophysenvolumen (25). Die gleiche Autorengruppe beschrieb an anderer Stelle ein gesteigertes Risiko für eine posttraumatische Hypophyseninsuffizienz bei Boxern mit dem Genotyp ApoE4.
  • Liquoruntersuchung: Auch eine Untersuchung der Rückenmarksflüssigkeit (Liquor) auf bestimmte Proteine kann einen Hinweis auf die Erkrankung geben.

Behandlung

Es gibt keine spezifische Therapie für CTE. Die Behandlung konzentriert sich auf die Linderung der Symptome und die Verbesserung der Lebensqualität. Dabei werden sowohl Alzheimer- als auch Parkinson-Präparate eingesetzt. Ansonsten wird auf Physio-, Ergo- und Psychotherapie gesetzt.

Zu den Behandlungsmöglichkeiten gehören:

  • Medikamente:
    • Alzheimer-Medikamente wie Galantamin, Donezepil und Rivastigmin zur Behandlung von kognitiven Störungen.
    • Antidepressiva zur Behandlung von Depressionen.
    • Parkinson-Medikamente wie Levodopa und Dopaminantagonisten zur Behandlung von motorischen Problemen.
  • Therapie:
    • Physiotherapie zur Verbesserung der motorischen Fähigkeiten.
    • Ergotherapie zur Verbesserung der Alltagsfähigkeiten.
    • Psychotherapie zur Behandlung von psychischen Problemen.
  • Lebensstiländerungen:
    • Körperliches Training
    • Ausreichend Schlaf
    • Verhaltenstherapie

Prävention

Da es keine Heilung für CTE gibt, ist die Prävention von entscheidender Bedeutung. Schutz und Schonung Umso mehr Wert legen Fachleute auf die Prävention. Das bedeutet: Konsequente Schonung nach Kopfverletzungen, Schutzmaßnahmen im Sport, Verzicht auf riskante Spielweisen und die Aufklärung von Sportlern, Trainern und Eltern werden als entscheidend angesehen. Insbesondere empfiehlt sich nach einer Gehirnerschütterung ein vollständiger Verzicht auf sportliche Aktivitäten bis zur vollständigen Ausheilung.

Zu den Präventionsmaßnahmen gehören:

  • Schutzmaßnahmen im Sport: Das Tragen von Helmen und anderer Schutzausrüstung kann das Risiko von Kopfverletzungen verringern.
  • Regeländerungen: Änderungen der Spielregeln, um das Risiko von Kopfverletzungen zu verringern.
  • Aufklärung: Aufklärung von Sportlern, Trainern und Eltern über die Risiken von Kopfverletzungen.
  • Konsequente Schonung nach Kopfverletzungen: Nach einer Gehirnerschütterung ist es wichtig, strikt das medizinische Protokoll zu befolgen und sportliche Aktivitäten bis zur vollständigen Ausheilung zu vermeiden.

Aktuelle Forschung

Die Forschung zu CTE ist ein aktives Feld. Wissenschaftler arbeiten daran, die Ursachen, Symptome, Diagnose und Behandlung von CTE besser zu verstehen.

Einige der aktuellen Forschungsbereiche sind:

  • Entwicklung von Biomarkern: Entwicklung von Biomarkern, die CTE im lebenden Menschen nachweisen können.
  • Ursachenforschung: Erforschung der Ursachen von CTE, um gezieltere Präventionsmaßnahmen entwickeln zu können.
  • Therapieentwicklung: Entwicklung von Therapien, die den Verlauf von CTE verlangsamen oder aufhalten können.

Fazit

Demenz durch Boxen, insbesondere in Form von CTE, ist eine ernste Erkrankung, die durch wiederholte Kopfverletzungen verursacht wird. Obwohl es derzeit keine Heilung gibt, können Präventionsmaßnahmen und eine frühzeitige Behandlung der Symptome dazu beitragen, das Risiko zu verringern und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern. Es ist wichtig, das Bewusstsein für die Risiken von Kontaktsportarten zu schärfen und Sportler, Trainer und Eltern über die Bedeutung des Schutzes vor Kopfverletzungen aufzuklären.

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