Cannabis und Demenz: Eine differenzierte Betrachtung der Studienlage

Die Debatte um die Legalisierung von Cannabis ist vielschichtig und berührt sowohl politische als auch wissenschaftliche Aspekte. Während einige Studien auf potenzielle Risiken hinweisen, insbesondere in Bezug auf psychische Erkrankungen und Demenz, zeigen andere Forschungsergebnisse positive Effekte, beispielsweise bei der Linderung von Schmerzen oder der Umkehrung von Alterungsprozessen im Gehirn. Dieser Artikel beleuchtet die aktuelle Studienlage und versucht, ein differenziertes Bild der möglichen Auswirkungen von Cannabiskonsum auf die kognitive Gesundheit zu zeichnen.

Aktuelle Studienlage: Erhöht Cannabis das Demenzrisiko?

Eine im Fachblatt JAMA Neurology veröffentlichte Studie aus Kanada, wo Cannabis seit 2018 legalisiert ist, sorgte für Aufsehen. Sie ergab, dass ältere Erwachsene, die aufgrund von Cannabiskonsum im Krankenhaus behandelt werden mussten, in den folgenden Jahren häufiger an Demenz erkrankten. Konkret war das Demenzrisiko in dieser Gruppe, unter Berücksichtigung soziodemografischer Faktoren und chronischer Erkrankungen, um 72 Prozent erhöht.

Diese Ergebnisse basieren auf der Analyse von Gesundheitsdaten von über sechs Millionen Erwachsenen ab 45 Jahren aus der kanadischen Provinz Ontario. Die Forscher identifizierten 16.275 Personen, die wegen cannabisbedingter Beschwerden notfallmedizinisch versorgt wurden und verglichen diese Gruppe mit der Allgemeinbevölkerung und anderen Notfallpatienten. Innerhalb von fünf Jahren entwickelten fünf Prozent der Cannabis-Notfallpatienten eine Demenz, verglichen mit 1,3 Prozent in der Allgemeinbevölkerung und 3,6 Prozent bei anderen Notfallpatienten.

Es ist wichtig zu betonen, dass die Studie lediglich einen Zusammenhang zwischen starkem Cannabiskonsum und einem erhöhten Demenzrisiko feststellte, jedoch keine Kausalität bewies. Es bleibt unklar, ob der Cannabiskonsum direkt die Demenz verursacht oder ob andere Faktoren, wie ein ungesünderer Lebensstil oder zugrunde liegende Erkrankungen, eine Rolle spielen.

Einschränkungen und Interpretationen

Die Studie berücksichtigt nicht den gelegentlichen Cannabiskonsum und konzentriert sich ausschließlich auf Fälle, in denen ein Krankenhausaufenthalt erforderlich war. Daher lassen sich keine Rückschlüsse auf das Demenzrisiko bei Menschen ziehen, die Cannabis konsumieren, ohne medizinische Hilfe in Anspruch nehmen zu müssen.

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Die Autoren der Studie vermuten, dass indirekte Schädigungen, wie ein Anstieg des Blutdrucks oder Kopfverletzungen unter Drogeneinfluss, zur Entwicklung von Demenz beitragen könnten. Auch Depressionen oder soziale Isolation, die bei problematischem Cannabiskonsum häufiger auftreten, könnten eine Rolle spielen.

Cannabis als Therapie bei Demenz?

Interessanterweise gibt es auch Studien, die positive Effekte von Cannabis bei Demenzpatienten nahelegen. Eine israelische Studie untersuchte die Wirkung von medizinischem Cannabis auf neuropsychiatrische Störungen, die häufig bei Demenz auftreten, wie Agitiertheit, Aggressionen und Schlafstörungen.

In dieser placebokontrollierten Doppelblindstudie erhielten die Patienten entweder dreimal täglich Cannabis oder ein Placebo-Öl. Nach 16 Wochen zeigte die Cannabis-Gruppe deutliche Verbesserungen in Bezug auf Schlafstörungen, Agitiertheit und Aggressionen. Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass die positiven Effekte erst nach 14 Wochen einsetzten und die Wirksamkeit von der Dosis abhing.

Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass medizinisches Cannabis die Lebensqualität von Menschen mit Demenz verbessern und gleichzeitig die Arbeit von Pflegekräften erleichtern könnte. Allerdings sind weitere Studien erforderlich, um diese vielversprechenden Ergebnisse zu bestätigen und die optimale Dosierung und Anwendungsform zu bestimmen.

Cannabis und die alternde Gehirn: Anti-Aging-Effekte?

Entgegen der Annahme, dass Cannabis grundsätzlich schädlich für das Gehirn ist, gibt es Hinweise darauf, dass eine niedrigdosierte Langzeitgabe von Cannabis sogar Alterungsprozesse im Gehirn umkehren und eine Anti-Aging-Wirkung haben könnte.

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Forschende des Universitätsklinikums Bonn und der Universität Bonn in Zusammenarbeit mit der Hebrew University in Israel konnten bei Mäusen zeigen, dass eine geringe Menge an THC, dem aktiven Inhaltsstoff der Hanfpflanze, die kognitiven Leistungen alter Tiere verbessern konnte. Die mit THC behandelten Mäuse zeigten ähnliche Lern- und Gedächtnisleistungen wie junge Kontrolltiere.

Die Forscher fanden heraus, dass THC die Aktivität des Proteinschalters mTOR beeinflusst, der eine zentrale Rolle bei Zellwachstum und Stoffwechsel spielt. Im Gehirn führte die THC-Behandlung zu einem vorübergehenden Anstieg der mTOR-Aktivität, während im Fettgewebe eine Verringerung der mTOR-Aktivität beobachtet wurde, ähnlich wie bei einer kalorienarmen Diät oder intensiver körperlicher Betätigung.

Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass THC eine gewebeabhängige und doppelte Wirkung auf die mTOR-Signalübertragung und das Metabolom hat, was möglicherweise zu einer kognitionsfördernden und Anti-Aging-Wirkung führt.

Klinische Studien am Menschen geplant

Die Bonner Forscher planen nun, in einer klinischen Studie am Menschen zu untersuchen, ob THC auch beim Menschen Alterungsprozesse des Gehirns umkehren und die kognitive Leistungsfähigkeit steigern kann.

Es ist wichtig zu betonen, dass die in den Tierversuchen verwendete THC-Dosis so niedrig gewählt wurde, dass eine Rauschwirkung ausgeschlossen war. Cannabisprodukte sind bereits als Medikamente zugelassen, beispielsweise für die Schmerzbekämpfung.

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Die Auswirkungen von Cannabiskonsum auf junge Gehirne

Während einige Studien positive Effekte von Cannabis bei älteren Menschen nahelegen, warnen andere Forschungsergebnisse vor den potenziellen Risiken für junge Menschen, deren Gehirn sich noch in der Entwicklung befindet.

Intensiver Cannabiskonsum über einen längeren Zeitraum kann besonders für junge Leute psychische Risiken bergen, da ihr Gehirn meist erst ab Mitte 20 vollständig entwickelt ist. Bis dahin können Haschisch und Marihuana die Synapsenbildung stark beeinflussen.

Eine Studie aus Neuseeland, die 1037 Personen von der Geburt bis zum Alter von 38 Jahren begleitete, ergab, dass der jahrelange Konsum von Cannabis nicht nur mit einem Rückgang der kognitiven Leistung verbunden war, sondern auch zu einem Abfall des Intelligenzquotienten (IQ) führte. Bei Personen, die vor dem 18. Lebensjahr regelmäßig Cannabis konsumierten, wurde im Durchschnitt ein Verlust von etwa acht IQ-Punkten zwischen dem 13. und 38. Lebensjahr festgestellt.

Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass ein früher Einstieg in den Cannabiskonsum das Gehirn nachhaltig schädigen und zu dauerhaften kognitiven Beeinträchtigungen führen kann.

Cannabis und Gedächtnis: Beeinträchtigungen und Erholung

Unbestritten ist, dass Cannabiskonsum das Kurzzeitgedächtnis beeinträchtigen kann. Im bekifften Zustand vergessen Konsumierende mitunter, was sie vor fünf Minuten gesagt haben oder wissen mitten im Satz nicht mehr, was sie sagen wollten.

Studien haben gezeigt, dass Dauerkonsum auf das Gedächtnis schlagen kann. Cannabiskonsumenten können sich neue Wörter weniger gut merken und sind beim Gedächtnisabruf langsamer als abstinente Personen. Ebenso schneiden sie bei Tests zur Aufmerksamkeit und zur Reaktionsgeschwindigkeit schlechter ab.

Allerdings gibt es auch Hinweise darauf, dass sich die Hirnleistungen nach dem Einstellen des Konsums wieder verbessern können. Eine Meta-Analyse kam zu dem Ergebnis, dass sich auch bei langjährig Konsumierenden kaum Hinweise auf Defekte nach Abstinenz feststellen lassen. Nur ein äußerst kleiner Effekt beim Lernen neuer Informationen sei gefunden worden.

Dennoch formulieren die Forscherinnen und Forscher in den meisten Expertisen eher vorsichtig und schließen leichte, aber bleibende Beeinträchtigungen in den kognitiven Fähigkeiten nicht aus, auch wenn nachwievor unklar ist, wie lange diese tatsächlich anhalten.

Beeinträchtigungen unter Belastung

Eine Studie der Universität Cardiff ergab, dass kognitive Defizite, die eine Folge langjährigen Kiffens sein können, oft nicht so offensichtlich sind und sich erst unter Belastung zeigen, wenn die Personen sich müde fühlen.

Die Forscherinnen und Forscher kommen zu dem Schluss, dass Cannabiskonsumenten sich unter Laborbedingungen zwar konzentrieren und durchaus gleiche Leistungen wie abstinente Personen abliefern können. Im echten Leben würden sie sich aber leichter ablenken lassen und demzufolge auch häufiger kleine Erinnerungsprobleme und andere Fehlleistungen zeigen als abstinente Personen.

Die Legalisierung von Cannabis: Ziele und Risiken

Die Legalisierung von Cannabis hat zum Ziel, den Schwarzmarkt für die Droge einzudämmen und bestimmte Gesundheitsrisiken, etwa durch verunreinigtes Cannabis, zu verringern.

In Deutschland dürfen Erwachsene ab 18 Jahren seit dem 1. April 2024 bis zu 25 Gramm des Stoffes in der Öffentlichkeit bei sich führen. Bis zu drei Cannabis-Pflanzen dürfen privat angebaut werden. Volljährige können sich in sogenannten Cannabis-Clubs zusammenschließen, in denen der Anbau und die Abgabe der Droge seit dem 1. Juli 2024 erlaubt ist.

Auch auf den Straßenverkehr wirkt sich die Teillegalisierung von Cannabis aus. Der bisher akzeptierte THC-Grenzwert im Blutserum von Autofahrern wird deutlich angehoben.

Warnungen vor den Risiken

Die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) warnte vor der Legalisierung des Cannabiskonsums und betonte die potenziellen psychischen Risiken für junge Menschen.

Es bleibt abzuwarten, ob sich seit der Legalisierung in Deutschland mehr Menschen kiffen als vorher oder höhere Mengen Cannabis konsumieren. Die Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit und die Kriminalität werden genau beobachtet.

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